The Sopranos – Family business

Mit der »Sopranos«-Box kommt eine der besten und in unseren Breiten sträflichst ignorierte TV-Sternstunde in geballter Form auf uns zu. Nicht nur für Mafia-Film-Fans ein Muss, meint Didi Neidhart.

The Revolution was televised

Als der us-amerikanische Pay-TV-Sender HBO am 10. Juni 2007 die letzte Folge der letzten Staffel der »Sopranos« ausstrahlte, saßen nicht weniger als 11,9 Millionen vor den TV-Geräten. Dem vorausgegangen waren neun Jahre in denen die »Sopranos« nicht nur das Format »TV-Serie« (sowohl in Sachen »Family« wie »Crime«) revolutionierten, sondern auch die vorwiegend von Coppola (»Der Pate«) und Scorsese (»Good Fellas«, »Casino«) geprägten Filmbilder des »mafiösen Rhizoms« (Georg Seeßlen) zum eigentlichen, diskursiven wie narrativen Dispositiv erhoben (u.a. mit Leuten wie Peter Bogdanovic und Steve Buscemi als Darsteller und Regisseure). Geht es in der Geschichte um das eigentlich doch eher mittelständische und in New Jersey agierende »Family Business« von Mafia-Boss Tony Soprano (James Gandolfini), der an Panik-Attacken, Depressionen und dem Gefühl eines »born too late« leidet, sich daher einer Psychotherapie unterziehen muss, doch auch immer um ein schier undurchdringbares Netz popkultureller Diskurse. Um Referenzhöllen zwischen Musiken und Filmen, die hier jedoch weniger als postmoderne Zitatsteinbrüche (wie etwa bei den »Simpsons« und »South Park«) fungieren, sondern als narrative Subtexte, an die sich vor allem die ProtagonistInnen (fast durch die Bank Kinder der us-amerikanischen Popkultur) geradezu verzweifelt klammern. Sie und vor allem die Erinnerungen daran sind die scheinbar letzten verbliebenen und verlässlichen Krücken in einer Welt, zu der man nicht mehr gehört. Dementsprechend sehen wir Tony am glücklichsten, wenn er im Auto fährt und zu altbackenen 1970er Hardrock-Songs lautstark mitsingt.

Serious Pop

Wie in einem Zeitkristall eingeschlossen gehören die klassischen Mafia-Filme bei den Sopranos weniger zu einem coolen, hippen (Pop-) Wissen (das einzelne Gang-Mitlieder dann jedoch schon auch immer an den Tag legen), als zu einer Art direktem Referenzsystem, an dem man sich schult. Man spricht in Film-Zitaten, fädelt sie in die eigene Sprache ein und mimt Gesten, die zwar im Kino cool, in der Realität aber nicht (mehr) praktikabel sind.
So sehr Tony & Co. Kinder der us-amerikanischen Popkultur sind (selbst von neuen Fahndungsmethoden wie DNA-Analysen erfahren sie nur durch TV-Serien wie »C.S.I.«), so sehr missverstehen sie deren Narrative. Sie überhören einfach, dass all die Off-Stimmen (bei »Good Fellas« oder »Casino«) schon aus dem Verhörraum, dem Gefängnis, dem Ort, den ihnen das Zeugenschutzprogramm zugewiesen hat sprechen, oder es sich dabei gleich um Stimmen von Toten handelt (etwa bei Joe Pesci in »Casino«).
Und auch bei Gary Cooper, Tonys »all american hero«, dessen Aussterben er immer wieder beklagt, wird ausgeblendet, dass ein real life Gary Cooper in der Welt der Sopranos eher in den Reihen des F.B.I. zu finden sein wird.
Kurz: Das Pop-Wissen bei den Sopranos ist auf Seiten der Autoren und nicht auf Seiten der ProtagonistInnen – und gerade das macht die Sopranos so außergewöhnlich. Weil das ja auch bedeutet, das eigene Hipster-Wissen nicht auszustellen, sondern unterzuordnen und zwar so, dass dabei die ProtagonistInnen mit allen ihren durchschnittlichen Geschmäckern nicht diffamiert werden. Gerade hier offenbaren sich ja die Brüche und das Scheitern: Wer sich als Mafia-Boss Gary Cooper zum Vorbild nimmt, müsste allein schon aus diesem Grund in Therapie geschickt werden. Diagnose: Schizophrenie.

Stardust Memories

Die filmhistorische Genealogie reicht dabei bis in die 1930er (»Public Enemy«, »Scarface«), jedoch bricht »Sopranos«-Erfinder David Chase gleich zu Beginn mit dem klassischen Erzählmuster vom Aufstieg und Fall einer Mafia-Familie. Denn alles was wir in den knapp 80 Stunden der sechs Staffeln sehen, ereignet sich nach dem eigentlichen Aufstieg und ist permanent im Fallen
begriffen.
Bei den »Sopranos« ist die Zeit der wilden und coolen Whiz Kids Vergangenheit. Barocke Opulenz fehlt ebenso wie Glamour. Scorseses »Good Fellas« sind alte Männer geworden, die vor allem gegen Krebs, Altersdemenz, daraus resultierenden Machtvakuen und einer nachgewachsenen Generation kämpfen, mit der sie außer dem »Business« fast nichts mehr gemein haben.
Vor allem aber haben die »Wise Guys« den Anschluss an die Welt um sie herum verloren. Sie wissen ebenso wenig mit neoliberaler Ökonomie umzugehen (scheitern etwa beim Versuch bei einer multinationalen Kaffeehaus-Kette Schutzgelder einzutreiben), noch können sie das Zerfallen der privaten wie der »geschäftlichen« Familien aufhalten. Das Abzweigen wie das Kontrollieren von Geldflüssen und das Spielen mit Risikokapital übernehmen nun (ähnlich wie am Schluss von Scorseses »Casino«) andere. Kurz: Geht's der Mafia schlecht, geht's uns allen schlecht.

Speak Softly

Zudem findet sich Tony Soprano in der Therapie in einer äußerst paradoxen Situation wieder. Denn im Gegensatz zum Gesetz des Schweigens der »Ehrenwerten Gesellschaft« gilt hier das Gesetz des Redens der psychoanalytischen Gesellschaft. Und es wird schnell klar, dass die Tatsache zu einem »Seelenklempner« zu gehen und dort »zu reden« für Tony zu einer tödlichen Bedrohung wird. Wodurch wir wiederum mit und um ihn zittern. Er ist ja speziell in den Sitzungen vor allem dann ein geradezu liebenswürdiger (weil hilfloser) Teddybär, wenn er wie Oliver Hardy agiert, sich sichtlich peinlich ertappt fühlt, verstohlen mit den Augen rollt und dabei an seiner Krawatte spielt. Dabei ist der Mobster beim Seelenklempner sowieso per se eine Karikatur, eine Parodie wie sie Robert DeNiro in »Analyze This!« darstellt, der 1999 knapp zwei Monate nach dem TV-Start der Sopranos in die Kinos kam. Und Tony fühlt sich auch ganz genauso: Nicht wie DeNiro als Pate oder »Good Fella«, sondern wie die Witzfigur davon.

Bad Guys – Good TV

Das alles sind jedoch, verglichen mit der Komplexität der »Sopranos«, nur kleine Streiflichter. Denn es drängt sich nicht nur der oftmals gebrauchte Vergleich mit Romanen von Dostojewski auf. Wenn Hitchcock einmal gemeint hat, dass ein Film nur so interessant sie wie die wichtigste böse Figur darin, dann sind die »Sopranos« diesbezüglich Höhepunkt und Grabstein eines ganzen Genres. Allein über die letzten Minuten des Serien-Finales finden sich im Internet zig Bild für Bild-Analysen mit akribischsten Bemerkungen. »Die Sopranos« erzählen aber auch davon wie eine Serie (mit immerhin 21 Emmy-Awards und fünf Golden Globes) im deutschsprachigen Raum zerstört werden kann, indem öffentlich-rechtliche wie private Anstalten die Ausstrahlungstermine so lange nach hinten versetzen, bis sie schließlich mangels Quote (oder weil »zu amerikanisch« wie es von Seiten des ORF hieß) einfach abgesetzt wird. Somit sind die »Sopranos« auch die vielleicht erste TV-Serie, die man auf DVD erstand, nicht um sie wieder zu sehen, sondern um sie überhaupt zu sehen. Und ebenso wie Delinquenz Menschen (Familien) zusammenschließt, so wurde auch die DVD-Familie der »Sopranos«-Fans zu eine verschworenen, fachsimpelnden Gemeinschaft. Die hat zwar mittlerweile alle Staffeln und Folgen sowieso zuhause, der Rest kann sich dafür jetzt die kompletten »Sopranos« auf einmal geben. Was auch empfohlen sei. Nur aufpassen: Danach erscheinen selbst die bis dato gerade noch akzeptierten TV-Serien einfach nur als eindimensionaler Schrott. Also am besten entweder gleich mit den auch bei den »Sopranos« geschätzten Filmklassikern weitermachen, oder schlicht wieder von vorne beginnen. Weil mit einmal durchsehen ist es hier sowieso nicht getan.

»Sopranos. Die ultimative Mafiabox« (28 DVD, plus diverser Audiokommentare und Features) ist bei Warner Home Video erschienen. Eine weitere Box mit noch mehr Extras ist für Dezember 2008 angekündigt, soll jedoch vorerst nur in den USA erscheinen...