»Jaa-wolll!« ruft Eugenie Kain Richtung Bühne. TheaterbesucherInnen schrecken zusammen, Köpfe wenden sich um. Eugenie sitzt aufrecht, zwischen Mutter Margit und Tochter Katharina, mit verschmitztem Lächeln, roten Wangen und in Gedanken ganz beim Stück. Peppone hat Don Camillo im Schwitzkasten: »Kinder sind unsere Zukunft und ich bin froh, dass Ihnen das Zölibat jede Mitwirkung an dieser Zukunft verbietet, sie Eunuch!« Der Kommunismus hat über den Katholizismus gesiegt! Ein Grund zu feiern. Der Wein fließt in Strömen, es wird getanzt – Liebe, Freundschaft und das Leben sollen gefeiert werden.
Das Theaterstück »Don Camillo und Peppone« im Waldviertler Hoftheater wurde von einem guten Freund inszeniert, im Ensemble waren bekannte Gesichter, eine Verwandte spielte die kommunistische Parteisekretärin. Eugenie Kain war im Kreis von Familie und guten FreundInnen, vielleicht das letzte Mal in dieser Konstellation. Das im Takt fröhlich wippende, um den Haarschopf gewickelte Kopftuch sollte an diesem Abend der einzige Hinweis auf ihren langen Kampf mit dem Krebs sein. Wut, Angst oder Schmerz waren ihr nicht anzusehen, niemand hätte gedacht, dass es so schnell gehen würde und Eugenie Kain in einem halben Jahr nicht mehr leben würde. Der Tod kam nicht überraschend, aber doch viel zu früh.
Eugenie Kain, 1960 in Linz geboren, war eine starke Persönlichkeit, in sich ruhend, langsam und bedächtig in ihren Bewegungen und Argumentationen, den Blick immer geschärft. Ihre Worte waren bestimmt und von Bedeutung. Eugenie Kain war eine große Literatin, fein und sensibel in der Sprachfärbung, die lyrisch und musikalisch anmutete, ehrlich und wohl überlegt in der Wahl ihrer Worte. Ohne moralisch den Zeigefinger zu erheben zeichnete sie ein sensibles und doch messerscharfes Bild von Missständen und sozialem Ungleichgewicht.
Eugenie Kain arbeitete neben ihrer literarischen Tätigkeit als Beraterin im sozialen Bereich und war aus der kulturellen und politischen Landschaft von Linz nicht wegzudenken. Sie liebte die Donau und die Flecken und Plätze in Linz, die beim ersten Besuch der Stadt nicht ins Auge stechen. Viele ihrer Erzählungen sind im oberösterreichischen Zentralraum angesiedelt, zumeist an den Rändern der Stadt Linz. Sie beschreiben ein Leben an der Peripherie, ein Leben an der Grenze von Stadt und Land, ein Leben an »Nicht-Orten« und auch ein Leben im ständigen Zwischenraum zwischen Selbstbestimmung (der Wunsch nach einem Leben abseits der konservativen, bürgerlichen Bahnen) und den gestellten Erwartungen des Umfeldes. An den Rändern der Stadt zu wohnen und gleichzeitig an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden, einem Bild nicht zu entsprechen, sind Themen, die Eugenie Kain schon lange beschäftigten. Es ist der Raum, der sowohl topographisch als auch sozial in eine Sackgasse führt. Der Blick in den Raum öffnet in ihren Erzählungen den Blick auf die Menschen.
AußenseiterInnen, arbeitslose, rastlose, kranke oder der Gesellschaft nicht entsprechende Menschen sind die Figuren, die im Zentrum der Betrachtung ihrer Geschichten stehen. Es sind nicht die »kleinen, schwachen Leute«, denen hier Beachtung geschenkt wird, es sind Menschen, die Tag für Tag wahre Stärke und Mut beweisen müssen. Eugenie Kain widmet sich den Menschen, die durch äußere Einflüsse, auferlegte Grenzen und gesetzte Hürden in ihrem Lebensraum und in ihrer Entscheidungsfreiheit von anderen beschnitten werden. Eugenie Kain verleiht denen eine Stimme, die nicht gehört werden. Zuversicht und Hoffnung sterben in ihren Erzählungen zuletzt, die Sehnsucht nach Veränderung und Ausbruch geben den Figuren neuen Antrieb.
Es ist ein frischer Wind, der in ihren Erzählungen weht - ein Aufwind, der die Figuren vorantreibt und nicht aufgeben lässt.
In ihrer Erzählung »Flüsterlieder« verarbeitete Eugenie Kain die Krankheit und den Tod ihres Lebensgefährten, des Liedermachers Gust Maly. Sie stellte die Frage danach was bleibt, wenn ein geliebter Mensch nach langer Krankheit und doch zu plötzlich stirbt. Wie gehen Menschen mit dem Tod um und wohin verschwinden Verstorbene so plötzlich?
Wer hatte Eugenie Kain mitgenommen? »Ein rostiger Donauschlepper auf dem Weg zum Schwarzen Meer« oder ein schwarzes Kamel das - wie die Araber wissen - vor der Haustür niederkniet, wenn es soweit ist? War sie in einer Plätte über den Hallstättersee gerudert oder in ein Raumschiff gebeamt worden um dem roten Klang zu folgen? Wenn ein geliebter Mensch stirbt, bleiben Geschichten und Erinnerungen. Eugenie Kains Tod hinterlässt intensive Gefühle und auch die Gewissheit, dass ihre Literatur, ihre Stimme, bleibt. »Der Bach war verschwunden, nur das Rauschen hatte er zurückgelassen.«