Mythos Medienkunst: Gudrun Bielz

In unserer Reihe Mythos Medienkunst versuchen wir die Situation der Kunst mit neuen Medien wie Computer und Video in den 80er Jahren in Österreich zu schildern. Eine wichtige Zeit, in der sich KünstlerInnen mit digitalen Medien vor dem Internet der 90er Jahre auseinandersetzten. Diesmal im Interview die Künstlerin Gudrun Bielz. Franz Xaver stellte die Fragen.

Versorgerin: Hallo Gudrun! Lange nix von dir gehört. Wo steckst du denn? Wo lebst? Was machst?

Gudrun Bielz: Ich habe mich in London versteckt. Die Stadt ist groß genug, um anonym zu sein und doch wieder so klein, dass man einander begegnet, in Ausstellungen, auf der Straße, im Supermarkt, …
Ich arbeite an einem Doktorat mit dem Titel: »Arctificial Territory« – das Themen wie Artificial Intelligence, posthumane Philosophie, Jenseits-Denken, emotionale Verarmung und Zwangsneurosen behandelt. Das Doktorat ist praxisbezogen, das heißt: Videos, Tonarbeiten und Text.
Manchmal unterrichte ich an der Royal Academy of Arts in London und im Großen und Ganzen versuche ich Kunst zu machen in einer Gesellschaft, die wieder dickensianische Zustände schafft. Es gibt eine Wirtschafts- und Klassenkrise in Großbritannien.
Es ist wirklich hart hier. Die konservative Regierung bestraft alle, die nicht Wirtschaftsmanager sind. Arbeitslosigkeit steigt, weil sie ja so viel einsparen, aber die Arbeitslosen werden kriminalisiert. Leute können sich Wohnen in London nicht mehr leisten und werden so aus der Stadt verdrängt. Alles wird verkauft, öffentlicher Dienst geht an Privatwirtschaft …. Kein gutes Klima.

Versorgerin: Als wir uns vor ca. 25 Jahren über Ruth Schnell kennenlernten, kam der Homecomputer gerade in Mode. Dieser war damals unerschwinglich teuer. Voller Neid blickte man immer auf die Geräte der Anderen. Kunstförderungen gab es noch keine in diesem Bereich, und irgendwie schaffte man es dann meistens doch an den Geräten zu arbeiten. Nicht nur der Computer, sondern alle technischen Geräte wurden plötzlich zum Werkzeug für die KünstlerInnen. Ich denk da an das »Videokammerl« von Karl Kowanz auf der Hochschule für angewandte Kunst – das war ja eine Brutstätte der Zukunft.
Wie haben diese Geräte deine Arbeit beeinflusst, wie bist du überhaupt darauf gekommen, technische Gerätschaften einzusetzen?


Gudrun Bielz: Als Schülerin hatte ich einen Texas Taschenrechner mit vielen Funktionen. Das was doch so eine Art Mini-Homecomputer. Als ich ein Kind war, hat die ganze Familie Radio gehört und die Funkstationen auf Kurzwelle belauscht. Mein Vater konnte morsen und hat uns interessante Abende mit ‘Schiff in Not, SOS’ etc. geboten. Die Fotoapparate meines Großvaters und neue, die meine Mutter gekauft hatte, wurden angeschaut, geöffnet, die Objektive geputzt – und natürlich hat meine Mutter viele Fotos gemacht. Die Apparate waren faszinierend.

Meine Mutter machte diese Vorführungen mit ihren eigenen Animationen mit einem simplen selbstgebauten ‘Projektor’. Projektor – Lichtstrahl – Projektionsfläche – ein magischer Raum. Heimkino, der Fernsehapparat und Kino – die Welt kam ins Heim, flackerndes Licht aus dem Fernsehapparat nach Programmende, Kino als eine andere Traumwelt.
Maschinen involviert in die Kreation von Illusion, Imagination, Realität, Virtualität, Propaganda ...

Mein erstes Kunststudium war Kunsterziehung und Malerei. Aber das hat mich nicht so interessiert – Kameras waren reizvoller. Film und Fotografie, Manipulation von Realität via Objektmaschinen. Nachbearbeitung/Manipulation in der Dunkelkammer oder am optischen Printer. Schnitt auf Steenbeck. Die London Filmmaker’s Coop (1980) war die Zauberkammer, die mir Steenbeck-Schnitt und das Entwickeln von 16mm Negativen und den Optischen Printer ermöglicht hatte – eine Wunderkammer mit Maschinen, Filmen und FilmemacherInnen.

Das ‘Videokammerl’ von Karl Kowanz war eine große Experimentierwerkstatt. Irgendwie sind die Maschinen, Computer, analogen Schnittsysteme, Videokameras, Filmkameras ALIENS, die man benutzen konnte, austesten, die einen aber auch herausforderten. Es gab so viele Möglichkeiten, das teilweise elektronische Analog-Schnittsystem auszureizen, man konnte die Synchronisation stören, den Timebase-Korrektor manipulieren, die Signale umkehren und wirklich verrückte Bilder schaffen, teilweise ohne zu wissen, was da genau elektronisch passierte. Die Techniker in Fernsehanstalten haben oft kommentiert, dass wir Videokünstler die Signale überreizten, kein sauberes Signal lieferten.

Diese Maschinen waren bereits sowas wie Mini-Artificial-Intelligence ohne sich dessen bewusst zu sein, dass sie die Grundlagen zu einer inhärenten Intelligenz hatten.

Es wirft sich die Frage auf, ob einige meiner künstlerischen Arbeiten eine Ko-Produktion von Maschinen und Künstlerin waren, und diese Maschinen mit ihrer inhärenten Intelligenz das Copyright mit mir teilen sollten? Das heißt, dass ich mal ganz provokativ die Frage von Maschine/Computer als Werkzeug auf technisches Gerät/Computer als Ko-Produzent umwälze?

Versorgerin: Genau das wäre auch Inhalt der nächsten Frage gewesen. Die Maschinen: Sie wurden benutzt, um in ECHTZEIT Manipulationen am Videosignal vorzunehmen. Das war ja eine ganz aufregende Geschichte. Das Bild musste nicht mehr statisch sein, sondern wurde dynamisch in Abhängigkeit vom Betrachter erzeugt. Dadurch entstand eine ungeheure Aufbruchstimmung im Umfeld von Video und Kunst. Und die Maschinen konnten aber meiner Meinung nach noch etwas: Da war noch die Mischung der Disziplinen – mit Tönen konnten Bilder erzeugt werden und Bilder konnten bald mechanische Geräte synchron schalten. ECHTZEIT, das war so ein ganz ganz wichtiger Begriff, der irgendwann an Bedeutung verlor, wie siehst du das?

Gudrun Bielz: Echtzeit oder Real Time – Echtzeit impliziert ja auch Authentizität oder Unmittelbarkeit. Ja, es war ein direkter Eingriff in das Signal, trotzdem umgeleitet via Finger-/Handbewegung, Tastendruck und der Zeit, die diese ganze Aktion brauchte.

Kein Rechnen oder Processing wie in Computern, die ja so schnell werden, dass alles scheinbar augenblicklich stattfindet, in Nanosekunden – und das wird zur Simulation von Echtzeit oder wenn man so will eine Re-Interpretation von Echtzeit? In den Computerwissenschaften ist Echtzeit wieder ein wichtiger Begriff geworden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass analoge Computersysteme mit Echtzeit arbeiteten, währendessen digitale Computer Echtzeit re-interpretieren? Was meinst du?

Ich mag, wie du das formulierst, die Mischung der Disziplinen – mit Tönen konnten Bilder erzeugt werden und Bilder konnten bald mechanische Geräte synchron schalten. Die Aufbruchstimmung hat Künstler auch wieder zu experimentellen ‘Arbeitern’ und Entdeckern gemacht. Das Spannende war auch die Interaktion Macher/Maschine/Produkt/Konsument oder Künstler/Maschine/Video/Betrachter, eigentlich eine Feedback-Loop-Situation, weil Macher auch Konsumenten und vice versa, und Betrachter auch Künstler und vice versa sein konnten. Vielleicht hebe ich jetzt zu sehr ab, ich habe meine Feedback-Loop-Geschichte mit meiner Doktoratsarbeit laufen. Feedback-Loop ist immer da, krieg’s einfach nicht weg. So ein anhängliches Ding.

Konsumententechnologie hat ja dieses Scenario Macher/Konsument/Macher, Künstler/Betrachter/Künster oder Konsument/Macher/Konsument. Betrachter/Künstler/Betrachter zum Höhepunkt gebracht.

Ich frage mal, ob die experimentellen, elektronisch versierten Künstler der 80er Jahre mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Neugierde und ihrer Erforschung und Erweiterung von Maschine/Ästhetik und Ansprechen von neuem Publikum die Weichen gestellt haben, dass in der elektronischen Konsumentenrevolution* jeder mal wieder auch Künstler/Macher sein kann. Musikvideos wurden ja hauptsächlich von KünstlerInnen gestaltet – damit haben sie neues Publikum erschlossen und neue Ästhetiken entwickelt, aufgegriffen von den Massenmedien – gefiltert und zurückgeworfen auf das Publikum (audiences), das wiederum entweder Singer/Star oder Videomacher/-aufzeichner werden wollte. Jeder Mensch ist ein Künstler**, jeder Mensch ist ein Star.

Versorgerin: Ich sag mal, diese Aufbruchsstimmung in den 80ern im Bereich der Video- und Medienkunst flaute Mitte der 90er Jahre ab. Siehst du das auch so? Wie hat das Internet mit seiner Schnittstelle WorldWideWeb auf dich als Künstlerin gewirkt?

Gudrun Bielz: Meinst du da spezifisch die österreichische Situation? Ich denke doch an Douglas Gordon, Gillian Wearing, Sam Taylor-Wood, Stan Douglas, und Rodney Graham hat ja auch ganz viel in den 90ern produziert. Nur ein bisschen Name-Dropping, ich weiß.
Und was ist mit den endlosen Ars Electronica- oder Siggraph-Ausstellungen, Shows, Konferenzen und futuristischen Prognosen für die Medienkunst und das Universum generell?

Die Hybridisierung der Medien hat bestimmt auch mich als Künstlerin beeinflusst. Schon allein der Titel meiner im Teilzeitstudium und daher auch bereits zu langwierigen Doktoratsarbeit »Arctificial Territory« weist darauf hin.

Ganz kurz zu dieser Arbeit: (eine Art Branding) ein Science Fiction Projekt, das einen psycholgischen Raum mittels Text und Multimedia entwirft und beschreibt, der durchdrungen ist von obsessiven künstlichen Hybriden, die ihre Entwicklung den Unsterblichkeitsfantasien ihrer Kreatoren zu verdanken haben.

Natürlich bin ich beeinflusst vom WWW, alles so schnell im Haus, open source Software, Copy-Right freie Sounds und Bilder, ein Vermischen und Vermantschen, Information kommt auf Abruf ins Haus, manchmal ziemlich schlechte Info, ein bisschen Cut und Paste, ein bisschen Propaganda, …. Großartig. Und dann alle diese Entwicklungen in Genetik, Künstlicher Intelligenz und Robotik, Nachrichten live, Twitter und ich gestehe: Facebook. Man kann seine Videos auf YouTube oder Vimeo zeigen. Größeres Publikum, noch mehr Information – Informationsüberladung – kreisch – tob – zu viel – schneller, schneller --------------- bin ich bereits so vernetzt mit Comp und WWW, dass ich ein Teil einer großen, grauen und nebulosen Suppe geworden bin? Hilfe! Wir werden alle zu Super-Erweiterungen dieses Systems, kleine Heimbüros oder wandernde Verwaltungs- und Informationsempfänger und -verteiler mit unseren iPhones und -pods. Alles beinahe live, man darf nicht die Nanosekunden-Verzögerung in der Übertragung vergessen – auch live ist eine Form von Simulation.

Du kannst so viele Identitäten via WWW und Second Life, Facebook, Online Dating-Seiten, etc. herstellen. Sich neu erfinden, sich immer wieder neu gestalten, eine Form von Metamorphose --- eigentlich was Künstler jahrelang gemacht haben, die Persona der Künstlerin ---- der Avatar, ein Persona-Pickerl, eine Vignette, ein Fußabdruck, eine Kommunikationsplakette zwischen wirklich imaginiertem Selbst und dem Ausdruck einer Laune des Selbst. Das ganze in einem Feedback-Loop. ‘In between’ ist ganz viel möglich!

Versorgerin: Stop! Warte kurz! Also ich hab dich als Interviewpartnerin ausgewählt, weil du schon vor dem Internet (WWW) im Bereich der Video- und Medienkunst tätig warst. Du hast die 90er Jahre voll in deinem Schaffen mitbekommen. Ich rede nicht vom Internet heute, mich interessiert nur der Zeitraum, in dem du das erste Mal mit dem Netz konfrontiert wurdest.

Im Gegensatz dazu entstand ja damals die sogenannte Netzkunst (Mitte der 90er Jahre).
Die vernetzte Kunst wurde natürlich nicht erst 1995 erfunden, die gab es mit der Snail-Mail-Art und Fax-Art natürlich schon Jahrzehnte früher.
Diese Netzkunst (Kunst im Internet) fällt natürlich auch unter den Begriff der Medienkunst. Ein Begriff, der im Moment immer mehr zu einer Hülle wird.
Du warst Zeitzeugin der Video- und Medienkunst – mich interessiert wie damals das Internet auf deine Arbeit wirkte.


Gudrun Bielz: Okay, hab wohl nicht so genau hingehört. Schlimm, schlimm. Du möchtest wissen, wie in den 90ern das Internet auf meine Kunst wirkte?
Ich war hauptsächlich ein User, hab hier im UK eingekauft, und die E-Mail verwendet. In den 90ern war ich mehr an Laser und radioaktivem Material interessiert. Zum Beispiel für ‘Rays, an additional catastrophe’ für Ars Electronica 1996. Ich war ein Internet Consumer. Hypertext mit seiner Vernetzung hat mich interessiert und das ganze ein bisschen mit Rhizom und Deleuze/Guattari verglichen. Das war wohl mehr für mein Schreiben von Texten.

Versorgerin: Ist auch nicht so tragisch. Mich interessiert einfach, was sich für dich in den Jahren geändert hat. Wenn man die 80er mit der Gegenwart vergleicht. Und weil’s die letzte Frage ist, wäre es super, wenn du ein Zukunftsszenario schildern könntest. Alles Gute noch – Das Schlusswort hast jetzt du.


Gudrun Bielz: Beginnend mit Hybrid Art, die Zukunft bringt mehr interdisziplinäre Kunst, Hybridisierung der Medien und hybride Welten. Kunst an der Schnittstelle von Technologie, Wissenschaft, Politik, Umwelt, Kulturen, politischem Aktivismus und Feminismus ... (wenn ich so denke, eigentlich nichts Neues, eigentlich eine Renaissance-Idee – neu vielleicht im Sinne von der mehr präsenten Wechselwirkung von Kunst und exponentiell steigernder Entwicklung in Technologie und Wissenschaft) – Kunst als utopisches Szenario, das dystopische futuristische Modelle entwaffnet.

* Ein wirklich postmoderner und von anglo-amerikanischer Politik getragener Begriff, weil der Staatsbürger hauptsächlich als Konsument gesehen wird, der arbeiten muss, damit er konsumieren kann, um die Wirtschaft aufrecht zu erhalten, die von großen Konzernen und Banken via Politikern dirigiert wird. Wir sind ja alle Geiseln der Wirtschaft, nicht wahr? Sowie die besten, leicht manipulierbaren Konsumenten. (Ein bisschen Ironie, vielleicht?)

** Okay, okay, kam ja schon von Warhol und Beuys. Finde ja die Idee von liberté, égalité und fraternité in der Kunst auch gut!