Die flache Öffentlichkeit

Man könnte glauben, dass Radio FRO und die Stadtwerkstatt etwas masochistisch sind. Nach jahrelangen Baustellen und deren kollateralen Auswirkun-gen vor unserem Haus könnten wir die eingekehrte Ruhe eigentlich genießen. Wir aber verlegen unsere Aktivitäten nach Auwiesen in ein leerstehendes Gebäude auf einem Platz, der zufällig gerade saniert wird...
Zumindest bringt diese Entscheidung mit sich, dass man sich Fragen über die neu gebauten Plätze in Linz stellt. Zwischen dem Platz inmitten eines Einkaufszentrums in Auwiesen und jenem vor dem Ars Electronica Center (AEC) oder dem Platz vor dem Dom gibt es einige Gemeinsamkeiten.
Alle drei Plätze sind komplett flach. Keine Bänke oder Sitzgelegenheiten stören ihre Perfektion. Keine Pflanze schmückt ihre glatte, tote Oberfläche. Prinzipiell tun sich westlich geprägte Architekten immer schwer, die Leere zu denken. Der Platz unter dem Lentos zeigt, wie die Leere auch Teil des Gebauten sein kann. Zumindest parken dort gelegentlich Kunstwerke. Beim AEC, seinem »verkehrten« Pendant, parken hingegen nur Autos...
Das Prinzip der Modularität in der Architektur schafft Kisten ohne Eigenschaften und gibt sich absichtlich steril. Unkraut kann und darf nicht wachsen, ähnlich öffentlichen Kulturinitiativen. Stattdessen drängeln sich private und kommerzielle Unternehmen vor, um öffentliche Räume zu erobern. Gegenargumente werden dabei »flach gelegt«.
Man würde sich fast wünschen, dass die Auftraggeber der Architekten aus bloßer Ahnungslosigkeit auf Überlegungen über »öffentlichen Raum« verzichtet haben. Die Absicht könnte aber auch eine andere gewesen sein, denn eine weitere Gemeinsamkeit dieser Plätze ist, dass sie der Aufwertung des benachbarten architektonischen Objektes dienen. Hier gelten die souveräne Perspek-tive und das Primat des Sehens, ähnlich der Renaissance. Das AEC und der Dom sind die neuen Schlösser unserer Zeit; den neuen Königen fallen Kontrolle und Überwachung unter einer makellosen Oberfläche wesentlich leichter.
Zum letzten Punkt, der diese Plätze vereint: Jedes Objekt hat eine verglaste, homogenisierende Fassade. Auch das Lokal beim Dom kriegt seine Menge an Kieselsäure. Diese Fassaden sind zwar lichtdurchlässig, aber nicht transparent (oder im Fall vom Dom nur zum Teil sichtbar). Was dahinter steckt, bleibt dasselbe. Die Vernachlässigung von Stadtteilen, alte religiöse Dogmen und eine verschachtelte Kulturpolitik der Stadt Linz werden geschützt durch ein neues Äußeres.
Im besten Fall aus Ahnungslosigkeit, im schlimmsten Fall mit Vorsatz wurden also diese Plätze »saniert«. Was treibt dann uns Masochisten von Radio FRO und Stadtwerkstatt hin zu solchen Orten? Wir mögen den Lärm und das Provisorische der Baustellen, weil es unser Element ist. Auch die Leere vermag uns nicht abzuschrecken, denn das Unsichtbare kann man hörbar oder sichtbar machen. Wir wollen uns mit der Komplexität des Themas Öffentlichkeit befassen. Den öffentlichen Raum für kurze Zeit besetzen und ihn nicht privaten Strukturen überlassen, gehört zu unserem poltischen Engagement. Plätze nicht als Konsensplattform zu betrachten, sondern als Forum oder Berührungszone, wo Konflikte und Debatten noch möglich sind, ist und bleibt unser Anliegen. Deshalb stellt Radio FRO auch in seinem Festivalprogramm »Open Spaces« zur Verfügung. Plätze als Brachland zu verstehen, wo ein Potenzial im Beuysschen Sinn zu entwickeln bleibt, ist unser Verständnis, deshalb kooperieren wir mit Projekten wie dem »Garten der Sinne« in Auwiesen. Bei einem Platz sollte es nicht um Besitz oder Zwecke gehen, sondern um Prozesse, die sich frei entfalten können. Diese Philosophie haben wir mit der Freien Szene gemeinsam. Es geht dabei nicht um masochistisches Vorgehen, sondern um das Nutzen sich bietender Gelegenheiten. Auf die Weise möchten wir den EntscheidungsträgerInnen nochmals dieses Ideal in Erinnerung rufen. Vielleicht gestaltet sich dadurch der Blick durch die gläsernen Fassaden auf öffentliche Räume ein wenig anders.