Ideologie und Volksgemeinschaft

Eine kritische Einführung zum Thema Antisemitismus und Nationalsozialismus bietet Luis Liendo Espinoza am Sonntag, den 29. Mai 2011 ab 13.00 Uhr in einem Tagesseminar in der Stadtwerkstatt.

Historisierung von Nationalsozialismus und Antisemitismus bedeutet heute auf der politischen Ebene die Instrumentalisierung des Antifaschismus zur Legitimierung von Ideologie und Stiftung von Gemeinschaft. Der konformistische Event wie der rebellische Protest gleichen sich in der Reduktion des NS-Terrors auf moralische, gehaltlose Phrasen, deren Beliebigkeit Ausdruck des Mangels einer kritischen und fundierten Auseinandersetzung mit der Geschichte des NS-Regimes ist. Antifaschismus ist praktisch und selbstverständlich. Nationalsozialismus und Antisemitismus werden als Relikte, als durchschaute Geschichte gehandhabt. Geschichte wird auf die chronologische Darstellung der Fakten reduziert und verdinglicht. Davon, fein säuberlich getrennt, erscheint schließlich die Lehre und Mahnung, die allein schon aufgrund dieser groben Trennung zur ritualisierten, moralischen Parole neigt.

Damit im Zusammenhang steht die Gleichgültigkeit gegenüber der Virulenz des Antizionismus als moderne Form des Antisemitismus. Dessen bedrohliches Potential wird verleugnet, verharmlost oder ignoriert. Der Zeitzeuge interessiert vor allem als Opfer der Vergangenheit. Wenn Juden heute auf den islamisch/arabischen Antizionismus als ernsthafte Gefahr hinweisen, gilt dies als Propaganda der Israel-Lobby. Dann heißt es, die Juden würden den Holocaust instrumentalisieren, um die verbrecherische Politik des Staates Israel zu vertuschen. Nichts anderes wird heute unter den Schlagworten Antisemitismuskeule oder Islamophobie verhandelt.

In der akademischen Forschung erscheint die Historisierung von Nationalsozialismus und Antisemitismus in deren Reduktion auf die blanken Tatsachen, dem notorischen Versuch das Morden zum Objekt empirischer Sozialforschung zurechtzustutzen. Ihren adäquaten Ausdruck findet diese Tendenz in den Bemühungen, die kritischen Einsichten der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944 unter der Leitung von Hannes Heer und Daniel J. Goldhagens Buch Hitlers willige Vollstrecker im Namen wissenschaftlicher Seriosität zu demontieren. Beide waren, wenn auch mit einigen Unklarheiten behaftet, zum Schluss gelangt, dass die Mehrheit der Deutschen, von Antisemitismus und Rassismus infiziert, zu potentiellen Mördern und Mordgehilfen geworden waren. Die Bevölkerung, gewöhnliche Deutsche bildeten demnach sowohl die Basis als auch das Treibmittel der Vernichtungsmaschinerie.

Heute gelten in der akademischen Forschung diese Feststellungen mehrheitlich als überzogen, mutwillig und überholt. Unzählige und umfassende Arbeiten zum Thema Wehrmacht und Antisemitismus in der NS-Zeit scheinen diese Schlüsse zu widerlegen. Das fragwürdige Resultat dieser Anstrengungen lautet: Die Deutschen, die jahrelang Zeugen des NS-Terrors gewesen waren, hätten vom verbrecherischen Charakter wenig geahnt und dem Regime nicht wegen, sondern trotz seiner mörderischen Ideologie die Stange gehalten. Auf die Verbrechen deutscher Einheiten bezogen spricht man im Jargon der Sozialwissenschaft von verschiedenen Faktoren und komplexen Wirkungszusammenhängen, welchen eine monokausale Erklärung nicht gerecht werden würde. Antisemitismus firmiert hier nur als ein Element unter verschiedenen, großteils äußerlichen, um nicht zu sagen sachlichen Faktoren. Angeführt werden etwa militärische, ökonomische und strukturelle Umstände. Die Spitze Goldhagens und Heers, welche die Monstrosität der Verbrechen, nicht an den Toten festzumachen, sondern in der Mitte der Gesellschaft zu verorten suchte, wurde deutlich zugunsten einer abstrakten Prozessbeschreibung relativiert. Anstatt der schwierigen Erwägungen rund um die Zusammenhänge von Ideologie und Herrschaft, welche freilich nicht empirisch zu beantworten wären, galt es die Auseinandersetzung wieder für den Wissenschaftsbetrieb handhabbar, d.h. frei von Konfrontation zu machen.

Das Tagesseminar Ideologie und Volksgemeinschaft pocht demgegenüber auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diesen Begriffen und der Aktualität der Thesen Goldhagens und Heers. Es gilt darzulegen, a) weshalb der Hass auf die Juden durchaus als Mordmotiv ernst zu nehmen ist, was diesen Hass ausmacht, weshalb dieser nicht als Vorurteil oder Form des Rassismus zu verharmlosen ist, b) dass die zur Volksgemeinschaft verhärtete Bevölkerung als das konstitutive Element des NS-Regimes angesehen werden muss und c) dass beide Bestimmungen nur in ihrem Wechselspiel miteinander begriffen werden können.

Das Seminar soll eine kritische Einführung zum Thema Antisemitismus und Nationalsozialismus bieten. Das Ziel des Projekts ist es, inhaltlich anspruchsvolle Arbeit zu leisten, die dennoch auch Laien zugänglich ist. Vorausgesetzt wird allein das bloße Wissen, das NS-Regime hat ein mörderisches Verbrechen begangen. Das Seminar bedient nicht das historische Wissen, sondern will Orientierungspunkte für eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus und Antisemitismus erarbeiten.

 

Programm

13.00 Einführung
13.30 – 14.45 Vernichtungskrieg. Problemstellung und Erklärungsmodelle
14.45 – 16.00 Begriff des Antisemitismus. Vernichtungswahn und Weltanschauung
Pause
17.00 – 18.00 Ideologie und Herrschaft. Hannah Arendts Konzeption totaler Herrschaft
18.00 – 19.00 Open Space. Offene Fragen und Vertiefung

 

Sonntag, 29. Mai 2011
Kulturvereinigung STWST (Servus Clubraum)
Kirchengasse 4, 4040 Linz/Urfahr
Kontakt
(Anmeldung erwünscht): friendsofisrael.mail@gmail.com

Eine Veranstaltung des Vereins zur Förderung politischer Bildung und gesellschaftskritischer Studien und der Reihe antidot (STWST/LIBIB). Gefördert vom Zukunftsfond der Republik Österreich.