»Meine siebenunddreißig Jahre mit ‘konkret’«

In Teil III seiner Story über die Hamburger Autorenzeitschrift erinnert sich Erwin Riess einiger Denkwürdigkeiten

In den achtziger Jahren las der »konkret«-Herausgeber Hermann L. Gremliza mehrfach in Wien – im »Literarischen Quartier« »Alte Schmiede«, in einem Club der Technischen Universität *) und an der Wiener Universität. Die letztgenannte Veranstaltung ist mir besonders gut in Erinnerung. 1986 und 1987 verlieh Hermann L. Gremliza jährlich einen »Karl Kraus Preis« für bekannte Publizisten, die als üble Winkelschreiber traurigen Ruhm genossen. Die jeweilige Würdigungsrede wurde in einem eigenen Quartheft von ‘konkret’ veröffentlicht und von Preisverleiher und Auslober Gremliza der Öffentlichkeit vorgestellt. In den Preisreden legte der konkret-Herausgeber nicht nur die Gründe für die Auswahl der gewürdigten Person dar. Die Eigenart des »Karl Kraus-Preises« bestand darin, dass der Ausgezeichnete, sobald er den Preis, immerhin 30 000 DM, annimmt, sich gleichzeitig verpflichtet, keine Zeile mehr zu veröffentlichen. Ein Literaturpreis der anderen Art, der einen Vorschlag von Karl Kraus aufgriff und angetan war, das Leben der Leser und Leserinnen erträglicher zu gestalten, indem einigen der größten Schwätzer eine Unterstützung in Aussicht gestellt wurde, die es den Ausgezeichneten erlauben sollte »einen nützlichen Beruf zu ergreifen«. Erster Preistrager war Fritz J. Raddatz, ein berüchtigter Wortedrechsler, der in seiner langen Karriere nicht davor zurückschreckte, eine Marx-Biografie zu veröffentlichen, bei deren Lektüre man sich zwischen dem Abscheu vor der kläglichen Sprache und der aggressiven Dummheit des Autors hin- und hergerissen sah.

Der Preisträger der Jahres 1987 erregte besonderes Aufsehen. Günther Wallraff galt und gilt als Doyen der investigativen Zunft, der in vielen under cover Aktionen in Versicherungskonzernen, Stahlwerken, Keks- und Backwaren-Herstellern oder bei der BILD-Zeitung arbeitete und mit der Innensicht des kapitalistischen Getriebes mit mehreren Büchern ansehnliche Verkaufserfolge erzielte. Das Buch über Wallraffs Recherche bei BILD »Der Mann, der Hans Esser war«, verkaufte sich fast fünf Millionen Mal und wurde in über vierzig Sprachen übersetzt. Wallraffs Pech war, dass er sich zwar als mutig und unternehmungslustig erwies, allein er konnte nicht schreiben. Keines seiner Bücher wurde von ihm selbst verfasst, er lieferte Fakten und Tonbandmitschnitte, die von wohlgesinnten Freunden in Artikel und Bücher gegossen wurden. Keiner wusste dies besser als Gremliza, war er doch einer jener Ghostwriter, die für die Etablierung der »Marke Wallraff« verantwortlich waren. Das Buch über das Innenleben in der BILD Zeitung zum Beispiel lieferte keine Sensationen. Man erfuhr, dass das journalistische Ethos – der gesellschaftlichen Wahrheit verpflichtet zu sein – von der deutschen Boulevardzeitung täglich ins Gegenteil verkehrt wurde. Im Verein mit den Mächtigen gegen die Schwachen vorzugehen, für strukturelle Widersprüche des Kapitalismus Minderheiten als Sündeböcke vorzuschieben, dieses Programm des Boulevards, dem sich in Österreich neuerdings auch SPÖ-Vorsitzende verbunden fühlen, wurde vom Flaggschiff des Axel Springer Konzerns zur ununterbietbaren Meisterschaft entwickelt.

»Schließlich schlug Herrmann Gremliza, Chefideologe der KONKRET, zu und erklärte, Wallraff habe die meisten seiner Bücher nicht selbst geschrieben«, hieß es in einer Verteidigungsschrift Wallraffs, die aber auch nicht von ihm selbst stammte. Wallraff hütete sich, Gremliza zu verklagen, der den gerichtlichen Wahrheitsbeweis gern angetreten hätte. Dennoch habe Wallraff sich in »bitteren Auseinandersetzungen verzweifelt gewehrt« und solcherart erfolgreich gegen den versuchten Rufmord angekämpft, schrieb der TAZ-Herausgeber Sontheimer.

»Wie bei Werbetexten üblich«, schrieb daraufhin Hermann L. Gremliza in einer Replik, »ist nichts davon wahr. »Weder heißt Gremliza ‘Herrmann’ noch hat er behauptet, Wallraff habe die meisten seiner Bücher nicht selber geschrieben, sondern alle. Auch hat er nicht »weite Teile« von Wallraffs »Bild«-Buch »aus Tonbändern zusammengeschrieben«, sondern bloß das ganze, inklusive Vorwort und Nachwort des Verlegers Neven DuMont. (dem, als er in der »Taz« log, er habe sein Nachwort selber verfaßt, Gremliza diese Behauptung verbieten ließ)« **)

Zwanzig Jahre nach dieser Auseinandersetzung kochte der Konflikt noch einmal hoch. Gremliza wies darauf hin, dass er zu gern vom Verlag Kiepenheuer und seinem Autor Wallraff erfahren hätte, womit Wallraff sich letztlich erfolgreich gegen den versuchten Rufmord gewehrt habe und fragte: »Indem er seit Bekanntmachung seiner Unfähigkeit zu schreiben anno 1987 zwanzig Jahre lang kein Buch geschrieben hat?«

Die Lesung im Herbst 1987 fand in einem Hörsaal des alten Hauptgebäudes der Universität Wien statt. Nicht wenige Wallraff-Fans waren über die Preisrede Gremlizas bestürzt und empört und es muß ein investigativer ÖH-Funktionär gewesen sein, der die Plakate, welche die Veranstaltung ankündigten, gestaltete. »Heute abend liest der korrekt-Herausgeber Herbert Gremlitzer einen Text von Karl Kraus«, stand darauf zu lesen.

Lesereisen führten den Preisredner in Begleitung Michael Scharangs des Weiteren in die Arbeiterkammer nach Linz und ins südtirolische Bozen, wo sie Station in einem linksradikalen Kulturcafé machten, dessen Betreiber einem Weingut entstammte, welches vorzügliche Rotweine kelterte.

Aber auch die Weine im »santo spirito«, einem Nachtrestaurant in der Wiener Grünangergasse im ersten Bezirk, das von einem begnadeten Koch und Adorno-Schüler sowie dessen Frau, einer exzeptionellen Schauspielerin geführt wurde, konnten sich schmecken lassen. Dort und beim legendären Binder-Heurigen in Groß-Jedlersdorf (ein Teil des 21. Wiener Gemeindebezirks Floridsdorf) frönten Michael Scharang und Hermann L. Gremliza auch ihrer Leidenschaft für das Marienlied. Wenn der unerbittliche Publizist und Unfallchirurg Werner Vogt als Meister des Oberinntaler Mariengesanges sich zu den beiden gesellte, Scharang die obersteirischen Marienhits und Gremlizas jene des Rheinlands anstimmte, dann konnte es geschehen, dass selbst geeichte Atheisten Tage später leuchtenden Auges von spontanen Marienerscheinungen zu berichten wußten.

(im nächsten Heft: Gremliza im Jagdschloß der Habsburger und der verschollene Theodorakis-Text)

Erwin Riess wird am 5. November, 19.30 Uhr in der Stadtwerkstatt aus seinem kürzlich im Otto Müller Verlag erschienen Erzählband »Herr Groll auf Reisen« lesen.

Anmerkungen:

*) Gemeinsam mit Freund und Genossen Horst »Hotte« Tomayer. Die beiden Senior-Sport-Radfahrer ziehen auch heute noch als »sehr gemischtes Doppel« durch die Lande. Eine Lesung der beiden vereint sowohl Sprach- als auch Vortragskunst und zählt zum Klügsten und Vergnüglichsten, was heutzutage auf Podien geboten wird.
**) Die Auseinandersetzung ist in konkret 11/1987 dokumentiert