Warum wollen Sie uns essen?

Obwohl Supermärkte trivialer kaum sein könnten, spiegeln sie, wie kein anderer Ort, die Alltäglichkeit von Rassismen und Sexismen wider.

EDEWA - Einkaufsgenossenschaft Antirassistischen Widerstands - ist eine Wanderausstellungsgruppe, die im Jahr 2011 in Berlin gegründet wurde. Das Zentrum unserer Arbeit bildet eine Ausstellung, bestehend aus einem re_konstruierten Supermarkt, in dem Geschichte, Widerstand und Interaktion als elementare Wissenselemente verknüpft und die Konsumprodukte zu Objekten der kritischen Auseinandersetzung gemacht werden.

Mit einem Brief an die Edeka-Gesellschaft [1], die sowohl im Kolonialismus als auch im Nationalsozialismus enge wirtschaftliche Verbindungen zu den jeweiligen Herrschaftssystemen pflegte, intervenierten wir 2012 gegen die andauernden kolonialrassistischen Geschäftspraktiken des Unternehmens, die sich in Produktnamen wie z.B. »Zigeuner«-Sauce zeigen. Des Weiteren kehren wir bei der Gestaltung unserer (Ausstellungs-) Produkte die Perspektive um, wie beispielsweise den Vermarktungsprozess, so dass wirkmächtige Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse, die Herstellung und Verkauf bestimmen, sichtbar werden, z.B. »Der Deutsche Kolonialkaffee von Imperial«.

EDEWA bezieht Stellung dazu, dass Kritik an der Verwendung von »Zigeuner« als Geschmacksrichtung zensiert und der Vorwurf der Rufschädigung erhoben wird, wie es momentan in Österreich geschieht: Im Oktober 2013 schickte das Unternehmen Unilever-Austria eine Mail mit dem Betreff »Die aktuelle Zigeunerproblematik / Ausstellung in Linz« an die Künstlerin und Aktivistin Marika Schmiedt, in der das Unternehmen mit Klagen droht, sollte die Künstlerin zukünftig ihre Collagen bezüglich der rassistischen Produkte von Knorr, das zur Unilever-Gruppe gehört, in der Ausstellung »Die Gedanken sind frei. Angst ist Alltag für Roma in Europa« zeigen.

Wesentlicher Bestandteil von Marika Schmiedts Kunst ist das Aufdecken von Kontinuitäten rassistischer Praxis, die sich auch in der Benennung von Produkten in Supermärkten widerspiegeln und zur Tradierung und Verfestigung von Rassismen führen. So zeigen ihre Graphiken beispielsweise eine Persiflage des Klischees vom »lustigen Zigeunerleben« oder bringen das »Zigeunerschnitzel«, die »Zigeunerwürstel« oder das »Paprika-Gulasch nach Zigeuner-Art« mit der berechtigten Frage in Verbindung: »Warum wollen Sie uns essen?«. Die Verwendung der rassistischen Fremdbezeichnung von Roma zur Benennung von Speisen sowie mehrere Begriffe im Schreiben von Unilever sind an Termini der historischen Unterdrückung und Verfolgung angelehnt und decken sich mit der Sprache, die bei aktueller Hetze gegen Roma verwendet wird. Der »Verband der Hersteller kulinarischer Lebensmittel« hingegen behauptet, »allgemein ist der Begriff ‚Zigeuner‘ in Bezug auf Lebensmittel ein traditioneller Begriff, mit dem eine bestimmte Geschmacksrichtung (ungarisch, scharf, mit Paprika und/oder Zwiebeln) verbunden wird.«

Der verdrehte Fokus auf die Position der Mehrheitsgesellschaft und die Behauptung, mit der diskriminierenden Bezeichnung sei eine bestimmte »Geschmacksrichtung« verbunden, ist absurd. Im Gegensatz zu verbreiteten Auffassungen etablierte sich der Begriff im deutschsprachigen Raum nicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, sondern erst in den 1950er Jahren als Bezeichnung für eine Soße. Unilever hat den Begriff bewusst übernommen - 10 Jahre nach dem Genozid an Roma, der bis dahin noch nicht als solcher von der Bundesrepublik anerkannt war und den überlebenden Roma das Recht auf Reparationen und Staatsbürgerschaft verweigerte.

Gegenwärtig findet in vielen Ländern Europas mediale Hetze gegen Roma statt, bei der Vorurteile und Klischees verbreitet werden, welche zumeist zu Pogromen und Polizeigewalt führen. Gerade weil Roma immer noch verfolgt werden ist es gerechtfertigt, dass sie ihre Rechte einklagen und gegen die diskriminierenden und hetzerischen Wahrnehmungen auch rechtlich vorgehen.

Statt die Kritik der Betroffenen anzuerkennen sieht Unilever sich in der Position, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und mit Repression und Zensur zu drohen. Mit Einschüchterungen soll verhindert werden, dass Roma ihre Rechte einfordern und durchsetzen. So wird systematisch daran gearbeitet, dass Roma gar nicht erst daran denken, dass ihnen diese Rechte zustehen. Anders lässt sich nicht erklären, dass Unilever unter Androhung und Repression behauptet, es sei Unrecht, wenn Roma sich Rassismus widersetzen. Dabei muss das Unternehmen damit rechnen, dass (künstlerischen) Protesten Angriffsfläche geboten wird, sofern trotz öffentlichen Widerstands weiterhin rassistische Produktbezeichnungen verwendet werden.

Im August 2013 forderte das Forum Sinti und Roma die HerstellerInnen auf, die Soße umzubenennen. Das wurde zwei Monate später abgelehnt. Damit zeigte sich ein weiteres Mal, dass Kritik und Forderungen von Roma systematisch ignoriert und ihre Perspektive auf die deutsche und österreichische Geschichte ausgeblendet wird.

Der Unilever-Konzern schlug auch in der Vergangenheit aus Kolonialismus und Faschismus Kapital. Das ursprüngliche Unternehmen wurde 1888 gegründet, wuchs zur Zeit des (u.a. deutschen) Kolonialhandels beträchtlich, beteiligte sich im 20. Jahrhundert während der beiden von Deutschland ausgehenden Kriege an der Produktion von sogenannten »Kriegsartikeln« (1917/18) und akzeptierte SS-Offiziere in der Geschäftsleitung (1941). Unter letzteren war Karl Blessing, Reichsbankdirektor und Mitglied des Freundeskreises des Reichsführers SS. [2] Nach 1945 war der Nationalsozialist Günther Bergemann, früherer Ministerialdirigent im Reichswirtschaftsministerium und inzwischen in Jugoslawien gesuchter Kriegsverbrecher, Geschäftsführer der Margarine-Union GmbH (Unilever-Konzern) und Mitglied der Geschäftsleitung der westdeutschen Unilever-Gruppe [3]. Eine kritische Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte hat bei Unilever bis heute nicht stattgefunden. Stattdessen bedient sich der Konzern weiterhin rassistischer Klischees und Begriffe, um die eigenen Produkte zu vermarkten. Auch das Knorr-Unternehmen macht mit rassistischen Klischees Profite [4], zumal die Geschichte dieser Firma ebenfalls unaufgearbeitet ist: Im Krieg 1914 sicherte sich Knorr lukrative Aufträge mit der Lieferung von Feldrationen, die bezeichnenderweise nach deutschen Kolonialverbrechern und Nationalsozialisten (Hindenburg-Suppe und Ludendorff-Suppe) benannt wurden.

Es sind Praxen der Profiteure des Kolonialwarenhandels, kritische und widerständige Stimmen einzuschüchtern und Aufklärung gezielt zu verhindern, um u.a. davon abzulenken, dass Rassismus und Ausbeutung zu Unternehmensgewinnen beitragen. Während Unilever als Konzern mit einer Quasi-Monopolstellung über finanzielle Mittel und eine starke Lobby verfügt, haben Roma keine Lobby, die sie bei der Durchsetzung von Rechten stützt. Das Unternehmen Unilever ist weltweit einer der größten Hersteller von Verbrauchsgütern, während der Großteil von Roma in Europa unter der Armutsgrenze lebt und diesen Menschen existentielle Menschenrechte verweigert werden.

In ihrem Schreiben behauptet Unilever sich verpflichtet zu haben, »im Sinne eines kompromisslosen Bekenntnisses zu Integrität und Respekt« alle Menschen gleich zu behandeln. Gleichzeitig werden die Forderungen nach einer Selbstbezeichnung, ein wesentliches Merkmal der Menschenwürde, ignoriert und zensiert.

Eine weitere, als systematisch zu beobachtende Praxis der von Rassismus profitierenden Unternehmen ist es, unkritische Roma-Positionen für eigene Zwecke als Legitimation zu verwerten. So jedenfalls praktiziert es der »Verband der Hersteller kulinarischer Lebensmittel« derzeit mit der unkritischen Position des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. »Die aktuelle Diskussion, an der sich der Stellvertretende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma beteiligt hat, zeigt uns, dass der Begriff »Zigeuner« im kulinarischen Bereich unverändert als Hinweis auf eine bestimmte Geschmacksrichtung/ Rezeptur verstanden wird.«

Mit Blick auf die Geschichte des Unilever-Konzerns und auf die Tatsache, dass die rassistische Bezeichnung »Zigeunersauce« aus den 1950er Jahren im deutschsprachigen Raum bewusst übernommen wurde, wird eine Umbenennung umso erforderlicher.

Literatur

Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik (Hrsg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin. Berlin, 1968.

[1] »EDEKA« bezieht sich auf die Einkaufsgenossenschaft E.d.K. (deutscher Kolonialwarenhandel). Der Kolonialwarenhandel war ein großer Antrieb für den deutschen Kolonialismus. 1898 schlossen sich 21 koloniale Vereine aus ganz Deutschland zusammen. Seit 1907 gibt es den Namen »EDEKA«. Der Nationalsozialist Paul König war von 1937 bis 1966 EDEKA-Vorsitzender.
[2] Karl Blessing war vor 1945 Generalreferent im Reichswirtschaftsministerium; Reichsbankdirektor; Mitglied des »Freundeskreises des Reichsführers SS«; Geschäftsführer der Margarine-Verkaufsunion GmbH, Berlin (Unilever-Konzern); Vorstand der Aktiengesellschaft für Fettindustrie, Wien, Continentale Oel AG, Berlin; Vorsitzender des Aufsichtsrates der »Nordsee« Deutsche Hochseefischerei AG, Wesermünde, und Inhaber weiterer Aufsichtsratsmandate als auch Mitglied des engeren Beirates der Reichsbank. Nach 1945 war er Präsident der Deutschen Bundesbank; Deutscher Gouverneur im Internationalen Währungsfonds, Washington und Mitglied des Verwaltungsrates der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Basel.
[3] Dr. Günther Bergemann war vor 1945 Ministerialdirigent im Reichswirtschaftsministerium; er wirkte maßgeblich an der Ausplünderung der okkupierten Länder Frankreich, Norwegen und Jugoslawien mit. Nach 1945 stand er auf der jugoslawischen Kriegsverbrecherliste Nr. 56/51 und war Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr a. D.; Geschäftsführer der Margarine-Union GmbH, Hamburg, (Unilever-Konzern) und Mitglied der Geschäftsleitung der westdeutschen Unilever-Gruppe.
[4] Neben der rassistischen Bezeichnung der Grillsoße vermarktet Knorr auch weitere Soßen, die u.a. nach Regionen oder Ländern benannt sind, mithilfe von exotisierenden Bildern / Beschreibungen und rassistischen Klischees, z.B. Knorr Karibik Sauce: »Wir laden Sie ein die Karibik zu entdecken! Mit der Knorr Karibik Sauce können Sie sich karibisches Feeling nach Hause holen.« Aufzurufen die Karibik zu »entdecken« ist zum einen eine Bagatellisierung der Kolonialverbrechen, zum anderen hat Kolumbus die Karibischen Inseln nicht »entdeckt«. Dort lebten bereits Menschen seit tausenden von Jahren. An den Folgen der Kolonialisierung leidet die Bevölkerung in der Karibik bis heute.