From Nothing to Something (deutsch)

Warum ist das Rauschen der Blätter, das Geräusch des Windes oder die Brandung der Wellen so erholsam? Warum lieben wir den Blick in das Feuer, den glitzernden Ozean, den Wasserfall oder die Formenvielfalt der Wolken? Es ist das Rauschen, das Chaos und der Zufall der uns fasziniert.

From Nothing to Something ist das Thema des Infolabs der Stadtwerkstatt 2018 und eine Weiterentwicklung einer künstlerischen Perspektive, die von mir bereits 1986 mit der Ästhetik der ersten Heimcomputer begonnen wurde.

Ein Jahr zuvor bei STWST48x3 war im Servus Clubraum eine kleine Grafik zu sehen, in der sich Rauschen in Struktur wandelt. 2018 wird diese auf einem 50m langem Banner in einem Wald in Lindabrunn zu finden sein. Lindabrunn/Niederösterreich ist ein paralleler Veranstaltungsort mit Gegenwartsverschränkung zum Projekt „Nothing to Something“ bei STWST48x4.

Der Arbeitsbereich Rausch-Computer-Kunst hatte für mich den Ursprung in der Medienkunst der 80iger Jahre. Es ging damals in der Medienkunst keinesfalls um Grafik, es ging um keine Bild- oder Soundkompositionen. Es ging um die ersten rekursiven Prozesse in der Kunst. Prozesse, die auf sich selber referenzierten, wiederholten und dabei veränderten. Dies interferierte mit Marshall Mc Luhan „The Medium is the Massage“. Medienkunst ist für mich deshalb in das Genre der Prozesskunst einzuordnen. Ein weiterer Meilenstein, der diesen Arbeitsbereich beschrieb, war „Goedel, Escher, Bach“ von Douglas Hofstadter.       

30 Jahre nach diesen Utopien leben wir in einer Informationsgesellschaft, in der es bei den  rekursiven Programmen nur mehr um Macht und Gewinnoptimierungen geht (Stichwort: High Frequency Trading).  

PolitikerInnen müssen tatenlos zusehen, wie mit globalen Regeln lokale und soziale Strukturen zerstört werden. Das Individium wird zum Spielball weltweiter  Logarithmen, die im Sinn der Aufklärung nicht mehr gestoppt werden können.

Echter Chaos und Zufall sind auch Quellen unseres freien Willens und des kreativen Handelns. Mit Entwicklungen der Informationstechnologie nach der Informationstheorie von Claude Shannon wird die Welt immer deterministischer. Chaos und Zufall bestimmen immer weniger unseren Alltag.  Damit verändert sich auch das Potential zu kreativem Handeln. Mit dem Verschwinden des Zufalls wird dieser auch gleichzeitig kostbarstes Gut in der Kryptografie in der Informationstechnologie und ermöglicht uns indivduelle Handlungen im Netz.


In den Arbeitsthemen des Infolabs von 2018 geht es um das Potential und den Erhalt dieser Quellen.  Es geht aber auch um das Verschwinden der Echtzeitmanipulationen, die man in den Kunstinstallationen der 80iger Jahren verwendete und die scheinbar durch das Internet abgelöst wurden.  
Kreativität und der freie Wille sind also von einem nicht akausalem Umfeld abhängig. Dies war und ist Erfolgsrezept der Evolution. Das Ziel der Natur und Evolution scheint die Entwicklung deterministischer Information. Natur und Evolution als Gegenteil von Entropie und Chaos des Universums.

In der aufkommenden Informationsgesellschaft scheint das größte Problem für das Individuum die determinierte Weltordnung zu sein, die neue Gedanken und Utopien verhindern. Eine Lösung bietet das Infolab der STWST mit dem Verein Symposion Lindabrunn (VSL). Im Sommer und Herbst 2018 werden KünstlerInnen, AktivistInnen und TheoretikerInnen nach Lindabrunn und Linz eingeladen, um sich dort mit diesen Themen und Utopien auseinanderzusetzen.
 
Analysieren wir Kreativität, kommen wir neben dem Zufall rasch zur Spontanität. Spontanität passiert in der Gegenwart – Es stellt sich die Frage: Ist die Gegenwart schon wieder vorbei, wenn sie da ist? Computer werden zwar immer schneller, werden aber in absehbarer Zeit die Geschwindigkeit analoger Prozesse nicht erreichen. Gegenwartsaktionen und Gegenwartsmanipulationen bleiben der analogen Welt vorbehalten.
Mit diesen Fragen sind wir auch schon in den kleinsten Zeiteinheiten der Naturwissenschaften angelangt, und wir verlassen endlich unsere gewohnte Gesetzmäßigkeit und tauchen in die Welt der Quanten ein, die uns neue Möglichkeiten eröffnet. Mit 10 hoch -44 sec sind wir bei der Planckzeit angelangt – dem kleinsten Zeitquant - dem absoluten Augenblick.

Auf dem Gelände von STWST48 und dem Symposionsgelände in Lindabrunn wird der Augenblick zum Kernthema, wenn es in der Woche vom 10.9 bis 16.9.2018 um Kreativität geht. Es werden einige Echtzeitexperimente stattfinden, die einen neuen Ansatz in der Kunst zeigen sollen. Bei den Events geht es in erster Linie um die Synchronisierung unserer Wahrnehmung mit der Gegenwart und um den Zufall als Quelle. In Folge wird versucht, Korrelationen im Rauschen von Zufallsgeneratoren an beiden Orten zu finden.



DAS EVENT: DAS GIS Orchestra
Performance: A Quantum of GIS


In einer Live-Performance werden die MusikerInnen des GIS Orchestra in Echtzeit vom atomaren Zerfall des Elements Americium dirigiert. Ein grafische Projektion ermöglicht Ereignisse, die in subatomaren Bereichen stattfinden. Dazu ist es nötig, Personen einen geeigneten Rahmen zur Verfügung zu stellen, in dem sie diese Ereignisse einordnen können. Der wichtigste Faktor ist die Synchronisierung zur Gegenwart. In der Unterhaltungsmusik geschieht dies über den Takt. Der Takt ermöglicht eine Synchronisation, also eine Ankündigung der Gegenwart. Der Takt löst damit ein intensives emotionales Gegenwartsempfinden aus.

Im Laufe der Musikgeschichte und der digitalen Entwicklung der Gesellschaft lässt sich eine Beschleunigung des Taktes beobachten, die in ihren extremsten Formen  „Speed“, „Gabba“ und „Hard Tekkno“ Geschwindigkeiten von 180 beats per minute und darüber hinaus hervorbringen und dabei das Gefühl der Gegenwärtigkeit bzw. der schnelleren Gegenwärtigkeit vermittelt und verstärkt.

Bei der Aufführung des Gis-Orchesters wird der Takt der Schlagzeug- und Bass-Sektion über GPS und Zeitserver synchronisiert. GPS bietet mit einer Abweichung von nur 4nsec das genaueste System. Ein Vielfaches davon wird den MusikerInnen als Metronom angeboten. Parallel dazu zeichnet ein Rauschgenerator das Rauschen eines Halbleiterübergangs im selben Takt auf.

Für die Direktion der melodiegebenden Instrumente des Gis-Orchesters wird eine umgebaute Webcam verwendet. Der CMOS-Chip einer Kamera wird dabei nicht über Photonen, sondern über Americium-Protonen eines Rauchmelders belichtet und somit die Quelle des Zufalls. Die MusikerInnen reagieren auf Muster des atomaren Zerfalls, die auf eine Leinwand vor ihnen projiziert werden.

Das GIS Orchestra (Go for Improvised Sounds) arbeitet mit dem Prinzip der dirigierten Improvisation. Eine Reihe vorab vereinbarter Signale koordiniert das Zusammenspiel einer rund 20-köpfigen Besetzung. In der Performance „Ein Quäntchen GIS“ wird die Rolle des Dirigenten in Teilen von der global synchronisierten GPS-Zeitmessung und dem spontanen atomaren Zerfall übernommen.

Die Koordination des Orchesters: Tim Boykett, Rainer Fehlinger, Gigi Gratt



RIP – RANDOMNESS IN PAST  - Infolab 2018

Über Quantenrauschgeneratoren werden Räume der Stadtwerkstatt während der Ars Electronica in Linz und des Symposion Lindabrunn in Niederösterreich „vernetzt“.  Es wird versucht, im Rauschen von Linz und Lindabrunn die Gegenwarts-Events des jeweils anderen Ort zu detektieren.

Daraus stellen sich die Fragen: Gibt es einen Zufall in der Vergangenheit oder muss der Zufall immer in der Gegenwart passieren? Ist die Gegenwart absolut und zeitlos?  Gibt es ohne Zeit einen Raum?

Über die Idee der Teilchenverschränkung, dem maximalen Informationsgehalt von echtem Rauschen und den umstrittenen Ergebnissen des „Global Consciousness Projekt“ der Princeton Universität wollen wir Linz mit Lindabrunn im Augenblick verknüpfen.

Dies soll über ein echtes Rauschen geschehen. Es gab verschiedene Möglichkeiten, dieses echte Rauschen zu erzeugen. Die Grundidee ist, Rauschen aus Bereichen zu generieren, in denen die Naturwissenschaften ihre Gesetze verlieren, meist sind das der Mikro- oder der Makrokosmos (Quanten und Quasare).  

Es gibt Theorien, dass im hochqualitativen Rauschen der Quanten oder/und dem Hintergrundrauschen des Universums alle Information der Welt enthalten ist. Dies ist auch der Grund, warum man Rauschen mit unserer bekannten Informationstechnologien nicht komprimieren kann. Und warum es gleichzeitig Freund und Feind der Informationstheorie ist. An beiden Veranstaltungsorten wird nun das Rauschen der Quanten eines Halbleiterübergangs in Blöcken aufgezeichnet. Beide Orte sind „virtuell“ nur über die Gegenwart und einer „acausalen“ Information verbunden. Der Startzeitpunkt der aufgezeichneten Rauschblöcke mit einer Minuten Länge wird über das GPS-Zeitsignal synchronisiert. Freie ForscherInnen, die in experimentellen und künstlerischen Bereichen arbeiten, werden versuchen, diese Rauschblöcke in einer Blockchain über den „Proof of Chaos“ zu speichern.

Mit der Blockchaintechnologie werden die Zufallssequenzen der Vergangenheit mit den Zufallswerten der Gegenwart in Beziehung gesetzt. Dadurch wird Vergangenes genauso wichtig wie der Zeitpunkt des Entstehens. Diese Blockchain erzeugt dadurch eine neue Grundlage für die  Kryptographie, den freien Willen und die Informationstechnologie und sichert somit den Fortbestand der Kreativität des Individiums im Zeitalter der Informationstechnologie. Über diese Anordnung wird auch untersucht, ob die Qualität des Zufalls von der Gegenwart abhängig ist bzw. über welche Quotienten diese über die Vergangenheit abnimmt.

Warum sollte das funktionieren:
"Sie werden doch nicht behaupten wollen, dass der Mond nicht da oben ist, wenn niemand hinsieht?" Diese Frage stellte Albert Einstein Niels Bohr. Das war vor fast 100 Jahren, als die Unschärfe in unserer Welt entdeckt wurde. In den folgenden 90 Jahren erhärtete sich die Theorie, dass die Realität vom Beobachter beeinflusst und teilweise sogar generiert wird. Realität entsteht somit durch Übereinkunft. Kurz interpretiert: Wir erschaffen uns die Regeln der Naturwissenschaften selbst. Für die künstlerische Avangarde heißt es aufpassen, dass die GegenwartskünsterInnen nicht in Sarkasmus versinken, und die QuantenphsyikerInnen ihre Position einnehmen.

 

Zur englischen Version

Grafik: Franz Xaver