Von der Maßnahme zur Zwangsarbeit

Maria Wölflingseder über das Arbeitsmarktservice.

Wer früher ohne Job war, war ein Versicherungsfall und wurde am Arbeitsamt wie ein Versicherungskunde behandelt – im Großen und Ganzen höflich, zuvorkommend, jedenfalls ohne Repressalien. Heute aber – wo sich das Arbeitsamt Arbeitsmarktservice (AMS) nennt und die Arbeitslosen großspurig als »Kunden« tituliert werden, begegnet man ihnen als Schuldigen, die zur Räson gebracht werden müssen. Die Pädagogisierungsmaschinerie wurde hochgefahren. Das Arbeitsmarktservice gebärdet sich in der Tat wie eine Institution Schwarzer Pädagogik denn wie eine Service-Einrichtung. Die Zwangsbehandlungen laufen auf Hochtouren. Die Ausgaben der »aktivierenden Arbeitsmarktpolitik« haben sich von ca. 120.000 Euro im Jahr 1999 auf jährlich ca. 900.000 Euro seit 2005 erhöht.
Die menschenverachtende, zynische Bartensteinsche Lügenpropaganda über die kontinuierlich stark sinkenden Arbeitslosenzahlen, die monatlich via ORF hinausposaunt wird, geht gelegentlich sogar einer Landesorganisation der ansonsten sehr schweigsamen Arbeiterkammer zu weit. Die AK Oberösterreich ließ das Wirtschaftsforschungsinstitut diese offensichtlich völlig irrealen Zahlen prüfen. Dieses kam sogleich auf ein Drittel mehr. Allerdings rechnete man auch dort jene nicht mit, die Arbeit suchen, aber nicht arbeitslos gemeldet sind, da sie keinen Anspruch haben, weil der Partner zu viel verdient oder sie selbst noch nie arbeitslosenversichert waren. Das sind noch einmal 120.000. Insgesamt also 440.000 anstatt der offiziellen 204.840. Nicht berücksichtigt ist in dieser Zahl außerdem noch, dass sehr viele Beschäftigte als Notlösung nur Teilzeitjobs haben, von denen sie nicht leben können. Weiters werden Präsenz- und Zivildiener sowie Karenzierte als Beschäftigte gezählt. (Vgl. http://oesterreich.orf.at/stories 232990/ vom 2.11.2007) Und dann wären da noch rund 100.000 Menschen, die überhaupt nicht sozialversichert sind. Sie scheinen in keiner Statistik auf.
Per 1. Jänner 2008 werden mit dem in Kürze zu novellierenden Arbeitslosenversicherungsgesetz auch in Österreich Verhältnisse etabliert werden, die den deutschen Maßnahmen im Rahmen von Hartz IV ähneln.
Viele fragen sich, warum Arbeitslose wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Eine Beleuchtung des Begriffs »Maßnahme« führt uns auf die richtige Spur. Für den Bereich des Strafrechts heißt es: »Eine Maßnahme ist das hoheitliche Handeln, das in die (Grund-)Rechte einer Person eingreift und gegen deren Willen vollzogen wird. ... Maßnahmen können mittels Verwaltungszwangs oder mittels unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden. Sobald der Betroffene die Freiwilligkeit des Vollzugs einer (ursprünglich) hoheitlichen Tätigkeit einräumt, spricht man nicht mehr von einer Maßnahme.« (de.wikipedia.org)
Auch die vor einigen Jahren gestellte, grotesk anmutende Forderung des hessischen Justizministers Christean Wagner (CSU), auch therapierten Suchtkranken und Langzeitarbeitslosen als »Hilfe zur Selbsthilfe« elektronische Fußfesseln zu verpassen, verweist auf den gesellschaftlichen Stellenwert von Arbeitslosen. – Das Gebot, das für Menschen mit Job gilt, ist dem Gebot für solche ohne Job diametral entgegengesetzt. Bei der Wahrnehmung von Arbeitsmöglichkeiten ist totale Mobilität das Ideal. Hingegen können Arbeitslose den Wohnort selten verlassen. Sie müssen ständig »für den Arbeitsmarkt verfügbar« sein, wie es im amtsdeutsch heißt, oder sie werden von Staats wegen genötigt, in Maßnahmen des AMS, an einem bestimmten Ort eine bestimmte Lebenszeit abzusitzen. Ins Ausland zu fahren ist verboten, dort ist man – sollte einem etwas zustoßen – auch nicht unfallversichert. Will ein Arbeitsloser außer nur fürs Wochenende einen anderen Ort im Inland aufzusuchen, muss das gemeldet werden, damit ihm die Post dorthin geschickt wird. Andernfalls kann es leicht passieren, dass man einem Kontrolltermin, der brieflich angeordnet wurde, versäumt, und das Geld für sechs Wochen gestrichen wird.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dieses Szenario in abgeschwächter Form schon im 19. Jahrhundert zu beobachten war. Damals gab es große Migrationsbewegungen. Auf der Suche nach Arbeit strömte die Landbevölkerung in die entstehenden industriellen Zentren. Wenn diese Menschen bei Konjunktureinbrüchen der Armenfürsorge zur Last fielen, mussten sie aber wieder in ihre Geburtsorte zurückkehren. Nur dort hatten sie Anspruch auf Unterstützung. Aber nicht nur diese historische Parallele springt ins Auge, sondern auch eine zeitgenössische. Die Einschränkung der Freizügigkeit des Arbeitslosen hat ihr Vorbild in der Behandlung des Staatsbürgerrechtslosen, das heißt des Asylsuchenden. Diese anvisierte Gleichbehandlung von Arbeitslosen und Asylbewerbern hat also eine gewisse Logik, wenn man den Status des Arbeitssubjekts und den des Rechtssubjekts als die beiden Seiten der warenförmigen Subjektform nimmt. Das heißt also, im Kapitalismus muss ein vollwertiges Subjekt Arbeit und einen gesicherten Rechtsstatus haben. Wer darüber nicht verfügt, wird stillgestellt – also die Nicht-Subjekte Asylbewerber und Arbeitslose. Das Subjekt hingegen hat im Funktionsraum hin und her zu sausen. In der Logik kapitalistischer Verwaltung von Nicht-Subjekten machen Fußfesseln also durchaus auch für Langzeitarbeitslose Sinn. Die zunehmende »Pädagogisierung« und Zwangsbehandlung von Arbeitslosen ist somit Ausdruck ihres nicht vollwertigen Status.
Wenn all die Maßnahmen, die zahlreichen (oft völlig illegalen) Sperren des Bezugs, der Zwang zum lebenslangen Lernen und die anderen Methoden, Arbeit zu simulieren, wo es nichts mehr zu arbeiten gibt, weil die Form unseres Wirtschaftens in der Irre gelandet ist, nicht mehr ausreichen, dann wird Zwangsarbeit verfügt. Der neue Gesetzesentwurf sieht u.a. Folgendes vor: Arbeitslose werden gezwungen, Betreuungs-einrichtungen und Personalvermittlern zur Verfügung zu stehen und Jobs mit sämtlichen freien Verträgen anzunehmen; Mindestlohn oder Kollektivvertrag muss keiner mehr bezahlt werden. Diese reichen nicht zum Leben und liegen oft unter dem Niveau der Notstandhilfe. Die Arbeitslosen werden also zur billigen und willigen Reservearmee der Wirtschaft. Weiters wird die Feststellung der Arbeitswilligkeit auf die Dienstleister ausgelagert, was der Willkür Tür und Tor öffnet, und Rechtsmittel gegen die Sperre der Unterstützung werden praktisch unmöglich. In Hinkunft muss auch für einen Teilzeitjob eine tägliche Fahrzeit von vier Stunden in Kauf genommen werden. Und schließlich können alle Langzeitarbeitslosen zu gemeinnütziger Arbeit gezwungen werden.
Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, der dermaßen der kollektiven Verdrängung und Verleugnung unterliegt wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, der Umgang mit Arbeitslosen und überhaupt die komplette Durchgeknalltheit, mit der auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen reagiert wird. Haben wir nicht die Rationalisierung der notwendigen Tätigkeiten seit Menschengedenken angestrebt? Jetzt sind wir endlich so weit, dass alle Menschen auf der Erde mit geringem Aufwand gut versorgt werden könnten. Bildung oder die Sorge um Kinder, Kranke und alte Menschen und vieles andere kann jedoch nicht rationalisiert werden. Genauso große Blödigkeit ist es, diese Bereiche zu kommerzialisieren. Aber daraus Konsequenzen zu ziehen, liegt so weit außerhalb des gesellschaftlich verordneten Denkhorizonts wie die nächste Galaxie.

Ein ausführlicher Beitrag von Maria Wölflingseder zu den Maßnahmen des AMS und ihren ideologischen Hintergründen findet sich im schulheft Nr. 127, Periodikum für PädagogInnen zum Thema: »Führe mich sanft. Beratung Coaching & Co. – die postmodernen Instrumente der Gouvernementalität« hrsg. von Eveline Christof, Erich Ribolits, Hannes Zuber, Studien Verlag Innsbruck. Erhältlich im Buchhandel.

Er befindet sich auch auf:
www.streifzuege.org/texte_andere/str_autor_woelf_0709_schulheft_ams-massnahmen.html