Blaumachen statt Wahnwachen

Ein Streifzug durch das Elend im Friedensmilieu.

Seit geraumer Zeit und in – je nach politischer Großwetterlage – schwankender Größenordnung versammeln sich in Städten Deutschlands und Österreichs Menschen am ersten Werktag der Woche, um sich in Friedensappellen zu üben. Während die Schlager gewordene Paartherapie »Cindy und Bert« in ihrer mnemotheoretischen Kurzstudie »Immer wieder Sonntags« die These ventiliert, wonach an nämlichem Tag stets die Erinnerung kommt, ist der darauf folgende eher dem komplementären Vorgang aktiven Vergessens zugeordnet: Der Verdrängung anheim fällt die Vorstellung, wonach Protest und öffentlich artikulierter Widerstand Teil politischer Emanzipation sein können. Bei den – wahlweise Montags- oder Friedensmahnwachen genannten – Manifestationen handelt es sich aber weniger um die Abwehr dieser Erinnerung an den Vorschein einer von Herrschaft und Ausbeutung befreiten Gesellschaft, als um die Depotenzierung des Eingedenkens zum Reflex, der sich aus Ressentiments speist. In der »Friedensbewegung 2.0« mit ihren Ikonen Jürgen Elsässer und Ken Jebsen feiern Querfronten unter dem Motto »weder rechts, noch links« fröhlich Urständ: Nationaler Wahn mischt sich mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Die sprichwörtlichen »Aluhüte« sind alte: Geeint und zusammengehalten wird die wüste Melange aus Lechts und Rinks in ihrer konformistischen Revolte gegen Fed, Israel und »das Pentagon« durch jenen »Sozialismus der dummen Kerle« (Kronawetter), in dem verkürzte Kapitalismuskritik in ihrer Fixierung auf die Finanzsphäre als Ursache allen Übels »jüdisches« wittert: Sei es in offenem Hass, oder verklausulierenden Chiffren. Es wird ein »legitimer« Antizionismus pro- und im Tonfall trotziger Kinder reklamiert, »Israel doch bitte kritisieren zu dürfen« und sekundärer Antisemitismus (nicht trotz, sondern wegen Auschwitz) bricht sich in Aussagen bahn, wonach die »Palästinenser die Juden der Juden« (Abdallah Frangi) seien. Umgekehrt scheint zu gelten, dass Israel als »Jude unter den Staaten« (Léon Poliakov) zwanghaft immer anders beurteilt wird, um endlich den »Nachweis« erbringen zu können, dass die ehemals Verfolgten des Nationalsozialismus nunmehr in dessen Fußstapfen träten. Wie sieht es nun diesbezüglich in Linz aus? Seit 19.5. 2014 trifft sich auch hier jeden Montag ab 18:30 auf dem Hauptplatz das hiesige Friedensfranchising in seiner auftrumpfenden Bedeutungslosigkeit, um der neuen Übersichtlichkeit zu frönen. Die bevorzugten Themen sind die Machenschaften der USA generell und der Fed im Besonderen, die Ukrainekrise und natürlich – darin will man im ersten »Opferstaat« dem »big brother« nicht nachstehen – der »Gaza-Konflikt«. Schließlich meint auch hierzulande die Parole »Wir sind das Volk« den selbstverständlichen Bezug aufs Mordkollektiv, das seine Läuterung durch Betroffenheitsgefasel zum Ausdruck bringt. Analysiert wird beim Stammtisch coram publico entgegen eigenem Anspruch nicht; statt dessen gibt es viel humanitäres Bonding, inklusive schamanistischer Gebetsutensilien und energetischer Gesänge. Besonders stark in Erscheinung tritt eine Teilnehmerin, die wohl erst später hinzu gestoßen war, nunmehr aber als Mitorganisatorin öfters den einleitenden Redebeitrag bestreitet. An ihren Meldungen lassen sich die vorhandenen Denkmuster prototypisch darstellen. Am 16.6. begann sie damit, dass die »alte Friedensbewegung« ihren Weg zurück auf die Straße gefunden hätte, »trotz Jutta Ditfurth und anderen Spinnern.«[1] Sie forderte dazu auf, das »Denken in Fronten« abzulegen und distanzierte sich dabei pflichtschuldig von den Rechten und jeglichen Verschwörungstheorien, um mit umso mehr Verve das unvermeidliche »Aber« in die Arena zu schicken: »Es ist ein Fakt, dass Menschen mit mosaischen Wurzeln überproportional in Banken zu finden sind; drum liegen sie auch zufällig im Fokus der Bankenkritik«. Dass sie sich, wenn sie »die rassistische Politik Israels« kritisiere, dem Vorwurf des Antisemitismus aussetze, sei ihr bewusst, dieser jedoch nicht gerechtfertigt, da – und hier folgt die exkulpierende Volte – sie schließlich selbst jüdische »Wurzeln« habe: »Für mich als Jüdin steht das Existenzrecht Israels außer Frage, für mich ist das eine Selbstverständlichkeit; das heißt aber nicht, dass die Israelis mit den Palästinensern machen dürfen, was sie wollen.« Derart immunisiert und vom Odium des Antisemitismus gereinigt, wird der ausgebrütete Zungenschlag flügge: »Die schlimmsten Antisemiten sind die Philosemiten.« Dem folgt ein Trick aus der antiimperialistischen Mottenkiste, um in semantischer Spiegelfechterei Antizionismus und Antisemitismus fein säuberlich zu trennen: »Was viele vergessen: Auch Palästinenser sind Semiten; also sind viele Israelis Antisemiten, weil sie was gegen die Palästinenser tun.« Davon, dass der Begriff Antisemitismus 1879 von Wilhelm Marr in Deutschland geprägt wurde, um den antijüdischen Erscheinungen und dem Hass auf die jüdische Bevölkerung einen wissenschaftlichen Namen zu geben, lässt sich eine aufrechte Kämpferin fürs Menschenrecht mitnichten aufhalten. »Die Welt ist nicht so einfach«, weshalb es darum ginge, das eigene Weltbild immer in Frage zu stellen, indem »alle einfach neu denken.« Dieses frei flottierende Denken demonstriert der Folgeredner sodann ad hominem: Axel, der grauhaarige Internetfreak mit gemütlichem Pornobalken, der sich ganz viele Informationen aus dem Internet geholt hat (»nicht aber auf die jüdischen Sachen eingehen möchte«), führt vieles auf »Pyramidengesellschaften zurück, die auf Dollarnoten abgebildet werden.« Darauf folgte eine aberwitzige Geschichte, der ihr Unterhaltungswert nicht abgesprochen werden kann: Die Vergiftung Friedrich Schillers (»kann man überall im Internet nachlesen«), amalgamiert sich mit Beethovens Textänderungen an der »Ode an die Freude«, der Bestattung Schillers im Massengrab mit Bettlern und seine Umbettung, sowie Goethes Grablegung gleich daneben. Sukkus der Sache: Es waren »die Freimaurer« und ihre weltweite Verschwörung; »die Freimaurer, die ihre Feinde ausschalten«. Erneut drauf hingewiesen: Er geht »nicht auf die jüdische Geschichte ein«, sondern spricht statt dessen von der Fed, die alles dem Dollar unterordnet, während »ganz bestimmte Leute vom Pentagon« überall »Polizist spielen« wollen. Die »Informationen sind überall da draußen« und als gewissenhafter Hobbyaufdecker hat er sich »mit vielen Leuten im Internet darüber unterhalten.« Dabei war er zusammen mit seinen digitalen Geschwistern der Ballaballa-Loge – um nicht einseitigen Darstellungen aufzusitzen – wohl auch auf Hannah Arendt gestoßen, die ihm zufolge »die jüdische Position« herausgearbeitet hat, die den Weg in seinen Prozessor in folgender Version gefunden hat: »Die Juden sind nicht alle sauber, die haben sich auch gegenseitig verraten unter den Nazis.« Dabei »auf die jüdische Geschichte eingehen« brauchte er gar nicht; die »Eingeweihten« bedürfen keines dritten Auges, um die Andeutungen zu »verstehen«. Kein Code wird ausgelassen und noch die paranoideste Wahnvorstellung dem Publikum dargeboten. Zur Zeit der israelischen Offensive gegen die Hamas vergleicht die oben erwähnte Rednerin bei einer Zusammenkunft (28.7.) das Warschauer Ghetto mit dem »Aufstand in Gaza«, wobei ersteres allerdings eher dem sprichwörtlichen »Leben auf dem Ponyhof« gleichkam: Schließlich seien dort gerade 400.000 Menschen kaserniert gewesen und nicht 1.2 Millionen, wie in Gaza. Abermals bringt sie die Sottise mit dem Verweis auf die eigene jüdische Herkunft, um das antizipierte Etikett von sich zu weisen: »Mich kann keiner angreifen, ich besitze den Nicht-Arierausweis […] Mir kann keiner sagen, dass ich Antisemitin bin, sonst würde ich mich selber nicht mögen«. Dabei konzediert sie, dass die Hamas zwar tatsächlich Israel bedrohe und auch zweifellos Raketen flögen. Aber – und spätestens hier wird es ekelhaft – dabei zwei israelische zivile Opfer tausenden palästinensischen gegenüber stünden. Der Folgeredner verkündete dann mit gezücktem Fummelphone den »Bodycount« (Frauen und Kinder gesondert ausgewiesen), als wären es die eingegangenen Spenden bei »Licht ins Dunkel« und eine ähnliche Funktion haben die – zur Recheneinheit auf dem Kampffeld aktivistischer Aufmerksamkeits-ökonomie herabgewürdigten – getöteten Menschen in diesem Fall wohl auch. Im Rest der Welt herrscht ohnehin ewiger Frieden, weshalb der nächste Alptraumhippie dann wenig überraschend auch einiges zu Gaza zu sagen hatte und seine gestochen scharfe – an der Lektüre von Eugen Drewermann-Interviews geschulte – »Analyse« dann auch in dem Satz zusammenfasste: »Die Israelis instrumentalisieren den Holocaust, um gegen Gaza zu mobilisieren.« Dazu »einfach schweigen« war für ihn keine Option und geschwiegen wurde dann leider (über die Macht der Banken, Interessen hinter der Verbreitung von Ebola, die Rolle der WHO, die »Wahrheit« hinter den Flugzeugabstürzen über der Ukraine, etc.) tatsächlich weiterhin nicht. Von inhaltlichem Austausch, Information, oder Verständigung konnte bei diesen Festivals fetischisierter Feindbilder keine Rede sein; eher ging es um das Abladen von Ressentiments, die mit Informationen aus der allwissenden Müllhalde Internet in Gewissheiten gegossen wurden. Der zur Schau gestellte Drang zum Denken in Verschwörungen und zur Personalisierung kapitalistischer Zustände ist in seinem Furor erschreckend. Natürlich lässt sich die ganze Chose damit abtun, dass es sich dabei um eine exquisite Auswahl von Crackpots handelt, die politische Bückware feilbieten, sich unter Gleichgesinnten gegenseitig ihrer Idées Fixes versichern und ihrer Einsamkeit entkommen wollen. Allerdings artikulieren sie lediglich in extremerer Form das, was Es im »common sense« ohnehin denkt und alltagsreligiös codifiziert ist. Trotz rebellischem Gestus bleibt der Gehorsam gegenüber dem Ungehörigen und produziert im harmlosesten Fall gehörigen Unsinn; der Geist geistloser Zustände wird ebenso bedenkenlos, wie besessen als Machenschaft grauer Eminenzen identifiziert. Zweifelsohne ist es schwierig, das Bewusstsein, »etwas tun zu müssen« mit der Tatsache zu vereinen, dass die kapitalistischen und sonstigen Übel der Welt aus komplexen Verflechtungen bestehen und keine simple Angriffsfläche bieten. Obwohl die Liste derzeit geführter bewaffneter Konflikte lang ist, kaprizierten sich die Beteiligten der Friedensmahnwachen auf ihr Lieblingshassobjekt. Wer sich dagegen an die Formulierung politökonomischer »Österreich-«, »Syrien-« oder »Nigeriakritik« machte, hätte zumindest begriffen, dass Israel keine »Sonderbehandlung« aus postfaschistischen Ländern benötigt.

[1] Für die Friedensszene ist Jutta Ditfurth nach ihrer Thematisierung der rechten und antisemitischen Tendenzen in der Bewegung ein veritables Feindbild. Da die meisten Mahnwachen gefilmt und auf einem eigenen youtube-Kanal zugänglich gemacht wurden, können dort alle Zitate nachgeprüft werden.