Weg von Linz. Diese ewig gültige Richtungsempfehlung erfährt gerade besondere Aktualität. Das Kulturhauptstadtjahr ist vorbei. Die Arbeitsverträge der meisten Mitarbeiter der Linz09 GmbH sind längst abgelaufen. Viele von denen, die wegen dieses Projektes vorübergehend nach Linz gezogen sind, kehren der Stadt somit nun wieder den Rücken. Erwartungsgemäß. Notgedrungen. Aus Überzeugung. Schweren Herzens. Wie auch immer. Damit verstärken sie aber nur eine fast logische Absetzbewegung, die schon immer ganze Maturajahrgänge geschlossen aus der Stadt spülte. Als Konsequenz eines Naturgesetzes: Kleine Städte sind Zulieferbetriebe großer Städte. Da kann das Internet die Distanzen der Welt noch so zusammenschrumpfen. Wer nicht zufällig im sozialen Geflecht hängen bleibt oder sich selbst einen Auftrag erteilt, zieht die Anonymität oder die vermeintlich größere Bühne der Außenwelt dem erfahrenen Lokalkolorit vor.
Weg von Linz. So ist auch eine neue, von Walter Kohl und Andreas Jäger herausgegebene Textsammlung betitelt. Erschienen in der Edition »Geschichte der Heimat«. Behandelt wird darin »Populärkultur in der Stahlstadt«, von den Fünfzigern aufwärts. Immer vor dem Hintergrund des Weggehens, Zurückkehrens oder auch Fortbleibens von Linz. Der dabei geschlagene Bogen reicht vom Rosenstüberl, ein in den Fünfziger Jahren populäres Lokal mit Rock’n’Roll-Livebands, über das Landestheater bis auf den Fußballplatz. Ein konzeptionell ehrgeiziger Bogen, der sich angesichts unterschiedlicher Erzähltechniken und Herangehensweise aber nicht schließen will. »Weg von Linz« ist in Summe eine unentschlossene Sammlung von 22 Texten geworden. Die Herausgeber gestehen das in ihrem Editorial auch ein, wenn sie schreiben: »Möglicherweise sieht man dem Buch dieses Disparate an.« Dem ist leider tatsächlich so. Wobei gar nicht das Nebeneinander unterschiedlicher Personen wie beispielsweise der Schriftstellerin Anna Mitgutsch und dem LASK-Fußballer Helmut Köglberger störend wäre. Vielmehr vermag zu irritieren, dass erstere einen selbst verfassten, sehr reflektierten Text über ihre Zeit in den USA vorlegt, während Rudolf Habringer die Karriere von Helmut Köglberger größtenteils frei von allen sozialen und lokalen Bezügen als bloßes Porträt eines Fußballspielers abhandelt. Wenn sich dann auch noch eine Erzählung des Schriftstellers Erwin Riess dazudrängt, der sein literarisches Alter Ego Groll durch die Kulturhauptstadt 2009 spazieren lässt, ist die Verwirrung überhaupt komplett.
Nun ist es aber längst nicht so, dass nicht auch absolut gelungene Beiträge auf den Leser warten würden. Helmuth Gsöllpointners »Weg-gehen von oder Da-bleiben in Linz« gehört dazu. »Plötzlich befand ich mich in Linz«, schreibt Gsöllpointner und lässt dann FORUM METALL, FORUM DESIGN oder die Künstlervereini-gung MAERZ persönlich Revue passieren. Immer im Kontext zum Ort und den lokalen Gegebenheiten. Auch Andreas Webers Beschreibung des Werdegangs von Harald Zuschrader, einem Musiker der Progressive Rock-Band Eela Craig, steht eindeutig auf der Habenseite des Buches. Vor allem dank der späteren Partizipation Zuschraders im Ensemble des irischen Popmusikers Mike Oldfield. Von ähnlicher Weltläufigkeit profitiert Weber auch bei dem Porträt des von Linz nach Berlin verzogenen Hip-Hop-Musikers Chakuza. Dass ausgerechnet ein Linzer dem deutschen Rap-Star Bushido die Beats bastelt ist natürlich ein interessantes Bonmot. Aber wie unredigiert wirkt das dazugehörige Interview? Fragen wie »Was sind deine Ziele? Wogegen oder wofür bist du?«, werfen zusätzlich die Frage auf, ob mit Mitteln von Jugendpostillien tatsächlich »eine Stadtgeschichte des Populären« entstehen kann? Ärgerlich dabei einige Fehler. So heißt Andreas Janetschko zwei Seiten weiter plötzlich richtigerweise Alois Janetschko, wie schon im Editorial aus dem Cafe Zentral binnen weniger Zeilen ein Cafe Central wird. All das trägt dazu bei, im Disparaten mehr als nur Unentschlossenheit zu sehen. Unübersehbar arbeiten Passagen, ja ganze Texte nicht unmittelbar dem Motto zu, überfordern mit persönlichen Details (Waterloo, Ty Tender), und wenn der Theatermacher Georg Schmiedleitner einmal einen sicherlich aufschlussreichen Blick von seinem neuen Wirkungsfeld Nürnberg Richtung Linz werfen könnte, bleibt das nur Randnotiz in einem weiteren herkömmlichen Porträt. Hier hätte es also eine konsequente und führende Hand der Herausgeber gebraucht, um die unterschiedlichen Beiträge zu einem aussagekräftigen Ganzen zu fügen.
Diese fehlende Interpretation lässt sich unter den gegebenen Umständen auch positiv lesen. Indem Kohl und Weber eben nicht resümieren, auf Aussagen drängen oder hinarbeiten, fehl- oder überinterpretieren sie auch nicht. Vielmehr bleiben sie ihrer Arbeitsweise treu, die sich bei anderen zeitgeschichtlichen Themen – gerade Walter Kohl hat in der Edition »Geschichte der Heimat« wichtige Erinnerungsbücher über die Mühlviertler Hasenjagd oder KZ-Schicksale vorgelegt – hervorragend bewährt hat. Hier klappt das Zusammenspiel eines engagierten Regionalverlags mit neugierigen Schreibern auch ungleich besser, entstehen regelmäßig Bücher über Themen und Lokalkolorit, die sonst fehlen würden. Bei »Weg von Linz« erwecken gerade die Texte der Herausgeber oftmals den Eindruck, dass gerade Populärkultur nicht unbedingt das ureigene Thema von Verlag und Autoren ist. Was im Porträt Didi Bruckmayrs auch eingestanden wird.
Was bleibt somit am Ende der doch 264 Seiten am nachhaltigsten in Erinnerung? Anna Mitgutschs Blick auf das Linz ihrer Kindheit: »Nur nicht zu hoch hinaus, sagten die Lehrer und Verwandten, guter Durchschnitt, ja, ein Leben lang, wer hoch hinaus will, fällt tief.« Sätze, die manche Vita in »Weg von Linz« erklären, wo »die kleine enge Welt« der »Konkurrenz in größeren Städten« vorgezogen wird.