Ein paar Wochen ist es jetzt her, seit unser erstes Fest sprichwörtlich über die Bühne gegangen ist. Wir waren ja nie eine Freundin von regelmäßigen Geburtstagsfeiern und Ähnlichem, aber irgendwie war es an der Zeit, einmal eine servus-Sause zu organisieren. Bei einem Meeting im Sommer 2011 mit der servus-Vorstands-Crew wird unsere Lage, die wie bei vielen anderen Initiativen nicht besonders gut ist, diskutiert. Unsere Förderungen bei Stadt und Land stagnieren seit Jahren, obwohl wir eigentlich mehr produzieren und die an uns gestellten Anforderungen, Erwartungen und die Technologie auch komplexer werden. Nein, ein „Suderanten Fest“ wollen wir nicht machen. Lieber einmal eine ordentliche Orgie und dann zusperren! Ich erhalte regelmäßigen Applaus und Lacher bei unseren Meetings, weil das Thema „Zusperren“ gerne von mir strapaziert wird. Zugegeben, der theoretische Gedanke, einen Stecker unserer Internetverbindung zu ziehen, und eingehende Anrufe und Beschwerden auf die Linzer Kulturabteilung und auf die entsprechende Abteilung beim Land OÖ umzustellen, bereitet mir oft trotziges Vergnügen.
Innerhalb des besagten Treffens diskutieren wir auch, wer unsere Mitglieder sind und kommen zu der Vorstellung, dass wir bei einem servus-Fest diese auch einbinden wollen. Oft liegt der Verdacht nahe, dass viele unserer Mitglieder nicht wissen, dass sie keine Serviceleistung bei uns kaufen, sondern sich an der vorhandenen autonom verwalteten Struktur beteiligen, diese also unterstützen. Wer aber aller dahinter steht und was wir sonst noch so treiben, geht im Geschehen des Alltags oft unter. Hauptsache es funktioniert alles und das flott. Daher soll dieses Fest auch eines sein, wo man sich mal persönlich trifft und gemeinsam etwas tut, sich ein bisschen näher kennen lernt. Bei meiner Vorstellung an eine Orgie oder ein Happening als Format für unser Fest kommt das Treffen richtig in Fahrt. Bis Wolfgang „Fadi“ Dorninger aufsteht und mit einer großen Geste verkündet: „ Nein – ich hab’s: Wir machen eine Operette!“ Schallendes Gelächter bricht aus. Alle finden eine Operette, ohne noch zu wissen, um welchen Inhalt es dabei gehen könnte, so was von abartig, absurd und grotesk - einfach großartig daneben. Nach dem ersten Lachanfall also tauchen kurz die ersten Fragezeichen und runzelnden Stirnen auf. Operette gut und schön. Aber was ist unser Inhalt? Ganz naheliegend eigentlich stellt sich heraus, unser Thema ist das Internet. Nach diesem Treffen, das heiter fröhlich und in Bierlaune endet, hat sich unsere Sitzungskultur gewaltig verändert. Denn ab diesem Zeitpunkt trifft sich das Operetten-Kernteam regelmäßigen in zwei bis drei Wochenabständen drei Monate lang, um an dem Drehbuch für die Operette zu arbeiten. (2011/September, Oktober, November)
Die Entwicklung einer Geschichte...
Nun es mag sein, dass das Genre Operette vermutlich nie in Betrachtung gekommen wäre, wenn unser Vorstand nicht aus „alten Hasen“ der Szene bestehen würde. Dass wir an einer Operette arbeiten, zieht auch gerüchteweise seine Kreise. Nicht immer löst das helle Begeisterung aus, was uns sehr amüsiert. Die ersten „Operetten“ waren ursprünglich kurze Werke mit grotesk-frivolem Inhalt (Pariser Operette). Sie waren am Anfang Freiraum für sexuelle Befreiung, maßlose Übertreibung, Manie, Verzerrung der Realität und Mut zur trivialen Tonsetzung. In der geschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Genre versuchen wir also das lächerliche, verzerrte Abbild der Realität auf das Internetzeitalter umzulegen. Utopie, Hoffnung, Liebe, fremde Welt, Zensur, Verwandlung sind unser Grundgerüst, auf dem wir unsere Geschichten rund um das Internet aufbauen. Der Anspruch, den wir verfolgen, ist sicher nicht eine lückenlose Geschichte des Internets aufzuführen. Wir versuchen uns am Trivialen, am leicht Verständlichen. Allerdings sollen auch die Agenden von servus.at auf diese Weise darin vorkommen.
Die Realisierung des Drehbuchs
Unser Drehbuch haben wir mit Hilfe der Software Celtx verfasst. Schließlich ist unser Ziel, auch das gesamte Drehbuch später unter einer freien Lizenz zur Verfügung zu stellen.
Celtx ist eine freie Software für die Vorproduktion von Medienprojekten, wie Filme, Videos, Hörspiele, Theaterstücke, Dokumentationen und Spiele. Es bietet umfangreiche Funktionen zum Kreieren, Planen und Organisieren eines Projekts. Die Basisfunktion von Celtx ist das Editieren von Drehbüchern, die dem internationalen Industriestandard entsprechen. Ein Client-Server-System erlaubt die Zusammenarbeit innerhalb von Projekten über das Internet und fördert die integrierte und non-lineare Umsetzung. Celtx ist auf freien, nicht-proprietären Standards (z. B.: HTML, XML, RDF und TXT) aufgebaut und ist unter der Celtx Public License lizenziert. Die Entwicklung und Übersetzung der Software wird durch freiwillige Mitglieder der internationalen Celtx-Community bewerkstelligt. Es liegen Versionen für Windows, Mac OS X und Linux vor.
Die eigentliche Herausforderung
Ende Oktober 2011, da wir nun unser Drehbuch soweit fertig hatten, begann die eigentliche Herausforderung unseres Vorhabens: statt KünstlerInnen von unserem Drehbuch, das immer noch viel Gestaltungsspielräume offen ließ, zu überzeugen und sie für eine aktive Teilnahme zu gewinnen, bei dem gleichzeitigen Fakt, dass wir kein Budget für Honorare hatten.
Niemand konnte bei dem Vorhaben, ein Fest zu organisieren auch nur erahnen, dass daraus eine Operetten-Produktion in der Größe entstehen wird, die eigentlich nur realisiert werden konnte, wenn sich eine Menge von Leuten daran freiwillig beteiligen. Beim Schreiben des Drehbuches war bereits von bestimmten KünstlerInnen aus dem nahen Umfeld die Rede. Es ist natürlich recht naheliegend, die KünstlerInnen und MusikerInnen zu fragen, mit denen es bereits eine engere Verbindung gibt oder die wir als Schlüsselpersonen zu Kollektiven persönlich kennen. Zahlreiche Treffen wurden also organisiert, wo immer wieder unser Drehbuch mit viel Überzeugungskraft vorgestellt werden musste, um hin und wieder eine gewisse Skepsis aus dem Weg zu räumen - auch bei mir selbst bezüglich der Machbarkeit. Es gibt schon so etwas wie eine herrschende Grundstimmung, dass man eh nichts mehr machen kann, was irgendjemanden begeistert oder dass jemand etwas mit Begeisterung macht. Oder, dass wieder wer daherkommt und meint, alles sei nur eine Wiederholung dessen, was es ohnehin schon gegeben hat. Im Endeffekt gab es aber einen Punkt, an dem ich daran einfach nicht mehr dachte, sondern wo es einfach nur mehr ums Tun ging. Für das Kernteam war die Geschichte inhaltlich schon relativ klar. Aber bekanntlich liegt der Hund im Detail und darin, wie die Theorie in die Praxis umgesetzt werden kann. Auch das Ausloten, wie wir mit den beteiligten KünstlerInnen in der Geschichte einen inhaltlichen und gestalterischen Umsetzungsspielraum schaffen können, beschäftigte uns bei unseren Treffen. Ab der Zusage der KünstlerInnen und MusikerInnen, sich auf das Experiment einlassen zu wollen, gab es bei allen einen riesigen Motivationsschub. Mir fiel die erste Tonne vom Herzen.
Ab dann war die Koordination und das Einholen von Updates, das Feilen an Texten, das Finden von gemeinsamen Terminen, das Koordinieren was genau, wann mit wem besprochen werden sollte, eine wirkliche anspruchsvolle Arbeit, die mich persönlich vor allem zum Schluss hin beinahe an die Grenze meiner organisatorischen Fähigkeiten kommen ließ. Zudem galt es ja auch noch, das Rundherum nicht aus den Augen zu verlieren. Kostüme, Requisiten-Bastelei, Bühne/Licht, Versorgung, Grafik, die Gewinnung und Einbindung der gesamten Stadtwerkstatt, ein verteiltes Konzert, Tombola mit Tombola-Automaten, ExpertInnen, Presse und weiß der Teufel was noch alles. Gewisse Durchhänger, die es logischerweise gab, wurden in verteilten Rollen des Kernteams immer wieder aufgefangen. Die Qualität des gesamten Unterfangens jedenfalls war für mich der ganze Prozess und die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Form. Und wies es so schön heißt in der in der Operette entstandenen „Hymne“. Ohne d.i.t. (do it togehter) gibt’s keine Community! Und ohne Community hätte es am 24.02.2012 keine Operette gegeben.