Die Kirche als Missbrauchsopfer

Einige Anmerkungen zum hardcore-Thema des »reinen Herzens« von Didi Neidhart.

Die Mutter aller Karfreitage

Das Ritual ist immer das gleiche: Leugnen, Abstreiten, »Missverständ-nisse« klären oder von einer »Diffamierungskampagne« und einem »reinen Herzen« sprechen, wie es der Augsburger Bischof Walter Mixa tat, bevor er wegen »der einen oder andren Watsch’n von vor zwanzig Jahren« (in Wirklichkeit Prügel mit Faust, Stock, Teppichklopfer) und der Zweckentfremdung des Geldes einer Waisenhaustiftung letztendlich doch zurücktreten musste und nun auch sexueller Übergriffe beschuldigt wird. Gerade im Fall Mixa zeigt sich das Ritual exemplarisch – und mit all seinen Schwächen. Schon das Leugnen wird (bei aller Unschuldsvermutung) als Lüge gelesen, weil sich eine andere Wahrheit (das »reine Herz«) erst gar nicht etablieren kann. Dafür hat Mixa selber vorgesorgt, war er es doch, der bei jedem, die Kirche betreffenden Missbrauchs-Skandal sofort zur Stelle war, um von der »Mitschuld« der Sexuellen Revolution an diesen Zuständen zu sprechen. Was ja auch nicht so ohne ist. Denn damit wird diese Revolution mit einer Macht ausgestattet, die sogar die Vatikanmauern durchdringen kann. Andererseits fungiert dieser Verweis als eine Art Schuldfreistellung. Sind Geist und Fleisch mal schwach (was ja vorkommen kann), dann kann der »Sexualismus« (wunderbares, in einer TV-Talk-Show von einer jungen Papstanhängerin öfters gebrauchtes Wort) selbst die Frommsten nicht mehr in Ruhe lassen. Die einfach Frage lautet jetzt aber: Warum? Weil es um (homosoziale) Herrschaftsverhältnisse innerhalb von Einschließungsmilieus geht (Internate, Kloster), wo sich die Opfer per se (allein aus der Struktur solcher Institutionen heraus) »schuldig« fühlen müssen, wenn sie einem Täter gegenüberstehen, der gleichzeitig auch als Lehrer, Priester, Beichtvater fungiert? Oder weil hier ein Denken vorherrscht, dass die Entdeckung kindlicher Sexualität bei Freud zwar immer noch ablehnt, gleichzeitig Kinder jedoch als Sexualobjekte ansieht?

Vielleicht war die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler der obszönen Wahrheit wirklich am nächsten, als sie heuer von einem »einzigen gigantischen Karfreitag« sprach. Von einer Karwoche in der endlich wirklich »Buße und Demut« zu erdulden sei, sprach auch der Vatikansprecher Federico Lombardi. Wirkliche Buße, wirkliche Erlösung gibt es nur nach wirklichen Sünden. Die Sünde ist so gesehen ein Weg zur Erlösung ohne den Umweg Erleuchtung. Das Genießen der Sünde (Kindesmissbrauch) erscheint so als pervertierte Form auf dem Weg zur Erlösung. Der Exzess und die Ekstase von Verzückungen, das Spirituelle, die Dialektik zwischen Mystik und Erotik haben hier einem Besitzen-Wollen von Körpern Platz gemacht. Die Verzückung findet (oder verliert) sich nicht mehr in Gott, sondern nur noch in der Buße. »Notwendig ist nun das Öffnen der Wunden, deren gründliche Reinigung, Läuterung und Buße«, sagt der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen dazu. Genüssliche Reinigung, Läuterung und Buße lesen wir daraus.

Aber es stellt sich noch eine Frage. Was geht eigentlich bei all jenen Eltern ab, die zuvor in denselben, nun wegen Missbrauchsfällen in die Schlagzeilen gekommenen Einrichtungen wie ihre Kinder waren und die sich nun solidarisch hinter die jeweiligen Institutionen und deren Vertreter stellen? Um es klar zu sagen: Wir haben es hier in den meisten Fällen mit Stätten der Elitenbildung zu tun. Kann es sein, dass hier nicht nur »die Disziplin durch den obszönen Untergrund sexualisierter Rituale, Erniedrigungen und Verletzungen moralischer Regeln aufrechterhalten« wird, wie Slavoj Zizek (bezogen auf das Militär) schreibt, sondern diese Rituale vielleicht auch den »obszönen Untergrund« der Elitenbildung darstellen? Das worüber geschwiegen wird (selbst zwischen Eltern und Kindern, später innerhalb der Eliten). Das dreckige, erniedrigende Geheimnis als Passage, durch die gegangen werden muss, um Teil einer Elite zu werden. Wir erinnern uns: Auch bei »Desperate Housewives« geht im Grunde nichts weiter, weil alle über die eine oder andere Leiche im Keller der anderen Bescheid wissen.

Schon wieder Judas

Klarerweise wird dann sofort den Medien, also jenen, die eine Botschaft überbringen, die eigentliche Schuld angelastet. Wahrscheinlich wäre auch der global agierende Kapitalismus nicht in einer Krise, wenn nichts darüber geschrieben worden wäre.

Als Angelo Sodana, der Dekan des Kardinalskollegiums, auf dem Petersplatz zu Ostern von »Geplapper« und »unbedeutendem Geschwätz« sprach, von dem sich »das Volk Gottes« nicht beeinflussen lassen werde, galt die ganze Aufregung auf Kirchenseite zuerst einmal möglichen Fehlübersetzungen. Sogar TV-Talk-Shows wurden da kurzzeitig zu sprachwissenschaftlichen Seminaren. Fazit: Vielleicht alles nicht so gemeint. Die andere, viel wichtigere Frage lautet jedoch: Was, wenn das genau so gemeint ist? Mittlerweile vermutet der Vatikan (wie jedes Ministerium, jede Bank, jeder Aufsichtsvorstand) ja auch undichte Stellen innerhalb der eigenen Reihen, die es aufzuspüren gilt, um dieser »Intrigen gegen den Papst« (»La Stampa«) auf die Spur zu kommen. Das lenkt zwar nicht von den Missbrauchsvorwürfen ab, bündelt jedoch Kräfte. Lässt aber auch an dem, was hier als Theologie verkauft wird zweifeln. So spricht der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Kardinal Karl Lehmann, von Verrat »im Umkreis des Glaubens« und stellt dabei fest: »Er kommt bei Judas auf einen ersten, aber gewiss nicht den letzten Höhepunkt.«

Gemeint sind nun aber nicht nur jene, »die sich an Kindern und Jugendlichen vergangen haben«, sondern auch all die, die das Evangelium verlachen und schmähen würden (wie die Judasse in den eigenen Reihen). Jetzt ist die implizite Gleichsetzung von Kinderschändern und Evangeliumsschmähern eine Sache (das kennen wir, das war so zu erwarten). Der theologische Blödsinn, der dabei verzapft wird eine andere. Es gibt dazu auf youtube einen tollen Sketch wo der Terminator in die Vergangenheit geschickt wird, um Judas zu töten, was Jesus total auf die Palme bringt, weil dieser weiß, dass er ohne den »Verrat« von Judas seine Mission (Kreuzestod, Wiederauferstehung) nie vollenden wird können. D.h., ohne diesen »Verrat« kein Karfreitag, kein »neuer Bund«, ergo kein Christentum. Die Dimension des »Judaskuss« nun erneut in seiner antijudaistischen, antisemitischen Konnotation hier reinzubringen (als per se Verrat an Christus, dem Christentum, der Kirche, dem Papst) verwundert angesichts der Annäherungsversuche des Vatikans an die Pius-Bruderschaft und den ständigen Korrekturen von »Missverständnissen« seitens des Vatikans, wenn es um das Verhältnis zum Judentum geht, zwar auch nicht mehr wirklich. Aber es stellt sich schon die Frage, warum es immer in diese Richtung gehen muss. Auch der umstrittene Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller verglich bei seiner Gründonnerstagspredigt (die sich weniger um die Missbrauchsvorwürfe, denn um den bösen »Materialismus« drehte) die »Kampagne gegen die Kirche« mit der Nazizeit.

Es war dann auch wenig verwunderlich, als sich Pater Raniero Cantalamessa, immerhin der persönliche Prediger von Papst Benedikt XVI. (offizieller Titel »Prediger des päpstlichen Hauses«), bei dem, was die offizielle Vatikan-Zeitung »Osservatore Romano« als »verleumderische Angriffe« und »Diffamierungskampagne« gegen die katholische Kirche ansah, ausgerechnet am Karfreitagsgottesdienst im Vatikan an die »schändlichsten Aspekte des Antisemitismus« erinnert fühlte. Schnell sprach der Vatikan wieder von »Missverständnissen«. Und die Taktik dahinter ist ganz klar: Das sind keine Ausrutscher, sondern perfide Versuche sich von Tätern zu Opfern zu machen, indem eine Gleichsetzung mit den ultimativen Opfern des 20. Jahrhunderts (den im Holocaust ermordeten Juden) vollzogen wird. Wenn Wolfgang Ambros noch davon sang »Mir geht es wie den Jesus«, so stimmt nun der Vatikan das Lied »Uns geht es wie den Juden« an. Aber war es nicht die Kirche, die jahrhundertlang den Juden alle möglichen Gräuel und Grausamkeiten im Zusammenhang mit Kindern unterstellt hat? Die ganzen Geschichten von ermordeten Kindern, deren Blut zur Hostienschändung verwendet wurde? Wieso kommt also genau bei dem Thema Kindesmissbrauch, diese Gleichsetzung wieder so massiv daher? Der »Prediger des päpstlichen Hauses« ist ja nicht irgendwer innerhalb der katholischen Kirche. Gerade wenn so eine Autorität einen Blödsinn verzapft, bleibt immer etwas hängen. Das hat der Vatikan von der Politik gelernt.

Schon wieder Homosexualität

Deshalb kann auch Kardinal Tarcisio Berton (immerhin die Nummer zwei im Vatikan) verkünden: »Viele Psychologen und Psychiater haben bewiesen, dass es keine Beziehung zwischen Zölibat und Pädophilie gibt.« Um gleich darauf auf den eigentlichen Kern zu kommen. Andere (ja welche?) würden wiederum sagen, dass es stattdessen »eine Beziehung zwischen Homosexualität und Pädophilie gibt«. Und das, so Berton, »ist das Problem.«

Das Problem ist natürlich ein anderes. Wie Michel Foucault nachgewiesen hat, eignen sich die Alten Griechen auch deshalb nicht wirklich als Teil einer Geschichte der Homosexualität, weil sich hier gleichgeschlechtliche Akte nicht als Ausdruck schwulen Lebens, sondern als Herrschaftsverhältnisse manifestiert haben. Also immer zwischen Lehrer/Schüler, Herr/Sklave ereignet haben. Wobei das »erotische Verhältnis« zwischen Lehrer/Schüler (auch im Bezug auf das Wissensgebiet, etwa die Philosophie) nicht immer in ein sexuelles Verhältnis übergehen musste (was die christlichen Mystiker und Mystikerinnen ja auch noch wussten). Zudem waren die meisten erwachsenen Männer, die sich Schüler, Sklaven, Knaben nahmen, straighte Heteros mit Frau und Familie. Es war, kurz gesagt, ein Privileg einer gewissen Schicht. Also einer Elite. Und es ging um Macht. Und darum geht es immer noch. Liebe bedeute nach Nietzsche »das Begehren des anderen zu lieben«. Das Begehren als Terror-Regime fordert hingegen »Begehre mein Begehren« (tu so, als willst du es auch). Der Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sagt dazu: »60 Prozent der Missbrauchs-opfer waren dabei des gleichen Geschlechts wie der jeweilige Täter.«