Der Djihad gegen die Juden

Stephan Grigat über den islamistischen Antisemitismus.

Yusuf al-Qaradawi, als Fernsehprediger auf »Al Jazeera« und als Vorsitzender des European Council for Fatwa and Research gegenwärtig einer der einflussreichsten Vordenker des sunnitischen Islam, hält sich im Gegensatz zum iranischen Regime nicht lange mit der Leugnung des Holocaust auf, sondern erklärt ihn für vorbildlich: Hitler sei die »letzte Strafe« für das jüdische Volk gewesen, die Allah ihm wegen »seiner Verkommenheit« auferlegt habe; und in der Zukunft sollten die Muslime selbst Hand anlegen: »So Gott will, wird das nächste Mal diese Strafe durch die Hand der Gläubigen erfolgen.«
Die 1928 gegründete ägyptische Muslimbrüderschaft, aus der al-Qaradawi stammt, war für fast alle späteren Richtungen des radikalen Islam einschließlich der schiitischen prägend. Der Übersetzer der programmatischen Schriften von Sayyid Qutb ins Persische war niemand anderes als der heutige Oberste geistliche Führer des Iran, Ali Khamenei. Die Muslimbrüderschaft entstand als Prototyp einer islamistischen Organisation nahezu zeitgleich mit den faschistischen und nationalsozialistischen Massenbewegungen in Europa und erhielt entscheidende Impulse aus den Schriften der iranischen Islamisten des 19. Jahrhunderts. Der sprunghafte Anstieg ihrer Mitglieder resultierte Anfang der dreißiger Jahre ganz so wie beim europäischen Faschismus und Nationalsozialismus aus einer massenhaften, wahnhaft projektiven Reaktionsweise auf die hereinbrechende krisenhafte kapitalistische Moderne, die später dann auch einer der zentralen Gründe für die Massenunterstützung von Ajatollah Khomeini seit den siebziger Jahren im Iran war.
Ganz wie den Nationalsozialisten, nur deutlich weniger erfolgreich, geht es den iranischen Islamisten nicht einfach um die Indienstnahme eines Staatsvolks zum Zwecke von Ausbeutung und Herrschaft, sondern um die Konstitution einer »Gemeinschaft, die das Märtyrertum begrüßt«, wie es der Revolutionsführer einst formulierte. Trotz aller bestehenden gravierenden Unterschiede hinsichtlich des historischen Kontextes, der ideologisch-politischen Begründungszusammenhänge, der ökonomischen und politischen Struktur sowie der militärischen Schlagkraft, ähnelt die Feindbestimmung dieses Regimes jener des Nationalsozialismus mit seinem Hass auf Kommunismus und Materialismus, Liberalität und westliche »Plutokratie«, Individualität, Emanzipation und Zionismus. Das gilt in ähnlicher Weise für die zentralen Ausprägungen des sunnitischen Islamismus.
Hassan al-Banna, der bis heute von allen Fraktionen der Organisation verehrte Gründer der Muslimbruderschaft, hatte noch 1946 Lobpreisungen für Amin el-Husseini im Angebot, den wüst antisemitischen, mit den Nazis kollaborierenden und ab 1941 in Berlin residierenden Mufti von Jerusalem. El-Husseini konnte sich einer Strafverfolgung durch die Alliierten entziehen, indem ihm nach dem Zweiten Weltkrieg die Flucht nach Kairo gelang. Dort erklärte al-Banna 1946: »Was für ein Held Haj Amin el-Husseini doch ist, ein Wunder von einem Mann. Er wagte es, sich mit der Hilfe der Deutschen und Adolf Hitlers gegen das britische Imperium aufzulehnen, gegen den Zionismus zu kämpfen. Und was ist jetzt: Die Deutschen und Hitler sind geschlagen, aber Amin al-Husseini kämpft unverdrossen weiter.«
Auch wenn die politische Programmatik der Muslimbrüder mit den religiösen Schriften des Islam legitimiert wurde und sich beispielsweise hinsichtlich Sexualmoral und Geschlechterpolitik ebenso von Faschismus und Nationalsozialismus unterschied wie die Ideologie des iranischen Regimes, glich sie doch in zentralen politökonomischen Punkten - ganz so wie bei den khomeinistischen Eiferern - jener der radikalen Rechten in Europa: Ablehnung von Parlamentarismus und Parteiendemokratie, Kampf gegen Liberalismus und Marxismus, Verteufelung des Zinses, Proklamierung einer Gemeinschaft von Kapital und Arbeit, zu deren Verteidigung gegen die sie angeblich zersetzenden Kräfte der als jüdisch gebrandmarkten Abstraktion man angetreten war. Al-Bannas Buch Todesindustrie von 1938, Sayyid Qutbs Unser Kampf mit den Juden von 1950 oder Ruholla Khomeinis Der islamische Staat sind in zahlreichen Punkten kompatibel mit der NS-Ideologie, insbesondere hinsichtlich Opferbereitschaft, Todeskult und Antisemitismus. Und sie waren und sind keine Pamphlete isolierter Spinner, sondern fanden und finden in einigen islamisch dominierten Ländern Verbreitung in Millionenauflagen.
Zuletzt hat der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad den Terminus des »Islamfaschismus« wieder in die Diskussion gebracht und nachdrücklich auf die Verbindungen des Islamismus im Allgemeinen und der Muslimbruderschaft im Besonderen zu Faschismus und Nationalsozialismus verwiesen – allerdings ausgehend von einer ausgesprochen fragwürdigen Religionsexegese. Der Begriff des »Islamfaschismus« führt heute besonders bei Linken zu reflexhaften Abwehrreaktionen, die darin stets einen Kampfbegriff der Neokonservativen wittern. Doch er wurde gerade von linken Gegnern der Revolution Khomeinis bereits 1979 verwendet. Es wäre auch überraschend gewesen, wenn sie angesichts einer antisemitischen Massenbewegung mit ausgeprägtem Führerkult, die eine Märtyrerideologie proklamiert, permanente Kampagnen gegen »Schädlinge am großen Ganzen« initiiert, hemmungslos brutale Gewalt gegen politische Gegner anwendet und einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, zwischen Ost und West beschwört, nicht auf diesen Begriff verfallen wären.
Angesichts der zentralen Rolle, die der Antisemitismus in allen Ausprägungen des Islamismus spielt, wäre allerdings zu fragen, ob der Begriff des Islamfaschismus nicht bereits zur Verharmlosung tendiert und es vielmehr darum ginge, bei allen Unterschieden die Verwandtschaft mit der Nazi-Ideologie stärker herauszustellen. In keiner anderen politischen Bewegung und Ideologie ist der eliminatorische Antisemitismus als eines der zentralen Elemente der Nazi-Ideologie gegenwärtig so präsent und massenwirksam wie in den unterschiedlichen Ausprägungen des Islamismus.
Von Khomeini, der den Islam seit seiner Gründung in einer Konfrontation mit den Juden sah, die »die ersten« gewesen seien, die mit »antiislamischer Propaganda und mit geistigen Verschwörungen« begonnen hätten, lassen sich zahlreiche explizit judenfeindliche Äußerungen zitieren. In einer klassischen Projektion seiner eigenen globalen Herrschaftsgelüste war er davon überzeugt, er müsse gegen die Errichtung eines »jüdischen Weltstaats« kämpfen, von dem er bereits in Der islamische Staat phantasierte.
Die antisemitische Hetzschrift Die Protokolle der Weisen von Zion wurde 1978 ins Persische übersetzt und in den folgenden Jahrzehnten von staatlichen Stellen im Iran in großen Auflagen immer wieder neu herausgegeben – mitunter mit geänderten Titeln wie Protokolle der jüdischen Führer zur Eroberung der Welt. Hier wird bereits deutlich, dass die zeitweiligen Bemühungen seitens der iranischen Führung, mitunter zwischen Juden und Zionisten deutlicher zu unterscheiden, stets wieder konterkariert werden. Zudem wird in der iranischen Propaganda über »die Zionisten« stets in eben jenem verschwörungstheoretischen Geraune geredet, das aus dem klassischen Antisemitismus gegenüber Juden bekannt ist.
In der Ideologie sowohl der iranischen Islamisten als auch ihrer sunnitischen Konkurrenten lassen sich nahezu alle Topoi des klassischen Antisemitismus nachweisen, insbesondere die Verherrlichung einer konkretistisch verklärten, organischen, authentischen, schicksalhaften und harmonischen Gemeinschaft, die gegen eine chaotisch-abstrakte, entfremdete, zersetzende, künstliche, unmoralische, materialistische, widersprüchliche und letztlich mit den Juden assoziierte Gesellschaftlichkeit in Anschlag gebracht wird. Niemand leugnet die offenkundigen Unterschiede zwischen dem Nationalsozialismus an der Macht und der islamistischen oder auch arabisch-nationalistischen Mobilmachung. Die Unterstellung, konsequente Kritiker des Islamismus würden ihn mit dem Nationalsozialismus einfach in eins setzen, ist ein billiger Propagandatrick, der insbesondere bei den linken Verharmlosern der islamistischen Mobilmachung und des orthodox-konservativen Mainstream-Islams beliebt ist. Der Anspruch besteht gerade darin, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen zwischen deutsch-völkischer und islamisch-djihadistischer Erweckungsbewegung herauszuarbeiten, ohne durch den Verweis auf die selbstverständlich existierenden Unterschiede letztere zu verharmlosen.
Einwände gegen Versuche, Gemeinsamkeiten des Islamismus und des iranischen Regimes mit dem Nationalsozialismus herauszuarbeiten, die darauf hinweisen, dass weder Hamas, Hisbollah und Islamischer Djihad noch die sudanesischen oder die iranischen Machthaber über einen industrialisierten und hochgerüsteten Nationalstaat verfügen, sprechen das Offensichtliche aus und verkennen doch zugleich die aktuellen Gefahren in der globalen postnazistischen Konstellation. Der Wiener Kultur- und Gesellschaftskritiker Gerhard Scheit hat das auf den Punkt gebracht, als er bereits vor über zehn Jahren angesichts der antisemitischen Massaker in der zweiten Intifada schrieb: »Was einmal als totaler Staat behauptet werden konnte, ist in den Rackets aufbewahrt […] – sei’s von Hisbollah, Hamas, Al-Qaida oder wie diese NGOs der Vernichtung alle heißen. Soweit sich die Rackets überhaupt zum Gewaltmonopol des Staats zusammenschließen […], fehlt ihnen das ökonomische Potential, die Vernichtungsanstrengung als Staat nach außen hin fortzusetzen. […] Bei einem technischen Standard allerdings, der kleine Massenvernichtungswaffen herzustellen erlaubt, ist dieser […] Unterschied zum nationalsozialistischen Vernichtungsstaat auf Dauer […] wenig beruhigend. […] Wie die Shoah nicht auf die industrielle Menschenvernichtung reduziert werden darf […], so falsch wäre es, prinzipiell davon auszugehen, dass die Wiederholung von Auschwitz in denselben Formen stattfände.«
Genau das meinen israelische Autoren unterschiedlichster politischer Couleur, wenn sie angesichts von Äußerungen wie jener von al-Qaradawi auf das massenmörderische Potential des Islamismus verweisen und angesichts der iranischen Vernichtungsdrohungen und Atomwaffenambitionen vor der Möglichkeit einer zweiten Shoah warnen – und damit fast vollkommen alleine in der Welt stehen. Wer heute diese Möglichkeit in aller Deutlichkeit thematisiert, wird regelmäßig als überempfindlicher Hysteriker gescholten. Doch wer sich weigert, den Islamismus und das iranische Regime in der Welt nach Auschwitz vom Nationalsozialismus her zu denken, verharmlost sie bereits.