Keine Angst? Zur Lage des Veranstaltungsbetriebs

Zur allgemeinen Lage der Konzert- und Clubszene sowie zum STWST Veranstaltungsbetrieb schreibt Jörg Parnreiter.

Auch wenn teilweise oder in veränderter Form von manchen Kulturveranstalterinnen wieder Musik geboten wird: Seit Mitte März steht der Veranstaltungsbetrieb in den meisten Kultur- und Veranstaltungshäusern weitgehend, der Clubbetrieb völlig still, so auch in der Stadtwerkstatt. Der komplette Lockdown ist für uns, wenn nicht überraschend, so doch schnell gekommen – über Nacht mussten der Veranstaltungsbetrieb in der Stadtwerkstatt und das hauseigene Cafe Strom zugesperrt werden. Zu Beginn wurden die geplanten Musik- und Clubveranstaltungen noch wochenweise abgesagt oder verschoben, bald war aber klar, dass es vor der Sommerpause im Juli und August keine Shows mehr geben wird. Trotzdem produzieren alle 4 Departments (Club, New Art Contexts, Medien, Cafe Strom/Öffentlichkeitsbereiche) der Stadtwerkstatt weiter. Es gibt keine Legitimitätsprobleme was den inhaltlichen Output des Hauses betrifft, jedoch birgt die Realität im Veranstaltungsbereich mittelfristig große Gefahren, der hohe Eigenmittelanteil wackelt, was sich auf das gesamte Kulturbudget des Hauses drastisch auswirkt. Eine besondere Ironie in der Situation ist, dass die STWST zu Beginn des Jahres einen Claim namens STWST 2020 MORE vs LESS gewählt hat – und sich dieses Thema nicht nur eindrücklich weltweit vor unser aller Augen ausbreitete, sondern Fragen des »Mehrs« und »Weniger« sich augenblicklich bis in die inneren Strukturen unseres Hauses niederschlugen: Das betraf das inhaltliche Selbstverständnis als Kulturanbieter, aber zB. auch die gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit, was konkret in der STWST bedeutete, dass ein Teil der Gesamtbelegschaft arbeiten musste/durfte, teilweise mehr, ein anderer Teil weniger bis nichts. Und auch hier mussten wir bis 23. April zittern – dann kam die Zusage des Kurzarbeitsantrags für das Veranstaltungs- und Gastroteam in der Stadtwerkstatt. Damit war fürs erste das wirtschaftliche Überleben gesichert und niemand im Haus hat bis dato seinen Arbeitsplatz verloren. Mitte Mai konnte das Cafe Strom seinen Betrieb nur in einer sehr eingeschränkten Variante wiederaufnehmen, die Umsätze sind bescheiden. Um wirklich alle Kosten decken zu können, fehlen die Veranstaltungen, die vielen kleinen, die das Herz der Stadtwerkstatt und des Club- und Musikbetriebes ausmachen, ebenso wie die großen. Diese sind oftmals zwar im engeren Sinn keine Veranstaltungen des Hauses, sichern aber durch Kooperationen Publikumsströme und somit Einnahmen (Streamfestival, Summerbreak, Pflasterspektakel). Mit Stand Juli wurde die Kurzarbeit für das Veranstaltungsteam jedenfalls bis Mitte September verlängert, darüber hinaus gibt es nur eine ungewisse Perspektive für die Arbeitsplätze. Soweit innerhalb der Bestimmungen möglich, hat die Stadtwerkstatt einstweilen Ressourcen in den Art/New Context-Bereich bzw. in die Gesamt-Agenden des Hauses umgeschichtet, neue und alte Projekte werden fertiggestellt und die Archivarbeit wird etwa weiter vorangetrieben. Das sichert den inhaltlichen Output des Hauses – aber leider nicht die Finanzierung des Gesamtbetriebes in seiner organisatorischen Verschränkung, und schon gar nicht des Veranstaltungs-betriebes. Hier sind die Umsatzeinbußen enorm.

Bisher wurden an die Stadtwerkstatt weder aus dem Fixkostenfond noch aus dem Non-Profit-Organisation-Unterstützungsfonds der Bundesregierung Mittel ausgeschüttet, bzw war eine sinnvolle Antragstellung aufgrund sich ständig ändernder Bedingungen noch nicht möglich, und spätestens zu Jahresende wird es finanziell richtig eng – sollte es keine substanzielle Unterstützung über die Kurzarbeit hinaus geben. Soweit zur aktuellen Lage in der Stadtwerkstatt im August. Wie es im Herbst und Winter weitergehen wird, ist soweit offen – was wir sicher wissen ist: Das Virus fühlt sich in Veranstaltungshäusern und Clubs sehr wohl. Ein Konzert- oder Clubbesuch lebt oft von Nähe, von Hitze, vom gemeinsam Tanzen, vom sich näherkommen und austauschen. Wenn es laut ist, schreit man sich auch noch gern gegenseitig ins Ohr – alles sehr konträr zu den momentan üblichen Umgangsformen – und alles ideal für eine Virusübertragung. Entsprechend ist die Liste mit Infektionsherden in Clubs lang. Von Berlin über Zürich bis Seoul und zuletzt Prag finden sich überall Cluster, die auf Clubbesuche zurückgeführt werden. In Berlin standen von den ersten 262 bestätigten Fällen 42 mit einem Clubbesuch in Zusammenhang, in Seoul hat ein 29jähriger in einer Nacht mindestens 168 Menschen in fünf unterschiedlichen Clubs angesteckt, und erst Ende Juli haben sich in einem Prager Nachtclub mindestens 110 Menschen infiziert, angeblich über geteilte Trinkhalme. Stand Ende Juli gibt es in Österreich keinen Fall, der auf einen Club oder Konzertbesuch zurückgeführt wird, allerdings hallt das Kitzloch noch mahnend nach. Auch wenn eine Apres-Ski-Bar eine andere Welt repräsentiert, die äußeren Umstände sind vergleichbar – die Sorge bei Veranstalterinnen und Betreiberinnen von Clubs zur nächsten Virenschleuder zu werden, ist in der Szene fast so stark zu spüren wie der immer näherkommende finanzielle Abgrund. Die Restriktionen, die den Club- und den Konzertbetrieb gleichermaßen treffen, sind die Abstandsregel und die Maskenpflicht. Die frühe Sperrstunde um 01:00 Uhr ist für die Konzertveranstalterinnen dabei weniger problematisch als für Clubbetreiberinnen, da geht es um 01:00 oft erst los. Allerdings macht es die Abstandsregel von einem Meter in Verbindung mit dem Defakto-Zwang zum Sitzplatz auch für praktisch alle Veranstaltungshäuser unmöglich, auch nur ansatzweise kostendeckend zu öffnen. Veranstaltungs- und Kulturhäuser sind ebenso wie Clubs sensible Systeme, alles ist aufeinander abgestimmt, die Kapazität ist wichtig. Sie ist die fixe Größe, nach der sich das Programm genauso wie der Personal- und Technikaufwand richtet, die Bars sind genauso auf die Saalgrößen abgestimmt wie die Sanitärräumlichkeiten oder die Garderoben. Wenn jetzt die Kapazität, für die der Club oder das Veranstaltungshaus genehmigt wurde, bei weitem nicht mehr erreicht werden kann, und sich gleichzeitig Fixkosten nicht oder kaum reduzieren - oder durch die Politik übernommen werden - dann sind Veranstaltungen nicht zu finanzieren. Der Aufwand, einen Veranstaltungssaal Covid-konform zu bekommen ist enorm, eine passende Bestuhlung muss her, zusätzliches Personal für extra Ein- oder Ausgänge, ein Ticketingsystem, am besten mit Platzkartenmöglichkeit, auch viele Kleinigkeiten wie Unmengen Desinfektionsmittel und Spender, etc. Trotz alledem haben einige Häuser, zB. die Linzer Kapu oder das Chelsea in Wien begonnen, Covid-konforme Indoor-Veranstaltungen zu organisieren. Dabei zeigt sich, dass bei guter Programmgestaltung die Sitzplatzpflicht der Stimmung nicht zwingend schadet, es wird ruhiger im Konzertraum und das Publikum ist aufmerksamer. Das ist bei Singer/Songwriter-, Impro/Jazz- und Avantgarde-Konzerten natürlich leichter möglich als bei hochenergetischem HipHop oder bei Rockshows. Jedenfalls ist es gut, dass es schön langsam wieder Konzerte gibt, hoffentlich können mit Start der neuen Saison im September noch mehr Veranstaltungshäuser den Konzertbetrieb wiederaufnehmen. Das könnte dann eine kleine Chance im Desaster sein, nämlich besonders im Herbst für eine ohnehin sehr vitale heimische Musikszene: Praktisch alle internationalen Bands haben ihre Europatourneen nach anfänglichem Zögern auf 2021 verschoben, somit müssen alle die, die ihre Häuser öffnen, Musikerinnen und Künstlerinnen aus Österreich oder dem benachbarten Ausland ins Programm nehmen – die bekommen dann vielleicht endlich die Bühnenpräsenz, die sie verdienen. Für Herbst und Winter plant die STWST Sitzplatzkonzerte in dieser Ausrichtung, die also diese Chance im Bestehenden nutzt, allerdings nur mit einer erlaubten Saalkapazität von 40 Plätzen.

Ein nicht repräsentativer Rundruf unter Veranstalterinnen in Österreich zeichnet ein recht düsteres Bild, alle stehen vor finanziellen Problemen bzw. kurz vor dem Aus und alle sind der Meinung, dass es einen Club- und Partybetrieb wie vor Corona erst mit deutlichem Abstand zu einer allerdings noch ungewissen Impfung geben wird. Damit die vielseitige Kultur/Veranstaltungs/Clubszene in Österreich das überlebt, braucht es nicht nur einen, sondern viele solidarische Akte aller Beteiligten. Allen voran muss die Politik aktiv werden und der Veranstaltungsbranche - die als erste geschlossen wurde und als letzte wieder öffnen wird - mit Förderungen für Fixkosten helfen, die über die 75% des Fixkostenzuschusses hinausgehen. Der grüne Wiener Kultursprecher Martin Margulies hat in Aussicht gestellt, die restlichen 25% des Fixkostenzuschusses für Wiener Clubs zu übernehmen, sollte die Bundesregierung bis Ende August keine Lösung präsentieren. Für Wien würde das bis Jahresende eine überschaubare Million Euro ausmachen. (Anm.: Mitte August hat Finanzminister Blümel für »besonders betroffene Branchen« einen Fixkostenzuschuss in der Höhe von bis zu 100% in Aussicht gestellt). Die Ansteckungsgefahr im Club oder Konzerthaus steht außer Frage, doch ist es verwunderlich, warum tausende Menschen in Einkaufstempeln oder hunderte in Flugzeugen ein kleineres Risiko darstellen sollen als der kleine Club von nebenan, ganz zu schweigen von der Risikogruppe, die sich bei den Salzburger Festspielen selbst abfeiert. Was geht, wenn der politische Wille da ist, hat man hier gesehen. Damit zurück zu den Veranstaltungen und einer Tendenz zur Illegalisierung: In letzter Zeit ploppen »Guestlist only«-Veranstaltungen ohne jeglicher Abstands- oder Maskenpflicht auf, und der Partybus nach Bratislava ist schon etwas länger Realität. Diese Schieflage wieder auszugleichen kann nur Aufgabe der Bundesregierung sein, besonders wenn im Herbst und Winter die Veranstaltungen wieder indoor stattfinden müssen. Weiters wird es die Mithilfe vom Publikum brauchen. Höhere Ticketpreise und eine Akzeptanz der Coronaregeln beim Konzertbesuch werden unvermeidbar sein. Und nicht zuletzt werden auch die Künstlerinnen und Musikerinnen, genauso wie die Agenturen und Bookerinnen beitragen und auf einen Teil ihrer ohnehin meistens zu kleinen Gagen verzichten müssen. Wie es aussieht, kann es nur so gelingen, die vielen unterschiedlichen, oft über lange Jahre erkämpften (Frei)Räume der Kultur über diese Zeit zu retten.

Bleibt dann noch die größere, längerfristige Perspektive, in einer zunehmend unangenehmer werdenden Welt: Es wird viel MORE brauchen, MORE selbstermächtigendes Handeln, MORE Austausch und Vernetzung in der Szene (neu gegründete IG Clubkultur) und MORE neue radikale Ideen und vor allem LESS FEAR.

Die Stadtwerkstatt wird die Herbstsaison mit dem STWST48x6 MORE LESS Showcase-Extravaganza am 11. September eröffnen. Musikveranstaltungen wird es, in oben angesprochener Ausrichtung, geben. Unter völlig neuen Voraussetzungen organisiert und mit vielen unbekannten Größen, also: Watch out, das Programm wird, zumindest was die üblichen Vorläufe betrifft, derzeit relativ kurzfristig erstellt.

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STWST Club: Die aktuelle Situation. (Bild: Jörg Parnreiter)