Die Gleich-Gültigkeit von Mensch und Maschine

Florian Huber mit erweiterten Überlegungen zu den Inhalten von STWST48x9.

»Unser Jahrhundert ist vielleicht das erste, in welchem der Wandel der Bewohner im Tempo weit hinter der raschen Veränderung der Dinge dieser Welt hinterherhinkt«, notiert Hannah Arendt bereits 1970 in ihrem Aufsatz Ziviler Ungehorsam. Schließlich sind die Dinge im Lauf ihrer und unserer Geschichte zu eigenständigen Akteur*innen mutiert. »Die Dinge machten weiter. ‚Wo sind Ihre Gäste? Zerfallen?‘ Ganz durchdekliniert […]«, vermerkt fünf Jahre später dementsprechend Rolf Dieter Brinkmann in seinem Gedicht »Pawlows Hamburger«. Solange die Dinge in Bewegung bleiben, kommen auch wir nicht zur Ruhe. Indem die technischen Möglichkeiten zu ihrer Verwendung grenzenlos erscheinen, provozieren sie immerzu neue Ideen und wecken unser Begehren. Stets sind die Dinge über unser Denken und Handeln hinaus, verbindet sich mit ihrem Gebrauch das Bedürfnis, sie zu besitzen und zu beherrschen. Indem wir die Dinge in die Hand nehmen, errichten wir eine Distanz zwischen uns und der Welt, die früher auf den Namen instrumentelle Vernunft hörte und uns in der multimedialen Gegenwart sukzessive abhandenkommen will. »Dazwischen manifestiert sich das neue Zusammenleben von Mensch und Maschine, in Hypernatur, Spekulation, auf der Suche nach echten Gefühlen, tatsächlicher Entropie und devastierenden Algorithmen. Wir sagen: Der Mensch passt sich ans Werkzeug an!«, formuliert 2023 dazu passend die Stadtwerkstatt anlässlich der von ihr ausgerichteten Kunstaktion STWST48X9 COLD HEAVEN, die im Untertitel »48 Hours of Immersive Trash« verspricht. Mit der Rede von der Immersion verbindet sich dabei zunächst vielleicht weniger das Versprechen einer neuartigen Ganzheitserfahrung als die Angst vor dem Schwinden einer festgeglaubten Identität im Singular.

Andererseits lässt das Schaudern über die herrschenden Zustände das Leben zur Hölle werden, während es anderswo immer kälter zu werden droht, sodass der Blick nach oben nicht länger einen Ausweg aus der irdischen Misere verspricht. Der fortgeschrittenen militärisch-technischen Eroberung des Weltraums korrespondieren die wachsenden Müllberge einer Wegwerfgesellschaft, die nicht nur die Distanz zwischen Himmel und Erde, sondern auch den Glauben an ein religiöses Jenseits zum Verschwinden bringen. Womöglich rührt daher ein genuin modernes Unterscheidungsbedürfnis, das Helmut Lethen in seinen Verhaltens-lehren der Kälte für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen einmal folgendermaßen beschrieb: »In Augenblicken sozialer Desorganisation, in denen die Gehäuse der Tradition zerfallen und Moral an Überzeu-gungskraft einbüßt, werden Verhaltenslehren gebraucht, die Eigenes und Fremdes, Innen und Außen unterscheiden helfen. Sie ermöglichen, Vertrauenszonen von Gebieten des Mißtrauens abzugrenzen und Identität zu bestimmen.«1

Vielleicht adressiert die Rede vom COLD HEAVEN aber auch eine Coolness, die den Gebrauch der Dinge und die in sie verstrickten Subjekte affiziert und so die herrschenden Verhältnisse zu unterlaufen sucht, wie Donna Haraway in ihrem erstmals 1985 publizierten Manifest für Cyborgs nahelegt: »Es geht gerade nicht darum, Wissenschaft und Technologie entweder nur als mögliche Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse oder aber nur als Matrix komplexer Herr-schaftsverhältnisse zu begreifen. Die Metaphorik der Cyborgs kann uns einen Weg aus dem Labyrinth der Dualismen weisen, in dem wir uns unsere Körper und Werkzeuge erklärt haben.«2 Schließlich mag die himmlische Kälte auch den hartnäckigsten Appellen einer »Politik der Gefühle« (Josef Haslinger) und den damit verbundenen, niederen Instinkten zu widerstehen. Womöglich findet auch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben ihre Erfüllung nicht länger nur in einem am schnellen Profit orientierten Konsumverhalten, das spätestens im Wissen um das Anthropozän zum Himmel stinkt. Der kühle Kopf verkündet »Am Ende war das Wort« und gibt damit zugleich eine ironische Antwort auf die Frage nach intelligentem Leben jenseits der menschlichen Spezies. Schließlich sehen mit der himmlischen Herrschaft der Algorithmen Subjekt und Objekt einander mehr und mehr zum Verwechseln ähnlich. Denn »[f]ür Coolness ist eine habitualisierte Technik des Sich-Ent-ziehens zwar notwendig, aber nicht hinreichend«3, wie Andreas Urs Sommer betont.

Am Ende brächte die daraus resultierende Gleich-Gültigkeit von Mensch und Maschine nicht nur ein neues Sprachvermögen, sondern auch eine längst verloren geglaubte Handlungsmacht zum Vorschein. Wir sind nicht eins, sondern viele und stecken sowieso schon immer voller Widersprüche: »Inmitten dieser gesellschaftlichen Realität positioniert sich die Stadtwerkstatt zwischen kühler Kritik und kaltem Widerstand, zwischen Minuskunst und Meltdown, zwischen Eintauchen in Trash – und Imagination als Material.« Das Fleisch vergeht, das Wort besteht der Kälte zum Trotz und gefriert zu einer neuen Form von Code, der unaufhaltsam neue Bedeutungen hervorbringt und eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Menschen und Maschinen zumindest denkbar werden lässt. Gott ist längst gestorben, zumal keine Maschine ohne Makel ist, solange die KI sich anschickt, ein quasi menschliches Antlitz zu tragen.

Gerade deshalb hängt der Himmel immer noch voller Zeichen, die nach Auslegung verlangen, ohne einem letztgültigen Sinn zuzustreben. Und die von uns empfundene Kluft zwischen Mensch und Maschine bestätigt letztlich nur, »daß es gar kein Subjekt gibt, das ,vor‘ dem Gesetz steht und nur auf die Repräsentation in oder durch das Gesetz wartet«,4 wie Judith Butler in Das Unbehagen der Geschlechter bereits zu Beginn der 1990er-Jahre insistiert. Wohl auch aus diesem Grund verspricht »STWST48x9 COLD HEAVEN achtundvierzig Stunden genre-freie Kunst und kritische Produktion im Anti-White-Cube des Hauses« und wird so auch dem mehr als je notwendigen Leitspruch eines von Paul Valéry geschaffenen Monsieur Teste gerecht: »Der Mensch ist allgemeiner als sein Leben und Handeln. Er ist gewissermaßen für mehr Eventualitäten eingerichtet, als er kennenlernen kann. Monsieur Teste sagt: Mein Mögliches verläßt mich nie.«5 

 

[1] Helmut Lethen: Verhaltenslehre der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Berlin 2022, S. 7.
[2] Donna Haraway: »Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften«, in: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main 1995, S. 33–72; hier S. 72.
[3] Andreas Urs Sommer: »Coolness. Zur Geschichte der Distanz«, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 1/2007, S. 30–44; hier S. 32.
[4] Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991, S. 17.
[5] Paul Valéry: »Monsieur Teste«, in: Werke 1. Dichtung und Prosa. Frankfurt am Main 1992, S. 299–372; hier S. 369.