Das Höllenfürst Trio

Didi Bruckmayr über die Formation Breuer - Kern - Audiobomber, die im letzten September bei STWST48 aufgetreten und nun erneut im Rahmen des Stream Festivals in der STWST zu sehen ist.

Der Himmel ist kalt und still. Hoch darin stehen die Sterne, unnahbar und fern. Blicken teilnahmslos auf uns herab, auf das Chaos und den Müll. Mancherorts kaum sichtbar durch Smog und Lichtverschmutzung. Die Navigatoren orientieren sich an den Leitsternen. Die Unkundigen irren mit Google Maps solange umher, bis der Akku leer ist und die Finsternis sie verschlingt. Ist die Nacht klar, starren wir auf die Sternenbilder und den gekrümmten Raum. Wir verbinden Punkte zu Linien und Strukturen und weisen diesen Bedeutungen zu. Wir besingen den Mond und die Sterne. Der Trost sentimentaler Formen wärmt uns. In uns das Rauschen der Gedanken. Wir waten durch unseren geistigen Müll, um zu raren Momenten von Klarheit und innerer Stille zu kommen. Wir halten inne, bis Klingeltöne, Störgeräusche oder die Grunz-  und Kreischlaute unserer Mitmenschen uns aufwecken. 
Auch der Himmel ist vermüllt mit Raumsonden, Space Shuttles, Raumstationen, Raumsonden. Mit Satelliten für Beobachtung, Navigation, Kommunikation, Rundfunk, Spionage etc.. Mit Satellitenschrott, gefrorener Astronautenscheiße, Werkzeug, Küchenabfall, Elektroschrott. Gigantische Mengen von Datenmüll aus Überwachung, Kommunikation, Rundfunk und Militär wandern durch die Finsternis, bis sie von entnervten schwarzen Löchern in den Trash gezogen werden.

Auf der Erde füllt der Müll Deponien, Krater, Gräben, Löcher, Ritzen. Quillt aus Gefäßen, verdampft in Verbrennungsanlagen, flutet die Ozeane, kontaminiert als Giftmüll Umwelt, Lebewesen und Pflanzen. Um an dieser Welt oder am Leben gefallen zu finden, müssen wir den allgegenwärtigen Müll hinnehmen, zumal wir seine Urheber sind. Billige Massenprodukte, Abfall, Propaganda, Werbung, das »gesunde Volksempfinden« usw. bilden den »natürlichen« Hintergrund unserer Wirklichkeit. Der Müll kann getrennt, verkauft und wiederverwertet werden. Er kehrt zurück als neues Massenprodukt und/oder als Kitsch. Als ein wenig zuviel von allem, das uns aber sofort mit großen warmen Gefühlen erfüllt, für die wir uns dann heimlich schämen.

Die Linzer Stadtwerkstatt präsentierte im September 2023 STWST 48x9 »Cold Heaven, 48 hours of immersive trash«. Wir produzieren eine alternative Wirklichkeit aus Kitsch und Müll, die wir affirmieren und mit der wir aktiv interagieren. 
Für das Musikprogramm wurde von den Kuratoren eine abstruse Boygroup namens Breuer – Kern – Audiobomber konstruiert. Boygroups sind ein Produkt der Unterhaltungsindustrie mit kurzem Ablaufdatum. Vereinigungen von Sklaven oder Karrieristen mit dem alleinigen Ziel der Gewinnmaximierung, die bis zur Selbstaufgabe mit schlichten Botschaften, grellen Arrangements, großen Gesten und inbrünstigem Gesang an unseren großen Gefühlen rühren. Mit dem Auftreten von KI und Avataren werden echte Menschen zusehends obsolet. Menschen sind triebhaft, schwitzen, stinken, singen oder tanzen falsch, denken bisweilen und können es durch ihren Eigensinn niemals allen völlig recht machen. Im Gegensatz zu Models und Avataren, die mit den Daten von Milliarden Social Media- und Streaming-Profilen trainiert wurden und die Zielgruppen fehlerfrei, optimal und sauber beglücken. 

Die Auswahl der genannten Herren war grundsätzlich einfach, handelte es sich doch um »local heroes«, die durch ihre jahrelange Arbeit als Musiker und Tontechniker auch internationale Reputation genießen. Allerdings operieren sie in kommerziellen Nischen, halten sich nobel im Hintergrund und kümmern sich nicht um Moden und Trends.

Gravitationszentrum des Trios ist der Audiobomber Alexander Jöchtl. Er ist der Mond mit Laptop und Mischpult, der bei »Cold Heaven« hoch am dunklen Himmel stand und um den zwei schlagwerkende Trabanten kreisten. Der voluminöse, stets schlampig gekleidete Glatzkopf mit den feinen Ohren ist versierter Tontechniker, der viele Jahre so unterschiedliche Projekte wie die Salzburger Festspiele, Attwenger, Hans Söllner oder Fuckhead betreute. Bei letzteren agierte er auch gravitätisch auf der Bühne als König, bis ihm der arg ramponierte, niemals gewaschene Königsmantel entwendet wurde. Enttäuscht von seinem diebischen Volk dankte der König ab. Als gefragter Mastering-Engineer rettet, poliert und optimiert er sorgfältig viele Produktionen in unterschiedlichsten Genres. Als vormaliger Gitarrist in Blues-, Rock- und Punk-Bands stellte er schon vor Jahrzehnten die Gitarren in die Ecke und verwendete fortan das Studio als Instrument. Seit Jahren produziert er dort als »Höllenfürst« finstere, verstörende Dark Ambient Music für Menschen, die gerne im Unbewussten verschlossene Schränke öffnen, um in den Akten des Verbotenen oder Verdrängten zu lesen. Nach einer längeren musikalischen Zwangspause, die er 2023 feinsinnigerweise am christlichen Feiertag Ostermontag beendete, richtete der Audiobomber in einer Garage beim Theater Phönix das Höllenfürst Studio ein. Er spitzte seine feinen Ohren, kalibrierte tagelang die Lautsprecher, präparierte mit geringen Mitteln den Raum und konstruierte dann aus einem Campingsessel und einem Möbelhund den legendären Audiobomber Regiesessel.

 

Alexander Jöchtl, Audiobomber (Bild: Kevin Rieseneder)

 

Der gute Mann bewegt sich nicht unnötig, lieber hört er genau zu, bedient bedachtsam diverse Regler, verändert Parameter und wartet. Er hegt und pflegt die Audiosignale, schichtet und gruppiert mit seinen zahlreichen digitalen Helferlein - manche davon KI-trainiert – Klangflächen, Texturen und Lärm. Die Bässe massieren den Körper, die Drones fluten das Bewusstsein, kleine Melodien flackern auf. Die akustischen Ereignisse vollziehen sich langsam, die Klänge durchwandern gemächlich die dunklen Räume. KI-generierte Broken Beats torkeln vorbei. Durch endlose Effektschleifen gejagte Stimmen flüstern wirres Zeug. Kurze Zitate aus der Pop-Geschichte wie »Funky town« von Lipps Inc, Samples von Predigern aus Tiktok oder Youtube, sowie Found Audio Footage aus den kollektiven digitalen Datenbanken hallen geisterhaft im Kopf nach und verschwinden wieder ins Unbewusste. Dieser bisweilen störende, vermeintliche akustische Abfall erzwingt die Konzentration auf die eigentliche Musik. Der Müll kontaminiert das musikalische Konzept. Durch die kurze Irritation oder Erregung gelangt der Hörer zur Quintessenz, er kommt in seinen Himmel, wo Zeit und Raum praktisch suspendiert sind und die Transzendenz wirkt. Psychoakustische Phänomene wie der Shepard Tone oder der Haas Effekt verstärken die immersive Wirkung der Klangland-schaften. Zeit spielt immer eine untergeordnete Rolle, die Elemente geraten irgendwann in Bewegung und finden irgendwie ihren Platz. Es regieren der geschärfte Hörsinn und die Intuition. 
Eine Musik von dunkler Anmutung erklingt, welche tatsächlich hauptsächlich Nachts entstand, weil aufgrund der Hitze in der Garage schon bald an keine Arbeit bei hohem Sonnenstand zu denken war. Und im Dämmerlicht schärft sich der Hörsinn, der Schlaf kommt irgendwann, der Hörsinn arbeitet aber immer weiter…...und wenn die Vernunft schläft, so gebiert sie bisweilen Ungeheuer. 

 

Bernhard Breuer (Bild: Lavien Prioreau)


Auf der Bühne erweitern die zwei versierten Schlagzeuger Breuer und Kern diese Dark Ambient Music massiv. Durch sie wird der Puls der oszillierenden Bässe um komplexe rhythmische Strukturen erweitert. Die genannten ergänzen sich in jeder Hinsicht vortrefflich. Der introvertierte Bernhard Breuer studierte am Linzer Brucknerkonservatorium Jazz, reüssierte früh mit improvisatorischer und experimenteller Musik, gelangte dann durch sein reduziertes maschinenhaftes Schlagzeugsspiel in der Minimal-Techno-Band Electro Guzzi zu internationaler Reputation. Er lebt ruhig im Kaff Ottensheim und konzentriert sich auf eine Handvoll Musikprojekte. Der Immerfroh Dieter Kern ist gelernter Automechaniker, der in seiner Jugend in einer Blasmusikkapelle spielte und sich später als variantenreicher und konditionsstarker Schlagzeuger mit der rasenden Doublebass in wüsten Noiserock Bands wie Bulbul, Pest und Fuckhead weltweit den Arsch abspielte oder denselben als Performance Artist nackt dem Publikum präsentierte. Konsequenterweise wurde er auf einem australischen Festival zum »Ass of the year« gekürt. Er lebt in Wien, ist als exzentrischer DJ und Performer aktiv und frönt als gefragter Drummer praktisch täglich in unterschiedlichen Besetzungen oder mit dem Keyboarder Philipp Quehenberger seiner Liebe zum Jazz. Beide Schlagzeuger gelten als umgängliche, einfühlsame, gewissenhafte und kreative Musiker, die in ihren Projekten Improvisation und Zuhören gelernt haben. Gemeinsam entwickeln sie über einen langen Zeitraum zunächst aus Schlagzeug-Geräuschen rhythmische Texturen, dann in weiterer Folge minimale, synkopierte Rhythmen. Diese verschieben, ergänzen oder verdichten sich zusehends, oder verlieren sich in Hall- und Delay-Räumen. Menschen und Maschinen interagieren durch Improvisation und Reflexion, die Urheber-schaft der Klänge wird zusehends unklar. In den Klangmassen werden mikrotonale Verschiebungen hör- und spürbar. Der Raum, die Dinge und die Körper absorbieren und reflektieren die vielfältigen akustischen Signale. Es entstehen Klangräume von großer Tiefe und beachtlicher immersiver Wirkung. Trio und Publikum fallen in lichte Trancezustände.

 

Dieter Kern (Bild: Marlies Panciera)

 

Das Trio probt nicht, weil hierfür Zeit, Raum und die Bereitschaft des Audiobombers fehlen. Ein Audiobomber übt nicht, sondern pocht auf das Recht auf Faulheit. Die Arbeit findet anlassbezogen im Kopf, in den Ohren und an den Reglern statt. Er macht rudimentäre Vorbereitungen, legt Sessions an, hört, improvisiert, mixt und prozessiert die Signale live. Als dezidierter Trash Fan wartet er regelmäßig mit kurzen ästhetischen und stilistischen Überraschungen auf, die jedoch rasch von den Drones überlagert werden. Und wir fragen uns, was wurde zitiert, wofür, wo bin ich? Die Schlagwerker reagieren, interagieren, improvisieren. Und wenn die Shepard tones erklingen, hoch in den Nachthimmel hinaufsteigen, die Prediger sich heiser schreien und rückwärts sprechen, wenn die Bässe vibrieren, die angezerrten Kickdrums in rasendes Stakkato verfallen, ein Toben und Tosen anhebt, dann synchronisieren sich die Schlagwerker instinktiv und dreschen gemeinsam über einen langen Zeitraum bis zur völligen Erschöpfung zärtlich auf das ekstatische Publikum ein. Hiebe aus Liebe bis zum Aufwachen. Durch den pulsierenden, abstrakten Lärm zu Endorphin und Dopamin! 

Der umjubelte Auftritt des sinistren Trios findet nun im Rahmen des Stream Club Festivals im April 2024 eine Wiederholung. Im schwarzen Würfel der Stwst wird es wieder sehr heiß und feucht werden. Der Stream of unconsciousness wird fließen, die Zeit wird wieder mäandern. Wir werden nichts denken, nur fühlen. Und draußen vor der Tür unter dem schwarzen Himmel fließt weiterhin die Donau hin zum Schwarzen Meer.

 

Stream Festival, 12. - 13. April 2024

https://stream-festival.at/