Als der Westdeutsche Rundfunk Ende Juni die Dokumentation »Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa« schließlich doch noch ausstrahlte, veröffentlichte er dazu auf seiner Website bekanntlich einen journalistisch wie inhaltlich äußerst fragwürdigen »Faktencheck«. Darin wird unter anderem ausführlich aus einer Stellungnahme zitiert, in der die katholische Friedensbewegung Pax Christi sich gegen die Kritik verwahrt, mit ihren Nahost-Aktivitäten zum Antisemitismus beizutragen, und behauptet, bei ihrem Tun stets nur die Menschenrechte im Sinn zu haben. Nun allerdings ist der Präsident der österreichischen Sektion dieser Vereinigung, der Linzer Bischof Manfred Scheuer, von seinem Amt zurückgetreten – und zwar just wegen des Antisemitismus bei Pax Christi. Die Differenzen mit seiner Organisation hätten sich, so wird Scheuer von der katholischen Nachrichtenagentur Kathpress zitiert, »bei der Kritik an der Politik Israels« respektive »bei der Einschätzung dieser Kritik als antisemitisch« entzündet. Er jedenfalls sei »überzeugt, dass aufgrund der Shoa gerade in Deutschland und Österreich eine besondere Verantwortung und Sensibilität gegenüber dem Staat Israel notwendig ist«.
Seinen Rücktritt hatte Scheuer in einem Brief an die Vizepräsidenten von Pax Christi Österreich erklärt. Unmittelbarer Anlass waren demnach die Vorfälle während einer Veranstaltung der Organisation Ende Mai in Linz. Dort hatte der höchste Repräsentant der Palästinensischen Autonomiebehörde in Österreich, Salah Abdel-Shafi, einen Vortrag zum Thema »Der Nahostkonflikt und die Rolle der Europäischen Union« gehalten, der den Widerspruch von Vertretern der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Linz, darunter auch von der Schriftstellerin Anna Mitgutsch, hervorgerufen hatte. Mitgutsch sagte der Linzer Kirchenzeitung zufolge wenige Tage nach der Veranstaltung auf einer Pressekonferenz, die Vertreter der IKG seien beschimpft worden, als sie die Ausführungen des Referenten kritisieren wollten. Zum Vorbringen von Gegenargumenten habe es keine Gelegenheit gegeben. Zudem sei Israel von Pax Christi in der Einleitung zum Vortrag als »Diktatur« bezeichnet worden.
Bei Pax Christi Österreich sieht man gleichwohl keinen Grund zur Selbstkritik. Zwar räumte die Organisation knapp ein, die Dämonisierung Israels als Diktatur sein »ein Fehler« gewesen, und bedauerte in einer Stellungnahme des Vorstands pflichtschuldig den Rücktritt ihres Präsidenten, dem sie in dürren Worten für seine zwölfjährige Tätigkeit in diesem Amt dankte. Doch weit ausführlicher wies die Vereinigung den Vorwurf des Antisemitismus »entschieden zurück«. Schließlich engagiere man sich seit Jahren »für NS-Verfolgte und für das Gedenken der Opfer dieser Verbrechen«. Die »israelische Siedlungspolitik« sei nun mal »ein Haupthindernis für die Zweistaatenlösung«, und wer diese Einschätzung als antisemitisch denunziere, missbrauche den Begriff Antisemitismus, relativiere die »furchtbaren historischen Verbrechen des wirklichen Antisemitismus« und trübe »den Blick auf das tatsächliche Entstehen neuer Formen des Antisemitismus, die wir entschieden ablehnen und bekämpfen«.
Antisemitischer Unsinn von palästinensischem Repräsentanten
Es ist schon bemerkenswert: Da legt der langjährige Präsident, im Hauptberuf immerhin ein hochrangiger Kirchenfunktionär, sein Amt bei Pax Christi nieder, weil er es offenbar nicht länger verantworten will, dass die Vereinigung den jüdischen Staat dämonisiert und delegitimiert, und es nicht mehr erträgt, dass Kritiker dieses israelbezogenen Antisemitismus sich Beschimpfungen und Belehrungen anhören müssen. Doch die Organisation hält nicht inne, reflektiert nicht und erschrickt nicht vor sich selbst, sondern macht stur weiter, wiederholt einfach ihre Vorwürfe gegen Israel und unternimmt den so durchschaubaren wie kläglichen Versuch, den Antisemitismus jenen in die Schuhe zu schieben, die ihn auch in seiner »antizionistischen« Variante deutlich kritisieren. Der demonstrative Hinweis von Pax Christi auf sein Engagement für die Opfer des Nationalsozialismus ist in diesem Kontext nichts weiter als ein Persilschein, den man sich selbst ausstellt, eine moralische Selbstermächtigung zum Angriff auf den jüdischen Staat und jene, die ihn unterstützen und verteidigen, eine Instrumentalisierung der Shoa. Und das mit unheilbar gutem Gewissen.
Wenn man sich die Aufzeichnung der Veranstaltung mit dem palästinensischen Repräsentanten einschließlich der anschließenden Diskussion ansieht, bekommt man ein getreues Bild davon, welche Feindseligkeit gegenüber Israel bei Pax Christi herrscht. Salah Abdel-Shafi ist zwar Diplomat und deshalb im Auftreten zurückhaltend. Doch sein sanfter Ton vermag die Ungeheuerlichkeiten, die er immer wieder von sich gibt, nicht abzumildern. So sagt er beispielsweise: »Die Ausweitung der Siedlungen bedeutet einen De-facto-Transfer der Palästinenser, bedeutet de facto eine ethnische Säuberung der Palästinenser.« Das ist zwar schon mit Blick auf die Bevölkerungszunahme haarsträubender antisemitischer Unsinn, aber nicht zuletzt wegen solcher Sätze, so viel ist sicher, hat man den eloquenten Emissär eingeladen. Der setzt sogar noch einen drauf: »Siedlungen« sei gar nicht der richtige Begriff, findet er, besser sei der Terminus »Kolonien«. Denn Israel betreibe eine »koloniale Okkupation« mit dem Ziel, die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben.
Bei seiner Gründung 1948 habe es außerdem »die palästinensische Identität« auslöschen wollen. Generell hätten ethnische Säuberungen nicht nur die Vertreibung, sondern auch die »Vernichtung von Identität« zum Inhalt. Dass die Araber den seinerzeitigen UN-Teilungsplan ablehnten, sei außerdem verständlich, so Abdel-Shafi weiter, schließlich hätten sie Gründe gehabt, ihn als »ungerecht« zu empfinden. Mit Antisemitismus habe das jedenfalls nichts zu tun gehabt, denn der sei »kein nahöstliches Phänomen«, sondern »ein europäisches«. Die antisemitische Hetze des Muftis von Jerusalem, Hajj Amin el-Husseini, und seine Kollaboration mit den Nationalsozialisten, die antijüdischen Pogrome wie etwa 1929 in Hebron, die judenfeindlichen Passagen im Koran – all das ließ Abdel-Shafi unerwähnt. Lieber sprach er darüber, dass Israel sich immer als Opfer geriere, obwohl es doch der Aggressor sei und sich als solcher gar nicht auf Selbstverteidigung berufen könne. Trotzdem hätten die Palästinenser dem Land eine »Fünf-Sterne-Anerkennung« zukommen lassen. Wenn es aber nicht die Rechte der Palästinenser anerkenne, werde es weder in Frieden noch in Sicherheit leben.
Einwände abgewürgt, Kritiker zum Schweigen aufgefordert
Der Vortrag hatte weder mit der historischen noch mit der gegenwärtigen Realität sonderlich viel zu tun. Verdrehung reihte sich an Auslassung, Dämonisierung an Absurdität, Unterstellung an Erfindung. Abdel-Shafi stellte die Palästinenser als unschuldige Lämmer dar, die nichts lieber hätten als eine Zweistaatenlösung, aber leider einem finsteren Apartheidregime gegenüberstünden, das sie jeglicher Rechte beraube. Es gab also eine Menge Gründe, dem Mann zu widersprechen, doch außer den Repräsentanten der Israelitischen Kultusgemeinde hatte augenscheinlich niemand das Bedürfnis dazu. Und als es Anna Mitgutsch und Gideon Herman von der Linzer IKG taten, kamen sie nicht zum ungestörten Ausreden. Mal wurden sie von anderen Zuhörern unterbrochen, mal von Moderator Meinrad Schneckenleithner, einem der Vizepräsidenten von Pax Christi Österreich, der verfügte, es seien lediglich konkrete Nachfragen zugelassen. Eine Vorgabe, auf deren Einhaltung er allerdings weit weniger nachdrücklich bestand, wenn es Mitglieder und Sympathisanten seiner Organisation waren, die sich nicht an sie hielten.
Und auch direkte Fragen vonseiten der IKG-Vertreter waren nicht immer genehm. Jene beispielsweise, ob der Referent wisse, dass auch Angehörige des Hamas-Führers Ismail Haniya in israelischen Krankenhäusern behandelt werden (was unbestreitbar ist), wurde von Schneckenleithner mit der Bemerkung unterbunden, das sei »Polemik«. Unbeanstandet ließ der Moderator dagegen die Tirade eines Mannes aus dem Publikum, dessen Wortbeitrag in der Behauptung gipfelte, die Juden seien »noch viel radikaler« als die Islamisten. Zu Gideon Herman zischte ein Zuhörer: »Es wäre angebracht, wenn Sie gehen.« Anna Mitgutsch, Mitglied im Vorstand der Linzer IKG, musste sich von einem anderen Besucher anherrschen lassen: »Belästigen Sie uns nicht mit Ihren polemischen Zwischenbemerkungen.« Gegenüber Mena Watch resümierte die Schriftstellerin: »Die verhinderte Diskussion ist nicht bloß unglücklich gelaufen, die Feindschaft Israel gegenüber, die Abwehr, die Wut, die sich da Luft machte, waren sicherlich symptomatisch. Ich bin davon überzeugt, dass Pax Christi ebenso wie andere christliche NGOs von dieser von Hass nicht immer zu unterscheidenden Feindseligkeit angetrieben werden.«
Was die IKG-Vertreter entsetzt habe, sei die »wütende Verweigerung einer Debatte« gewesen, so Mitgutsch weiter. »Nicht wir haben uns der Diskussion verweigert, sondern die Veranstalter, nicht wir gingen einer möglichen Kritik an Israel durch Redeverbot aus dem Weg, sondern die anwesenden Mitglieder von Pax Christi verweigerten Richtigstellung und Diskussion.« Eine einzige Stimme aus dem Publikum habe »die Tragik der Situation berührt, indem sie von ihrer Beobachtung gegenseitiger Angst an den Checkpoints sprach, der Angst in den Augen der israelischen Soldaten und ebenso in den Augen der Palästinenser«. Doch dieser Versuch persönlicher Empathie sei ignoriert worden. Bischof Manfred Scheuer hat nun die Konsequenzen gezogen und demissioniert – ein Schritt, den Anna Mitgutsch ausdrücklich begrüßt. Dass der Rücktritt ein Umdenken bei Pax Christi einleitet, was die Haltung zu Israel betrifft, muss man jedoch bezweifeln. Dafür sitzen die Ressentiments gegen den jüdischen Staat zu tief und zu fest.