Jede mittelgroße österreichische Stadt hat ihre Wohnbaugenossenschaften, viele Menschen bewohnen eine Wohnung im Block und die anderen haben zumindest die große Tradition des »Roten Wien« irgendwo im Hinterkopf: da war mal die wilde Siedelei, der Gemeindebau ist tief im Gedächtnis verankert, vom Superblock ist die Rede: Karl Marx lässt grüßen, die historischen Wiener Gemeindebauten eben, oder auch in Linz der Balzarek-Block an der Rudolfstraße (damals tatsächlich: Karl-Marx-Straße). Sie alle sind Zeugen einer Kultur. Und die Wohnbaugenossenschaften, die funktionieren ja auch heute: WAG, GWG, WSG, sie bauen immer weiter, auf der grünen Wiese am Stadtrand, wo jede Mietpartei mit einem Parkplatz vor dem Haus rechnen kann. Die Wohnbaugenossenschaften scheinen, weil sie als gebaute Umwelt im Stadtraum gut sichtbar sind, gar keine rechten Fragen aufzuwerfen. Wohnbaugenossenschaften haftet zwar, vielleicht auch nur, weil sie als große Versorger auftreten, irgendwie etwas Unpopuläres an, obwohl die, für moderne Bauprojekte gewählten Zuschreibungen wie »Die Grüne Mitte« dem angestaubten, etwas schwerfälligen Dasein als Konzerne auch gegenwirken.
Um diese Genossen-schaften geht es aber in »Genossenschaftliches Wohnen. Auf den Spuren des Isidor Karl Theodor Demant« nicht, weil sie im eigentlichen Sinn ja doch keine sind: »Genossenschaftliche Personen sind in der Regel nämlich Inhaber, gemeinschaftlicher Unternehmer des Betriebs und zugleich Benützer und Kunden ihres Unternehmens (...)«. So entpuppen sich Recherchen über die ursprüngliche Genossenschaftsidee bedauerlicherweise über weite Strecken als eine Geschichte der Zerstörung und des Zerfalls. Und dabei hatte die Genossenschaftsidee so vielversprechend ihren Anfang genommen – als eine Bewegung, durch die, in jeweils kleinen sozialen Gefügen Wohnraum im Rahmen von Selbstverwaltung, Eigenermächtigung und Solidarität möglich war. Die gewichtigen Wortverbindungen Armut, Arbeitslosigkeit, Selbstverwaltung, Bauen für die Ärmsten, damit konnte und sollte Wohnraum für die Ärmsten in der Weltwirtschaftskrise realisiert werden – siehe die Wiener Siedlerbewegung der 1920er Jahre. Jedoch bereits unmittelbar danach, spätestens nach dem zweiten Weltkrieg, schien alles verlernt; und irgendwie konnte sich in den folgenden Dekaden bald nicht einmal jemand erinnern, wie das genossenschaftliche Miteinander eigentlich zuerst gedacht war.
Aber wie gelang es »ausgerechnet diesem Architekt jüdischer Herkunft« in dem antisemitischen Klima der Zeit eine Genossenschaft für Arbeitslose hochzuziehen? In Linz gründete 1932/33 Isidor Karl Theodor Demant mit Verbündeten im Wohnzimmer seiner Wohnung in der Baumbachstraße Nr. 16 eine Wohnbaugenossenschaft. Das besagte Haus in der Baumbachstraße, wo alles seinen Anfang nahm, wurde letztes Jahr geschliffen. Auch alle Häuser der Linzer »Demant-Siedlungen« wurden abgerissen, außer einem einzigen Siedlungshaus, das heute als Solitär zwischen Voest, Gleisanlagen und der Wienerstraße steht. Auch jenes Haus, das der Flüchtling Demant nach dem Zweiten Weltkrieg in seinem Exil in Lapithos gebaut hatte, sollte im Krieg zwischen Griechenland und Türkei zerbombt werden. Demants Lebenslinien, denen im Buch in drei biografischen Notizen nachgegangen wird, nehmen ihren Anfang in Czernowitz (heute Ukraine), das man sich gegen Ende der K&K Monarchie wohl als ein kleines Wien vorstellen konnte, spinnen sich weiter über (das andere) Wien, Linz, Brünn, nach Bad Ischl und Bad Goisern, in die Stadt Radom in Polen, dann irgendwohin nach Schweden, Athen, Kairo, von Tel Aviv bis nach Bokuba am Viktoriasee und alles endet schließlich in Lapithos auf Zypern, wo er begraben liegt. Retrospektiv betrachtet sind diese Reisen interessant, auch sein Charakter schien kosmopolitisch ausgerichtet gewesen zu sein. Die Folien, die sich aus alten Fotografien, seinen Briefen in den Archiven und aus Erzählungen zu einer Vorstellung von ihm überlagern, erlauben vielleicht sogar die Zuschreibung des Dandys. Aber einfach war das Leben des Linzer Genossenschaftsgründers mit Sicherheit nicht. Denn jede Station seiner Reisen markierte eigentlich eine Migration, die erst durch Krisen, Kriege und deren Folgen verursacht worden waren. Die frühen Utopien aber, eines sozialen Wohnbaus, die Aspekte der (staatlichen) Fürsorgepolitik und der Armut, spiegeln sich in seinen eigeninitiativen Ambitionen in Linz, eine Genossenschaft für Arbeitslose zu gründen – aber sein Vorhaben ist letztlich gescheitert.
Die Gründe, wie diese ersten Wohnbaugenossenschaften zerstört und warum die genossenschaftliche Kultur in den fortlaufenden Dekaden schlicht verlernt wurde, liegen aus Sicht des Volkswirt Klaus Novy in einer »vorenthaltenen Geschichte«. Diese Bezeichnung markiert sozusagen eine Kultur, die allzuleicht Gefahr läuft, ins Unbewusste zu rutschen: Die Kulturgeschichte genossenschaftlichen Wohnens wurde auch wegen ihres zuerst höchst informellen selbstorganisierten Charakters, schlicht eines wilden Siedelns aus Not an den Wiener Stadträndern, nicht nur vergessen, sondern auch diskreditiert; sie rahmt sich zudem in ein sehr, sehr kleines Zeitfenster. Die Kultur dieses genossenschaftlichen Wohnens wurde zuerst, noch in den 20er Jahren, von der roten Stadt Wien in sozial-fördernde Bahnen gelenkt. Ein paar Jahre später wurde sie allerdings durch wenige politische Interventionen korrumpiert: Gleichschaltung bedeutete bei den Nationalsozialisten in diesem Bereich, dass kleine, ganz unterschiedlich ausgerichtete gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften von großen Genossenschaftskonzernen geschluckt wurden, die als dynamische Neubaugesellschaften auftraten und durch die ebenso neugegründeten Kapitalgesellschaften den Bau finanzierten. Schon ab 1938 wurden Siedlungen mit unheilvollen Siedlungsbezeichnungen, wie »NS-Kriegsopferversorgung«, »SA-Dankopfer-Siedlungen« oder einfach »SS-Siedlungen« errichtet. Die Nazis instrumentalisierten die gemeinnützige Wohnungswirtschaft und stampften sie als große Verbände, als Unternehmen aus dem Boden. Diese Unterhöhlung passierte jedoch bereits im Austrofaschismus, sie zeichnete sich dadurch ab, dass sozialen Fragen mit autoritären Antworten entgegnet wurde. Der sogenannte Freiwillige Arbeitsdienst, kurz FAD, verband sich mit den Interessen der Wohnbaulobby, die sich während der Weltwirtschaftskrise als breit aufgestellte wirtschaftspolitische Vertretung mit dem Titel »Notgemeinschaft« organisierte. Die Wohnbaulobby sicherte sich damit billige Arbeitskräfte. In dieser unguten Gemengelage, in der Arbeitsrechte plötzlich für nichtig erklärt wurden, funktionierte der FAD mehr wie ein »Arbeitslager«. Die Solidarität erodierte. Zu dieser Zeit wurden in den gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften die Funktionäre ausgetauscht und durch systemtreue Mitglieder ersetzt. In Linz protokollierte etwa Demants frühere Stenotypistin, selbst Siedlerin einer »Demant-Siedlung«, im August 1938: »Der Vorsitzende (…) eröffnet die diesjährige Hauptversammlung mit einem allerfreudigst erwiderten ‚Heil Hitler‘ und begrüßt die erscheinenden Genossenschaftler, ganz besonders die lieben Gäste und Vertreter der Partei und Landeshauptmannschaft.« Demant selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht. Das Buch »Genossenschaftliches Wohnen. Auf den Spuren des Isidor Karl Theodor Demant« behandelt in biographischen Skizzen den Lebensweg dieses österreichisch-jüdischen Architekten, während es parallel den »Rise and Fall« der ursprünglichen Genossenschaften beschreibt – um abschließend einen kleinen Exkurs in gemeinschaftlich orientierte Wohnformen der heutigen Zeit zu unternehmen. Die Wurzeln anarchistischer, sozialistischer Ideen, aus Not geboren, aber auch unorthodoxe bürgerliche Wohnutopien, die mit historischen Personen verbunden sind – sie sind heute als Alternative zwischen Markt und Staat schwer aufzufinden. Das zeitgenössische Syndikatsmodell (siehe Artikel habiTAT) scheint jedenfalls den Atem der »alten Utopien« recht frisch vor sich hinzutragen. Vor diesem Hintergrund scheinen genossenschaftlich organisierte Wohnformen zumindest weitere Handlungsspielräume zwischen Markt und Staat zu ermöglichen.