Sicherheit hat ihre Preise

Didi Neidhart über den neoliberalen »Law & Order«-Diskurs nicht nur im aktuellen Wahlkampf.

Wahlkampf ist, wenn einem die Augen brennen, weil etwas in selbige sticht, von dem zuerst gar nicht klar ist, ob es sich nicht doch um eine optische Illusion handelt. Vielleicht war ja die Nacht zu lang oder die Wahrnehmung einfach so scharf, dass die Wirklichkeit wieder mal einen phantomhaften Charakter angenommen hat. Für Schopenhauer stellten solche Realitätsirritation bekanntlich ideale Voraussetzungen für die Philosophie per se dar. Andererseits lauern hier auch Wahn und Paranoia. Womit wir beim eigentlichen Thema und dem Grund des Augenbrennens wären. Ins Auge stachen zwei Plakate. Einmal mit einem bedrohlichen Messer und dem Slogan »Angst vor Gewalt?«, einmal mit einer Spritze und dem Satz »Neues Spielzeug für Ihr Kind?«. Ob des optisch derart reisserischen Stils denkt das Hirn dabei zuerst gar nichts Böses, sondern eher an einen Werbegag, der auf eine Ausstellung mit Plakaten zum Thema »Recht & Ordnung« aus der Zwischen- bzw. frühen Nachkriegszeit vielleicht etwas ungewöhnlich aufmerksam machen will.

Nur handelt es sich dabei um zwei neue Plakate der Linzer-ÖVP, mit denen sie im aktuellen Wahlkampf mit dem Thema »Sicherheit« punkten will. Aber es ist auch immer schön, wenn Ideologie so ganz ohne Umschweife transparent wird. Besonders der Linzer ÖVP-Vizebürgermeister Erich Watzl (Lieblingsbuch laut Homepage »Der Fürst« von Machiavelli) findet »Linz muss sicherer werden«. Dabei stützt er sich auf eine »Bürgerbefragung« zum subjektiven Sicherheitsempfinden der »Linzer/innen« und sagt allen möglichen »Straftäter/innen« den Kampf an.

Nach den Vorkommnissen in Linz am 1. Mai (und den - sagen wir mal - falschen Erinnerungen einiger Polizisten daran) stellt sich hier auch gleich eine ganz andere Frage: Warum wird nach so einem Exzess der Polizei nach »mehr Polizei« (plus »Stadtwache«) geschrien und nicht auch nur für eine Sekunde nachgedacht, ob da nicht vielleicht von Seiten der Exekutive etwas total falsch gelaufen ist (die pöbelnden Neo-Nazis am Hauptplatz kamen ja ungeschoren davon)? Worum geht es hier? Wer befand sich am 1. Mai überhaupt in einem rechtsfreien Raum?

Oder in Krems? Sehen wir hier nicht noch exemplarischer wie der neoliberale »Law & Order«-Diskurs läuft? Wenn in der »Krone« dabei »Das freie Wort« vom »Berufsrisiko« des Einbrechers »von der Polizei erschossen zu werden« spricht, Erinnerungskultur betreibt (»Ich erinnere mich immer wieder an den Spruch: Stehen bleiben, oder ich schieße! Jeder, der stehen bleibt und die Hände hochstreckt, hat nichts zu befürchten.«) oder Michael Jeannée feststellt »Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben.«, dann geht es nicht nur um menschenverachtende Aussagen. Hier wird auch klar, wie sehr Eigentumsdelikte als Kapitalverbrechen angesehen werden. Eben als Verbrechen am »Kapital« (dem Geld). Und noch etwas fällt auf: Verglichen mit dem Hass, der in der »Krone« über den von hinten erschossenen Jugendlichen ergossen wird, kommen die Verursacher der Wirtschaftskrise (wo ja mittlerweile wieder »Crisis? What Crisis?« gilt) eher gut weg. Ärger schon, aber Hass? Gut, die FPÖ hat wieder die Karte mit den Bankern von der »Ostküste« gezogen, aber das wars dann auch schon. Für historisch belegbare Zusammenhänge zwischen Wirtschaftskrisen, staatlichen Sparprogrammen (z.Bsp. im Jugendbereich) und steigenden Kriminalitätsraten interessiert sich sowieso niemand. Könnte aber in John Savages unlängst erschienenem Buch »Teenage« (Campus Verlag) auch einfach mal nachgelesen werden.

Für Populisten stellen sich solche Fragen natürlich nicht. Für konservative vielleicht etwas anders als für rechtsradikale (wobei hier keine Namen genannt werden, weil wir ja sonst geklagt werden könnten). Die konservative Paranoia vor allem was nicht ihrem Phantasma einer nie gewesenen (gottgewollten) Weltordnung entspricht, hat sich jedoch nicht nur wegen der Konkurrenz von rechts radikalisiert. Funktioniert doch der Staat im Neoliberalismus am besten als parlamentarische Autokratie mit dem Volk als potentiellem Feind. Wenig verwunderlich stimmen in der vor ein paar Monaten veröffentlichten österreichischen Wertestudie dann auch 27 Prozent dem Satz »Wo strenge Autorität ist, dort ist auch Gerechtigkeit.« zu. Der Gleichheitsgrundsatz wird ausser Kraft gesetzt. Die strenge Hand (etwa von »Landesvätern«, die sich »voll und ganz hinter die Polizei« stellen) herbeigewünscht.

Das macht aus den westlichen Demokratien schleichend genau das, als dessen Antithese sie sich immer gehalten haben. Deshalb wurde auch als erstes nach dem »Ende des Kommunismus« das Soziale aus der Marktwirtschaft getilgt. Und weil es genau jene Sicherheiten, die die soziale Marktwirtschaft noch garantiert hat, nicht mehr gibt, sind alle verdächtig (Konservative sind ja nicht ganz blöde). Nur sind nun jene, die auf die schiefe Bahn kommen, nicht einfach gestrauchelte Existenzen, sondern Loser innerhalb eines Systems, wo es doch jeder mit etwas Eigeninitiative und Fleiß schaffen könnte. Und vom (faulen) Loser zum (kriminellen) Systemfeind ist es bekanntlich nur ein kurzer Schritt. John Dillinger konnte ein Liedchen davon singen.
Auch Populisten brauchen weniger Schuldige (was ja jeden mal treffen könnte), sondern Feinde (die radikal Anderen eben). Und das Thema macht ihnen sichtlich Spaß. Ökonomie ist da viel zu kompliziert, Soziales reimt sich zu leicht auf Sozialismus und Bildung ist sowieso ganz was anderes. Dafür sind »hohe Quoten an Sozialfällen«, »hohe Bewohner-Fluktuationen« und ein »hoher Migranten-Anteil« dem emotionalen Sicherheitsgurt der »Linzer/innen« mehr als abträglich. Also braucht es laut Watzl »Mehr Polizisten für Linz« und natürlich die obligatorische Stadtwache, um gegen »Straßenmusikanten/innen und Bettler/innen sowie bei Lärmbelästigungen, Sperrstunden-Verletzungen und bei Verletzung sonstiger städtischer Verordnungen« vorgehen zu können.

Im »Sinne von Sicherheit, Sauberkeit, Ruhe und Ordnung« soll es zudem Videoüberwachungen in den Öffis geben. Nun gehört es zur Logik solcher Forderungen, damit gar nicht durchkommen zu müssen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Denn wer dagegen stimmt (wie etwa SPÖ und Grüne), macht sich sogleich mitschuldig an Handtaschendiebstählen, Schulschwänzen, Einbrüchen und Schlimmeren.

Dagegen helfen bekanntlich auch keine Fakten und Zahlen. Etwa die Erkenntnis, dass Videoüberwachungen keine Verbrechen verhindern oder wie im beinahe total überwachten London sogar zu einem Anstieg von Innenstadt-Delikten führten, weil die Polizei abgezogen wurde und der Weg von ihren »Big Brother«-Überwachungskammerln zum Tatort halt auch Zeit braucht.

Andererseits erleben wir ja schon seit Jahren bei allen Debatten um Sicherheit im Sinne von »Law & Order« eine Tendenz zu immer mehr Überwachungen, Kontrollen, Reglementierungen und der sukzessiven Einschränkung demokratischer Freiheitsrechte. Weil was die Wirtschaft darf, das dürfen die BürgerInnen in diesem Denken noch lange nicht.

Die kapitalistische Logik der Gewinnmaximierung (neoliberal dann auch noch »By all means neccessary« gestattet und gewollt) definiert hier auch die immer aberwitziger werdenden Vorstöße zu noch mehr zwischen Staat und Privat aufgeteilter Totalüberwachung. Klar, es geht ja auch ums Geschäft. Je mehr Polizei politisch abgebaut wird, desto mehr Gelegenheiten, die Diebe machen, desto größer der Markt für private Security-Firmen. Dabei sollte es auch nicht verwundern, dass Gesetztesverschärfungen immer von jenen gefordert werden, die zuvor (wie etwa in Wien) massenhaft Polizeistellen mitabgebaut haben. Auch so funktionieren kontrollgesellschaftliche Fünf-Jahres-Pläne. Die Politik zieht sich zwar aus fast allen Bereichen, die Crime verhindern könnten zurück (Sozial-, Bildungswesen, ökonomische Grundsicherungen), bastelt jedoch eine unsichere Wirklichkeit (inklusive diversen Vorschlägen für Anlassgesetzgebungen, die für einen Martin Graf nie in Betracht kommen würden) nach der anderen zusammen.
Kurz: Zuerst Unsicherheit schaffen, um später mehr und verschärfte Sicherheitsmaßnahmen zu fordern. Präventionen werden so als Spinnereien von »Gutmenschen« abgetan. Die kosten ja zuviel und würden dem Security-Business (das ja auch nach dem Gesetz von Angebot & Nachfrage funktioniert) auch Jobs wegnehmen. Crime pays - nur halt anders als wir es etwa von den »Sopranos« her noch kennen.