Journalistischer Katechismus

Drittes Hauptstück: Von dem Kommentar der Bekehrung und der Belehrung

Repetitio: Im zweiten Hauptstück befassten wir uns mit der Unterscheidung zwischen äußerlichem und innerlichem Kommentar, welcher wiederum in drei Unterformen unterteilt wurde. Dieser Teil beleuchtet die letzten beiden dieser drei Unterformen.

Der Kommentar der Bekehrung und jener der Belehrung verhalten sich komplementär und treten mitunter in Mischformen auf. Sie gehen über den Kommentar der Betrachtung hinaus, dessen kritische Funktion in verdichteter Darstellung liegt: Es vollzieht sich eine eucharistische Wandlung von der Darstellungen zur Vorschrift, von descriptio zu praescriptio.

Was ist der Kommentar der Bekehrung?

Vordergründig arbeitet der bekehrende Kommentar im Modus der Kritik, ist aber stärker moralisch getrieben. Im Drang, eine bessere Welt schnitzen zu wollen, begnügt er sich nicht damit, feinen Holzstaub zu verstreuen, sondern hobelt grobe Späne. Kenntlich ist er an aufgespreizten Unterlassungsgeboten wie »die Regierung kann nicht zulassen, dass…«, »als Gesellschaft dürfen wir nicht hinnehmen, dass….« etc. Das klingt nach Hybris, relativiert sich aber in zweierlei Hinsicht: Erstens ist der Theaterdonner zuvörderst Gardinenpredigt im Wortsinn, die nur das eigene mediale Boudoir erzittern lässt und zweitens kühlt er sein Mütchen tags darauf bereits an einem anderen Kümmernis.

Welcher Stoff passet am Besten zum Kommentar der Bekehrung?

Große Gabeln verlangen nach großen Kuchenstücken: Der Stoff ist das große Ganze, das Ramasuri des Daseins, das Alles und das Nichts, die »Grundsatzfrage«. An die Wurzel geht der Kommentar natürlich nicht, ist nicht »radikal«, sondern begnügt sich mit der großen Geste, welche theatralisch ausholt, um dann aber letztlich als erhobener Zeigefinder zu posieren.

Wann soll man von dieser Kommentarweise Gebrauch machen?

Wenn man demonstrieren will, dass man bereit ist, journalistisches Kleingeld ganz groß zu veranlagen, ohne tatsächlich über Risikokapital zu verfügen und verzweifelt genug, den billigsten Klickgenerator zu füttern.

Wie lange muß man bei dieser Kommentarweise bleiben?

Bis genügend Prestige angesammelt ist, um sich salbungsvoll ausschließlich dem Kommentar der Belehrung zu widmen.

Was ist der Kommentar der Belehrung?

Im Kommentar der Belehrung werden die nörgelnden Jeremiaden des bekehrenden Kommentars in verkrampft-konstruktive Edikte überführt: »Die Regierung muss endlich handeln…«, »Nur so können wir in Zukunft sicherstellen, daß…«, etc. Es zeigt sich der Zug zur Politikberatung in seiner unappetitlichsten Form: Der des Coaching (»die Vorsitzende muss endlich Kante zeigen«). Will der belehrende Kommentar zu sich kommen und zugleich über sich hinauswachsen, wird er zur Streitschrift, dem Fanal der Unvertretbarkeit in Gewissensfragen, in dem jede und jeder den kleinen Martin Luther in sich entdecken kann (»Hier stehe ich und kann nicht anders«).

Gibt es eine sichere Methode, zur Belehrung sich mit Macht hinzukämpfen?

Ja – journalistische Auszeichnungen und Preise bilden die Patina, von der Vorwürfe, mangelnde Substanz durch Wichtigtuerei zu kompensieren, abperlen wie Regentropfen von Zikadenflügeln.

Welches ist die vortrefflichste Frucht des Kommentars?

Hier sind bereits die Samenkörner zu unterscheiden: Die fein ziselierten Sporen des inneren Kommentars dienen der Qualitätspresse zur Selbstbestäubung und dessen Früchte keimen dementsprechend applausfertig aus. Die Revolverpresse bildet dagegen Riesensamen aus, die jenen der Seychellenpalme ähneln und möglichst große Durchschlagskraft entfalten sollen. Damit durchbrechen sie die Schutzhüllen, welche um Anzeigenbudgets gebildet wurden. Daraus wachsen dann die schleimig-schmierigen Gurgelschmeichler, die zwar stinken wie die Früchte des Durianbaums, aber zunächst süß schmecken und weich auf der Zunge zergehen. Sie enthalten aber auch Dornen, die die Leckermäuler daran erinnern sollen, dass derart exquisite Genüsse ihren Preis haben.

Diese Differenzierung hat allerdings einen Zeitkern und wenn man sich die Medienlandschaft als Obststand vorstellt, wird dieser zunehmend zur Kulisse für Raufereien, bei denen die Früchte durcheinander kullern und letztlich nur Einheitsbrei übrig bleibt, den dann alle auszulöffeln haben.

Denjenigen, deren Verlags- immer schon Laufhäuser waren, ist ohnehin egal, in welchem Papp sie sich wälzen. Aber auch genügsame und weitgehend autarke Redaktionen sehen sich Horden von PR-Früchtchen gegenüber und wenn aus Ressourcenmangel für Recherche keine Zeit ist, bleibt nur die Meinung.

Bedenke also gut, wenn du einen Kommentar in Print, Funk oder Fernsehen verfasst:
Mit Meinungen ist es wie mit Arschlöchern: Jeder Mensch hat eines, man sollte sich aber gut überlegen, ob man die Welt ohne Not zur Proktologin macht.

Ausblick

Das folgende dritte Hauptstück handelt von der Abtötung: Der journalistischen Ausbildung.