Die Feststellung ist nicht gerade neu und auch nicht sonderlich originell. Dass Blödheit medial fabriziert wird, ist seit Erfindung »der Medien« ein beliebter Topos kulturpessimistischer Dystopien. Was wurde da nicht schon alles vorausgesagt. Nicht umsonst gleichen sich die Aufschreie der letzten 50 Jahre immer wieder so sehr. Es reicht, Begriffe wie »Kino«, »Comics«, »Beatmusik«, »Computer«, »Internet«, »Videogames« einfach mal auszutauschen und aktuelle Debatten lesen sich wie solche aus den 1950ern. Dennoch hat sich etwas verschoben, ist es zu Brüchen gekommen, und genau hier setzten Metz und Seeßlen auch an.
Auch sie kämpfen mit dem blöden Gefühl, dass früher einiges besser war (in den Medien, der Politik, im Pop). Wir kennen das selber, wenn es mal wieder um prägende TV-Erfahrungen aus den 1970er und 1980ern geht, weil wir es nicht packen, dass schon damals als verstaubt erachtete TV-Show-Konzepte permanent noch verstaubtere Revivals in der Maske hipper Entertainmentinnovationen erleben. Was ist also anders geworden? Zum einen gab es einen Wechsel vom Industrie- über den Dienstleistungs- bis hin zum aktuellen Finanzkapitalismus mit all seinen Folgen. Zum anderen ergänzen sich der private Mediensektor und der Neoliberalismus aufs vortrefflichste. Gerade im deutschsprachigen Raum treffen diese beiden Aspekte beinahe zeitgleich zusammen. Und das ist kein Zufall. So wie sich der Staat im Sinne von »Privatisierungen« immer mehr aus seiner Verantwortung (kurz: Politik zu machen) zurückzieht, so zieht es die öffentlich-rechtlichen immer mehr zu Programmen, die den privaten Blödmaschinen in nichts nachstehen (und dabei meist noch blöder sind, weil Blödheit irgendwie dann halt doch auch dem Primat einer echt gelebten Blödheit verpflichtet ist).
Bei dieser Sicht der Dinge wird die »freie Meinungsäußerung« (nicht zu vergessen die »Vielfältigkeit der Meinungen« durch möglichst viele Privat-Sender) in der »freien Presse« hauptsächlich vom Staat (Stichwort »gleichgeschaltete Medien«) und einer ominösen »linken Meinungshegemonie« bedroht, wohingegen die quasi zensurfreie Meinungsentfaltung über den freien Markt von durch Inseraten finanzierte Medien garantiert wird.
Aber wie der Gefahr entkommen, angesichts der »Glanzlosigkeit der neoliberalen Kultur«, die von Enzensberger für die 1960er/1970er diagnostizierte »Kleinbürgerhölle« plötzlich in einer Art verzweifelter Retro-Befindlichkeit als doch nicht so schlecht zu hypen? Für Metz und Seeßlen zeigt sich gerade hier die Bruchstelle. Ähnlich wie Diedrich Diederichsen in »Eigenblutdoping« bleibt für sie die »Kleinbürgerhölle« eine Hölle, aber es war (noch) eine Hölle, aus der es Auswege gab. Sie war nicht (wie etwa das, was uns täglich mittels Reality-TV als »Unterschicht« vorgeführt wird) ein Endpunkt. Diese Auswege wurden nicht zuletzt durch »Schmuggelwaren« in den Medien angezeigt (Fernsehspiele, TV-Experimente, TV-Diskussionen mit open end). Und die fehlen – wie auch die ökonomische und soziale Sicherheit – mittlerweile fast gänzlich. Eine Kritik daran ist nicht nur deshalb so kompliziert und komplex, weil die Verflechtungen zwischen Medien und Politik gerade in ihrer blanken Offenheit mittlerweile für so logisch gehalten werden (neoliberale Ökonomie hält sich ja bekanntlich für ein unumstößliches Naturgesetzt) wie die Rede vom Staat, der kein Geld hat, aber für Bankenrettungen dann doch. Das Problem einer (linken) Kritik sind eher die Rückzugsgefechte der »Ideologie der Mitte«, die laut Metz und Seeßlen kulturell zwar eh nichts mehr zu melden hat, deshalb jedoch umso heftiger gegen Intellektuelle und Unterschicht mobilisiert. Exemplarisch dafür stehen konservative PolitikerInnen, die es sich nicht verbeißen können, bei ihren sporadischen Geißelungen des »Scheißprivatfernsehens« im selben Atemzug auch immer wieder die »Intellektuellen Besserwisser« in ihre Schranken weisen zu müssen. Gerade solche »Geschmacksbürger« (speziell wenn sie wütend sind) machen »nicht zuletzt die Kritik an jener Kultur schwer, die zugleich eine Kultur der Unterschicht ist, eine Kultur, die diese Unterschicht erzeugt, und schließlich eine Kultur, die sie verhöhnt.«
Was ist nun jedoch konkret unter »Blödheit« zu verstehen? Wie mit dem Begriff »Blödheit« überhaupt eine Kritik ausformulieren, die sich nicht als Anti-Blödheit erneut auf den selben Erfahrungshorizont wie das Kritisierte bezieht und auch nicht »die Medien« unisono als blöde begreift.
Metz und Seeßlen definieren »Blödheit« als »Dummheit plus 'Benommenheit'«, wobei sich »Dummheit« als ein Nicht-Wissen im Sinne von »Nicht-wissen-Wollen«, »Nicht-gewusst-haben-wollen« manifestiert. Diese Abwesenheit von »Klugheit« (definiert als »Wissen plus Intelligenz«) findet sich nun in den Medien (im Boulevard ebenso wie im »Qualitätsjournalismus«), in Bildungseinrichtungen (hier durch Ökonomisierung/Quantifizierung), der Ökonomie (etwa beim »silly money« des neoliberalen Finanzkapitalismus wie bei der Annahme, die »Wirtschaftswissenschaften« würden zu den »exakten Wissenschaften« gehören) und in der Politik (»Blödheit« als Ziel der postdemokratischen, mediokratischen Ideologie).
In den letzten 20 Jahren hat Blödheit ihren Peinlichkeitsfaktor fast komplett verloren. Statt »Cash from Chaos« gilt »Cash from Stupitity«. »Denken« jenseits des »Markt-Denkens« ist etwas für das intellektuelle Lumpenproletariat, das sich dem »Wissensmanagement« verweigert und das vielleicht gerade noch als »fast beliebig zu manipulierendes und auszubeutendes globales intellektuelles Proletariat – und Subproletariat« der »Entrechtung der Kreativen« durch die Cultural Industries zuspielt. Denn auch »die Klugen« sind schon lange nicht mehr »die Guten«, auch weil Bildung immer »dümmer« wird und der Bluff so lange zum guten Ton, zur Eintrittskarte in die (politische) Promi-Society gehört, bis das Plagiat auffliegt.
Deshalb muss »Dummheit als Ideologie« auch als »Klassenkampf von oben« betrachtet werden.
»Die Blödmaschine ist eine besonders tückische Waffe im Klassenkampf von oben geworden. Sie erzeugt zugleich, was sie bekämpft, sie bestraft, was es ohne sie in dieser Form womöglich gar nicht gäbe.« Erzeugt wird eine »Unterschicht«, die entsprechend des neoliberalen Dogmas der Ich-AGs, nie ein »Klassenschicksal«, sondern immer nur ein »Einzelschicksal« vor Augen hat (im privaten Umfeld wie in den Reality-Shows). Wer es nicht schafft – und das postulieren die »Medien der Entwürdigung« tagtäglich – ist »selber schuld«. Wie soll sich denn auch ein Subjekt gut fühlen, wenn es scheinbar selbst dafür zu blöde ist, in die Riege der »besonders talentfreien Selbstüberschätzer« einer x-beliebigen Casting/Reality-Show zu kommen?
Speziell in Österreich adelt Dummheit. Ebenso »too small to do good doping« (weshalb nur »bad doping« betrieben werden kann), wie human im Umgang mit Gesetzesverstößen falls von den Gesetzen, gegen die verstoßen wurde, zum Zeitpunkt der Tat nicht gewusst werden konnte, dass es sie gibt (Dörfler).
Deshalb kann ein Uwe Scheuch nach dem Gerichtstermin und vor einem Interview »als Promi« beim Beach Volleyball-Turnier locker sagen: »Ich würde von jedem anderen den Rücktritt verlangen, ist doch klar! Das ist eben das politische Spiel.«
In den und durch die (privaten) TV-Blödmaschinen hat sich das Verhältnis von Promis zu PolitikerInnen dahingehend verlagert, dass erstere nun Politik gestalten, während hingegen zweitere alles tun, damit Politik endlich zu einem Ende kommt (Wahlen werden schon lange eher durch Auftritte in Society-Formaten gewonnen). Was sie jedoch eint, ist nicht zuletzt die Frage, womit die denn eigentlich nun ihr Geld verdienen.
Das Erschreckende an einem Buch wie »Blödmaschinen« ist dann auch, dass selbst die polemischsten darin getätigten Äußerungen (Denken und Theoretisieren soll ja auch Spaß machen), immer noch der Medienwirklichkeit hinterherhinken.
Dazu nur zwei Beispiele: Nachdem in Fukushima der erste Reaktor in die Luft geflogen war, konnte ein »Experte« allen Ernstes minutenlang davon quasseln, dass es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach möglicherweise auch um eine »kontrollierte Explosion« gehandelt haben könnte. Weder explodierte der Experte daraufhin, noch wurde er in seiner »freien Meinungsäußerung« eingeschränkt.
Als in der Woche, in der die Praktiken der britischen Murdoch-Presse (angezapfte und abgehörte Telefone von Promis, PolitikerInnen und Hinterbliebenen von Terroropfern) immer mehr ans Tageslicht kamen, dieses Thema durch die Terroranschläge in Norwegen aus den Headlines verdrängt wurde, starb bekanntlich auch Amy Winehouse, woraufhin sich im TV diverse LondonkorrespondentInnen in Ermangelung eigener Informationen doch wirklich auf »die wie immer in solchen Sachen bestens informierte britische Presse« bezogen, um von Sex & Drugs und »Soul-Legende« daherzufaseln.
Auch wenn die Autoren verhalten optimistisch mit dem Satz »alles, was man denken kann, kann man auch ändern« schließen, so bleibt doch mindestens eine Frage offen: Was, wenn das Denken der Blödmaschinen darüber hinaus geht?