Von Roma und anderen Hendlverbrechern

Während des Stadtwerkstatt-Projektes »Capture your City« im September wurde der 2001 gedrehte Film »Eine lästige Gesellschaft« von Marika Schmiedt (und Claudia Fischer) am Lonstorfer Platz im Franckviertel gezeigt. Tanja Brandmayr traf die Filmemacherin und Künstlerin Marika Schmiedt, eine in Linz aufgewachsene und in Wien lebende Romni, im Gasthaus »Union« zum Gespäch.

Marikas Schmiedts Film »Eine lästige Gesellschaft« dokumentiert das Verschweigen, die Verschwiegenheit und die lange Nichtexistenz der Thematik Roma und Holocaust – und ist ebenso Aufarbeitung und Spurensuche nach Familiengeschichte und kultureller Herkunft. Was sich in einer Gesamtschau des Filmes zeigt: Dass in den Nazilagern 500 000 Menschen aus der Volksgruppe der Roma und Sinti ermordet wurden (»Ausmerzung«), ist zwar einer breiten Bevölkerung noch immer kaum bekannt, dafür hält sich nach wie vor hartnäckig die Saga, dass »die Zigeuner Hendln stehlen«.

Ein zentrales Thema des Filmes ist die Mühsal, durch die verschiedenen Behörden etwas über deine Großmutter, etwas über deine Familiengeschichte in Erfahrung zu bringen. Das ist sehr klar herausgekommen …und letztenendes war über die Umstände der Verhaftung deiner Großmutter in Graz nichts mehr zu finden?

Über die Vernichtung der Roma in den Konzentrationslagern weiß man wenig bis nichts. Es ist etwas besser geworden in den letzten zehn Jahren, nicht zuletzt deshalb, weil die Roma als Volksgruppe seit Mitte der 90er Jahre in Österreich anerkannt sind, seitdem gibt es erst die Beschäftigung mit der Thematik. Was meine Großmutter betrifft, hat sie zuletzt in Graz in einem Wohnwagen gewohnt, bevor sie verhaftet wurde. Da waren aber keine Akten mehr vorhanden, Meldekarteien schon. Mir ist aufgefallen, dass sie sich auf den letzten Meldezetteln zuerst wöchentlich, dann schon täglich melden musste. Was ich auch herausgefunden habe, ist, dass sie in den KZs Ravensbrück oder in Bernburg ermordet wurde, aber sichere Fakten gibt es auch da nicht.

Wie wurdest du mit deiner Familiengeschichte konfrontiert?

Ich bin zum Teil bei der Cousine meiner Großmutter aufgewachsen, die selber von 1939 – 1945 im KZ war. Sie hat im Gegensatz zu vielen anderen meiner Familie überlebt. Wie viele umgekommen sind und unter welchen Umständen, wissen wir aber gar nicht so genau. Meine Großmutter, ihr Bruder und zwei der Kinder sind in verschiedenen Lagern von Auschwitz bis Ravensbrück ermordet worden. Die Schwester meiner Mutter starb 1953 an den Folgewirkungen des Konzentrations-lagers. Dass das für die Überlebenden prägend ist und immer Thema sein wird, ist unausweichlich. So habe ich auch von der Cousine meiner Großmutter schon früh erfahren, was passiert ist. Auch meine Mutter hat später mit mir darüber gesprochen, sie wollte das aber nie nach außen tragen. Sie lebt total assimiliert in Linz und hat ihre kulturelle Identität als Romni immer versteckt, weil sie die Ressentiments der Bevölkerung ja erlebt hat. Dann gibt es bei den Roma auch ganz viel Verdrängung im Privaten – die Leute wollen gar nicht mehr damit konfrontiert werden, welcher Herkunft sie sind. Das habe ich bei meiner Cousine erlebt, die das Bild unserer Großmutter gar nicht sehen wollte, aus Desinteresse, weil es ‚eh schon so lange her’ ist. Das betrifft auch meine Tante, die im Zuge der Dreharbeiten ebenfalls erst erfahren hat, dass ihre Mutter eine Romni war. Die wollte sich zuerst auch nicht damit konfrontieren. Das sind zerrissene Familienstrukturen.

Eine sehr starke Schräglage ist ja, dass sich die Roma nach wie vor mit einem Klischee von »Hendldieben« konfrontiert sehen, während die Naziverbrechen an den Roma noch nicht so richtig durchgedrungen sind.

Die Klischees haben sich nicht verändert, obwohl die Leute, wenn du nicht direkt Zigeuner sagst, kaum etwas wissen. Und mit den Zigeunern assoziieren die meisten eben auch nur, dass die Hendln gestohlen haben. Der Sprachverlust des Romanes zum Beispiel ist eine Auswirkung der NS Herrschaft, das bedeutet einen Verlust an Kultur. Zu Bildung, die immer als Mittel zur Verbesserung der Lebensumstände angeführt wird, kommen viele Roma nicht, weil sie mit der schlichten Lebenserhaltung beschäftigt sind. Es ist auch ein großes Problem, dass sich die Roma nach außen zu wenig deklarieren. Unsere Leute sind insgesamt ziemlich krank. Die Vergangenheit hat psychische, soziale und kulturelle Beschädigungen verursacht, die immens sind. Ceija Stojka, die Malerin ist und die ich gut kenne, habe ich etwa eine Zeit lang täglich besucht und es ist kein einziger Tag vergangen, an dem wir nicht über Holocaust, Nationalsozialismus und Konzentrationslager gesprochen haben. Was ich im Zuge des Projektes erfahren habe, ist, dass die Zusammenhänge und das Ausmaß der Auswirkungen unvorstellbar sind. Wenn du etwa durchs Lagergelände von Auschwitz gehst und dieses Ausmaß an Vernichtung siehst, es ist ein absoluter Horror des Unaussprechlichen und des Nichtsprechenkönnens.

Wie leben die Roma heute? Was sagst du zu diesen installierten Durchzugsorten, zu den Campingplätzen? (Nachträgliche Anmerkung: Es gibt seitens des Vereins Ketani/der Fabrikanten Initiativen, um einen solchen auch in Pichling zu schaffen, für Roma, Sinti, Jenische. Das hat in Linz genügend nomadischen Charme für eine Unterstützung seitens der Kulturhauptstadt: Das Projekt befindet sich laut Homepage im Status einer Machbarkeitsstudie, mit anschließend geplantem Gestaltungswettbewerb. Siehe auch Versorgerin #74)

Das ist immer schwierig, weil sich die Anrainer aufregen, wegen der bekannten Klischees, da hat sich wenig verändert. In Österreich leben aber ohnehin die meisten Roma assimiliert in Wohnungen, allerdings gibt es wegen der Vernichtung nur noch wenig autochthone Roma. Dafür gibt es eine Zuwanderung von Roma aus dem Osten, wo der Hintergrund wieder anders ist. In Tschechien gab es zum Beispiel noch bis 2003 Zwangssterilisation für Romafrauen. Oder dort habe ich auch von einer Bürgermeisterin, einer Senatorin gehört, die in aller Normalität von »Ausmerzung« spricht. Das ist Nazidoktrin im Wortlaut. Die Roma leben dort in Ghettos, wobei es in Brünn vielleicht etwas anders ist: Dort haben sie sich ihren Platz immer nehmen können. In der Slowakei ist es hingegen ganz arg. Dort ist die reine Ghettoisierung. Das ist ja das, was mich fertig macht, dass ich im Jahr 2007 immer noch mit dem Holocaust beschäftigt bin, während dieser ganze Wahnsinn aus dem Osten daherkommt.

Von den Hendldieben zu den Hundeessern. In »Die Hundeesser von Svinia« von Karl-Markus Gauß habe ich gelesen, dass in den slowakischen Ghettos, die mit Lethargie und Elend angefüllt sind, plötzlich eine Haustür aufgeht, hinter der ein säuberlich gepflegtes Heim auftaucht. Im genannten Buch habe ich auch gelesen, dass Bettler, die bei uns oder anderswo auf den Straßen stehen, durch Fahrten aus Romaghettos organisiert werden, sprich: Dorfkaiser bringen andere durch Verschul-dung in Abhängigkeit und zwingen sie, ihre Schuld abzuarbeiten.

Von den Bettelfahrten habe ich auch gehört und das ist schlimm. Obwohl es inakzeptabel ist, darf man es nicht verurteilen – das Elend ist unvorstellbar und durchzieht alle Lebensbereiche. Es ist ein Effekt dieser Ghettoisierung. Ein von oben verordnetes Bettelverbot halte ich jedoch für problematisch und arg. Jeder sollte selber entscheiden können, ob er was hergeben will oder nicht. Und das erste Beispiel, das du angeführt hast, das hat mit dem Talent der Roma zu tun, aus nichts etwas zu machen, sich sozusagen auch noch den Dreck herzurichten, auch wenn die Lebensumstände ganz schlimm sind. Die Roma sind überhaupt ein spezieller Menschenschlag. Man erkennt sich, wir reden miteinander. Die Roma sind irgendwie anders, herzlicher, offener, ich weiß nicht, wie ich es richtig benennen soll ... Ich brauche jedenfalls beides. Auch hier auf dem Lonstorfer Platz habe ich während des Projektes Roma kennen gelernt, die auf mich zugekommen sind. Eines meiner beiden Videos für »Capture your City« ist genau wieder über einen Rom entstanden, der hier mit seiner Familie im Franckviertel lebt. Sein Vater war in Auschwitz, für mich hat er ein Lied auf seiner Gitarre gespielt und gesungen.

Was war deine Rettung?

Für mich wurde eine Aufarbeitung meiner eigenen Familiengeschichte irgendwann zu einem klaren Auftrag, der letztendlich mich und mein Leben verändert hat. Mittlerweile sehe ich das auch als meinen Beitrag zum Thema Roma und NS-Verbrechen. Die Verschwiegenheit zu durchbrechen ist schwierig. Ich habe das selber erlebt, als ich mit dem Film begonnen habe und das bekannt wurde. Da kamen Lügen und Neid, es wurden mir Vorwürfe gemacht, dass ich Gräber schände, die Toten beleidige, mit meinen Filmen Millionen verdiene. Jeder, der mit dem Thema nach außen geht, wird zuerst einmal fertig gemacht. Jetzt hat sich das gelegt. Darüber hinaus finde ich, dass sich jeder mit seiner eigenen Geschichte und Identität beschäftigen sollte.