Solidarität? Nein, so nicht!

Zum Volkssport »Israelkritik« und zur (in)direkten Hamas-Unterstützung als Bankrotterklärung journalistischer Integrität sowie eines beträchtlichen Teils der Linken. Überlegungen von Claus Harringer.

Sprechen wir über Medien 

Ignorieren wir an dieser Stelle die Produkte der Boulevard-Kartelle und auch die Shitshow, die aus unerfindlichen Gründen nach wie vor »soziale Medien« genannt wird. Nicht, weil das Geraune in diesen Online-Kloaken keine Auswirkungen hätte, sondern einzig und allein, weil bei den »Qualitätsmedien« die Berichte nicht nur redaktionell kuratiert werden, sondern auch gewissen Anforderungen genügen sollten. Dass die generelle Berichterstattung nach den Terroranschlägen der Hamas nie ohne relativierende anti-israelische Untertöne auskommen würde und sich die anfängliche Solidarität schnell drehen würde, sobald Israel auf die Angriffe reagiert, war abzusehen. Ausmaß und Schnelligkeit aber nicht. 

Da gab es gleich einmal den Online-Kommentar (inklusive bewerbendes Posting) eines Israel-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, der noch während jüdische – und auch arabische – Israelis in ihren Häusern ermordet wurden, darüber spekulierte, wie Ministerpräsident Netanjahu die Situation für sich nutzen würde, um in der angespannten innenpolitischen Situation den »Burgfrieden« wiederherzustellen. Da muss das cui bono gar nicht mehr weiter ausdekliniert werden, damit der Kommentar denjenigen Abortwasser auf die Mühlen schaufelt, die auf digitale Klowände die Unterstellung schmieren, dass die israelische Regierung von den Anschlägen nicht nur »profitiert« habe, sondern auch – mittels Geheimdienste – darin involviert sei. Auch insofern sind die Anschläge vom 7.10.2023 mit denen des 11.9.2001 in den USA vergleichbar. Dass der Kommentar abgeändert wurde, als das gesamte Ausmaß der Barbarei bekannt wurde, könnte man dem Korrespondenten (bzw. der Redaktion) positiv anrechnen (selbst, wenn es aufgrund äußeren Drucks geschah). Oder aber man kritisiert – wie Barbara Tóth im Falter – nicht die ursprüngliche Aussage, sondern die »mangelnde Transparenz« (das liberale Feelgood-Vokabel und Panazee par excellence) bei der Abänderung. So gerne und berechtigt Presseleute im Falle der Berichterstattung zum anthropogenen Klimawandel verschämt-selbstkritisch eventuelle »false balance« einräumen, so ungeniert leben sie sie in diesem Fall aus und wetteifern beinahe miteinander, wer am besten »beide Seiten abbilden« oder »zur Sprache kommen lassen« kann. Wenn ein zerstörter Kibbuz gezeigt wird, dann muss daneben zumindest ein Trümmerhaufen in Gaza gezeigt werden. Aber – Achtung! – nicht umgekehrt: Die hunderten Raketen, die nach wie vor von Gaza aus abgefeuert werden und von denen manche auch den Iron Dome durchdringen und in israelische Siedlungen einschlagen, sind nicht picture-worthy. 

Das Drehbuch 

Die Hamas beherrscht die Klaviatur der Medien aus dem Effeff (fortissimo) und alle spielen mit: Es gibt einen Zwischenfall an einem Grenzposten oder eine Anti-Terroroperation der israelischen Streitkräfte, wobei Palästinenser:innen zu Tode kommen (weil sie Terroranschläge verübt haben, von Hamas et al. als menschliche Schutzschilde missbraucht werden oder weil sie tragischerweise zur falschen Zeit am falschen Ort waren). Oder eine Rakete schlägt in der Nähe eines Krankenhauses ein und tötet dutzende Menschen. Noch während der israelische Armeesprecher auf Anfrage erklärt, dass die Situation erst untersucht werden muss, um festzustellen, was genau passiert ist (und nichts anderes kann kurz nach derartigen Ereignissen sinnvollerweise gesagt werden), gehen die Statements und Bilder der Hamas schon um die Welt und werden unwidersprochen übernommen – mit Verweis auf das »Gesundheitsministerium von Palästina« (von dem auch die ganzen Opferzahlen aus Gaza kommen), das allerdings Teil der Hamas ist. Fragt jemand von den Korrespondenten bei der Hamas »kritisch nach« oder hinterfragt deren Angaben? Scheinbar nicht – also lieber ungefilterte Hamas-Propaganda. Sollte sich später herausstellen, dass die Rakete vom Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ) abgefeuert wurde, ist der Schaden schon angerichtet. Nebenbei gefragt: Wie kommt es, dass Anschläge, bei denen ausschließlich Jüdinnen und Juden getötet werden (ohne palästinensische Opfer im Zuge von Reaktionen) in der Berichterstattung kaum thematisiert werden? Es vergeht in Israel kaum ein Monat, in dem nicht mehrere Menschen durch terroristische Attacken ermordet werden1 – für Medien scheinen aber vorrangig diejenigen Anschläge relevant zu sein, bei denen sich die Frage aufwerfen lässt, ob die israelische Armee denn »verhältnismäßig« reagiert habe, wenn Angreifer oder Komplizen dabei erschossen werden. 
Die Beispiele für Berichterstattung, die das jüdische Leid ignoriert und nicht deutlich macht, dass das der palästinensischen Bevölkerung in Gaza primär der Hamas (und im Westjordanland auch der palästinensischen Autonomiebehörde) zuzuschreiben ist, sowie mittlerweile für ihre Pflicht hält, Israel zur »Mäßigung« in der Terrorismus-Bekämpfung aufzurufen, sind Legion.
Wir finden sie bei den üblichen Verdächtigen im Guardian und der BBC und natürlich auch bei CNN, SKY, MSNBC, New York Times, Washington Post, ARD, ZDF, ORF, Standard usw. 

Im Zusammenspiel mit der voreingenommenen öffentlichen Wahrnehmung Israels führt diese Form des »in den Kontext Setzen« nicht zur Klärung der Fakten, sondern Relativierung und das brutale Massaker an 1.200 Zivilpersonen erscheint als irgendwie nachvollziehbare Reaktion auf eine – nicht näher definierte – Unterdrückungserfahrung. Oft gefolgt von »Empfehlungen« oder »Forderungen« an Israel – als müsste sich die einzige Demokratie im Nahen Osten auch nur einen flying fart um selbstgerechte Ankumpeleien aus Ländern kümmern, die glauben, sich qua eigener mörderischen Geschichte zu Lehrmeistern in Sachen zivilisatorischer Standards aufschwingen zu müssen, da sie aus ihrer Vergangenheit »gelernt haben«. Als Joschka Fischer 1999 den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr mit der Verhinderung eines neuen Auschwitz legitimiert hat, standen friedensbewegte Medien (hingegen selbst) Gewehr bei Fuß. 

Man kann nur hoffen, dass keiner der Staaten, in denen sich Redaktionsstuben plötzlich als unvertretbare Fürsprecherinnen der Menschheit dünken, jemals in die Situation kommt, in der sich Israel befindet und einen Feind bekämpfen muss, der sich unter Kranken- und Wohnhäusern versteckt. Ob da die BBC wohl auch die Sprecher der Terrorbanden, die ihr Land angegriffen haben, als Interviewgäste schalten würde, um ganz zwanglos und neutral »die andere Seite« zur Sprache kommen zu lassen? Dieselben Medien, die 2017 Donald Trumps Kommentar anlässlich des Neonazi-Aufmarsches in Charlottesville, bei dem eine Gegen-Demonstrantin mit einem Auto ermordet wurde (very fine people on both sides) zu Recht als verabscheuungswürdig gebrandmarkt haben, entdecken plötzlich, dass die spiegelbildliche Einschätzung in diesem Fall vermeintlich die akkurate ist: there are bad people on both sides

Es gibt gute Gründe, sich gegen manichäische Schwarz-Weiß-Muster zu verwahren; wer aber einen asymmetrischen Konflikt symmetrisch darstellt, in dem völlig klar ist, wer dafür die Verantwortung trägt – nicht nur als dessen Auslöser, sondern für dessen gezielte Fortführung und Eskalation –, verfälscht die Wirklichkeit. Da hilft auch kein Berufen auf die UNO; bzw. die Feststellung, wonach Israel »auf die Vereinten Nationen nicht gut zu sprechen« sei (der Standard, 25.10.2023), da es genau umgekehrt ist und die Kritik eigentlich bei der UNO ansetzten müsste, anstatt zu insinuieren, dass sich Israel gegen die »Weltgemeinschaft« stellt.2 

Warum machen Medien das? 

Zum einen sind auch Journalist:innen nicht immun gegen jene Form von Antisemitismus, die sich gerne als »Antizionismus« verkleidet und Israel als Staat delegitimiert, seine Handlungen dämonisiert und – verglichen mit anderen Ländern – doppelte Standards an seine Politik anlegt. Zugleich gibt es aber keinen anderen Staat, mit dem Israel verglichen werden könnte. Nötig geworden als Schutzmacht gegen den mörderischen Antisemitismus weltweit und vor allem in den Ländern des Nazireichs; seit seiner Gründung direkt – wie indirekt – militärisch, ökonomisch und propagandistisch bekämpft. Jahrhunderte (christlicher) antisemitischer Klischees und deren massenmörderisch-radikalisierte faschistische Varianten vergiften die Wahrnehmung Israels und machen es zum »Juden unter den Staaten« (Léon Poliakov). 

Zvi Rex‘ Aussage »Auschwitz werden uns die Deutschen nie verzeihen« trifft im Kern heute noch zu. Dieser sekundäre Antisemitismus, der auf den »Nachweis« abzielt, wonach Israel sich gegenüber den Palästinenser:innen nicht wesentlich anders verhält, als die Nazis gegenüber den Juden und Jüdinnen, hat sich allerdings über die postnazistischen Gesellschaften hinaus verbreitet.3 Die Bereitwilligkeit, mit der Propaganda-Elemente übernommen werden, hat aber auch ganz einfach mit der Logik des Medienbetriebes selbst zu tun, in der gut recherchierte Berichte gegenüber schnellen Schlagzeilen und effekthascherischen Bildern ins Hintertreffen geraten: Mit der Schilderung komplexer Sachverhalte und der akkuraten Nachzeichnung von Konflikten verliert man gegenüber den »medialen Mitbewerben« (vulgo: der Konkurrenz um Aufmerksamkeit). Ein irreführendes – und damit falsches – Bild verdrängt oft tausend richtige Worte und provoziert haltlose Schuldzuweisungen – sei es aus Sensationalismus oder weil der Bildjournalismus gleich Teil terroristischer Inszenierung ist.4 Dies erzeugt (kalkuliert) Wut und die Algorithmen der Social-Media-Plattformen führen dann lediglich die Erregungsökonomie klassischer Medien in Form unbeherrschter Hassattacken fort. Bei öffentlich-rechtlichen Medien scheint auch die Furcht eine Rolle zu spielen, als parteiisch wahrgenommen zu werden, weshalb dann einfach mal der Daumen auf die Wage gedrückt wird, um für »Ausgleich« zu sorgen. 

Sprechen wir über (uns) Linke 

Warum halten es erhebliche Teile der Linken für ihre vornehmste Aufgabe, Israel fälschlich als »kolonialen Unterdrückungsapparat« oder gar »Apartheidsregime« zu geißeln, warum ignorieren sie seine Funktion als staatliche Schutzmacht für Jüdinnen und Juden gegen antisemitische Verfolgung weltweit und warum machen sie sich sogar mit islamistischem Terror gemein, den sie zum »legitimen Widerstand« verhimmeln? 

Darüber – und über linken Antisemitismus generell – wäre viel zu sagen;5 an dieser Stelle aber nur einige Überlegungen (auch in Zusammenhang mit medialer Logik). 

Kein Feldherrenhügel im Jammertal 

Die Welt ist voller Unterdrückung (sowohl unvermittelter Gewalt, als auch unpersönlicher Zwänge) und es gibt gute Gründe, wütend zu werden und etwas gegen Hunger, Not und Elend tun zu wollen – und zwar nicht nur durch kosmetische Maßnahmen (Umverteilung), sondern grundsätzliche (bedürfnis- statt profitorientierte Produktion). Zugleich gibt es dafür aber keine breite gesellschaftliche Bewegung (früher »revolutionäres Subjekt« genannt) in Richtung Abschaffung dieser Zustände. Der Weg in die Praxis ist versperrt und das befördert Verbalradikalismus und dogmatische Verhärtung. Wütend zu werden, ist kein schlechter Ausgangspunkt für die Organisierung einer Opposition gegen das Bestehende. Es gilt aber auch: Wer wütend ist, denkt nicht – vor allem, wenn die Wut in blinden Hass umschlägt. Es ist außerdem gefährlich, sich vom Gewissheitseffekt (medialer) Bilder blenden zu lassen, die (siehe oben) oft irreführend und manipulativ sind. Warum aber haben es viele Linke gerade auf Israel abgesehen, wo es doch dutzende Staaten gäbe, die derart manische Hinwendung eher verdient hätten und der eigene meist ein guter Ausgangspunkt wäre? Zusätzlich zu den oben genannten Elementen antisemitischer Reflexe sind zwei Faktoren ausschlaggebend, die viele Linke zuverlässig gegen das falsche Ziel anrennen lassen und sie damit als emanzipatorische Zugpferde diskreditieren müssten.

Apotheose der »Verdammten« 

Die Simplifizierungen und Heroisierungen von »Freiheitskämpfen« – die zudem völkisch aufgeladen werden und auch dann noch bejubelt werden, wenn sie die Errichtung repressiver Theokratien zum Ziel haben – verweisen darauf, dass diese Leute nicht willens und/oder fähig sind, komplexe Konflikte angemessen zu analysieren und sie adäquat zu kritisieren.

Da werden völlig ahnungsfrei auf Basis simpelster Schemata hanebüchene Analogien gebildet und anderen Verhältnissen übergestülpt. Besonders markante Beispiele für derart stupide Selbstbegattungen von Begriffen und faktenresistente »emotional truths«, bei denen die moralische und völkerrechtliche Schuld Israels ex ante et in aeternam unverrückbar gesetzt wird, ist die Rede von »Apartheid«, »Kolonialismus« und »besetzten Gebieten«.6 Wenn man es zuspitzen möchte, könnte man sagen, dass diese geistigen Kurzschlüsse bezüglich Israel eine der wenigen Kontinuitäten in linken Bewegungen der letzten Jahrzehnte ist: Ob der westdeutsche Sozialistische Deutsche Studentenbund (nicht zuletzt dank massiver ideologischer Indoktrination an Universitäten durch Mitglieder der PFLP – der »Volksfront zur Befreiung Palästinas« –, in deren Camps später auch die RAF trainiert hat) die Situation in Israel nach dem Vorbild antikolonialer Freiheitskämpfe der 1960er interpretierte oder Black Lives Matter (in Übertragung des Sklavereisystems in den USA und dessen Nachwirkungen) sich die jüdischen Israelis zu »weißen Unterdrückern« und die Palästinenser:innen zu »schwarzen Unterdrückten« zurechtspinnt, ist einigermaßen egal – wenngleich die Identifikationsmechanismen je nach Land unterschiedlich verlaufen.7 In allen diesen Fällen führt die antisemitische Agitation aber letztlich zu Gewalt gegen jüdische Menschen und Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Auch die ansonsten kreuzbraven Fridays for Future reihen sich in den Crusade gegen Israel ein – wenn es um die palästinensische Sache geht, haben sie auch nicht nur kein Problem damit, dass Strom mittels Dieselgeneratoren erzeugt wird, sondern auch damit nicht, dass die Hamas den Treibstoff der palästinensischen Bevölkerung – die ihn zum Überleben braucht – stiehlt, um ihre Tunnelsysteme (gerne unter Krankenhäusern für eine große Anzahl an human shields) am Laufen zu halten, damit sie weiterhin jüdische Menschen ermorden kann. So geht transgenerationale Weitergabe: Da wärmen sich pensionsreife Anti-Imps gemeinsam mit 16-jährigen Kiddies (denen zumindest ihre Jugend; bzw. TikTok-Gehirnwäsche entschuldigend zugute gehalten werden kann) an der brennenden Israelfahne und träumen von der »Selbstbestimmung der Völker« in einer Welt ohne Israel.

Der Anti-Antikapitalismus der dummen Kerle 

Der zweite Faktor ist fast noch blamabler, da er eine linke »Kernkompetenz« betrifft: Die Kritik am Kapitalismus. Kritisiert wird dabei meist nicht ein fetischistisches gesellschaftliches Verhältnis marktvermittelter Warenproduktion unter Ausschluss der Arbeitskraftbehälter von den Produktionsmitteln zum Zweck der Mehrwertabschöpfung, sondern es wird vorrangig das »Finanzkapital« attackiert, mit dem Ziel, die »Realwirtschaft« gegen die »Geldwirtschaft«, das »Konkrete« gegen das »Abstrakte«, die Produktion gegen die Zirkulation auszuspielen (also das Gleiche zu machen wie die Nazis mit ihrer Gegenüberstellung von »raffendem« und »schaffendem« Kapital). Dabei wird teilweise mit denselben antisemitischen Stereotypen (»Ostküste«, »Globalisten«, etc.) wie bei den Rechten operiert und die »Überwindung« des Kapitalismus besteht dann darin, der »ehrlichen Arbeit« wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und die unverstandene abstrakte Seite des Wertes (die mit den »wurzellosen« Jüdinnen und Juden identifiziert wird) zu bestrafen oder zu vernichten. 

Das alles geht komplett an dem vorbei, was Marx in die – doch wirklich griffige – Formel »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« gebracht hat. Insofern greift auch die Bezeichnung »verkürzte Kapitalismuskritik« für jene antisemitischen Denkmuster selbst zu kurz, da sie suggeriert, dass der Gegenstand annähernd erfasst ist. Was ist also links daran, antisemitisch zu sein, keinen Begriff von Kapitalismus zu haben und Unterdrückung nach dem Modell einer Saftpresse zu denken?

Das Schwierige, das einfach zu machen ist 

Bei aller Komplexität der politischen Situation im Nahen Osten (die zu kommentieren niemand gezwungen ist), darf es an der Bewertung mörderischen antisemitischen Hasses keinen Zweifel geben. Und wenn Linke weder in der Lage sind, die Motivationen von Gruppierungen wie Hamas et. al, noch die Realität von gesellschaftlichen Verhältnissen zu erfassen und sich eher zur Barbarei, als zur Zivilisation hingezogen fühlen, ist mit ihnen keine befreite Gesellschaft, also kein Kommunismus zu machen. Für alle, denen ernsthaft an der Verbesserung der Situation der palästinensischen Bevölkerung liegt, wäre es das absolut naheliegendste, gegen die Hamas zu demonstrieren und die Weigerung der umliegenden arabischen Staaten zu kritisieren, palästinensische Flüchtlinge zu integrieren. Und zwar ohne, dass nach der pflichtschuldigen Verurteilung der Hamas automatisch ein »… ja, aber Israel« folgt. 

Um es in einem Satz zu sagen: Wer sich mit der Hamas gegen Israel stellt, steht aufseiten des Faschismus – und dieses Schema ist tatsächlich so simpel. Wenn die (radikale) Linke mehrheitlich von der Parole »die Arbeiter haben kein Vaterland« zur Forderung »Palästina vom Jordan bis zum Meer« übergegangen ist, kann man nur hoffen, dass mit ihr eine Gestalt des Lebens alt geworden ist und es die letzten Zuckungen einer Bewegung sind, die an den eigenen Denkfehlern und ihrer gesellschaftlichen Ohnmacht irre geworden ist. Vielleicht zerbrechen grade ja nicht nur langjährige Freundschaften, sondern es bildet sich in der Auseinandersetzung auch was Neues – ohne völkischen Befreiungskitsch.

Wer ernsthafte Korrektive zur Berichterstattung über Israel und den Nahen Osten sucht, wird hier fündig: 

https://www.camera.org/ 
https://honestreporting.com/ 
https://www.mena-watch.com/ 

Sketches der israelischen Comedy-Show Eretz Nehederet sind hier abrufbar: https://www.youtube.com/@Eretz_Nehederet  

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Claus Harringer koordiniert in der Stadtwerkstatt die Zeitschrift Versorgerin. Dieser Text ist aber keine Stellungnahme des Hauses.

[1] https://www.jewishvirtuallibrary.org/comprehensive-listing-of-terrorism-victims-in-israel
[2] Nur kurz zur Illustration (Zahlen aus https://unwatch.org/database/): Von 2015 bis heute gab es 140 (!!!) verurteilende Resolutionen der Generalversammlung gegen Israel – mehr als doppelt so viele wie gegen alle anderen Staaten zusammengenommen. Auf Platz 2 liegt Russland mit 23 Resolutionen, gegen Iran gab es sieben; China, Quatar und Libyen waren Gegenstand keiner einzigen. Das könnte damit zu tun haben, dass 70% aller Mitgliedsländer keine Demokratien sind und die arabischen Staaten ihr Abstimmverhalten koordinieren. Wer die Geschichte in extenso erfahren möchte, lese Alex Feuerherdt/Florian Markl (2018): »Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert«, Hentrich & Hentrich Berlin. Im UN-Menschenrechtsrats sieht es ähnlich aus – Staaten, die Menschenrechte verletzten, entscheiden mit darüber, was als Verstoß gegen die Menschenrechte gelten soll. Am Ende des oben zitierten Standard-Beitrags wird das zumindest angedeutet.
[3] Ursprünglich eine Form der Schuldabwehr in Deutschland und Österreich, scheint sich die obsessive Gleichsetzung der Naziverbrechen mit israelischer Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung (bzw. die Vorstellung, wonach Jüdinnen und Juden ihren »Opferstatus« ausnützen und sich damit gegen Kritik immunisieren würden) global verbreitet zu haben.
[4] https://honestreporting.com/photographers-without-borders-ap-reuters-pictures-of-hamas-atrocities-raise-ethical-questions/
[5] Für den deutschen Sprachraum sei verwiesen auf Moishe Postone (2005): Deutschland, die Linke und der Holocaust. Politische Interventionen, Ca Ira Verlag Freiburg; sowie global auf Jan Gerber (2022): Das letzte Gefecht. Die Linke im kalten Krieg, XS Verlag Berlin. Empfohlen sei auch der soeben erschienene Sammelband Nicholas Potter/Stefan Lauer (2023): Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig.
[6] Und wenn noch so viele voreingenommene und tendenziöse Berichte von Amnesty International oder Human Rights Watch veröffentlicht werden, die dies behaupten: Der Staat Israel betreibt keine rassistisch legitimierte Segregation. Punkt. Arabische und afrikanische Israelis sind israelische Staatsbürger:innen mit gleichen Rechten und Pflichten. AI und HRW sind – ungeachtet ihrer sonstigen begrüßenswerten Arbeit – zum Werkzeug für die Delegitimierung Israels verkommen. Nicht zuletzt im Zuge der antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment & Sanctions). Auch die Formulierung von den »besetzten« Gebieten steht auf wackeligen Füßen: Sie unterschlägt den gesamten Kontext der israelischen Unabhängigkeits- und Verteidigungskriege (1947-49, 1956, 1967, 1973, etc.), bei denen es nie um die Annexion von Gebieten ging – nach deren Eroberung waren diese immer als Gegenstand für Verhandlungen gedacht, die von arabischer (bzw. später palästinensischer) Seite aus aber kategorisch abgelehnt wurden (siehe die Khartum-Resolution von 1967 mit ihrer Proklamation, mit Israel weder Frieden zu schließen, noch es anzuerkennen, noch mit ihm zu verhandeln).
[7] Während bei vielen Linken in England Israel eine Art Projektionsfläche für die eigene verhasste Kolonialgeschichte aus den Tagen des Empire darzustellen scheint (wobei die im damaligen »Mandatsgebiet Palästina« oft ausgeklammert ist), wird in Irland der palästinensische Terror mit dem der IRA amalgamiert und zum »antiimperialistischen Befreiungskampf« stilisiert. Die anti-israelische Stimmung in Katalonien wiederum dürfte mit den eigenen Separatismusbestrebungen zu tun haben.