Auf die spektakulären Enthüllungen der Rechercheplattform »Correctiv« reagierte die AfD höchst souverän. In arbeitsteiliger Organisation preschten zunächst Parteimitglieder niederen Ranges vor, bekräftigten, dass an den Umsiedlungsplänen gar nichts geheim sei, und gaben Anzeigen zur Akquise freiwilliger Abschiebehelfer auf. Wenig später beschwichtigten führende AfD-Politiker, die angestrebte »Remigration« betreffe keine deutschen Staatsbürger. Es ist also kein großer Aufwand für die AfD, die kritischen Recherchen für die eigene Absicherung nach allen Seiten hin zu nutzen. Einerseits muss sie nun als die Partei gelten, die insgeheim noch mehr hält, als sie verspricht, und die selbst bald kein demokratischer Rahmen mehr halten wird können. Andererseits schaffte es die AfD, liberalere Teile der deutschen Öffentlichkeit über den Umweg des Skandals mit dem Stichwort »Remigration« zu versöhnen. Remigration als mögliche Facette einer vernünftigen Asylpolitik ist in aller Munde, was für eine Partei, die dem Volk nach dem Maul zu reden angibt, ein Vorteil ist. In dieser Hinsicht wird die AfD deswegen noch vom demokratischen Rahmen gehalten, weil sie ihn mit auf ihren Weg nimmt. Innerhalb dieses verrutschten Rahmens hat durchaus noch ein Antifaschismus Platz, der sich dezidiert gegen eine tendenziell faschistische Partei wie die AfD richtet. Nicht aber einer, der der Umsetzung von AfD-Programmpunkten durch andere Parteien Paroli bietet.
Die Strategie, Faschisten durch das Veröffentlichen ihrer faschistoiden Pläne zu entzaubern, scheitert also vorläufig genauso wie eine andere, die aktuell in Österreich öfters erprobt wird: den Rechten vorzuhalten, dass sie an der Macht gar nicht so hart durchgreifen wie versprochen. ÖVP- und SPÖ-Politiker zum Beispiel fragen Herbert Kickl vorwurfsvoll, warum unter ihm als Innenminister mehr afghanische Flüchtlinge Asyl zugesprochen bekamen als unter seinen Vorgängern. Ist das ein implizites Versprechen, dass man die Unterlassung Kickls wiedergutmachen werde, die Richter des für Asylverfahren zuständigen Bundesverwal-tungsgerichtes nicht durch Rechtsextreme ausgetauscht zu haben? Von linkssozialdemokratischer Seite kommt mitunter die materialistische Erklärung, die FPÖ sei nur deswegen auf rassistische Hetze angewiesen, weil sie eine effektive repressive Asylpolitik doch gar nicht zustande brächte. Doch vielleicht sind solche Aussagen Teil einer neuen Strategie, rechts zu blinken, um ungestört links überholen zu können? Wie unerhört und für österreichische Verhältnisse beeindruckend ist es schließlich, dass Andi Babler mit »unseren Leuten« Lohnabhängige unabhängig der Herkunft meint. Die aufklärerische Wirkung dieser Rhetorik ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig fordern Andi Babler und manche seiner Leute »mehr effektive Rückführungen« und eine bessere Eindämmung der »irregulären Migration«. Doch das widerlegt die Authentizität der sympathischeren Aussagen nicht unbedingt. Effektive Abschiebungen: Das könnten solche Abschiebungen sein, die geordnet vonstattengehen, ohne viel Aufhebens; ohne begleitende rassistische Hetze, die Gegenwehr provozieren, brav arbeitende Menschen mit Migrationshintergrund einschüchtern und dringend benötigte ausländische Fachkräfte davon abhalten könnte, in Österreich Arbeit zu suchen. Es zeigt sich hier ein Antifaschismus, dem an den Nazis von heute auch sauer aufstößt, dass sie an der Macht den rassistischen Normalvollzug des kapitalistischen Staates stören könnten. In Deutschland wurden im Windschatten der beeindruckenden Proteste gegen die AfD eine Abschiebeoffensive und eine Verschärfung des Asylrechts durch die nominell linksliberale Regierung beschlossen. Die Massendemonstrationen erfüllen auch die Funktion, die deutsche Mehrheitsgesellschaft vom möglichen Vorwurf freizusprechen, sie weise typische Charakteristika einer Mehrheitsgesellschaft auf. In Dänemark bereuen manche für die unfassbar rigide Anti-Einwanderer-Politik (einschließlich der »Anti-Getto-Gesetze«) der letzten Jahre zuständigen sozialdemokratischen Minister mittlerweile ihre Entscheidungen, nicht nur mit moralischen, sondern auch mit arbeitsmarktpolitischen Begründungen. Aus der Sicht des Kapitals ist die Situation in Österreich und Deutschland wohl noch eine Spur angenehmer. Vertreter der antifaschistischen Mehrheit kümmern sich mit ihren kämpferischen Abschiebeoffensiven und »Grenzfortifizierungen« zwar um die Abwehr des ausländischen, die Sozialsysteme belastenden Ballastes. Dem Rest, Menschen also, die gerade dazu gebraucht werden, den Betriebsablauf im Tourismus, in der Gastronomie, in Krankenhäusern, im Handel und in Technikberufen nicht stocken zu lassen oder die Alterspyramide nicht zum Keil werden zu lassen, begegnen sie mit Worten der Diversität. Rechtsextreme sehen einige ihrer Forderungen erfüllt, fahren jedoch mit ihrer Hetze fort, um ihre Existenz weiter legitimieren zu können. Diese gibt ihren Gegnern die Möglichkeit, sich selbst im guten Licht dastehen zu lassen, und den Abgehängten, die darauf hereinfallen, da unten weiterhin die Ausbeutung ins gute Licht zu rücken. Die damit angesprochene Funktion der rassistischen Hetze, in der Krise kein Klassenbewusstsein aufkommen zu lassen, soll in der Analyse zwar nicht ökonomistisch »vereigentlicht« werden. Sonst landen wir bei der Forderung: Der somalische Flüchtling und der schlecht bezahlte Abschiebepolizist sollen erkennen, dass sie im selben Boot sitzen. Doch die Realität bemüht sich redlich, dem Vulgärmaterialismus zu seinem Recht zu verhelfen. Der Schweizer FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt zum Beispiel wirbt gerade mit dem Satz »Eine Erhöhung des Rentenalters kann die Zuwanderung reduzieren« für eine Forcierung der Ausbeutung.
Kritische Linke fragen, wie die Beteiligung von CDU-, SPD- und Grünen-Politiker*innen an den antirassistischen Protesten zur Umsetzung einer noch strengeren Asylpolitik passt. Eine mögliche Antwort ist also: Die Förderung eines Gleichgewichts von barbarischem Grenzregime; staatlicher Rhetorik der Vielfalt für diejenigen, die es »geschafft« haben, in Deutschland legal bleiben zu können; und mehr oder weniger machtloser Akzeptanz der Hetze von rechts entspricht einer gewissen Rationalität. Wenn auch einer fürchterlichen. Wenn nun trotzdem Linke gemeinsam mit Vertreter*innen der SPD (»im großen Stil abschieben«), der CDU (»kleine Paschas«) und der FDP (»Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden […], ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer«), oder der ÖVP (»Syrer, Afghanen, Araber haben die Macht über den Brunnenmarkt übernommen«) und der SPÖ (siehe oben) gegen AfD und FPÖ vorgehen wollen – dann tun sie das wohl in der berechtigten Überzeugung, dass die Unterschiede zwischen diesen Parteien und den Rechtsextremen essentiell sind. Und im Idealfall ohne zu übersehen, dass sie gleichzeitig nur graduell sind.
Was fordern AfD und FPÖ offiziell in Asylsachen? Schikane und Rechtseinschränkung für bereits hier lebende, (noch) nicht anerkannte Flüchtlinge; Erbarmungslosigkeit bei Abschiebungen; Abschaffung des Asylrechts; »Festung Europa«; »Alternativen« für das europäische Asylrecht »in den jeweiligen Regionen« (FPÖ).
Hier also ein komprimierter Überblick über die teilweise Umsetzung solcher Wünsche durch konservative, sozialdemokratische und grüne Parteien oder durch EU-Institutionen.
Soeben beschlossen Deutschlands Bundesländer die Einführung einer sogenannten Bezahlkarte für Asylwerber*innen. Es handelt sich dabei um ein klassisches »Diskriminierungsinstrument« (PRO ASYL), konzipiert, um »Anreize für illegale Migration zu senken«. Dadurch werden die Bargeldverfügung Geflüchteter sowie Überweisungen eingeschränkt – wodurch es, als nur ein Beispiel, auch schwieriger werden dürfte, Rechtsbeistände zu bezahlen –, sowie möglicherweise die Freizügigkeit der Betroffenen geschmälert. Deutschland führte im Jahr 2023 zudem wesentlich mehr Abschiebungen als im Vorjahr durch (alleine von Jänner bis Oktober 13.500, plus 24.000 »freiwillige« Ausreisen). Darunter finden sich so schreckliche Beispiele wie eine Abschiebung einer hilfesuchenden Afghanin nach Teheran, von wo sie nach Kabul verbracht wurde, Trennungen von Familien, in einem Fall die Räumung eines ansonsten heiligen Kirchenasyls, oder die Abschiebung eines Oppositionellen quasi direkt ins tadschikische Gefängnis. In Österreich entschied der Verfassungsgerichtshof, dass die Rechtsberatung für Flüchtlinge durch die Bundesbetreuungsagentur (BBU) – die an Weisungen des Justiz- und Innenministeriums gebunden ist – teilweise verfassungswidrig ist. Bis 2019 hatten unabhängige Hilfsorganisationen die Rechtsberatung übernommen. Wer die Entscheidungspraxis des dem Innenministerium nachgeordneten Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) kennt, ahnt die Notwendigkeit einer vom Innenministerium komplett entkoppelten Rechtsberatung. Für beide Länder gilt, dass die Rechtsprechung – auch in zweiter Instanz – gegenüber manchen Flüchtlingsgruppen extrem repressiv ist. So werden nach wie vor jesidische Geflüchtete in den Irak abgeschoben, Kurd*innen können in Österreich oder Deutschland nur selten Schutz vor Verfolgung in der Türkei erhoffen, und nur den wenigsten russischen Deserteuren wird Asyl zugesprochen. Doch vielleicht wird über all das bald nicht mehr diskutiert werden müssen, spricht sich doch die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm dafür aus, alle Menschen, die in Europa Asyl beantragen, sofort in »sichere Drittstaaten« zu verbringen und für immer dort zu lassen. Ein neuer Vorschlag der EU-Kommission zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität sieht auch die Bestrafung von »Anstiftung zur unerlaubten Einreise« vor. Laut Expert*innen könnte dies dazu führen, dass öffentliche Botschaften wie »Refugees Welcome« oder »Kein Mensch ist illegal« – illegalisiert werden.
Nichts Neues sind Berichte über die Zusammenarbeit mit Diktaturen (jüngst etwa: Ägypten) und imperialistischen Herrschern (Erdogan) zur Flüchtlingsabwehr, Finanzierung und Training der brutalen libyschen Küstenwache, Flüchtlingsgefängnisse in Bulgarien und Ungarn, unfassbare Gewalt von kroatischen Grenzschutzpolizisten, regelmäßige Pushbacks, herbeigeführte Katastrophen wie das Schiffsunglück vor Pylos im Juni 2023, strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechts-anwält*innen durch griechische Behörden usw. usf. Zu all dem kommt nun die im Dezember beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hinzu, nach deren Implementierung, PRO ASYL zufolge, »die Dystopie eines Europas der Haftlager zur Realität wird«. Ein Großteil der in Europa ankommenden Geflüchteten soll juristisch als nicht eingereist gelten (»Fiktion der Nichteinreise«), und in sogenannten Asylgrenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen – ohne Recht auf profunde Beratung – auf die Entscheidung der Behörden warten. Neu ist auch, dass die endgültige Externalisierung der EU-Außengrenzen, wie von Migrationsforschern wie Gerald Knaus in Form der vielgepriesenen Kooperation mit Drittstaaten gefordert, als Gebot der Humanität verkauft wird. Dabei geben Türkei-Deal, Ruanda-Pläne Großbritanniens und Dänemarks, oder auch die brutale Verlagerung der australischen Asylkontrolle in den Inselkleinstaat Nauru die Marschroute vor. Der pragmatische Vorschlag einer – menschenrechtskonformen – Flüchtlingskontrolle in »sicheren Drittstaaten« ist eigentlich utopisch. (Hier sogar im wahren Sinn des Wortes.) Kein Wunder, dass dann die alte Utopie, die alte humanitäre Vision: Beibehaltung eines Restes des Asylrechts in Europa, als linksradikaler Wahn erscheint.
Wer trotz alledem das Bündnis mit den vielen kleineren Übeln sucht, tut dies wahrscheinlich aus guten Gründen. Eines wäre aber ein Fehler: die humanistische antirassistische Rhetorik aufzugeben, weil instrumentell-vernünftige Argumente wie »die Gesellschaft darf nicht überaltern« oder »wir brauchen ausländische Fachkräfte für den Wohlstand« den Menschen eher einleuchten würden. Zum einen hieße das ja, völkischem Denken mit Argumenten zu begegnen, die selbst der Volkskörper-Logik nicht fern stehen – ist doch auch hier die Funktionalität des Volkes zum Wohle des Staates im Vordergrund. Zum anderen wird dabei die schreckliche Verdinglichung von Migranten zu Lückenbüßern durch die Verdinglichung der defizitären »Einheimischen« ergänzt: Wird ihr rassistischer Wahn gebremst, wenn sie unablässig »Du bist nicht jung und frisch genug!« oder »Du bist nicht Fachkraft genug!« hören? Das alte Versprechen der Rechten, dieser Form von Entmenschlichung zu entkommen, lautet ja: »Du genügst, weil du Deutscher/Österreicher bist!« Auch in dieser Hinsicht würde die richtige Formel »Menschen, die Schutz suchen, sollen Schutz bekommen« weniger Schaden anrichten.