Der letzte linke Kleingärtner, Teil 2: Chicken of colour

Sind meine Hühner vielleicht »People of Colour«? Also PoC, wie die Apostel des »Kritischen Weißseins« sagen? Als Kleingärtner kommt man auf Gedanken, die anderswo gerne zum Eklat führen. Deshalb bleibe ich lieber in meinem Garten. Da bin ich sicher, er ist mein »Safe Space«. Meine fünf Hühner sind fünf sehr unterschiedliche Individuen, vollgepackt mit der Menschheitsgeißel der Identität. Für mich ist das eine Win-Win-Situation. Wenn die dieses Zeugs tragen, bin ich befreit davon und sie können etwas menscheln. Aber eigentlich ist mir das egal. Hauptsache, sie legen Eier, fressen Speisereste und halten mir den Garten frei von Unkraut und Schnecken.

Aber darf ich überhaupt Hühner mit Menschen gleichsetzen? Auweia, das ist heißes Pflaster. Da verbrenne ich mir womöglich die Pfoten. Anderseits, wenn ich die Tierrechtler und Veganer richtig verstehe, geht das klar. Tiere sind wie Menschen, da ist kein Unterschied. Wäre es dann okay, wenn ich meine Hühner als PoC oder als »Hühner of Colour« (HoC) bezeichne? Oder vielleicht als »Chickens of Colour« (CoC)? Das würde ich glatt machen, wenn sie bei einer solchen Respektsbekundung auch mehr Eier legen würden. Mehr ist immer gut in der heutigen Zeit. Aber vom Standpunkt der Apostel des »Kritischen Weißseins«, auf Englisch nennt sich diese Spezies »Critical Whiteness«, wäre es natürlich nicht okay. Das ist nicht überraschend, weil bei denen eigentlich nichts okay ist. Mit Ausnahme dessen, was sie selber festlegen. Wenn ich mir deren Welt so von meinem Kleingärtnerpodest aus anschaue, scheint mir die katholische Kirche ein Hort der Liberalität und der Papst ein halber Anarchist zu sein. Vor diesen Gedanken erschrecke ich dann wiederum und verliere gefühlt meinen Kleingärtnerboden unter mir.

Was wäre erst, wenn Tierrechtler und Veganer sich mit den Aposteln des »Kritischen Weißseins« um die richtige Interpretation meiner hühnerphilosophischen Abhandlungen duellieren würden. Das gäbe vermutlich Mord- und Totschlag und auf jeden Fall Blutvergießen. Und ich hätte das alles angezettelt und könnte die in Gang gesetzte Entwicklung nicht mehr aufhalten. Ich glaube, es ist besser, ich steige wieder hinab von meinem Kleingärtnerpodest und mache mich an die Gartenarbeit. Sollen doch die Apostel des »Kritischen Weißseins« und die Apostel des Veganismus selbst sehen, wie sie mit sich und ihrer Welt klarkommen. Ich betone »ihrer Welt«, denn ich habe damit nichts zu tun. Ich bin für meine Hühner verantwortlich und das reicht.

Während überall das Frühlingswetter unterdrückte Lebensgefühle weckt, trage ich schwer an gleich mehreren zwielichtigen Gedanken. Dachte ich noch vor Kurzem, dass sich mein Lieblingsfußballverein, meine Hühner und mein Garten im Gleichschritt entwickeln – also steil nach oben –, muss ich nun zwei Drittel meiner Prognosen nach unten korrigieren. Während das Federvieh seine Identität akzeptiert, sich gut entwickelt und wie blöd Eier legt, hoppelt mein Lieblingsfußballverein in die andere Richtung. Frei nach der Fußballweisheit »Erst hatten wir kein Glück, dann kam noch Pech dazu.«  Gestartet als einer der Aufstiegsfavoriten, dümpelt er nun im Mittelfeld herum und lässt mich Woche für Woche die Welt mit traurigen Augen anblicken. Da wird Corona zur Randnotiz. Ehrlich.

Und im Garten geht es auch nicht so voran wie gedacht. Ich hänge etwas hinterher mit dem Graben und Säen. Oder bin ich einfach nur vom Optimismus meiner Prognosen ausgetrickst worden? Es wäre gut, sich seinen gesunden Pessimismus gegen zu viel Optimismus zu bewahren. Wobei sich die Verspätung im Garten in Grenzen hält.

Trotzdem: Unsereiner steht bei Problemen alleine da. Da hilft kein Nachbar, kein NGO-Streetworker und von den Identitätsschwaflern schon gleich gar keiner. Die lassen dich ratzfatz im Stich, weil sie sich ganz neoliberal frisiert um sich und um sonst nichts kümmern. Es hätte ja jemand von denen mal meinen Garten umgraben können. Aber nichts da, jeder schaut nur auf seinen Vorteil. Schade, schade. Wie gut, dass zumindest wir Kleingärtner nicht auf deren, sondern auf unseren Vorteil schauen.

Wenn der Tag sich demnächst mit einem satten Sonnenrot sanft zu Ende neigt, bleibt Zeit für ein Resümee. Und das fällt bitter aus. Alleingelassen von den Menschen, bleibt unsereinem nur der Blick in den Hühnerstall. Hier finde ich das gackernde Verständnis, das mir die Identitätshippies, die »People of Irgendwas«, die Tierrechtler, und Veganer nie entgegenbringen. Es bleibt dabei: Egal was passiert, »Mutti« Merkel und die Hühner lassen mich nicht im Stich. Sie sind einfach immer da. »Mutti« wird im Herbst in Rente gehen, aber so lange ist sie noch da und gibt mir Halt. Was danach kommt, lässt mich jetzt schon Tränen der Rührung vergießen über die gute alte Zeit.

Fast hätte ich den Abspann vergessen: »Diese Kolumne wurde ihnen präsentiert von der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), frisch geprüft und versiegelt in der Abteilung Ackerbau & Viehzucht. Die wissen, was gut ist.«  

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .

Huhn Hilde mit (Art)Genossinnen (Bild: Maximilian Gerlach / Aktion 3.Welt Saar)