Vorwärts in die Vergangenheit

Mit der Regierung Kurz-Strache wendet sich die Zweite Republik ihren Vorkriegswurzeln zu.

»Der zentrale Punkt ist, dass Migranten nicht in die EU gelangen sollen.« Sebastian Kurz

Wenige Tage nach der Parlamentswahl, die mit einem Erdrutschsieg der ÖVP und einem Fünf-Prozent-Zuwachs der FPÖ auf 26% endete und beide Parteien in die Nähe der Zweidrittelmehrheit brachte, erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán in einer Rede in Budapest Ostmitteleuropa zur »migrantenfreien Zone«. Die EU und einige ihrer westlichen Mitgliedsstaaten seien von einem »Spekulantenimperium« in Geiselhaft genommen worden. Die mysteriöse Finanzmacht habe Europa »die jüngste Völkerwanderung, Millionen Migranten und die Invasion der neuen Einwanderer beschert«. Dunkle Mächte verfolgten einen sinistren Plan, das Ziel sei, aus Europa einen Kontinent mit gemischter Bevölkerung zu machen. Leider gebe es uneinsichtige Staaten, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten, so Orbán. Umso mehr freue er sich darüber, daß sich das österreichische Volk mit großer Mehrheit nunmehr in die visionäre Politik der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn einreihe. Der ungarische Wirtschaftsstaatssekretär Balázs Rákosi fasste die Botschaft noch einmal zusammen: Da sich die politischen Ansichten der beiden Regierungschefs vor allem hinsichtlich der »Migration und der Rolle Mitteleuropas in der EU« sehr ähnelten, gehe Ungarn von einer engen Abstimmung mit der Regierung Kurz aus.

Während die Weltblätter nicht aufhören, die FPÖ als »far right« oder »rechtsradikal« zu beschreiben, finden die österreichischen Medien mittlerweile schon den verharmlosenden Begriff »rechtspopulistisch« als zu hart. Es gibt Ausnahmen: Hans Henning Scharsach, ein langjähriger Beobachter der FPÖ, weist nach, daß Bundesparteiobmann Strache und vier seiner fünf Stellvertreter sowie 20 von 33 Mitgliedern des Parteivorstands völkisch Korporierte sind. Auch werden sechs von neun Landesparteien von dieser Gruppe dominiert. Beim nominierten Verhandlungsteam und den Bereichssprechern für die offensichtlich schon von langer Hand vorbereitete VP-FP-Koalition sind ausnahmslos alle Nominierten Burschenschafter. Auch Anneliese Kitzmüller, die einzige Frau im FP-Verhandlungsteam, punktet mit einer einschlägigen Vergangenheit. Sie entstammt dem Milieu der Landsmannschaften, ist Mitglied gleich zweier Mädelschaften, sorgt für fremdenfeindliche und homophobe Äußerungen und erweist sich als profunde Kennerin der deutschen Sprache. In einer parlamentarischen Anfrage wollte sie wissen, wie viele Ausländerfratzen die »Kindergrippen« überschwemmen.

Ein rechtsextremer, demokratie- und verfassungsfeindlicher Akademikerklüngel habe die Freiheitliche Partei in Besitz genommen, so der FPÖ-Beobachter Scharsach, doch damit nicht genug, der penibel recherchierende Autor geht davon aus, daß die freiheitlichen Burschenschafter eine Ausweitung der Kampfzone anstreben. »Österreichs Burschenschaften, aus denen die schlimmsten Nazi-Verbrecher, die brutalsten politischen Gewaltverbrecher der Nachkriegszeit und zahlreiche rechtskräftig verurteilte Neonazis hervorgegangen sind, greifen nach der Macht im Staat.« Was übertrieben klingen mag, wird plausibel, wenn man weiß, daß sich aus der Zeit der ersten Schwarz-Blauen Koalition noch schockweise höhere Beamte im Wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungsbereich breitmachen, vor allem bei Polizei und Heer verfügen die Blauen über eine erdrückende Majorität, einschlägige Gewerkschaftsorgane weisen blaue Zweidrittelmehrheiten auf. Es ist, als hätten die Freiheitlichen die Arbeiten Gramscis und Lenins zur Hegemonie- und Machtfrage studiert. Längst ist der staatliche Repressionsapparat dem Zugriff antifaschistischer Kräfte entzogen, nur wenige demokratiepolitische Brückenköpfe wie das »Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW)« können sich noch halten. Die Handvoll Wissenschaftler des DÖW wissen um ihren prekären Status.

Es verwundert nicht, daß es zwischen der FPÖ und den Identitären enge personelle und strukturelle Verknüpfungen gibt, sie wurzeln meist in denselben Burschenschaften. Die Schwarz-Blaue Regierung der Jahre (2000-2006) mit ihrem Voodoo-Mix aus Korruption, Privatisierung, völkischer Migrationspolitik, »Verschlankung« des Sozialstaats und EU-Feindschaft geht nun in die zweite Auflage, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Rot-Schwarzen Regierungen der Jahre 2007 bis 2017 gute Vorarbeit geleistet haben und als eine Art Zwischenherrschaft innerhalb der Hegemonie eines antimodernen Blocks an der Macht verstanden werden kann. Neun Jahre nach Haiders Unfalltod – nicht nur in Burschenschafterkreisen als Anschlag des Mossad gehandelt – sind alle Spaltpilze und Splittergruppen wieder am Küchentisch der deutschnationalen Mutter vereint. Und siehe da, die noch weiter nach rechts gerückte FPÖ ist bei Wahlen ebenso stark wie Jörg Haider in seiner besten Zeit. In Kärnten wurde die FPÖ bei den Nationalratswahlen sogar zur stärksten Partei, jenem Kärnten, das von Haider und seinen größenwahnsinnigen Finanzlandesräten und Landesbankiers in den Bankrott geführt worden war und von der Republik, das heißt: den Steuerzahlern, gerettet werden musste. Kasnudeln und Todestrieb sind und bleiben die beiden Pole der Kärntner Realverfassung.

Sebastian Kurz wird aufgrund seiner Jugend mit Politstars wie Justin Trudeau in Kanada oder Emmanuel Macron in einem Namen genannt, doch das haben die beiden letzteren nicht verdient. Trudeau ist ein Liberaler mit gesellschaftspolitisch teils fortschrittlicher Agenda und Macron hat seine EU-freundliche Politik, die im Kern nichts anderes ist, als ein Versuch, der deutschen Suprematie zu widerstehen, gegen den rechtsextremen Front National durchgesetzt. Macron ist die Reaktion der französischen Bourgeoisie auf den Aufstieg Deutschlands, und es ist eine Antwort ohne den Rechtsextremismus. Sebastians Kurz‘ »Bewegung« ist die Antwort des österreichischen Bürgertums auf ein (noch) weltoffenes dominantes Deutschland und es ist eine Antwort, in der Rechtsextreme das Drehbuch schreiben. In den dreißiger Jahren bläute Dollfuß den Österreichern ein, sie seien die besseren Deutschen und hätten den besseren Faschismus. Nun ist es Sebastian Kurz, der den Deutschen erklärt, wie eine ordentliche Europapolitik auszusehen hat und wie die Migration (von Asyl redet er kaum) in der Festung Europa beschaffen sein muß. Die österreichische Bourgeoisie war immer faschismusaffin oder selbst faschistisch. In der politischen Charaktermaske Sebastian Kurz materialisieren sich die Interessen der österreichischen Eliten und diese schließen immer auch den am äußersten rechten Rand stehenden Partner mit ein. Macrons Determinanten sind antideutsch, EU-freundlich und antifaschistisch. Kurz segelt einen anderen Kurs, dessen Koordinaten heißen reaktionäres Mitteleuropa und Koalition mit der stärksten rechtsextremen Partei Europas. Die Israelitische Kultusgemeinde Österreichs pflegt seit jeher enge Beziehungen zur ÖVP, einer ihrer Mandatare wurde auch von Kurz in den Nationalrat geholt. Eine Woche nach der Wahl, als Kurz und Strache einander in der Öffentlichkeit mit persönlichen Sympathieerklärungen überschütteten und auch die letzten Träumer in Sozialdemokratie und Gewerkschaft einsehen mußten, daß die Wendekoalition beschlossene Sache ist, meldete sich die Kultusgemeinde mit einer klaren Botschaft: Keine Koalition mit Rechtsextremen!

Sebastian Kurz ist zwar an Jahren jung, aber an einschlägiger Tradition hundert Jahre alt. Mächtige Geschichtsfäden knüpfen ihn an die Politik der bürgerlich-bäuerlichen Blocks der späten zwanziger und dreißiger Jahre. Nach wie vor sind für das österreichische Bürgertum die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften – unbeschadet deren Harmlosigkeit – der Hauptfeind; die Herren mit einem Schmiss im Weltbild aber sind keine Feinde, sie sind entweder Steigbügelhalter, wie in den Jahren 2000 bis 2006 oder Koalitionspartner auf Augenhöhe, wie dieses Mal. Die endgültige Vertreibung der Roten von den Schalthebeln der Macht war die Agenda des ÖVP-Chefs Schüssel in den Jahren 2000 und folgende. Obwohl nur halb vollbracht, war doch ein hoffnungsvoller Anfang gemacht. Die Fortsetzung folgt jetzt unter wesentlich besseren Bedingungen im Inneren wie im Äußeren. In Mitteleuropa war und ist es die Rolle rechter bürgerlicher Parteien, Nazis den Weg zu bereiten, zuerst in einer jahrelangen Latenzphase, dann, bei einem minder wichtigen Anlaßfall, mit sich überstürzender Wucht. Mit den Wahlen vom Oktober 2017 ist die Zweite Republik in diese Phase einer rechtsreaktionären Beschleunigung der Politik eingetreten; der kommende Aufprall zeichnet sich bereits am Horizont ab.

Im Wahlkampf forderte die FPÖ lautstark, Österreich möge sich aus den völkerrechtlich bindenden Verträgen der Europäischen Menschenrechts-konvention und der wichtigsten UN-Verträge zurückziehen und eine eigene Menschenrechtsstrategie nach ungarischem Vorbild konzipieren. Daß die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich im Verfassungsrang steht, stört die FPÖ nicht. Hämisch lächelnd verfolgt sie, wie der Chef der NEOS (sie erhielt 5,3 % der Stimmen), der Ex-ÖVPler Strolz, sich der rechtskonservativ-rechtsextremen Koalition andient und lauthals verkündet, er werde der neuen Koalition gern die notwendigen Stimmen für verfassungsändernde Vorhaben zur Verfügung stellen. Österreichs Liberale: über kurz oder lang küssen sie den Saum der Nazis. Den Wählerinnen und Wählern ist dieser Anschlag auf das zivilisatorische Fundament der antifaschistischen Zweiten Republik in großer Mehrheit egal. Schlimmer noch. Der Politologe Filzmeier geht davon aus, daß eine qualifizierte Mehrheit der lieben Landsleute die verhassten und von den Grünen bei jeder Gelegenheit wie eine Monstranz vor sich her getragenen Menschenrechte lieber heute als morgen auf den Müllhaufen der Geschichte werfen will. Auch das hat einen tieferen Grund: Wer sauren steirischen Jungwein, Zwiebelschmalzbrote und Andreas Gabalier als Fixpunkte der menschlichen Existenz betrachtet, der braucht kein Völkerrecht, das kommt von Fremden, sondern Heimatliebe samt dazugehörigen Ministerien.

Privatisierungen des noch vorhandenen unternehmerischen Staatsvermögens bei Post, Bahn, Telekom sowie im Gesundheits- und Pflegesektor ergänzen das Wendeprogramm. Die durchwegs mit korrupten und kriminellen Machinationen einhergegangenen Privatisierungen der Schüssel-Haider Ära sind heute noch nicht juristisch aufgearbeitet. Zentrale Protagonisten der damaligen Politmafiosi, unter ihnen der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser und die gesamt Kärntner ÖVP-FPÖ Führung sitzen in Gefängnissen oder laufen mit elektronischen Fußfesseln herum.

Am österreichischen Nationalfeiertag kritisierte der Staatssekretär im ungarischen Außenministerium Levente Magyar, daß es zwischen Österreich und Ungarn nur alle zwanzig Kilometer einen Grenzübergang gebe, während in Westeuropa alle zwei bis vier Kilometer Übergänge zur Verfügung stünden. Des Weiteren beklagt Herr Magyar die als temporär eingerichteten Grenzkontrollen zu Ungarn, diese würden unter der Hand zu ständigen Kontrollen, was eine ernste Gefahr für das Schengen-Regime mit sich bringe. Österreich nahm sich den Rüffel zu Herzen und gab die Einrichtung von sechs neuen Grenzübergängen bekannt.