Widerstand in den Wolken

Clouds ersetzen als internetbasierte Speichertechnologien zunehmend selbstverwaltete Backup-Server und erweitern damit die Macht von Konzernen. Ein Cloudbusting von Barbara Eder.

In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts erfand der Psychoanalytiker Wilhelm Reich eine Maschine, die er Cloudbuster nannte. Sein Wolkenjäger bestand aus einer Reihe parallel angeordneter Metallrohre, die – ähnlich wie Orgelpfeifen – im Inneren hohl sind und bei Bedarf gen Himmel gerichtet werden können. An der Hinterseite der Rohre waren Schläuche befestigt, die einen ähnlichen Durchmesser wie die Rohre aufwiesen; sie führten direkt ins Erdreich hinein oder bezogen Wasser aus anderen Quellen. Reich zufolge solle man mit dieser Maschine Regen erzeugen können; sein Cloudbuster würde jedoch nicht nur die Atmosphäre manipulieren, er würde aus dieser auch das, was Reich Orgon-Kraft nannte, auf natürliche Weise herausdestillieren. 

Orgon ist eine Wortmischung aus Organismus und Orgasmus, Wilhelm Reich zufolge handelt es sich dabei um eine Art universelle Energie, die alle Lebenskräfte auf sich vereine. Die offenen Röhren seines Apparats absorbieren dieses Energetikum, Regen entsteht als Nebenprodukt des gesamten Prozesses. Mit Wilhelm Reichs Wolkenjäger haben Esoteriker:innen aller Länder ebenso experimentiert wie die Populärkultur der Achtzigerjahre. Auch im Video zum Song »Cloudbusting« der britischen New-Wave-Sängerin Kate Bush ist sein Regenmacher gen Himmel gerichtet. Es erzählt in Rückblenden von einer Vater-Sohn-Beziehung, die ein jähes Ende nimmt: Nachdem der Vater, gespielt von Donald Sutherland, eines morgens von Polizeibeamten abgeholt und in ein Auto verfrachtet wird, muss Sohn Peter den gemeinsam konstruierten Wolkenmacher am Hügel vor dem Haus alleine in Betrieb nehmen. Er steigt auf den Berg und aktiviert ihn – zur Freude seines Vaters, der durch das Fenster des Polizeiwagens gerade noch erkennen kann, dass es in diesem Moment zu regnen beginnt. 

Im Musikvideo ist Peter kein Sohn und seine Wolke keine Himmelserscheinung. Der filmische Nachfahre von Wilhelm Reich wird stattdessen von Kate Bush gespielt, der durch den Cloudbuster ausgelöste Regen verdankt sich einer Videosimulation. Die frühen Wolken am Himmel der Populärkultur wurden zwischenzeitlich durch andere Technologien erweitert. Die Rede von der Cloud kommt dieser Tage vor allem dann auf, wenn es um verteilte Rechnerleistung auf dezentralen Servern geht. Cloud-Services werden oftmals genutzt, wenn Daten von lokalen Rechnern über eine Internetverbindung gesichert und gespeichert werden; wohin sie fließen, wissen die meisten Computer-Nutzer:innen jedoch ebenso wenig, wie sie in Kenntnis darüber sind, dass sie fließen. Die Cloud – soviel suggeriert allein der Name  – soll dem Begriff nach mysteriös bleiben. Ihr genauer Ort – und damit auch ihre IP-Adresse – entzieht sich oftmals dem eigenen Wissen, ebenso wie der Umstand, dass sie überhaupt existiert. Die Cloud wirkt im IT-Hintergrund als heimliche Akteurin, von der gespeicherte Daten jederzeit neu geladen und auf andere Geräte transferiert werden können; wie aus dem Nichts kann man sie dank Cloud scheinbar von überall aus abrufen. 

Die Cloud schwebt irgendwo im Internet – soviel ist im Alltagsverständnis gerade noch angekommen. Realiter geht es beim Cloud-Computing jedoch um den Konsum und die versteckte Nutzung einer zentral verwalteten Rechenleistung. Zurückgegriffen wird dabei auf die Dienste von miteinander verbundenen Rechnern, viele davon gehören proprietären Softwareriesen wie Amazon, Meta, Google und Microsoft. Die Silicon-Valley-Unternehmen in den Händen von Zuckerberg & Co agieren profitorientiert und befinden sich im Besitz von Aktionär:innen, die sich hohe Gewinne von ihren IT-Investitionen versprechen. Ökonomisches Wachstum bedeutet deshalb auch immer technische Expansion: Je mehr Cloud-Dienste, desto höher die Profite ihrer Eigentümer. Aus dem Alltagsleben wegzudenken sind die Cloud-Services aus diesem Grund schon seit längerem nicht mehr: Alles, was Nutzer:innen am Smartphone machen, wandert in die Cloud und auch die Daten zu jedem Transfer per »Gratis«-Dienst kommen dort an: Wetransfer, Dropbox oder Google Drive – das alles wird über die Cloud abgewickelt. Auch die Zeitstempel zu weltweiten Bestellungen in Online-Shops und die logistikrelevanten Lieferdaten von DHL und FedEx wandern geradewegs in die Wolke. Während der Nutzung einer Gmail-Adresse arbeitet eine gigantische Google-Cloud im Netzwerk-Hintergrund.

Von den 12 Tonnen CO2-äquivalenten Emissionen, die in Deutschland pro Mensch und Jahr anfallen, kommen allein 0,85 Tonnen auf Digitalgeräte, in Österreich ist der Jahresverbrauch pro Person kaum geringer. Ein datensparsamer Umgang mit digitalen Apparaten könnte Emissionen reduzieren – darauf ausgerichtet sind proprietäre Plattformen und Social-Media-Dienste, die besonders intensiv auf Cloud-Services zurückgreifen, keineswegs. Sie verlangen den Nutzer:innen ein ständiges Mehr an Datenproduktion ab und halten sie mit psychologischen Mitteln so lange wie möglich auf den Plattformen. Die Cloud dahinter folgt derselben Stoßrichtung wie Big Tech: Mehr ist mehr – im Sinne eines Surplus an monetärem Profit. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten geht es für Tech-Konzerne um maximale Effizienzsteigerung. IT-Kritiker:innen, die sich gegen Greenwashing und CO2-Kolonialismus wenden, sehen im Mehr vom Falschen aber keinen Gewinn. Sie wissen, dass im Zeitalter der ökologischen Katastrophe eine Abkehr von ressourcenintensiven Cloud-Diensten nur das Mindeste wäre. 

Die Big-Tech-Cloud konsolidiert ein Software-Paradigma, das auf ständig aktualisiertes Software-as-a-Service, eine skalierbare Rechnerinfrastruktur und viele Smartphones setzt, ebenso auf die politische Ökonomie der börsennotierten Big-Tech-Unternehmen, deren Gewinne auf der Verschwendung von Energie, dem Raubbau an Mineralien und der Ausbeutung rassifizierter Arbeitskraft beruhen. Daran haben die Aktivist:innen des weltweit ersten »Trans*Feminist Depletion Strike« massive Kritik angemeldet. Sie wissen, dass selbst ein verringerter CO2-Verbrauch ein Gewinn für die großen IT-Konzerne wäre – und wandten sich am 8. März dieses Jahres erstmals gegen die Cloud und ihre wichtigsten Betreiber:innen. Wie aber kann man etwas bestreiken, das man nicht sehen kann? Bedarf es dafür einer Praxis des forcierten Luddismus oder gar eines Regenmachers à la Wilhelm Reich? Im Etherpad der Aktivist:innen war dahingehend nur folgendes zu lesen: »check current list, otherwise setup new mailinglist, info will go through there.« 

 

 

Apps und Computer einfach mal für ein paar Stunden abzudrehen, reicht nicht aus. Als expansive Technologie beförderte die Cloud selbst dann, wenn sie ökologisch vertretbar wäre, die Vorstellung von der grenzenlosen Verfügbarkeit menschlicher Arbeitskraft und ihrer permanenten Skalierbarkeit – im Sinne eines Services à la 24/7. Als Netzarbeiter:innen, die sich in Kollektiven organisieren, wussten schon etwa die Aktivist:innen des »Trans*Feminist Depletion Strike« das nur allzu gut. In ihrem Online-Aufruf, der auch in der Versorgerin #137 abgedruckt wurde, heißt es: »Aber immer mehr IT-Abteilungen werden geschlossen und unsere Fähigkeiten, Wünsche und Möglichkeiten werden zu extrahierbaren Ressourcen, während die agilen Big-Tech-Logiken Gesundheitsversorgung, Bildung, Aktivismus und sogar Dating transformieren. Für erfindungsreiche, basisdemokratische und ungewöhnliche Praktiken fehlt die Energie, oder sie werden gänzlich unvorstellbar. So entsteht ein Teufelskreis: Je weniger wir uns um alltägliche digitale Technologien kümmern, desto mehr müssen wir uns auch bei einfachen Anliegen auf Unternehmen verlassen. Und immer wieder scheitern jene Technologien, mit denen Zugänglichkeiten erhöht und die aktivistische Arbeit behinderter Menschen organisatorisch erleichtert werden soll – sie scheitern daran, die Bedürfnisse derer in den Mittelpunkt zu stellen, die ohne diese Technologien nicht partizipieren können.«

Der Erfolg des ersten internationalen Online-Streiks wird sich bald wiederholen. Die kollektive Kompensation von Kohlendioxid wird gegenwärtig immer wieder als Mittel zur Eindämmung des Klimawandels vorgeschlagen, auch das unsichtbare Komitee des »Trans*Feminist Depletion Strike« diskutiert sie gegenwärtig. CO2-Kolonialismus hilft vor allem dem globalen Norden, seine Emissionsobergrenzen einzuhalten, anstatt die nachhaltige Entwicklung im globalen Süden zu fördern. Seit den ersten Aktionen des »Trans*Feminist Depletion Strike« am 8. März und am 1. Mai wird eine Online-Kritik an dieser Strategie von den Aktivist:innen formuliert. Sie wenden sich gegen das imperiale Projekt des »Kohlenstoffkolo-nialismus« – und damit gegen eine neokoloniale Praxis. Positionen dazu arbeiten die Serversysters und ihre Freund:innen für den 12. Oktober dieses Jahres aus – es ist der Anti-Colonial Action Day.

Ökologischer Raubbau und menschliche Ausbeutung werden unter der Ägide der herrschenden Cloud-Technologien nicht beendet, nur umverteilt – darin ist sich die Kernbelegschaft des »Trans*Feminist Depletion Strike« einig. Am Ende treibt selbst das Versprechen auf ein ressourcenschonendes Surplus immer noch den in der Cloud angelegten Wachstumsgedanken voran – mit einer auf bedingungslose Skalierbarkeit ausgerichteten IT-Infrastruktur im Hintergrund. Das CO2-neutral konstruierte Rechenzentrum allein ist deshalb noch nicht genug. Die Aktivist:innen des »Trans*Feminist Depletion Strike« fordern unter anderem eine weitgehende Rückkehr zu lokalen, selbstverwalteten Serverstrukturen, ihre Aktionen werden sie bis Ende des Jahres dezentral ausweiten. Sie kämpfen gegen andere Wolken als die im Video von Kate Bush; ohne den ideellen Notbehelf eines Cloudbusters wird dieser Kampf derzeit aber noch nicht zu gewinnen sein.

Einer der originalen Cloudbuster, errichtet von Wilhelm Reich in Maine, USA (Foto: John Pittman (CC BY-NC-SA 2.0))