Am Anfang war das Außen

Schlaf als anderer Bewusstseinszustand - das impliziert die Frage nach Bewusstsein an sich. Harald Purrer wirft einen Blick auf Evolution, Anästhesie und das Verhältnis von Innen und Außen.

Am Anfang war das Außen; das ist natürlich Unsinn; Am Anfang war … keine Ahnung, aber das Außen bedingt das Innen und vice versa. Das mag vielleicht wie ein dialektisches Einmaleins klingen, ist jedoch für die Entstehung des Lebens bedenkenswert.

Erst mit der Schließung einer Zellmembran, einer Zellwand und somit einer Abgrenzung eines Innen gegen ein Außen war die Bildung von Leben möglich; erst die Aufrechterhaltung eines inneren Milieus gegenüber eines Äußeren ermöglichte Leben, und man beachte erneut das dialektische Ping-Pong, auch den Tod, denn das Konservieren eines Konzentrationsgradienten zwischen einem Innen und Außen benötigt Energie und da uns die Thermodynamik ein Perpetuum Mobile verbietet, kostet das etwas, letztendlich das Leben.

Was hat nun Leben und Tod mit dem Schlaf zu schaffen?

Nun, man unterstellt eine Verwandtschaft, wenn man Schlaf den kleinen Bruder des Todes heißt und wissenschaftlicher führt der konstante Schlafentzug zum Tod. Die tödliche familiäre Schlaflosigkeit (letale familiäre Insomnie) ist eine seltene erbliche Erkrankung, die im Alter von 37a-61a auftritt und innerhalb von wenigen Monaten bis zu zwei Jahren zum Tod führt.

Lässt man sich von der Evolution von einem Früher in Richtung eines Späters treiben, wird man mit einer neuen, unerhörten Schließung konfrontiert, dem Bewusstsein. Ungeduldig tönt es: „Was hat denn das mit dem Schlaf zu tun“. Nun, schon der großartige Wolfgang Ambros differenzierte mit seinem „Zwickt`s mi, i man i dram“ ein Wachbewusstsein von einem Schlaf(traum)Bewusstsein. Im Schlaf unterscheidet man mehr oder minder bewusstlose N-Rem-Phasen von bewussten (traumhaften) Rem-Phasen (mit Aktivitäten neokortikaler Assoziationsfelder). Zu beachten ist, dass auch Trauminhalte in N-Rem-Phasen beschrieben werden.1

Betrachten wir das Augentierchen (Euglena), so sehen wir einen Einzeller mit einem photosensitiven „Fleck“; sobald Licht auf diesen fällt, wird eine Geißel (eine Art Propeller) aktiviert und Euglena bewegt sich in Richtung Licht. Es wird zwischen hell und dunkel differenziert, es wird wahrgenommen. Spricht man hier schon von Bewusstsein? Eher nicht. Was fehlt ist ein Ich. Es reicht nicht, dass etwas wahrgenommen wird, auch das Wahrgenommene will wahrgenommen werden.

Eine einfache und elegante Beschreibung, und das ist wörtlich zu nehmen, also nicht mit einer Erklärung zu verwechseln, ist folgende: „Bewusstsein entsteht, wenn die Innen-Außen-Differenz intern repräsentiert wird.“ Das bedeutet eine Schließung, aber auch eine Doppelung, eine Kondensierung, die einen „ICH-Kern“ verdichtet. So weit, so unklar. Ein Innen/Außen das nach innen geworfen wird und nach außen projiziert um Wirklichkeit zu konstruieren.

… Dreh – Schwindel, ein Bewusstsein beschrieben mit und durch Bewusstsein … Dreh – Schwindel

Und vielleicht noch eine Anekdote mit Schwindelpotential: „Mit dem Urknall (sofern man an so einen Start glauben möchte) entstand aus Nichträumlichem Räumliches, aus Immateriellem Materie. Im weiteren evolutionären Verlauf entstand aus Räumlich-Materiellem (Ausgedehntem, res externa), dem Gehirn, wiederum Nichträumliches (Immaterielles), das Bewusstsein (Geist, res cognitans). SPOOKY

Bemerkenswert ist, dass bei aller „Nichträumlichkeit“ des Denkens, die meisten Menschen ihr Denken im Bereich um den Kopf lokalisieren, nie etwa im Fußbereich. (Ausnahme: Josef Beuys „Ich denke sowieso mit dem Knie“.)

Bis heute besteht keine allgemein gültige konsistente Theorie über Bewusstsein. Das veranlasste Peter Pieri zu seinem Aufsatz „Was macht Bewusstsein zu einem Rätsel“, worin er nicht nur über ein momentanes, sondern ein grundsätzliches Unvermögen spekuliert, diese Rätsel zu lösen.
„Es tritt nunmehr, an irgendeinem Punkt der Entwicklung des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen und auf dessen Bestimmungen es hier nicht ankommt etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas …Unbegreifliches. Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreißt, und unser Naturerkennen, gelangt an eine Kluft, über die kein Steg kein Fittich trägt: Wir stehen an der … Grenze unseres Witzes. Dies … Unbegreifliche ist das Bewusstsein. Ich werde jetzt, wie ich glaube, in sehr zwingender Weise dartun, dass nicht allein bei dem heutigen Stand unserer Kenntnis das Bewusstsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugibt, sondern, dass es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen gar nicht erklärbar sein wird.“2

Ein Grundproblem liegt, wie schon erwähnt, in der mangelnden Distanz, es ist keine Übersicht möglich, da das Bewusstsein das Bewusstsein beschreibt. Das Auge sieht sich selbst nicht (und nein, ein Spiegel hilft uns hier nicht). Völlig unklar ist auch wie das Qualia-Problem gelöst werden soll. Wir können über Gehirnwellenanalysen und cerebrale Stoffwechsel-Aktivitätsmuster (z.B: PET-Scan) erkennen, dass ein Proband z.B. Angst hat, wie es aber für den Probanden ist, diese Angst zu empfinden, bleibt verborgen. Thomas Nagel bringt dies in seinem Aufsatz „What is it like to be a Bat“ auf den Punkt. Wir können das Fledermaushirn mit allen zur Verfügung stehenden Neuro-Anatomisch-Physiologischen-Untersuchungen durchleuchten, sezieren, ja sogar jedes Mikropotential jedes Neurons ableiten. Sämtliche objektivierbaren Fakten werden uns nicht erzählen können, wie es ist, eine Fledermaus zu sein.

Eine „Erste Person-Perspektive“ (Ich-Perspektive), lässt sich von außen nur ungenügend beschreiben. Manche behaupten auch, dass es da nichts zu beschreiben gibt. Das Ich-Bewusstsein als steuernde Instanz („Es geschieht das, was ich will“), sei bloß ein romantischer Anachronismus, das Ich sei bloß eine retrospektive Rechtfertigungsinstanz, die durch eine konsistente Wahngeschichte sich zu beruhigen versucht.3

Für den Anästhesisten stellt sich das Bewusstseinsproblem im Berufsalltag denkbar einfach dar. Während der Allgemeinanästhesie (Narkose), ist der Patient bewusstlos, d.h. Ziel ist es, neben der Analgesie, dass der Patient keinerlei Erinnerung (Awareness) an die Geschehnisse zwischen dem Einleiten (Einschlafen) und Ausleiten (Aufwachen) der Narkose hat. Bewusstsein ist zumindest für den im OP tätigen Anästhesisten mit Wachsein gleichzusetzen und wird über zeitliche (z.B.: Welcher Tag ist heute?), räumliche (Wo sind wir?) und personale (Wie heißen Sie?) Orientierung überprüft. Der genaue Mechanismus der Schlafmittel (Hypnotika) ist dabei nicht bekannt. Bemerkenswert ist hier das Edelgas Xenon, welches Bewusstlosigkeit erzeugt, obwohl ein Edelgas chemisch inert ist, d.h. keine chemische Verbindung eingeht. Man vermutet, dass sich Xenon in Nervenzellmembranen anreichert und die elektrische Erregbarkeit physikalisch (mechanisch) behindert.
Eine Allgemeinnarkose ist nicht mit einem natürlichen Schlaf, sondern eher mit einer tiefen Bewusstlosigkeit, vergleichbar.

Eine letzte Anekdote: „Der Ameisenigel ist evolutionär das letzte Tier, das nicht träumt (keine REM-Träume). Jedes Tier, das evolutionär „später kommt“, träumt.

Schlaft Wohl.

 

Zur englischen Version

[1] vgl. Hobsen u. Stickold 1994
[2] zit.: Emil du Reymond; S. 172; Gehirn und Bewusstsein; Spectrum
[3] siehe P.S. Churchland

Denkt er mit dem Kopf oder mit dem Knie? (Bild: Gemeinfrei)