What the Hell is Kartell?

Das weiß natürlich jedes Kind: Es ist Plattform und Sprachrohr des Offenen Forums Freie Szene. Tanja Brandmayr hat Anfang August ein Treffen des Offenen Forums besucht.

Früher, ja früher! Da wusste man schnell einmal, was freie Szene ist. Und viele wissen das heute noch immer so gut, dass sie umso mehr meinen, dass alles Schnee von gestern ist, was im Hirn persönlich verklärt in eine schöne Vergangenheit geschlittert ist. Oder was auf der Karrierestraße der Siegertypen halbwegs spektakulär aus dieser Erinnerung hochgezogen werden kann – in eine Vorstellung von Gegenwart, die kultureller Erlebnispark und Selbstbedienungsladen in einem sein soll. Wow! Von höchster Kulturmanagementstelle aktuell totgesagt und immer noch nicht tot: Trotz behaupteter Bedeutungslosigkeit von »Freier Szene« bleibt immer noch die Selbstdefintion vieler Kunst- und Kulturschaffenden als »der freien Szene zugehörig«. Und ein kollektiver Titel im Bewusstsein der Stadt, der über die Jahre strategisch, künstlerisch, personell und nicht zuletzt atmosphärisch aufgeladen an die Geschichte der Stadt gekoppelt ist. Das Kartell als Forum, Sprachrohr und Lobbyinginstrument formierte sich etwa Ende der neunziger Jahre, zu einer Zeit als das europäische Kulturmonat ins Haus stand. Sehr stark von der freien Szene bestritten, wirkte dieses richtungsgebend auf den gerade erst entstehenden Kulturentwicklungsplan (KEP) und wurde außerdem best practice-Beispiel der freien Szene für die Bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt. Eine Begrifflichkeit von freier Szene, die nun gerade seitens mancher Kulturhauptstadtmacher relativ rural in Richtung einer Begrifflichkeit von »obsessiver« Szene umgedeutet werden soll (zum Beispiel, aber wozu eigentlich?), oder gedrängt werden soll, um vielleicht dem ohnehin hart arbeitenden Kunst- und Kulturprekaritat einen Touch von attraktivem Kulturworkaholismus anzubieten. Vielen Dank, wenn’s sonst schon kaum was gibt: Hot as hell!

Aber eigentlich geht es um Kartell und Offenes Forum Freie Szene. Zuerst kann gesagt werden, dass das Kartell schlichtweg eine Mailingliste ist, in die man sich eintragen lassen kann, um an den Belangen der freien Szene zu partizipieren, weiters, dass das Offene Forum aus monatlichen Treffen besteht, in denen kulturpolitisches Vorgehen organisiert wird, momentan in einem zweimonatig wechselnden Hostingsystem durch verschiedene Kulturinitiativen getragen. Offener Zugang und Transparenz sind insofern wichtige Grundkonzepte, als dass sich das Forum gerade dadurch legitimiert. Etwa im Vergleich zur KUPF ist es diametral organisiert: Das bedeutet, dass, während die KUPF sich als legitimierter Dachverband durch Mitglieder, Jahreshauptversammlung und Wahl konstituiert, es solche Strukturen im Offenen Forum Freie Szene nicht gibt. Die Frage »Wer spricht in welchem Namen für wen?« bleibt deshalb relativ offen bestehen. Was die freischwebende kulturpolitische Absicht, nämlich Diskurs und Rahmenbedingungen von freier Kunst- und Kulturproduktion kontinuierlich weiter zu fassen, auch mal an die Grenzen von »szeneinternen« Befindlichkeiten stoßen lässt: Reibungspunkte entstehen manches Mal in der Abgrenzung von gemeinsamen Interessen und Partikularinteressen – jenen Partikularinteressen, die vom Offenen Forum dezidiert nicht vertreten werden können, im Interesse der gemeinsam betriebenen Kulturpolitik. Das bestätigt beispielhaft der Ablauf des besuchten Treffens, es geht relativ straff um Fokussierung und »Beschlagwortung« des innerhalb der Kartellmailingliste abgestimmten Themas zum nächsten LinzImpulstopf, das nun heißt: »Öffentlicher Raum der Stadt / Bestimmungshoheit über den öffentlichen Raum / Exklusion und Inklusion«, es geht um die Belange des Stadtkulturbeirates (SKB) und um die Bekräftigung von Forderungen aus dem SKB-Papier seitens des Kartells, die da wären: Erhöhung des Budgets für LinzExport, LinzImpuls, 3-Jahresverträge, Basisförderung, LinzImport, Aktionsmonat Freie Szene, Antiprekarisierungsmaßnahmen. Es geht weiters um ein Zusammenwirken von Kartell und SKB und diverses inhaltlich und organisatorisch Allfälliges, wie die Präsentation der Initiative KuQua Tabakwerke (www.kuqua.at) oder die Veranstaltung »Kampfzonen in Kultur und Medien«, die im September als Buchpräsentation/Podiumsdiskussion Konzepte einer zukünftigen Kulturpolitik diskutieren wird. Jedenfalls alles in allem Arbeit, die nicht nur hohen und gut organisierten Aufwand sondern auch Ehrenamt bedeutet. Und Positionierungsarbeit, die mit dem Plural der freien Szenen innerhalb eines gesellschaftlichen Plurals des »Wir sind die vielen« oder »Wir sind die anderen« arbeitet – was auch durchaus als Aufforderung zum Tun, als Einladung zu Partizipation und Einmischung gelesen werden muss.

Einmischung, die, auf die kulturpolitische Arbeit des Stadtkulturbeirat umgemünzt, bedeutet, dass eine weitere Abstraktionsebene im Spannungsfeld von gemeinsamen Interessen und Partikularinteressen ins Spiel kommt, so Olivia Schütz und Andre Zogholy, denn hier bilden die Interessen der freien Szene nur einen Teil in der Kulturlandschaft der Stadt. Olivia Schütz und Andre Zogholy als beiderseitig prominent vertretene Personen bieten insofern eine VermittlerInnenrolle zwischen SKB und Kartell an, als dass sie einerseits in den verschiedenen Sphären auftauchende Themen lancieren, andererseits diese Themen in bereits bestehende Arbeitskreise vermittelnd kanalisieren können. Beständiges Anliegen des SKB ist es jedenfalls, die Schlagkraft des an sich nur beratenden Gremiums zu verbessern, sein ExpertInnenpotential ins politische Bewusstsein zu bringen und immer wieder die aktive Umsetzung des Kulturentwicklungsplanes, der ja per Statut die vorrangige Bedeutung der freien Szene im kulturellen Bewusstsein der Stadt ausweist. Außerdem werden momentan besonders die Schwerpunktsetzungen »Kulturpolitische Nutzungskonzepte« von Neubauten über Leerstände hin zum öffentlichen und neuen Raum verhandelt – und »Linz09« im Sinne von Linz 2010fff.

Bemerkenswert ist, dass im Zuge der Recherche in einem Interview mit Olivia Schütz und Andre Zogholy von 2006 (Radio FRO, cba) die Begriffe »Vorhaltigkeit und Nachhaltigkeit« gefallen sind – im Zusammenhang der damaligen Tätigkeit des Stadtkulturbeirates und im speziellen Hinblick auf das Kulturhauptstadtjahr. Bemerkenswert deshalb, weil der Begriff Nachhaltigkeit zu einem Lieblingsvokabel des hiesigen hochoffiziellen Kulturzirkus geworden ist, und der Begriff »Vorhaltigkeit« etwas ist, das Zogholy so kommentiert: »Man muss so ehrlich sein, zuzugeben, dass wir damals an so etwas wie Vorhaltigkeit geglaubt haben«. Übrig bleiben oft schöne Worte, die sich jemand anderer entlehnt hat – wie zum Beispiel auch das mittlerweile gute alte Prekariat – und langwierige Prozesse, deren Ergebnisse manchmal genau darin bestehen: In der Einspeisung von Begriffen in den parteipolitischen Diskurs, oft abgeflacht und verfremdet, aber immerhin. Und es bleibt neben tatsächlich quantifizierbaren Erfolgen oft das Paradoxon von aufgewerteter Wahrnehmung bei gleichzeitiger Verschiebung von Rahmenbedingungen des freien Kunstschaffens hin zu einem, eben mit Zielerfüllung, Evaluierung und Kontrolle sehr effizient verwalteten Kulturprekariats. Kurz vor Redaktionsschluss noch über die Kartellliste ins Haus geflattert ist übrigens eine Reaktion auf das Papier »Maschine brennt«, das vor wenigen Monaten auf die höchst spannungsgeladene Situation, in der sich die freien Kunst- und Kulturschaffenden im Zuge von Linz09 befinden, hingewiesen hat: »Liebe Leute, soeben entdeckte ich Eure Blog-Seite Maschine brennt. Da Linz mit seinem Kulturentwicklungsplan einen besonderen Anspruch für 2009 erhebt, interessiert mich insbesondere Eure Kritik am Kulturprogramm 2009.« Der mailende Mann heißt Hatto Fischer, lebt in Athen und begleitet nach eigenen Aussagen seit 1994 die Verwirklichung der Kulturhauptstadt-Idee. Er arbeitete zeitweilig mit dem Netzwerk für Europäische Kulturhauptstädte (ECCM), über das er schreibt: »Diesem Netzwerk gelang es aber niemals, die kritischen Impulse eines Eric Antonis oder die schwerwiegenden Evaluierungen von Bob Palmer so zu vermitteln, dass es bei der nächsten Kulturhauptstadt übernommen wurde.« Unter anderem darüber wird/wurde bei der nächsten Kartell-Sitzung am 2. September im KUPF-Büro diskutiert.