»Gegen jeden Extremismus«

Thomas Rammerstorfer macht sich vermittels seiner eigenen Biographie einige Gedanken zum Thema Extremismus.

Ein paar Anmerkungen zu Phrase und Realität

Extremismus-Vorwürfe gegen politische Mitbewerber*innen sind Alltag in politischen Auseinandersetzungen. Dieser sei Extremist, diese distanziere sich zu wenig von Extremismus, jene habe Kontakte zu Extremist*innen und jener war mal Extremist*in. Selten sind das objektive Feststellungen, meist sind sie vom eigenen politischen Standpunkt gefärbt. Das Fehlen einer ernsthaften Extremismusforschung in Österreich kommt noch hinzu. Quasi definiert sich jede*r den Begriff selbst. Für die FPÖ existiert scheinbar nur linker und islamistischer Extremismus. Einig sind sich alle Parteien in der Formel »gegen jeden Extremismus«. Die Gewichtung von Gewalttaten mit Bezug zu Extremismus ist aber in der medialen, politischen und öffentlichen Rezeption völlig unterschiedlich.

IS-Terror in Wien, Neonazi-Liebeskummer in Vorarlberg

Man nehme das Attentat eines IS-Anhängers in Wien. Wochenlang füllte es die Zeitungen und sozialen Medien, jeder Aspekt wurde aus jedem Blickwinkel beleuchtet. Es gab und gibt Festnahmen, Moscheenschließungen, Initiativen zur Unterstützung der Opfer bzw. ihrer Hinterbliebenen, Trauerkundgebungen im ganzen Land, Rücktritte beim Verfassungsschutz, alle öffentlichen Gebäude wurden schwarz beflaggt, Gesetzesänderungen wurden debattiert, und so weiter. Gut so.

Es geht aber auch ganz anders. Ich erinnere mich an das Attentat im Vorarlberger Nenzing im Jahr 2016. Und »ICH erinnere mich« schreibe ich hier sehr bewusst, da sich sonst kaum jemand erinnert. Nicht mal in meinem links-grün-antifaschistischen Umfeld.

Also, was war denn da los? Ein 27-Jähriger schoss mit einer automatischen Waffe auf die Besucher*innen eines Konzertes des örtlichen Biker-Clubs. Zwei Menschen starben, zwölf wurden teils schwerst verletzt. Der Täter richtete sich selbst. Die Aufmerksamkeit, die er mit der Tat mutmaßlich erregen wollte, hielt sich in Grenzen. Das mag zum einem dem Umstand geschuldet sein, dass die Wahrnehmungsschwelle vieler Medien an der Wiener Stadtgrenze endet. Mutmaßlich aber auch daran, dass der Täter kein Salafist war, sondern nur Neonazi. Ansonsten hätten wir nämlich einige Parallelen zu Wien. Gregor S. war seit 2005 amtsbekannt. Er hatte einschlägige Vorstrafen (acht Stück, u. a. wegen illegalem Waffenbesitz und Gewaltdelikten), war Teil eines internationalen Netzwerkes (Blood and Honour), das sich für zahlreiche Anschläge verantwortlich zeigte. Er benutzte die gleiche Waffe wie der Täter in Wien. Das LVT (Landesamt Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) überwachte ihn nicht. Obschon er seine Gesinnung in sozialen Medien offen preisgab und im Jahr vor der Tat einen Waffenschein beantragt hatte (was wegen eines aufrechten Waffenverbotes abgelehnt wurde). Er galt – trotz gegenteiliger Anzeichen – als »deradikalisiert«.

Nun ist es müßig zu spekulieren, ob es sich bei den Ereignissen in Nenzing um Amok oder Terror handelte. Die Grenzen verschwimmen auch bei anderen Anschlägen immer öfter. Ich lehne mich aber wohl nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass bei einem Täter mit einem bestimmten religiösen Bekenntnis die Tat viel eher als Terror wahrgenommen worden wäre. So mordete er halt »nur weil er mit seiner On-Off-Lebensgefährtin auf der Rocker-Party in Streit geraten war«, wie es die Kronenzeitung formulierte.

Mein Leben mit Extremismus

In den 1980ern in die Schule gehen war nicht unspannend. Die Lehrer*innen waren gespalten: Da gab es die, die noch voll des Lobes für den Führer waren, weil er hat ja die Autobahn gebaut. Und die meist jüngeren, die uns auch mit den Schrecken des Nationalsozialismus konfrontierten: z.B. meinen Geschichtslehrer, der uns im Bus auf der Klassenfahrt nach Mauthausen erklärte, wir könnten alles vergessen, was wir je bei ihm gelernt haben, nur das, was wir jetzt sehen, dürften wir niemals vergessen. Und es gab die tiefschwarzen Lehrer*innen, für die alles links der ÖVP Kommunismus war, und Kommunismus war Sowjetunion, war Stalin, war genauso schlimm wie Hitler. Anfang der 1990er dann die Jugend. Wir »alternativen« Jugendlichen, Hippies, Sandler*innen, Hard-Rock-Fans, wir bekamen jedes Wochenende auf die Mütze von den Nazi-Skinhead-Banden. Antifaschistisches Engagement wurde uns förmlich eingebläut. Wenn wir zu Hause blieben, sahen wir im Fernsehen die Bilder von Rostock, Hoyerswerda, später dann von Traunkirchen, von Oberwart. Es war mir unerklärlich, was Menschen in diesen Wahnsinn trieb. In meiner Familie waren weder Gewalt noch Rassismus je Thema. Ich verstand das nicht. Wollte es aber verstehen und es begann eine mittlerweile über 25-jährige Auseinandersetzung mit den relevanten extremistischen Phänomenen in Österreich, vor allem natürlich dem Rechtsextremismus. »Aha-Erlebnisse« über die breite Akzeptanz rechtsextremer Einstellungen und Manifestationen begleiteten mich in diesen Jahren. Freilich: prügelnd oder brandschatzend, womöglich auch noch betrunken und prollig gekleidet, sollte der Nazi der 1990er nicht durch die Straßen ziehen. Was da alles passieren könnte! Ansonsten war Rechtsextremismus eine akzeptierte Einstellung. Ein Jugendlicher erklärte mir mal, er verstehen sich mit allen, einer seiner Freunde sei Türke, einer Skater, einer Nazi. Ich glaube, er fühlte sich vorbildlich tolerant und weltoffen.

Eine andere Episode erlebte ich in einem Pflegeheim im Bezirk Wels-Land, in dem ich beschäftigt war, etwa 2005. Ein Bewohner, der sehr auf mich fixiert war, schrie im Speisesaal »Heil Hitler!«. Ich brachte ihn ins Zimmer und führte ein ernstes Gespräch mit ihm. Er war völlig verdutzt. »Ich hab ja nicht gewusst, dass du den Hitler nicht magst«, stammelte er unter Tränen. Meine Einstellung erschien ihm völlig neu und fremd. Offenkundig hatte ihm, 60 Jahre nach Ende von Krieg und Führer, noch nie jemand seine Hitler-Verehrung krumm genommen. Die anderen Bewohner*innen im Speisesaal hatten ihm seinen Hitler-Gruß auch keineswegs verübelt. Nicht, weil sie alles Nazis waren, sondern weil der Nazismus für die Mehrheit eine vielleicht schrullige, jedenfalls aber nicht wirklich verdammenswerte Einstellung war.

Die Mitte

Von den Diskussionen mit jenen Menschen, die sich selbst als Angehörige einer politischen Mitte wahrnahmen, habe ich einen gewissen Grundtenor im Ohr. Fast immer, wenn sie etwas gegen Nazis sagten, distanzierten sie sich im gleichen Atemzug auch von »linken« Extremismen, oder was man dafür hielt, oder »von allen totalitären Regimen« und so weiter. Erst spät merkte ich, dass in jenen mittigen Milieus jeder Mensch, der deutlich gegen Rassismus Stellung bezog, automatisch als links galt. Und das ist natürlich die Höchststrafe, darum das eifrige Distanzieren auch gleich von allem und jedem, am besten auch vom Antifaschismus, der – wie mittlerweile durch zahlreiche Social Media-Memes bewiesen wurde – genauso verderbt sei, wie der eigentliche Faschismus. Aber wer ist denn die Mitte überhaupt? Eigentlich die Konservativen: Also die Rechten, im traditionellen Sinn (auch wenn konservative Parteien den Begriff vermeiden) – die »neue« ÖVP mit ihrer Selbstdarstellung als »mitte-rechts« bildet hier eher noch die Ausnahme. Der Begriff »Mitte« ist überhaupt ein unverzichtbares Accessoire in der Selbstdarstellung einer Partei. Auch SPÖ und Grüne bezeichnen sich gerne als »mitte-links«. Zweifellos auch wahltaktischen Überlegungen geschuldet, scheint ein Bekenntnis zur Mitte auch einem Bekenntnis zur Demokratie gleichzukommen. Was eigentlich seltsam ist, eingedenk dessen, wie oft sich die »Mitte« in ihrer Geschichte schon an den Busen von Rechts-außen geschmissen hat, sobald ein wenig Sozialismus drohte.

Die Linke und warum wir so zerstritten sind

Was heißt das denn nun aber heute, links zu sein? Meine Kenntnisse der sozialistischen Klassiker hält sich in engen Grenzen. Durch den einen oder anderen habe ich mich in meiner Jugend gequält, mittlerweile sind sie in den Regalen genauso verstaubt wie meine Erinnerung an ihren Inhalt. »Links« definiere ich als eine Einstellung, die eine Chancengleichheit möglichst aller Menschen bedeutet, unabhängig von ihrer (geographischen wie sozialen) Herkunft, ihres Geschlechtes, ihrer Religion, etc… Rechts definiere ich als das Gegenteil, als jene Kräfte, die bestehende Diskriminierungen sogar noch verstärken wollen. Die Gleichheit des Menschen scheint gemeinsames Ziel der Linken. Über den Weg ist man sich umso uneiniger: Auf Überzeugung und freiwillige Vereinbarung setzen die einen, auf die Eroberung der Parlamente durch demokratische Wahlen die anderen, und so manche auch auf Revolution und blutige Massaker an der bürgerlichen Klasse, am besten inklusive der beiden vom wahren Weg abgewichenen erstgenannten Gruppen. Das linke Spektrum ist ein Mikrokosmos für sich, mit enormen Diskrepanzen auf nahezu allen zu beackernden Politikfeldern. Die österreichische Linke, oder sagen wir mal: die österreichischen Parteien links von rechts, zeichnen sich zudem durch die Unfähigkeit aus, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, aber dazu ein andermal mehr.

Mein Leben mit Extremismus (2)

Während ich bei manchen meiner linken Freund*innen als regierungstreues Weichei gelte, werde ich von meinen rechten Gegner*innen gerne als Linksextremist oder auch als Grün-Kommunist bezeichnet. Als Beweis dient zum einen meine ablehnende Haltung dem rechten Extremismus gegenüber, zum anderen meine Autorenschaft für KPÖ-nahe Publikationen. Das ist eine interessante Schlussfolgerung, denn ich schrieb oder referierte z.B. auch schon für katholische, evangelische, alevitische und jüdische Organisationen, ohne dass mir ein Bekenntnis zu einer dieser oder gar allen Religionen nachgesagt wurde. Im Übrigen wird die KPÖ weder von der Politikwissenschaft, nicht einmal vom Verfassungsschutz, als linksextrem eingeordnet. Aber wie dem auch sei. Man kann sogar in Oberösterreich als ehemaliger Kommunist Bürgermeister werden.

In der Radikalisierungsforschung stellt man sich den Weg zum Extremismus gerne als Pyramide vor. Einen Extremismus der Mehrheit kann das Modell nicht abbilden. (Grafik: Andreas Egger (CC BY-SA 4.0))