Was braucht Linz? Was kann der KEP?

Kulturdirektor Julius Stieber im Interview.

Der »Kulturentwicklungsplan Neu« geht in seine öffentlich-partizipativen Runden. Kulturdirektor Julius Stieber im Interview mit Tanja Brandmayr.

Zu Beginn des KEP

»Stärken–Schwächen–Analyse der Stadt Linz« – in recht bunt zusammengewürfelten Grüppchen, ein bekennenderweise buntes Themen-Potpourri bei den Schwerpunktabenden. Was verspricht man sich von so einem Prozessdesign? Und: Ist das (auch) die Rache der Kulturpolitik an den Kulturschaffenden – so à la: Schauts einmal, hinter eurem Tellerrand kommt auch nur ein anderer Tellerrand?

Die Frage zielt meiner Meinung am Wesentlichen vorbei, da sie sich nur auf einen Ausschnitt des Prozesses bezieht und nicht berücksichtigt, dass zu den KEP-Diskussionsveranstaltungen ja noch eine Reihe anderer partizipativer Module gestellt wurden, die eine tiefer gehende Analyse und Auseinandersetzung mit den KEP-Themen ermöglichen. Ich denke da an die 72 ExpertInneninterviews, die für das Grundlagenpapier durchgeführt und dokumentiert wurden, ich denke an die Empfehlungspapiere des Stadtkulturbeirates, an die Themenarbeitskreise mit ExpertInnen, die derzeit in Planung sind, und natürlich an die zentrale KEP-Plattform www.kep-linz.at, die interaktiv gestaltet ist und wo man sich mit Anregungen und Maßnamenvorschlägen aktiv einbringen kann. Das heißt, wir holen uns Wissen, Wünsche und Visionen auf mehreren Ebenen ein, in Summe wird das eine gute Basis für den neuen KEP bilden. Außerdem muss man, denke ich, es als Experte/in auch aushalten, in bunt zusammengewürfelten Gruppen zu diskutieren, sich auch mit Menschen, die an Kultur interessiert sind , aber keine Experten/innen sind, zu konfrontieren. Und letztlich sind wir über das große Interesse und die zahlreiche Beteiligung bei den ersten beiden Workshops erfreut, wenngleich dadurch zwangsläufig bei verschiedenen Themen nur an der Oberfläche, wenngleich mit trotzdem guten Ergebnissen, gekratzt werden kann.

Ganz allgemein zum KEP neu

Was bringt ein Kulturentwicklungsplan überhaupt? Was kann er und was kann er nicht – vielleicht auch in Anbetracht des alten KEP und in Anbetracht der Erfahrungen, die Sie mit dem Kulturleitbild des Landes OÖ gemacht haben.

Wenn man sich die Umsetzungsqualität des alten KEP ansieht, und das wurde jetzt ja auch durch die für das Grundlagenpapier erstellte Analyse von LIQUA bestätigt, kann der KEP sehr viel. Vor allem dadurch, dass wir im Unterschied zum Kulturleitbild des Landes nicht nur Ziele und Visionen formulieren, sondern auch konkrete, umsetzbare Maßnahmen formulieren werden, die nach Priorität gereiht werden und Schwerpunkte festschreiben.

Der Leitsatz »Kultur für alle«

Vor Linz09 und mit Linz09 sind Formate und Marken entstanden, die das Publikum liebt. Aber was kommt jetzt? Ich beziehe mich auf kritische Diskussionsbeiträge aus den Workshops und frage provokant: Eine »Kultur der Vielen«, die Unterschiede zu integrieren vermag oder doch nur »Kultur für einen Jeden«? Anders gefragt: Gibt es schon Ideen, Wünsche für ein neues Credo?

Der Begriff »Kultur für alle« spielte im alten KEP eine ganz wesentliche Rolle und hat überhaupt die Linzer Kulturentwicklung der letzten Jahrzehnte nachhaltig geprägt. Daher wird er auch im Sinne der Demokratisierung der Kultur im neuen KEP eine zentrale Rolle spielen. Wir wollen den Begriff zeitaktuell mit neuen Inhalten aufladen, uns mit den Entstehungsbedingungen des Begriffs in den 1970er Jahren auseinander setzen sowie zu einer Begriffsdefinition kommen, die sicherlich in Richtung einer »Kultur der Vielen« geht und einer beliebigen Interpretation Vorschub leistet. Die Erfahrungen von Linz09 werden dabei selbstverständlich mitreflektiert.

Zu Partizipation und Transparenz

Nach einem möglicherweise recht angenehmen Prozess fallen am Ende Entscheidungen, die nicht partizipativ sein können. Ein Großteil der Gelder sind gebunden, es heißt, die Stadt steht finanziell schlecht da – d.h. über vergleichsweise wenig Geld kann überhaupt neu entschieden werden. Wie viel Kultur ist da überhaupt noch möglich, wie viel Innovation ist von Kulturschaffenden überhaupt erwünscht? Worauf müssen sich besonders freie Kulturschaffende einstellen? Und anders gefragt: Welche Möglichkeiten werden von kulturpolitischer Seite überhaupt gesehen – wo sehen Sie die stärksten Potentiale?

Die Entscheidungsfindung wird sehr wohl in großen Teilen partizipativ sein, da wir ja mit dem KEP-Entwurf in entsprechende Gremien wie dem Stadtkulturbeirat oder dem Kulturausschuss der Stadt gehen werden. Was wir nicht können und wollen, ist eine Grundsatzentscheidung aller am Prozess Beteiligten, weil es ja auch darum geht, die politischen EntscheidungsträgerInnen, die – und das darf man nicht vergessen – gewählte und damit demokratisch legitimierte RepräsentantInnen sind, nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Was die finanzielle Situation betrifft, so traue ich mir keine Prognosen erstellen, wie die Situation der Stadt in zwei, vier oder acht Jahren aussieht. Das kann ja auch viel besser sein als derzeit und der KEP ist ja auf 10 Jahre konzipiert. Es wäre daher völlig verfehlt, in der Erarbeitung des KEP diese »Geldschere« im Kopf zu haben. Außerdem muss aus meiner Erfahrung Innovatives und Neues nicht immer das große Geld kosten, wenn ich z.B. an die Themen Leerstand oder Kooperationen denke, die ja auch Themen der Freien Szene sind.

Zum freien Kunst- und Kulturschaffen

Tatsächlich ist es so, dass viele ProtagonistInnen zahlreiche Ausbildungen haben, leidenschaftliche Autodidakten sind, Expertinnen in ihrem Gebiet, Optimierungen schaffen, die anderswo überhaupt nicht denkbar wären, usw. – und trotzdem immer in Bringschuld oder Rechtfertigung ihres Status stehen – freies Kunst- und Kulturschaffen ist vielen nicht originär, innovativ, kritisch, gewitzt, … oder auch schlicht nicht professionell oder verwertbar genug. Wie ist ihre Wahrnehmung diesbezüglich?

Ich habe da eine gänzlich andere Position. Erstens sind die freien Kunst- und Kulturschaffenden in dieser Stadt sehr wohl originär, innovativ, kritisch, gewitzt und in großen Teilen professionell. Und zweitens sollten wir die Vokabeln Bringschuld und Rechtfertigung aus unserem Wortschatz streichen. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich allen KünstlerInnen, Kulturschaffenden und freien Initiativen mit großem Respekt und auf Augenhöhe begegne. Sie leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag für die Stadt, machen Linz lebendig und vielfältig und sind der Nährboden für Innovation und damit Kulturentwicklung. Auf dieser Basis kann, glaube ich, auch wirklicher Fortschritt entstehen.

Die Unverhältnismäßigkeit der Mittel

Ein Kritikpunkt seitens der freien Kulturschaffenden ist ja, dass die Zeit, sich einzubringen, kostet – auch beim KEP; und die Ressourcenlage gerade bei freien Kulturschaffenden ohnehin prekär ist. Das wäre natürlich kein Thema, wenn so eine Unverhältnismäßigkeit nicht symptomatisch wäre. Und man sich besonders beim KEP nicht zurücklehnen darf, um nicht völlig unterzugehen. Konkret, was sagen Sie auf solche Argumente – oder: Wo sehen Sie problematische Unverhältnismäßigkeiten – wo nicht?

Den KEP-Prozess und die Beteiligung daran darf man, denke ich, nicht unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Hier geht es um zivilgesellschaftliches Engagement im klassischen Sinn und um Interessensvertretung für die eigenen Anliegen. Der Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit ist jedoch dort gerechtfertigt, wo für die gleiche Leistung unterschiedliche finanzielle Rahmenbedingungen gegeben sind, z.B. wenn eine hoch professionelle Theaterproduktion einer freien Gruppe nur einen Bruchteil des Budgets hat, was institutionelle Einrichtungen in dieser Sparte zur Verfügung haben. Über dieses Thema muss man sich in einem offenen Dialog unterhalten und im besten Fall auch zu Lösungen, die die Situation verbessern, kommen.

Die Freien Kunst- und Kulturschaffenden und die Kulturlandschaft im Allgemeinen

Auch wenn sie als Begriff nicht ganz festzumachen ist, aber: Was soll eine »freie Szene« aus Ihrer Sicht können? Und nochmals darüber hinaus gefragt: Was für eine Kulturlandschaft würden Sie sich allgemein wünschen, ich meine idealtypisch, jetzt und vielleicht in näherer Zukunft: Was braucht Linz?

Die Freie Szene, die für mich die Summe aller nichtinstitutionell agierenden Kunst- und Kulturschaffenden ist, sollte aus meiner Sicht nicht nur das innovative Element in der Stadt sein, sondern auch den für die Kultur und Kunst so notwendigen Freiraum für Experimente nutzen, jungen Talenten eine Chance geben sowie zeitaktuell und rasch auf Strömungen und Themen der Gegenwart reagieren. Aufgrund der flexibleren Strukturen hat sie dazu auch bessere Voraussetzungen als der institutionelle Sektor. Was meine Vision für Linz betrifft, da würde ich mir wünschen, dass man auch seitens der Institutionen das Potenzial der Freien Szene viel mehr wahrnimmt und darauf reagiert, dass Linz noch mehr eine Stadt wird, die Anziehungspunkt für viele KünstlerInnen – auch von außen – ist und wieder verstärkt auf die kritische Kultur und die Förderung von Experimenten setzt. Ein Linz des Jahres 2020 sollte ein Linz sein, das die Existenzbedingungen für Kulturschaffende wesentlich verbessert hat und als Hot Spot einer innovativen Freien Szene in Österreich und auch im Ausland wahrgenommen wird. Darüber hinaus sollten die institutionellen Einrichtungen ihr Leistungspotenzial voll entwickelt haben und die Zusammenarbeit mit den Institutionen des Landes eine Selbstverständlichkeit sein. Kunst und Kultur werden dabei von einem professionellen Tourismus- und Stadtmarketing bestmöglich unterstützt, wobei die Autonomie der städtischen und landeseigenen Häuser und der Freien Szene in ihrer programmatischen Arbeit unangetastet bleibt.