Was tun? Die fünf Säulen linker Popularität

Aylin Aichberger hat den Dichter, Essayisten, Cartoonisten und Gesellschaftskritiker Richard Schuberth per E-Mail zu Populismus, zu den Widersprüchen der aktuellen Linken und seinen »Visionen« linker Politik befragt, bzw. wie sich linke Positionen besser verkaufen ließen und trotzdem unverkäuflich blieben.

Richard, du hast dich als Linker oft kritisch mit der Linken befasst. Ein häufiger Vorwurf innerhalb dieser lautet, dass die Rechte stark zusammensteht, während sie zersplittert sei.

Das liegt in der Natur der Sache. Es gibt meines Wissens keine rechten Denkschulen, die im Streit miteinander liegen, ob die Kalmücken, die Zulus, die Schwulen, die da oben, die sich’s richten, oder die Kommunisten die größte Bedrohung des Volkes sind. Da die rechtspopulistische Wahrnehmung affektiv und projektiv ist, kommen sich Inhalte nicht so leicht in die Quere. Dort aber wo differenziert und analysiert wird, gibt es Dissens. Und das sollte durch keinen Parteienzwang behindert werden. Der ökonomische Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit muss aber das linke Hauptanliegen bleiben. Gesellschaftliche Liberalität, also Feminismus, Antirassismus, LGBT, Kunst, Bildung, die kritische Vernunft – das wäre der wichtigste Coup –, sollte aus ihrer liberalen Geiselhaft befreit und wieder für den sozialen Kampf gewonnen werden.

Europa rückt nach rechts. Sollen Linke zivilisatorische Allianzen mit Konservativen und Liberalen bilden?

Es ist eines, mit ihnen aus taktischer Notwendigkeit ins Bett zu gehen, ein anderes, sich in sie zu verlieben. Hier plädiere ich für vorgetäuschte Orgasmen.
Der Rechtsruck in Europa war vorhersehbar. Er war unmittelbares Resultat des neoliberalen Totalitarismus, der durch keine gesellschaftliche Gegenkraft behindert wurde. Die Brandstifter, die den Faschismus befeuerten, bieten sich jetzt nicht nur als Feuerwehr an, sondern als Wahrer einer offenen Gesellschaft, eines in Anbetracht der rechten Bedrohung verklärten Status quo ante. Sie haben ihre Verachtung der unteren Klassen mit fortschrittlichen Diskursen bemänteln können. Und Linke fallen reihenweise darauf herein. Weil diese Linke eben oft auch Kinder des Mittelstandes sind, schaffen sie es mitunter zu nicht mehr als einem moralischen Weltbild. Und können sich jetzt gutes Gewissen zu ihren sozialen Dünkeln machen. Mit der Gewissheit, dass die Prolos da unten ohnehin nur Nazi-Abschaum seien.

Das klingt fast so, als würdest du einem linken Populismus das Wort reden, den du in einigen deiner Texte ja vehement ablehnst. Wie elitär darf man sein?

Es ist eine der größten Heucheleien, die Früchte seines Denkens zu verstecken. Erst die Rücksicht auf die Gedankenlosen ist arrogant, weil sie das intellektuelle Gefälle naturalisiert. Wer ständig beteuern muss, sich nicht überlegen zu fühlen, gibt es zu. Denken ist nicht Luxus der Bildungseliten, sondern Notwendigkeit und Pflicht eines jeden Menschen. Zwar darf sich eine Linke, wie ich sie will, keinen Nanometer dem Populismus nähern, andererseits darf sie auch nicht in die selbst populistische Arroganz der Mittelstandsliberalen verfallen, die Dummheit und Irrationalität der Massen zu monieren.

Muss man also doch die Sorgen der einfachen Menschen ernst nehmen?

Weder die der einfachen noch der nicht einfachen Menschen. Schon allein die Kategorie »einfacher Mensch« sagt mehr über die Möchtegernkomplizierten aus als über diese. Die Liberalen, die den Massen gerne Ressentiment und Dummheit konzedieren, sehen weder ihre eigene Dummheit noch den rationalen Kern des rechtspopulistischen Protests. Die Verachtung gegen die da oben, die nur »g’scheit reden können«, gegen die liberale Vernunft spürt die Verlogenheit dieses Vernunftanspruchs, der die Umverteilung deckt bzw. nichts gegen sie in der Hand hat. Dass diese Menschen ihren Protest nur emotional artikulieren können, trennt sie aber nicht im Geringsten von denen, die in der liberalen Mitte einen Hort von Vernunft und Zivilisation glauben. Das linksliberale Verhältnis zu den Hauptaktionären der europäischen Werte ist genauso emotional und projektiv, und leitet sich selbst bloß von Feeling her, von dem Feeling der zivilisierten Ausgewogenheit, des besseren Arguments, das aber in der Realität ausbleibt. Die liberalen Werte gemäßigter Vernunft sind längst von einer Ökonomie gekidnappt worden, die mindestens so irrational ist wie der Glaube an Chemtrails und die liberale Zivilisation gegen die Wand fährt.

Aber rechte Stimmen sind nicht unbedingt antikapitalistische Proteststimmen. Hältst du das Wählen von völkischen Führern, die ihre Wähler ökonomisch noch mehr erniedrigen, nicht für dumm?

Doch, unvorstellbar dumm. Ein dummer Romantizismus will die Plebejer klüger machen, als sie sind. Konsequente Kritik muss aber auch denen, die sich für klüger halten, exakt vorrechnen, wie dumm sie wirklich sind. Wir alle sind Kinder derselben Verblendungszusammenhänge. Wir teilen mit den Rechtswählern dieselben kognitiven Verzerrungen, unser aller gesellschaftliche Wahrnehmung ist seit 100 Jahren oder mehr kulturindustriell präformiert. Nur ein Presslufthammer der kritischen Vernunft könnte durch die tausenden Plaqueschichten zu einem intellegiblen Subjektkern vordringen. Wir alle sind von klein auf durch dieselben Waren- und Kulturfetische, denselben empfindlichen, nach Bestätigung und Likes gierenden Narzissmus geprägt. Das projektiv-emotionale Verhältnis zu Helene Fischer hat keine andere Struktur als das zu Nick Cave und Leonard Cohen, und gleicht auch der personalisierenden und psychologisierenden Wahrnehmung von Politik und ihren Charaktermasken, den Kandidaten, die sich alle fünf Jahre ihre Kreuzchen holen. Aufklärung bedeutet auch schonungsloses Durchschauen davon, was uns Linke mit dem Rest der Gesellschaft verbindet: Emotionalisierung, Gemeinschaftsvergötzung statt Sozialismus, Fokussierung auf die Reichen statt Antikapitalismus, Dämonisierung der Finanzwirtschaft zugunsten des schaffenden nationalen Kapitals, als Israelkritik getarnter Antisemitismus, Sozialromantik, die Moralisierung von Diskursen, Unterwerfung unter Popstars und charismatische Einzelmenschen, völlige Unfähigkeit zu dialektischem Denken, ein kulturalistischer Anti-Amerikanismus, ein postkolonial verbrämter Kulturrelativismus, Parteinahme für Putin als pathologische Vermischung von Sowjetnostalgie und Slawophilie oder für Assad und Iran als Antiimperialismus, latente Intellektuellenverachtung und ein lachhafter Cheerleader-Aktionismus, der meint, jetzt sei Schluss mit zu viel selbstherrlichem Denken, jetzt müsse endlich gehandelt werden, und dieses Handeln besteht dann in ganz viel Liken, Vernetzen, Bauchpinseln und digitalem Absondern der ewig selben Gesinnungsslogans. Am unerträglichsten diese neopuritanische Witzlosigkeit und dieses Pathos der richtigen Gesinnung.
Und wenn dann Linke noch dazu auf Macron, Kern, Clinton oder Merkel reinfallen als Jeanne d’Arcs des antirechten Widerstandes, wenn sie sich vom neoliberalen Godzilla die Rettung vorm rechten Wolf erwarten, nur weil jener ein T-Shirt trägt, wo draufsteht: I luv Civilization, in der Rechten mit Immanuel Kant wachelt, in der Linken mit Eintrittskarten zu Amanda Palmer und einem Gesetzesentwurf zur Homo-Ehe, und mit seinem schweren Schwanz dennoch ganz Außer- und Rand-Europa zertrümmert, dann haben sie jegliches Recht auf Überlegenheit gegenüber den Rechten verspielt. Fäkalien in der Senkgrube sind kein besonders überraschender Anblick, aber nur eines dieser braunen Trümmerln versaut die gesamte Vanillesauce der kritischen Vernunft. Richtige linke Haltung verspottet die Lifestyle-Liberalen, ohne vor den Ressentiments der Abgehängten zu Kreuze zu kriechen. Man erhebt die Gebückten, aber man macht nicht den Buckel, um mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zu bleiben. Das gebückte Gehen ist nicht Accessoire plebejischer Kultur, sondern Deformation durch Herrschaft. Das ist der Unterschied zwischen Politik fürs Volk und Populismus.

Gekonnt kritisieren ist, wie wir wissen, tausendmal schwieriger als konstruktive Lösungen zu entwerfen. Aber nehmen wir mal an, du begibst dich in diese Niederungen, wie müsste eine linke Partei oder Bewegung aussehen? Hattest du je konkrete Vorstellungen dazu?

Danke, dass du das so siehst. Das hätte fast von mir sein können. Ich gebe zu, ich mache gerne kaputt. Aber wenn man diese Neigung besitzt, und trotzdem ein guter Mensch sein will, stellt man sie am besten in den Dienst einer guten Sache. Ich lasse meine geistige Abrissbirne am liebsten gegen Gefängnismauern donnern, aber siehe da: Die Insassen bewerfen mich mit den Blechnäpfen aus der Gefängniskantine, weil sie glauben, ich wolle sie obdachlos machen. Auch das ist verständlich ...
Doch, doch, ich habe sehr konkrete Vorstellungen von einer linken Superpartei. Jeder Mensch von Verstand weiß, dass unsere Gesellschaft gar nicht postdemokratisch ist, sondern sich ihr undemokratischer Charakter bloß bis zur Kenntlichkeit verstärkt hat. Für Adam Smith, der nachweislich kein Populist war, stand außer Zweifel, dass Regierungen die Funktion haben, das Privateigentum zu schützen. Für die Besitzstandswahrer gibt es zwei Möglichkeiten: totalitäre Herrschaft oder Scheindemokratie mit möglichst demokratieunfähigen, passiven Subjekten. Diese Demokratie ist eine Babuschka aus unzähligen ineinander verschachtelten Potjemkin’schen Demokratiefassaden. In die aber jederzeit echte Demokratie einziehen könnte. Die Scheindemokratie ist also ein Tabu, das man nicht brechen darf, weil sonst die Gegenseite flugs zu diktatorischen Maßnahmen greifen könnte. Deshalb müssen wir brav und konstruktiv dem Kaiser Modetipps für neue Kleider geben, bloß um seine Blöße irgendwann mit der schönsten Robe zu bedecken, um die Gesellschaft also in echte Demokratie zurückzuführen, falls es die je gegeben hat. Da die Chancen doch gering stehen, dass uns die kurdischen Frauenbrigaden der YPG befreien, müssen wir die Drecksarbeit wohl selber machen. Mein nicht unbescheidenes Konzept bedarf vieler Paradoxa, doppelter Buchführungen und machiavellistischer Finten. Demagogie und gramscianisches Erreichen von Hegemonien – ja. Aber kein Populismus.

Was meinst du mit Populismus?

In der gängigen Vorstellung ist Populismus das Anbieten einfacher Lösungen für komplexe Probleme, Politik durch Emotionalisierung. Er mobilisiert diffuse Ängste und fokussiert sie auf klar umrissene Feindbilder. Das ist alles richtig, aber greift trotzdem zu kurz. Man könnte auch die Verkomplizierung recht einfacher Probleme als gewendeten Populismus bezeichnen. Ich halte viele intellektuelle Nebelgranaten der Postmoderne für populistisch. Andere Theorien, die oberflächlich der Postmoderne zugeordnet werden, sind allerdings gut geeignet, gesellschaftliche Komplexität zu analysieren. Man kann sagen, dass postmoderne Soziologie ideologisch dazu beitrug, den Klassencharakter zu verschleiern und in einen Rattenschwanz an Subdiskursen ohne verbindlichen Wahrheitsanspruch aufzulösen. Andererseits ist es tatsächlich einer der neoliberalen Geniestreiche, die Grenze zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten, zwischen Freiheit und Heteronomie – per Selbstoptimierung individualisiert zu haben. Eine paradoxe Situation. Einerseits existieren traditionelle Klassenantagonismen weiter, daneben aber und diese überschneidend Heere von Aktionären und Franchisenehmern der liberalen Selbstzurichtung als ihres eigenen Unglücks Schmied. Die Macht und die Klassengrenze sind mitunter in die Individuen ausgelagert. Dieses freie Unternehmer-Proletariat hat dann Probleme, seine Frustrationen an einer konkreten Ausbeuterklasse auszulassen. Das führt zur dankbaren Annahme essenzialisierter Feindgruppen. Fremde, die Eliten, die Reichen. Es ist kein Geheimnis und auch nicht verwunderlich, dass populistische Parteien mehr vom Mittelstand als von den wirklich Abgehängten gewählt werden. Das Problem am Hass gegenüber den Reichen ist, dass er meist das Richtige fokussiert, aber nicht wirklich zum Verständnis kapitalistischer Dynamik beiträgt. Er ist strukturell immer näher beim Antisemitismus als bei konsequenter Kapitalismuskritik. Das betrifft auch weite Teile der Linken. Ich kenne nicht wenige Leute, die können sich die rechte Verirrung nur durch eine moralische Pathologisierung der Wähler vorstellen, und inthronisieren sich selbst damit zur ethischen und psychischen Norm. Man erträgt den FPÖ-Wähler mehr, wenn man ihn als Bösewicht vorstellt. Blöd nur, wenn der sich als liebenswürdiger Mensch erweist. Darum falle ich vor tiefer Ehrfurcht auf die Knie und schüttle mich in kathartischen Lachkrämpfen vor Filmen, welche Nazis und Mitläufer als nette und psychisch stabile Menschen darstellen: verantwortungsvolle Eltern, hilfsbereite Nachbarn. Bessere Aufklärung kann man sich gar nicht denken, weil ich weiß, wie viele Linke dadurch entsetzt und verwirrt werden. Und zu simples kritisches Bewusstsein und doofe Psychologisierungen müssen nun halt mit sadistischster Grausamkeit gefoppt werden, denn sie befinden sich in gefährlicher Nähe dessen, wogegen sie zu kämpfen glauben.
Ich glaube, dass Populismus immer einen Alleinvertretungsanspruch für die gesamte Gesellschaft stellt. Und er will das künstliche Wir durch Opposition zu essenzialisierten Kollektiven naturalisieren. Populismus kann aber auch ein irregeleiteter Protest gegen die neoliberale Hegemonie sein. Diese verkompliziert die gesellschaftlichen Verhältnisse, um von ihrem Ziel, der totalen Herrschaft des Kapitals, abzulenken. Der Populismus simplifiziert sie aus demselben Grund. Linker Politik käme es zu, das falsch Vereinfachte und das falsch Verkomplizierte voneinander zu scheiden.  
Bei meinem Modell ginge es um reine PR, um Hegemonien, weniger um Sachpolitik. Das haben wir diesem verflixten Demokratiespiel zu verdanken. Obwohl ich mein Modell nicht als Populismus bezeichnen würde, muss es sich leider aller Idiotien der Kulturindustrie und des Pop bedienen, zugleich aber deren denkbar radikalste Kritik hochhalten. Diese Bewegung muss die ruchlosesten Doppelagenten aller Zeiten hervorbringen. Sie müssen so unkorrumpierbar der Humanität verpflichtet sein, dass sie keine einzige Sekunde auf den Gefühlsquatsch hereinfallen, den die infizierten Menschen als menschlich ansehen.
Der radikale materielle Umbau der Gesellschaft gelänge nur durch eine Revolution. Dafür besteht aber im Augenblick kein Rückhalt in der Bevölkerung. Niemand würde die von der Polizei getöteten Kader einer Putschpartei als Märtyrer betrauern. Im Gegenteil. Durch die Straßen geschleift würden sie. Somit geht es darum, mit den Spielregeln der Demokratie Mehrheiten zu schaffen. Dafür muss man tief in die Scheiße greifen, der Unterschied zum Linkspopulismus wird sein, nicht zur Scheiße zu werden.
Also, meine linke Bewegung ist auf fünf Säulen gebaut. Die erste Säule ist die Realpolitik, unmittelbares kommunales Engagement und selbstlose Bürgerarbeit. Modell KPÖ Graz. Aktivisten, die für die Leute da sind, ihre Sprache sprechen, aber nicht ihre Sprüche klopfen. Sie müssen Verbindlichkeit und Prinzipientreue ausstrahlen. Bevor die linken Inhalte durchsickern, muss die echte oder gespielte Authentizität dieser Basisarbeiter wirken. Sie müssten den Mut haben, dem »kleinen Mann« ins Gesicht zu sagen, dass der sich seinen Rassismus in den Arsch stecken kann, aber ihm jederzeit dabei beistehen, sich nicht mehr klein zu fühlen. Das wirkt mehr als die paternalistische Herablassung der Linksliberalen oder die soziologischen Wahnbilder der bürgerlichen Sozialromantiker mit ihrem Proletkult.
Die nächste Säule ist die Geistigkeit. Im Augenblick laufen Linke und Linksliberale in ihrer Panik vor den Rechten dem liberalen Konsens der Mitte in die Arme. Das ist fatal. Die Linke muss sich wieder ihre Rolle als legitime Erbin der Aufklärung erkämpfen. Dazu muss sie ihren Antiintellektualismus ausmerzen und aufhören, Proletarier zu beleidigen, indem sie auf Prolo macht, und Außenseiter fremder Kulturen zu verraten, indem sie die Folklore von deren Verfolgern vergötzt. Sie muss dieser riesigen machtgestützten intellektuellen Mitte, den seriösen Funktionalzombies der kapitalistischen Normalität das Wasser abgraben, deren Funktion von »FAZ« bis zu Robert Misik darin besteht, das Erkennen des wahren Ausmaßes des ökonomischen Horrors als naiv, radikal, weltfremd oder Rückfall in die großen Erzählungen abzutun. Dabei sind solche liberalen Füchse wie Ließmann dem intellektuellen Personal der Linken ja leider wirklich überlegen. Solange dieses nur ideologische Phrasen oder moralische Gesinnungsejakulate absondert, werden die Hofprofessoren des Marktes zu Recht auf es runterschauen. Deren Blasiertheit ist aber meist nicht inhaltlich, sondern nur durch ihre Positionen gedeckt. Das Zentrum der Diskurse muss nach links wandern, Alpbach wieder das Bauerndorf werden, das es seit eh und je war. Die Nickelbrillenträger der »Standard«- und Burgtheater-Podiumsdiskussionen müssen wirklich Schiss haben, wenn sie gegen die Denker der Linken antreten. Diese Linke soll ihre eigenen Akademien, Think-Tanks haben und für höchstes Niveau garantieren. Natürlich dürfen eigene Richard David Prechts den Stand der Reflexion popularisieren, aber im Unterschied zu den aktuellen Popphilosophen sollten sie ihren Fans einbläuen, nicht länger sie, die Briefträger, zu verehren, sondern sich auf den Weg zu den Absendern, den alten und neuen Klassikern Kritischer Theorie zu machen. Da sich die klassischen Medien der alten Eliten – Print, TV etc. – auflösen, war der Augenblick schon lange nicht mehr so günstig, neue Hegemonien zu schaffen. Wichtig wäre es, völlig außerhalb des Betriebs von vorne anzufangen und nicht innerhalb der vorgegebenen Formate, denn wer zu lange in den Bürosesseln von »Standard«, »Presse«, »Falter«, FM4 sitzt, dessen Gesäß und Hirn kriegt unweigerlich deren Format. Gesinnungskunst, Freiheitsromantik, postdramatisches Entfremdungsbiedermeier und Vulgärmarxismus sollten eher verpönt sein. Und Witz und Ironie sollten von ihrem schlechten Ruf, Handlanger der Postmoderne zu sein, entlastet werden. Wer das alles finanzieren soll, weiß ich nicht. Ich könnte mal George Soros anrufen. Der Papst und Bill Gates machen auch auf links. Also her mit dem Familiensilber! Sogar der Dalai Lama soll ein Marxist sein. Allein die Versteigerung der Hotelaschenbecher, die er bei seinen bezahlten Vortragsreisen hat mitgehen lassen, würde einen beträchtlichen Teil unseres Budgets decken.
Apropos: Die dritte Säule sind ökonomische Experimente. Ja richtig: richtiges Leben im falschen. Kleine punktuelle Versuche selbstverwalteter Betriebe – industrielle, landwirtschaftliche Produktion und Dienstleistungen. Diese sanfte Unterwanderung darf keineswegs den naiven Glauben unterstützen, die befreite Welt könne als ein Patchwork kleiner selbstgenügsaner Communitys funktionieren. Nein, um die produktiven Standards der modernen Welt beizubehalten, wird es einer mächtigen Zentralisierung und hochkomplexer Logistik bedürfen. Ihre Präsenz hat symbolischen Wert. Ihre Existenz soll dem Rest der konsum- und lohnabhängigen Bevölkerung Miniaturen realer Alternativen vorführen. Museen der möglichen Zukunft. Nie dürfen sie allerdings zu Orten der Zufriedenheit mit dem Status quo degenerieren. Hier müssen auch unbedingt ökologische Initiativen federführend sein, die sollen ruhig apokalyptische Ängste schüren, welche ja ausnahmsweise berechtigter sind denn je.
Die vierte und vielleicht wichtigste Säule sind charismatische It-Boys und Supergirls, Volkstribune. Das ist die böseste und schmutzigste Schiene, weil sie mit dem Feuer spielt, nur um es zu bändigen. Diese politischen Führer sind dem durch Kulturindustrie verzerrten Bewusstsein der Demokratievoter perfekt hingestylte Sympathieträger. George Clooneys, Evita Perons, Lady Di’s, Justin Trudeaus. Ja, Justin Trudeau, aber nicht der neoliberale Steuerflüchtling mit dem identitätspolitischen Sympathiefaktor. Wir brauchen linksradikale Prinzen, Schwiegersöhne, Femmes fatales von nebenan, Eigentlichkeitsbetrügerinnen, den konzeptionellen Herzchirurgen, sexy Jeansboys, wie Hermes Phettberg sagen würde. Diese Volkstribunen müssten alles, was am Bewusstsein der rechten, liberalen und linken Massen so peinlich und erbärmlich ist, die gesellschaftliche Wahrnehmung qua Priming & Framing, Emotion, Psychologie, Personalisierung, kollektive Popekstase, Starkult, kurzum: die marktinduzierte Rückführung des Menschen aus der Aufklärung in seine selbstverschuldete Entmündigung, all das müssten sie schlau und zynisch ausnützen, nur um es wie der Führer Hynkel in Chaplins Great Dictator den Massen am Höhepunkt ihrer Popularität wieder auszureden. Sie müssten in der Tat die Charakterstärke eines Kim Philby aufbringen. Und man müsste ihnen Chips implantieren, die ihnen in dem Moment, wo ihnen die Macht zu Kopfe steigt und sie sich mit dem Schwachsinn ihrer Fans infizieren, Elektrostöße verpassen. Die Menschlichkeit dieser Führer ist der größte Schwachpunkt des Projekts. Es wäre besser, Roboter einzusetzen, weil sie den Humanismus der Sache nicht gefährdeten. Ich habe letztens die Pressekonferenz des Roboters Sophie gesehen, die ja mittlerweile saudische Staatsbürgerin ist. Den Massen würde der Unterschied nicht auffallen. Im Gegenteil würden sie sich nach den menschlichen Anteilen dieser aparten Androiden sehnen, welche ihnen selbst großteils verloren gingen.
Die letzte, aber eminent wichtige Säule – Säule Nummer fünf – ist Terrorismus. Allerdings keiner, der physisches Leid verursacht, sondern – schlimmer – materiellen Schaden. Dieser Terrorismus wäre eine Mischung aus Hauptmann von Köpenick, Robin Hood und Batman. Spaßguerilla, extrem witzige, didaktische und spektakuläre Aktionen, von Cyberpiraterie bis zu waghalsigen und fürwitzigen Alltagsinterventionen, die in tausenden kleinen Nadelstichen dem System seine Bösartigkeit und Lächerlichkeit vorzeigen. Dazwischen auch in guter anarchistischer Tradition klassische Raubüberfälle und Verteilung an Bedürftige. Diese Aktionen müssen so launig und einprägsam sein, dass die Massen trotz ideologischer Vorbehalte ihnen die Sympathien auf Dauer nicht verweigern könnten. Sie würden ihr digitales Ersatzleben, das Sharen, Liken, Posten sowie den ganzen Scheißdreck von Musikantenstadl bis FM4 und Burgtheater vergessen und sich denken: Ja, dort, dort spielt sich das wahren Leben ab. Nehmt uns mit, ihr unverschämten Piraten!
Und wenn die Leute dann draufkommen, dass alle fünf Säulen über das Fundament, das sie tragen, verbunden sind, müsste man wirklich den perfekten Überraschungsmoment abwarten. Dann könnte es sein, dass den rechten Kasperln die Anhänger davonlaufen und die liberale Mitte in Bedrängnis kommt. Die wird mit medialer Gegenpropaganda antworten, und wenn das nichts hilft, mit Panzern und Hundestaffeln. Und dann werden die Linksliberalen letztlich erkennen, dass nicht nur Putin und Trump, nicht nur der Iran und Orban und Strache die Bösen sind, sondern auch die Garanten der alternativlosen Ordnung, Juncker, Merkel und Trudeau, lieber pudelnackert mit den Gedärmen von demonstrierenden alten Damen Schlangentänze aufführen, als die Interessen des Kapitals je preiszugeben. Aber die brauchen sich nicht zu fürchten, den für dieses mein Fünfsäulenmodell finden sich bestenfalls eine Handvoll Spinner, der Rest der Linken wird weiter PC-Polizei spielen, Antisemitismus und Nationalismus und Denkfeindlichkeit links codieren, die Leute dort abholen wollen, wo sie daneben stehen, und dort bei ihnen, nämlich daneben, stehen bleiben, brünstige Blumengirlandentänze um das jeweils kleinere sozialdemokratische oder liberale Übel aufführen und in 20 Jahren noch immer einander enthusiastisch zuposten, dass sie genialerweise erkannt hätten, was die Politik vorhabe, nämlich das Sozialsystem zu zerstören. Sie werden den Tumor, auf dem sie ganz gut leben, weiter nicht erkennen, und auf ihm Pickel ausdrücken, damit zumindest die Haut, die sich über ihm wölbt, sauber bleibt. Also fahrt zur Hölle! Trinkt Fairtrade-Cappuccino in den Cafes, die ihr euch auf der talwärts sausenden Mure gebaut habt.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Du sprachst von Befreiung der Ironie vom Vorwurf der Postmoderne. Du verbindest gerne deine Kritik mit Witz und Ironie. Läufst du da nicht Gefahr, von den akademischen Denkern als bloßer Satiriker oder Polemiker abgetan zu werden? Oder ist das dann doch eine postmoderne Strategie, sich nicht wirklich festzulegen? Auf welcher Säule wäre dein Platz? Bei den Intellektuellen oder den Terroristen?

Kluge Postmoderne sind mir allemal lieber als dumme Moderne. Von den verbindlichen Strebern und Klassensprechern nicht ernst genommen zu werden, war schon in der Schule eine besondere Auszeichnung. Seriosität ist wirklich eine lachhafte Pose. Und wie im Film »Groundhog Day« kann nur Humor einen davor retten, nicht durchzudrehen, wenn man seit beinahe 40 Jahren täglich dieselben kritischen Einsichten doziert bekommt und auch selber reproduzieren muss, bloß, weil die kritikwürdigen Verhältnisse nicht so viel Schamgefühl besitzen wie ihre Kritiker und sich nicht verbessern wollen. Dialektik ist mein Fluchtauto in den Fortschritt, und wenn das im Sand steckenbleibt, schlepp ich mich mit Ironie zur Oase. Hauptsache, ich verliere das Ziel nicht aus den Augen. Ich wäre natürlich Terrorist – und vielleicht bin ich es schon.