»Serbische Terroristen« im Klassenzimmer

Ljiljana Radonic vergleicht kroatische Schulbücher über den »Heimatländischen Krieg«.

In den Monaten vor dem EU-Beitritt Kroatiens fanden im Osten des Landes Massenproteste gegen die Einführung des Kyrillischen als zweite Amtsschrift in Gegenden mit einer großen serbischen Minderheit statt. Diese Maßnahme war, wie die Ermöglichung der Rückkehr von 1995 im Zuge der Operation »Sturm« aus der Krajina vertriebenen SerbInnen, Vorbedingung für den EU-Beitritt. Die Flucht des Befehlshabers der Operation, General Ante Gotovina, vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal hatte den Beginn der Beitrittsverhandlungen verzögert, da die damalige Regierung nicht glaubhaft machen konnte, alles für seine Auslieferung getan zu haben. Erst dessen Verhaftung 2005 öffnete Kroatien den Weg in die EU. Doch spätestens seitdem Gotovinas erstinstanzliche Verurteilung zu 24 Jahren Haft Ende 2012 von der Berufungsinstanz in Den Haag aufgehoben und der General als lang erwarteter Held in Kroatien empfangen wurde, gilt der »Heimatländische Krieg« der 1990er den meisten als gänzlich »reingewaschen«.

Was lernen also kroatische SchülerInnen in der achten Schulstufe über diese Zeit? Je nachdem – muss die Antwort lauten, denn die Schulen können autonom zwischen vier 2009 herausgegebenen Schulbüchern wählen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Spektrum reicht von einem plump- (Đurić) und einem elaboriert-nationalistischen (Bekavac/Jarab), über ein eher linkes (Erdelja/Stojaković) bis zu einem differenziert-liberalen Schulbuch (Koren). Das Muster wird bereits bei der Charakterisierung des Regimes von Franjo Tuđman in den 1990ern deutlich: Während sich in dem plump-nationalistische Buch kein Wort der Kritik an der Regierung der »Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft« (HDZ) findet, werden bei Bekavac/Jareb zumindest »ungesetzmäßige Privatisierungen«1 angesprochen, ohne jedoch zu benennen, dass HDZ-Mitglieder und parteinahe Personen dafür verantwortlich waren. »Ein Teil der Medien und Vereinigungen sowie internationaler Organisationen« habe ferner auch »den Vorwurf mangelnder Demokratie und einer unzureichenden Einhaltung von Menschenrechten erhoben.« Wie später noch zu zeigen sein wird, geht es in diesem Schulbuch nicht etwa um reale Demokratiedefizite. Vielmehr wird behauptet, die »Vorwürfe« hätten zur teilweisen internationalen Isolation Kroatiens geführt. Die beiden nicht-nationalistischen Publikationen stellen einerseits klar, dass Tuđman Kroatien in die Unabhängigkeit geführt und den Krieg gewonnen habe, aber andererseits, so das liberale Buch von Snježana Koren, habe »bei vielen Bürgern der autoritäre Führungsstil Unzufriedenheit hervorgerufen«. Sie kritisierten die »Einschränkung der Pressefreiheit, die Unwirksamkeit der Gerichtsbarkeit und Verstöße gegen Menschenrechte.« Das freie Radio 101 und das unabhängige Wochenblatt Feral Tribune hätten eine wichtige Rolle bei der Beförderung der Demokratie gespielt. Das Schulbuch von Erdelja/Stojaković verweist darüber hinaus auf die problematische Privatisierung der Wirtschaft, den langsamen Wiederaufbau zerstörter Gebiete, die steigende Arbeitslosigkeit und die steigende Verschuldung des Landes.

Für die Zuspitzung der Konflikte mit den bald »aufständischen« SerbInnen der Krajina geben die nationalistischen Bücher die Schuld ausschließlich der »großserbischen Aggression« inklusive »ethnischer Säuberung«, »serbischen Extremisten«, vor allem aber »serbischen Terroristen« (Bekavac/Jareb). Die »heldenhafte« Verteidigung Vukovars sei laut Bekavac/Jareb außerdem strategisch wichtig gewesen, denn »die Ermordung von Zivilisten und das Ausmaß der Zerstörung Vukovars halfen dabei, dass die Weltöffentlichkeit endlich begriff, wer das Opfer und wer der Aggressor im Krieg in Kroatien war.« Wieder geht es hier weniger um die tatsächlichen Ermordeten, als vielmehr um den Prestigegewinn Kroatiens. Koren hingegen betont, dass ein Teil der Serben fand, die neue Verfassung beschneide ihre Rechte, da sie nun nicht mehr als ein »konstitutives Volk« galten, sondern unter die »anderen Völker und Minderheiten« subsumiert wurden, und stellt den Grenzverschiebungs-Forderungen »radikaler Četnik-Gruppen aus Serbien« die Entlassungen kroatischer Serben aus der Arbeit als Grund für die Zunahme des Misstrauens gegenüber. Koren ist um Empathie für alle Opfer bemüht und schildert etwa auch die Zerrissenheit einer in einer gemischten Ehe in Zagreb lebenden Serbin.

Kroatische Verbrechen werden bei Đurić nur indirekt in Zusammenhang mit dem kroatisch-bosniakischen Krieg 1993 erwähnt: »Es wurden Kirchen und Moscheen angezündet, Menschen wurden vertrieben, eingesperrt und getötet, Dörfer angezündet.« Laut Bekavac/Jareb hätten in diesem Konflikt zwar »beide Seiten Verbrechen an Zivilisten begangen und Konzentrationslager betrieben«, dafür sei jedoch trotz solcher Vorwürfe seitens der internationalen Gemeinschaft nicht die Regierung in Zagreb verantwortlich gewesen, denn sie habe offen die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas anerkannt und durch diplomatische Initiativen diesen sinnlosen Konflikt aufzuhalten versucht. Laut Koren hingegen war die Tatsache, dass die »bosnisch-herzegowinischen Kroaten Hilfe und Unterstützung von der damaligen Regierung in Zagreb erhielten, schlecht für Kroatien, das beinahe mit internationalen Sanktionen belegt worden wäre.« Das Buch von Bekavac/Jareb wurde oben als elaboriert-nationalistisch bezeichnet, weil sie nicht verschweigen, dass einige Mitglieder kroatischer Einheiten »aus Rache oder Eigennutz« – diese Erklärung wird dreimal wiederholt – 1991 »einzelne Bürger serbischer Nationalität in Gospić, Osijek und Sisak« umbrachten, und auch Morde an »Gruppen von Serben« in Pakračka Poljana, Paulin Dvor und Medački Džep erwähnt werden. Doch »positive Beispiele« seien weitaus zahlreicher als »die verzeichneten Vorfälle«. Durch unzählige Verweise auf die zuvor von Serben begangenen »ethnischen Säuberungen« werden die Verbrechen aber implizit als verständlich relativiert. Da die kroatische Gerichtsbarkeit zudem derartige Fälle geahndet habe, seien sie nicht Teil der kroatischen Politik gewesen.

Im Gegensatz zu Đurić, die auch die im Zuge und nach der Operation »Sturm« 1995 von KroatInnen begangenen Verbrechen schlichtweg unterschlägt, kommt das Thema bei Bekavac/Jareb also sehr wohl vor, aber sie argumentieren wieder außengeleitet: Bei der Operation »Blitz« in Westslawonien hätte die kroatische Regierung erheblichen Wert darauf gelegt, einen humanen Umgang mit der serbischen Bevölkerung »zu zeigen«, ganz so, als ob es mehr darum ginge, dass der Umgang von außen so wahrgenommen, als dass mit den Menschen tatsächlich human umgegangen wird. Die Republik Kroatien habe nämlich der internationalen Gemeinschaft zeigen wollen, dass »sie die Rechte all ihrer Mitbürger respektiere«. Auch bei der Beschreibung der bei der Operation »Sturm« begangenen Verbrechen handelt es sich keinesfalls um eine sachliche Auseinandersetzung. Aus einem Geschichtsbuch wird die Frage zitiert, ob die Operation »Sturm« der ethnischen Säuberung von Serben diente. Die Antwort lautet, es habe sich um eine von serbischer Seite »angeordnete Evakuierung« gehandelt, »auch wenn darüber noch lange Debatten geführt« werden. Nicht die an den in der Krajina verbliebenen SerbInnen begangenen Verbrechen selbst werden geschildert, sondern die darauf folgenden Anzeigen und Prozesse aufgezählt: 1492 Verurteilte, 13 davon wegen Mord an Zivilisten. Dem wird aber eine entschuldende Einleitung vorangestellt: »In der gesamten Menschheitsgeschichte führten Kriegshandlungen unweigerlich zu zivilen Opfern der Konflikte. Sie waren Folgen der Kampfhandlungen, von Hass und Rache.« Auch zeige die Zahl der Verurteilungen, dass die kroatische Regierung nicht mit den begangenen Straftaten einverstanden gewesen sei. Was dabei unter den Tisch fällt, ist aber, dass ein Teil der über 600 Ermordeten in meist greisenhaftem Alter im Sommer 1995 von Angehörigen der kroatischen Armee und Militärpolizei ermordet wurde, aber bis heute kein Militärangehöriger dafür zur Verantwortung gezogen worden ist. Die Verbrechen werden bei Bekavac/Jareb unter »unannehmbare Handlungen Einzelner und Gruppen auf kroatischer Seite« subsumiert. Bei Koren stehen in Kontrast dazu die Opfer im Vordergrund: »Die serbische Bevölkerung aus diesen Gebieten flüchtete größtenteils unmittelbar nach Beginn der Militäraktionen nach Bosnien-Herzegowina und Serbien. Es blieben nur wenige Bewohner zurück, doch es folgten Monate, in denen Morde an einigen hundert serbischen Zivilisten verzeichnet wurden, sowie Raub und Brandschatzung der zurückgelassenen serbischen Güter. Ein Teil der serbischen Flüchtlinge kehrte in den Folgejahren in ihre Häuser zurück, doch die Rückkehr-Frage ist noch immer nicht vollständig gelöst.« Wenig überraschend ist schließlich, dass das Haager Tribunal bei Đurić nur in Zusammenhang mit dem serbischen »Konzentrationslager« Ovčara bei Vukovar erwähnt wird, während Koren präzisiert, das 1993 von der UN ins Leben gerufene Gericht habe vor allem gegen serbische, aber auch gegen eine gewisse Zahl kroatischer und bosniakischer Militärs und Politiker Anklage erhoben.

18 Jahre nach Kriegsende lernt also die eine Hälfte der kroatischen SchülerInnen über »serbische Terroristen« bzw. dass man nur »zeigen« müsse, dass man Menschen human behandle. Die andere Hälfte hingegen lernt nicht nur den Verlauf des Krieges, sondern auch etwas über die autoritäre Regierung und die Beschneidung von Grundrechten während der Tuđman-Ära, über deren aggressive Bosnien-Politik und vor allem die bis heute noch nicht vollständig geahndeten Verbrechen an der serbischen Bevölkerung, ohne diese als »Rache« für Verbrechen der Gegenseite zu entschuldigen. Es wäre vermutlich naiv zu hoffen, dass der EU-Beitritt Kroatien die Selbstsicherheit gibt, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden und auf Dämonisierungen zumindest im Unterricht zu verzichten.

[1] Alle Übersetzungen stammen von der Autorin.