Eleonore: Insel im Netz

Armin Medosch, Autor, Medienkünstler und Kurator, über seinen Aufenthalt als artist in residence auf dem Messschiff Eleonore der Stadtwerkstatt.

In meinem PhD-Projekt »Moves in Media Art« erforsche ich die Zusammenhänge zwischen techno-ökonomischem und künstlerischem Paradigmenwechsel. Ausgangspunkt ist, dass sich die Entwicklung seit dem zweiten Weltkrieg grob in zwei Phasen unterteilen lässt: das inzwischen relativ gut erforschte Zeitalter des Fordismus von ca. 1948 - 1973 und die wesentlich weniger gut verstandene Ära danach, manchmal Postfordismus genannt, häufig auch als Informations- oder Netzwerkgesellschaft postuliert. Man könnte sagen, dass sich aus der Nachkriegs-Matrix bereits hochentwickelter Industriegesellschaften mit fortschreitender Automation (Pollock 1964) und immer dichteren, zunächst analogen Mediennetzwerken im Verlauf der 1970er- und 1980er Jahre die Netzwerkgesellschaft (Castells 2001) entwickelt hat.

Ein Schlüsselbegriff, den es dabei zu untersuchen gilt, ist die »Information«. Im »kybernetischen Fordismus« wurden die Menschen als Teile von technologisch-industriellen Regelkreissystemen konzeptualisiert, wobei die »Information« in Form von »Feedback« der Optimierung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage dienen sollte. In der Netzwerkgesellschaft wurde die Information direkt zum »Produktionsmittel«, z.B. in der dominierenden Finanzindustrie. Was dabei übersehen wurde, plagte schon die Gründerväter (es waren hauptsächlich Männer) der Kybernetik (Wiener 1988), nämlich die unsaubere Schnittstelle zum menschlichen »System«, dessen Zentralnervensystem, aber auch Gefühle, Wünsche, Triebe, ebenso wie zur Natur (Hayles 1999). In derselben Phase, während der die Information zum Produktionsmittel erhoben wurde, etablierte sich die interaktive Medienkunst als Leitparadigma und das »Interface-Design« wurde zu ihrer zentralen Problematik erkoren. Heute stehen wir vor den Trümmern des Informationskapitalismus, dessen Krise nicht nur eine »Finanzkrise« ist, sondern eine Krise aller Lebensfunktionen. Deshalb ist es nötig, den Mythos Information (Gerbel 1995) erneut zu hinterfragen, denn das »ermüdete« Paradigma der Medienkunst gibt uns keine Antworten mehr (siehe dazu auch den Beitrag von F.E. Rakuschan).

Die Reihe der »artists in residence« mit dem Titel »Horizonte« auf dem Messschiff Eleonore bot mir eine ideale Gelegenheit, mich für zwei Wochen den ideologischen Geflechten der bankrotten Informationsgesellschaft zu entziehen. Das Schiff als offenes System bestehend aus verschiedenen Elementen - Menschen, Tiere, Pflanzen, Technologien, Wetter - erlaubt es, das eigene Dasein auf dieser schwimmenden Insel aus einem systemorientierten Ansatz heraus zu reflektieren. Indem die Eleonore sich vom Land abkoppelt, wird die Aufmerksamkeit für Interdependenzen und Beschränktheiten geschärft, die uns normalerweise entgehen. Das beginnt damit, dass nur soviel Strom verbraucht werden kann, wie auch selbst erzeugt wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Brauchwasser. Die selbstauferlegten Beschränkungen zwingen einen zu fragen: Was geht hinein, was geht hinaus? Welche Informationen, Formen des Wissens, Rohstoffe, Abfälle? Wie ist die Eleonore im Sozialsystem Hafen eingebettet? Durch die Beobachtung der Umwelt mit den eigenen, natürlichen Sinnen, aber auch durch die Arbeit mit technischen Mess- und Empfangsapparaturen entsteht eine erhöhte Sensibilität für die Verschränkungen zwischen Ich, Eleonore, Umwelt und Gesellschaft.

Hinter der Eleonore steht die Arbeit Franz Xavers mit der Franz Feigel, eine nach dem jung verstorbenen, österreichischen Netzkünstler benannte kleine Motoryacht, sowie Franz Xavers über Jahrzehnte währende Beschäftigung mit Funktechnologien und dezentralen Netzwerken; ein weiterer wichtiger Schritt war die gemeinsame Arbeit an einer schwimmenden Forschungsplattform im Kontext einer Residency am Laboral Centre in Gijon, Nordwestspanien. Dort entstand das Konzept für eine »ozeanische Skulptur«, eine autonome schwimmende Plattform für künstlerische Forschung - ob auf der Donau oder im Atlantik. Verbunden damit ist die Idee, sich zu einem betimmten Grad von gesellschaftlichen Außeneinflüssen isolieren zu müssen, um wieder neue Perspektiven entwickeln zu können. Das hat nun überhaupt nichts mit Aus-steigertum im konventionellen Sinn zu tun, sondern ist im Gegenteil ein Einsteigen durch das Aussteigen. Der grundlegende Optimismus, die Hoffnung die Entwicklung in neue Bahnen lenken zu können, darf nicht aufgegeben werden. Eine weitere Ebene des Projekts bilden künstlerische Messreihen. Dabei werden Methoden und technische Geräte benutzt, die der wissenschaftlichen Forschung ähneln, aber anders aufgefasst und benutzt werden. Anstatt sich auf High-Tech aus der Industrie zu verlassen, werden selbstgebaute Systeme benutzt, die für uns »transparent« sind und andere Erklärungszusammenhänge zulassen, als innerhalb der Logik des Wissenschaftsbetriebes möglich wäre. Sichtbarster Ausdruck dessen ist die kleine Forschungsboje, die derzeit in der Donau vor der Stadtwerkstatt verankert ist, sowie eine Reihe von Empfangs- und Messgeräten auf der Eleonore.

Diese Ansätze mit geringen Budgets zu verwirklichen ist ein mühevoller und langwieriger Prozess. Doch die Langsamkeit ist auch ein Vorzug. Wir haben uns nicht nur vom Festland sondern auch von den parallel geführten Wettrennen um künstlerische und technologische »Innovation« abgekoppelt. »Forschung« muss nicht unbedingt über technische Systeme realisiert werden. Auch die eigenen Beobachtungen und vor allem das vielfach unterschätzte Mittel des selbständigen Denkens bieten ausgezeichnete Möglichkeiten für die Produktion neuen Wissens. Die Eleonore eröffnet einen anderen Zugang zur Realität, der heute schon beinahe wieder etwas Utopisches hat, ein Wetterleuchten am Horizont, das die Möglichkeiten individueller ebenso wie kollektiver Autonomie andeutet, eine neue Form des Naturverhältnisses und ein anderes Verständnis von Wissenschaft und Technik als jenes, das von der mörderischen Dialektik der Aufklärung (Horkheimer & Adorno 1988) hinterblieben ist.

Literatur

Eleonore: http://stroem.ung.at/doku.php?id=eleonore:start
Research Blog Armin Medosch: http://thenextlayer.org
Eleonore Blog, Teil 1: http://www.thenextlayer.org/node/1335
Eleonore Blog, Teil 2: http://www.thenextlayer.org/node/1342


Bücher

Wiener, N., 1988. The human use of human beings: cybernetics and society, Da Capo Press.
Pollock, F., Walter, E.J. & Rolle, P., 1964. Automation: Materialien zur Beurteilung der ökonomischen und sozialen Folgen, Europäische Verlaganstalt.
Castells, M, 2001. Das Informationszeitalter: Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur 1 Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Opladen, Leske + Budrich.
Horkheimer, M. & Adorno, T.W., 1988. Dialektik der Aufklärung: philosophische Fragmente, Fischer Taschenbuch Verlag.
Hayles, N. K. 1999. How we became posthuman: virtual bodies in cybernetics, literature, and informatics. Chicago, Ill, University of Chicago Press.
Gerbel, K. 1995. Mythos Information / Ars Electronica 95: welcome to the wired world. Wien [u.a.], Springer.