Eine unwürdige Situation

Interview mit dem Linzer Rechtsanwalt Helmut Blum zur Situation von Flüchtlingen.

Welche rechtlichen Ansprüche und Pflichten sind im österreichischen Asylgesetz enthalten und worauf gründen sie?

Asylwerber haben in Österreich bis zum Abschluss ihres Verfahrens Anspruch auf Aufnahme, einschließlich Wohnung, Lebensmittel, Kleidung, Geldleistungen oder Gutscheine für tägliche Ausgaben. Darüber hinaus haben sie Anspruch auf eine angemessene Grundversorgung, auf Information und Dokumente, auf Grundschulerziehung und in begrenztem Umfang auf Zugang zum Arbeitsmarkt. Diese Ansprüche gründen sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention, deren Mitglied Österreich ist, auf das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie die Aufnahmerichtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013.[1] Diese internationalen Vorgaben wurden in Österreich durch das Grundversorgungsgesetz-Bund (BGBl. Nr. I 100/2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009) sowie eigene Landesgesetze der Bundesländer umgesetzt. Rechtsgrundlage für die bundesweit einheitliche Gewähr-leistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde bildet die Grundversorgungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Bundesländern gem. Art. 15a B-VG (BGBl. Nr. I 80/2004). In dieser Vereinbarung werden die Aufgaben der Asylwerberbetreuung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

Wie werden diese Bestimmungen derzeit umgesetzt?

Gerade die Umsetzung der Grundsatzvereinbarung ist seit Jahren ein Problem, da einige Bundesländer offenkundig ihren Verpflichtungen nach dieser Vereinbarung nicht vollständig nachkommen. Die Explosion der Asylantragstellungen in den letzten Monaten hat mittlerweile zu einem Zusammenbruch des Systems, insbesondere im Erstaufnahmezentrum Ost in Traiskirchen geführt, wo mehr als 200 Asylwerber, darunter Frauen und Kinder sowie unbegleitete Minderjährige im Freien schlafen müssen, die hygienische Situation inakzeptabel ist und auch eine geordnete Verfahrensführung kaum mehr möglich erscheint. Seit mehreren Wochen werden beispielsweise Verfahrenskarten an Asylantragsteller nur teilweise, oder gar nicht ausgestellt!! Diese untragbare Situation hat mittlerweile sogar dazu geführt, dass die Zentrale von Amnesty International in London eine Überprüfung der Zustände im Traiskirchener Erstaufnahmezentrum veranlasst hat. Das ist nicht unbedingt eine Renommee für die Republik Österreich. Auch die Unterbrin-gung von Asylwerbern in Zelten entspricht meines Erachtens nicht den rechtlichen Vorgaben.

Wer ist für diese Situation verantwortlich und wie wäre sie zu verbessern?

Eine Hauptursache liegt sicher im politischen Hick-Hack zwischen den Bund und den Ländern, insbesondere was die mangelnde Bereitschaft der Länder betrifft, geeignete Asylquartiere für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Ursache ist aber auch der dramatische Anstieg der Asylwerberzahlen in diesem Jahr. Inwieweit diese Entwicklung vorhersehbar war und man es verabsäumt hat, sich darauf vorzubereiten, wie dies der ehemalige Bundesminister für Inneres Franz Löschnak in einem ORF-Interview angedeutet hat, kann ich schwer beurteilen.

Zur Verbesserung der Situation halte ich eine Zentralisierung der Kompetenz zur Unterbringung und Versorgung der Asylwerber beim Bund für sehr sinnvoll. Weiters wäre eine wirksame und effektive Kooperation im Bereich des Bundes zwischen den beteiligten Bundesministerien (Bundesministerien für Inneres und Bundesministerien für Landesverteidigung) dringend notwendig. Ebenso wichtig wäre es, die Abführung der Asylverfahren zu straffen und zu beschleunigen. Je länger ein Asylverfahren dauert, umso länger ist der Zeitraum, in dem Asylwerber betreut und untergebracht werden müssen. Die bestehenden Probleme können nicht durch ständige Novellierungen der Gesetze gelöst werden, sondern nur durch eine straffe, aber gesetzes- und grundrechtskonforme Verfahrensabwicklung gemildert werden. Diesen Anforderungen entspricht gerade das Asylverfahren I. Instanz in keiner Weise! Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bedarf dringend einer Personalaufstockung mit geschultem und qualifiziertem Personal, um die vielen Verfahren auch zeitnah erledigen zu können.

Liegt die Untragbarkeit der Lage allein an mangelhafter Anwendung oder wäre bereits beim Asylrecht selbst anzusetzen?

Ich denke, dass es um die Gesetzesanwendung geht, aus meiner Sicht besteht keine Notwendigkeit, das Asylrecht zu ändern.

Wie stellt sich die Situation speziell in Linz dar?

Zu Linz kann ich leider sehr wenig sagen. Meines Wissens gibt es immer noch Unterbringungen in Zelten.[2] In der Nähe des Zeltlagers befindet sich andererseits ein ehemaliges Postgebäude in der Derfflingerstraße, welches im Bundeseigentum steht und leer steht. Die Regionaldirektion OÖ des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) bedürfte dringend einer Personalauftstockung.

Hätten Sie Vorschläge, was kurz- mittel- und langfristig zu tun wäre, damit eine menschenwürdige Unterbringung gewährleistet ist?

Kurzfristig sollte der Bund alle verfügbaren Bundesressourcen (leerstehende Bundesgebäude, Kasernen etc.) einsetzen, um Asylwerber menschenrechtswürdig unterzubringen und zu versorgen.

Mittelfristig wäre eine Konzentration der diesbezüglichen Kompetenzen beim Bund anzustreben. Gleichzeitig sollten Ländern und Gemeinden ihren Widerstand aufgeben und sachgerecht zur Problemlösung beitragen.

Langfristig bleibt zu hoffen, dass eine gerechtere Aufteilung der Asylwerber auf die Mitgliedsstaaten der EU politisch akkordiert werden kann. Zu hoffen bleibt, dass es gelingt, die Konfliktherde in den Herkunftsländern in den Griff zu bekommen und so das Problem an der Wurzel zu packen und zu lösen.

Jene Flüchtlinge, die derzeit nach Österreich strömen, sind weder »Wirtschaftsflüchtlinge«, die das Asylsystem missbrauchen wollen, sondern klassische Kriegsflüchtlinge, die in unserem Land Schutz vor der Bedrohung ihres Lebens suchen. Sie haben einen Rechtsanspruch auf korrekte Behandlung und Betreuung sowie eine korrekte Führung und Erledigung ihres Verfahrens. Wir alle sollten mithelfen, dass Österreich seinen in diesem Zusammenhang bestehenden Verpflichtungen auch nachkommen kann.

Einige Tage später, nachdem der Bericht von »Amnesty International« über den Besuch in der Erstaufnahme-stelle Traiskirchen veröffentlicht worden war, haben wir Helmut Blum noch um eine kurze Einschätzung des Berichtes gebeten und gefragt, was er von der Übertra-gung der Betreuung an die »ORS-Service GmbH« hält.

Der Bericht von Amnesty International kommt für mich nicht unerwartet, er bestätigt nur, was mir in den letzten Wochen bereits über die Zustände in Traiskirchen berichtet wird. Es ist beschämend für die Republik Österreich, dass es den Verantwortlichen nicht gelungen ist, derartige menschenrechtswidrige Zustände zu vermeiden. Ich hoffe, dass das politische Hick-Hack nunmehr bald ein Ende hat, sich Österreich seiner humanitären Tradition besinnt und endlich wirksame Maßnahmen gesetzt werden, um diesen Missständen ein Ende zu bereiten. Gezielte und koordinierte Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang notwendig. Jede einzelne Betroffene hätte aus meiner Sicht gute Chancen, mit einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchzudringen und eine Verurteilung Österreichs insbesondere im Hinblick auf Art. 3 EMRK (Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) zu erreichen. Die Übertragung der Betreuung von Asylsuchenden an die »ORS-Service GmbH« möchte ich nicht weiter kommentieren. Ich denke, dass die derzeitigen Missstände nicht dieser Betreuungseinrichtung zugeordnet werden können, vielmehr liegt ein kollektives Versagen des gesamten Systems vor, wobei es mir nicht zusteht, konkrete Zuweisungen von Verantwortlichkeiten an wen auch immer vorzunehmen.

[1] Während die Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich den Status eines einfachen Gesetzes hat, steht die EMRK in Verfassungsrang.
[2] Zum Zeitpunkt des Interviews war das noch der Fall – die Passage wurde beibehalten, da ansonsten der wichtige Hinweis auf die leerstehende Liegenschaft aus dem Zusammenhang fiele.

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Dr. Helmut Blum ist spezialisiert auf Asylrecht, Fremdenrecht und Staatsbürgerschaftsrecht. Er ist unter anderem beteiligt am »Netzwerk AsylAnwalt«, das eine qualifizierte Rechtsvertretung von Flüchtlingen in Österreich gewährleisten will.