Vom 30. Oktober bis zum 3. November fand das Impakt Festival in der holländischen Stadt Utrecht statt, und ich habe es besucht. Nebenbei bemerkt, habe ich mich nach längerem hin und her für einen Flug mit der Austrian Airlines entschieden, was mich unmittelbar zu dem Gedanken geführt hat, dass das fröhliche Festival-Hopping mit dem Flugzeug für eine derartige Distanz nicht vertretbar ist. Das ist keine neue Erkenntnis, die seit Greta Thunberg Fakt ist, aber sie hat wohl gut dazu beigetragen, dass sich selbst reflektierte Menschen, wozu ich mich schon zähle, noch schlechter fühlen, wenn sie mal keine Alternative wählen. Bei der Planung der nächsten Ausgabe von AMRO20 (Anmerkung der Red.: Eine Veranstaltung von servus, 20. – 23. Mai) werden wir das alternative Reisen einmal mehr berücksichtigen, was sich, so absurd es ist, in Kosten und anwesenden Gästen widerspiegeln wird. Viele unserer Gäste haben bereits eine alternative Reisepraxis. Um dies auch weiterhin zu etablieren, braucht es aber grundsätzlich eine längere Planungssicherheit (abhängig von FördergeberInnen!), Zeit und entsprechende Kommunikation mit unseren Gästen. Wie radikal wir unsere eigene Einladungspraxis für die nächste Ausgabe im nächsten Mai durchziehen werden ist noch offen, aber ein interessanter Gedanke! Der Artikel[1] »Techno-fix futures will only accelerate climate chaos – don’t believe the hype«, den ich nach meiner Rückkehr online gelesen habe, schreibt in der Einleitung: Eine Zukunft im Einklang mit der Natur zu gestalten, wird nicht einfach sein. Unsere kollektive Vorstellungskraft ist an Ideen gebunden, die uns an den Rand einer Umweltkatastrophe gebracht haben. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, reisen, essen und sogar denken, ist in Systeme eingebettet, die die Nutzung fossiler Brennstoffe aufrechterhalten, in die natürliche Welt eingreifen sowie Reichtum und Ressourcen aus dem globalen Süden nutzen. Das bedeutet, dass wir jeden Aspekt der Gesellschaft, wie wir sie kennen, verändern müssen, um den schlimmsten Klimabruch zu vermeiden. Aber dafür bedarf es eines tiefen Verständnisses dafür, warum die Industrie die obere Atmosphäre verschmutzen durfte und wie wirtschaftliche und politische Infrastrukturen aufgebaut werden können, um die Emission von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen zu stoppen.
Das Impakt Festival
IMPAKT ist eine Medienkunst-Organisation in Utrecht und wurde schon 1988 gegründet. Wie andere Festivals mit langer Geschichte hat es seinen Ursprung im Bereich Film und Video. Heute verfolgt es einen interdisziplinären Anspruch. Es präsentiert kritische und kreative Perspektiven von Medienkultur, audio-visueller und zeitgenössischer Kunst. So habe ich auch die aktuelle Ausgabe erlebt, wobei mir bei der Praxis der Festivalorganisation das Kritisch-Alternative abging – vor allem, als ich beim Akkreditieren zu einem Google-Account gezwungen worden wäre. Ich bin dem mit Widerstand begegnet. Hinter dem Event steht Arjon Dunnewind, Künstler und Researcher, der auch das Festival gegründet hat. Bis heute ist er Direktor der Organisation. Ich hatte nur kurz in einer Diskussion am letzten Tag mit ihm Kontakt. Während des Festivals huschte er im Hintergrund herum, wirkte etwas nervös, zurückhaltend und unnahbar – aber sympathisch. Besucherzahlen schienen irgendwie eine große Rolle zu spielen. Bei jeder Veranstaltung wurden Pässe und Tickets gescannt und Sitzplätze vergeben, was etwas nervig war. Alle Talks, Filme, Panels, Keynotes und Performances waren sehr gut besucht (Fassungsvermögen des Saals etwa 100-150 Menschen), was für die Veranstaltung spricht. Für die aktuelle Ausgabe »Speculativ Interfaces« hat Arjon Dunnewind die drei KuratorInnen Bárbara Perea, Jan Adriaans und Marloes de Valk engagiert, drei unterschiedliche Subthemen an drei Tagen zu kuratieren.
Marloes de Valk, Software-Künstlerin und Autorin steuert seit vielen Jahren zu unserem Festival (AMRO) aktiv bei. Sie hat mich zum Festival gebracht. Ich war also besonders auf ihr Subthema »Persuasive Tech Lab« gespannt, das den ganzen Samstag stattfand.
Calm Technologies[2]
Mit diesem Panel startete der Samstag. Die Begriffe »calm computing« und »calm technology« wurden 1995 von den PARC-Forschern Mark Weiser und John Seely Brown[3] als Reaktion auf die zunehmende Komplexität der Informationstechnologien geprägt. Er war der Meinung, dass das Versprechen von Computersystemen darin bestand, dass sie »Komplexitäten vereinfachen, nicht neue einführen« könnten. Heute hat sich die Idee der Technologie als stiller Diener in eine Industrie verwandelt. Unsere Welt besteht aus Informationen, die um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Was ist notwendig? Was nicht? Wer wird bedient?
Den ersten Input von Olia Lialina (http://art.teleportacia.org/), die als Pionierin der Internetkunst (Netart) gilt, begann mit einer Analyse, wie sich die Terminologie ab 2007 in dem Zusammenhang von »Calm Technologies« verändert hat. So spricht man heute nicht mehr von »Computern« sondern von »Technologie«, nicht mehr von »Interfaces«, sondern von »Experiences«, so wurden »User« zu »Leuten«. Dahinter steht eine Industrie, die uns unserer Rolle als simple BenutzerIn (User) enthebt und uns dazu zwingt, Computer nicht nur zu nutzen, sondern »Erfahrungen« machen zu müssen. Damit einher geht die schwindende Kontrolle über die Computer, die wir bedienen, verloren, die aber natürlich auch immer kleiner werden und sich überall befinden (Internet of Things). Ein Beispiel aus einer Apple-Werbung aus 2007 untermauerte perfekt Lialinas Theorie. So fragt in diesem Clip eine Mutter ihr Kind: »Was machst du auf deinem Computer?«. Und das Kind antwortet: »Was ist ein Computer?«. Genauso, wie der Computer aus der Kommunikation verschwindet, geht es dem Interface, welches durch Erfahrung ersetzt wurde. Heute haben wir z.B. eine »Login Experience« – dabei loggen wir uns einfach in ein Interface ein. Ein simples Update einer Webseite wird uns im Browser als »Wir sind bemüht, ihre Erfahrung mit xy zu verbessern« verkauft. Lialinas Beobachtungen und Thesen dazu scheinen für meine Generation und meinen kulturellen Background naheliegend und vertraut – das alles in der Form festzuhalten und so zu vermitteln, ist nicht nur wunderbar, sondern ist Kritik, die politisch ist.
Plotting Data
Cristina Cochior (http://randomizer.info) war die nächste Sprecherin. Als Forscherin und Designerin interessiert sie sich für Strukturen der Wissens-Koproduktion, für die Politik der Automatisierung, Archivrepräsentation, für Open Access Publishing und lokalisierte Softwarepraktiken. In dem Projekt »Plotting Data« arbeitet sie mit Ruben van de Ven (https://rubenvandeven.com/) zusammen. In ihrer Arbeit schauen sie Datensätze an, die eine große Kollektion von Bildern enthalten. Da Datensätze die Grundlage bilden, auf der Computermodelle aufbauen, die in der automatischen Entscheidungsfindung verwendet werden, bilden diese keine destillierten Versionen der Realität ab. Konflikte und Unklarheiten werden vernachlässigt, um die Realität berechenbar zu machen. Wie jede Technologie kodieren Datensätze ihr Ziel, ihren Zweck und das Weltbild der Macher.
Am Beispiel einer Satelliten-Aufnahme von Chicago aus dem Buch »Seeing Like a State«[4] verdeutlicht sie, dass die Interessen des Betrachters (einer Person, einer Institution oder der Stadtplanung), der/die diese Vogelperspektive auf die Stadt einnimmt um bestimmte Absichten zu verfolgten, meist nicht mit dem Bild übereinstimmt, das StadtbewohnerInnen haben – also derjenigen, die unmittelbar betroffen sind. Außerdem erwähnt sie einen Artikel von Catherine D‘Ignazio »What would feminist data visualization look like?«[5], der für Cochior die Möglichkeit der unterschiedlichen Interpretation gleicher Datensätze brillant thematisiert und zeigt, wie wichtig es ist zu verstehen, wer die Vogelperspektive einnimmt und welche Interessen dahinter stehen. Don‘t trust Datavisualisation.
Youtube and Chill
»Youtube and Chill« – dies war der Titel des dritten Vortrags. Davide Benqué, Designer und Researcher beschäftigt sich in seiner Dissertation am Royal College of Art in London mit algorithmischen Vorhersagen und kritischen Designpraxen. Er arbeitet diagrammatisch. In seinem Vortrag schildert er seine Versuche, Youtube unter Aspekten seiner Forschungsfragen abzubilden bzw. zu kartieren – und schickt voraus, dass er daran bisher gescheitert ist. In seinem Projekt »Architectures of Choice[6]« untersucht er, wie Youtube seine Vorhersagen – also Vorhersagen darüber, was jemanden gefallen könnte und wie etwas empfohlen wird – designt. Er erwähnt in diesem Zusammenhang Nick Seaver, einen Medien-Anthropologen, der solche Vorhersagesysteme
als Fallen (Traps) bezeichnet. Youtube verwendet, wie andere Plattformen auch, Spuren (Tracking), die wir beim Surfen hinterlassen. Diese Trackingdaten bilden die Basis für Algorithmen, beinhalten aber viele Schwachstellen und sind, so Benqué, auch dafür verantwortlich, dass gerade auf dieser Plattform Verschwörungstheorien wie etwa, dass die Erde flach sei, so prominent auftauchen. Mozilla kritisiert Youtube für ihre Algorithmen mit #YouTubeRegret[7]. Hier werden UserInnen eingeladen, ihre schlimmsten Youtube Empfehlungen zu veröffentlichen. Z.B.: »Like that time at 2 am when I searched YouTube for ‚Did aliens build Stonehenge?‘ and ever since, my YouTube recommendations have been a mess: Roswell, wormholes, Illuminati. I never intended for that
to happen.«
Neben den lustigen Beispielen gibt es aber auch jene, die eine Verbreitung von politischen Meinungen multiplizieren, Meinungen, die nicht unbedingt der Realität oder Fakten entsprechen, so Benqué. Daher sei die Forderung, Algorithmen transparent zu machen, notwendig, aber auch nicht ausreichend, wie Mike Ananny (University of Southern California) und Kate Crawford (Microsoft Research) in einem Artikel argumentieren. In die Blackbox hineinsehen zu können löst nicht das Problem der Komplexität. Es geht darum, die Motivationen, Beziehungen, Ideologien ihrer BetreiberInnen entschlüsseln bzw transparent machen zu können.