Was ist das: es hat 48 Seiten, enthält 30 Abbildungen von Hubert von Goisern (HvG), fünf Fotos von Red Bull-Boss Dietrich Mateschitz (vier Mal sind sie gemeinsam abgebildet) und ein Passbild von Linz09-Intendant Martin Heller? Das ist die Ausgabe 1, Sommer 2007 des »Red Bulletin«, eines Magazins der Red Bulletin GmbH, Auflage 870.000 Stück.
Huh, 870.000 Stück, das sind in Summe über 26 Millionen Abbildungen von HvG. Um dabei nicht abzuheben, muss man der bodenständige Typ mit Tiefgang sein, zu dem ihn einmal eine Kritikerin binnen zweier Sätze gemacht hat. Bodenständig mit Tiefgang – das habe ich mir gemerkt. Erstens, weil dies unvereinbar ist, und zweitens, weil HvG für mich weder das eine noch das andere ist, was mir lange völlig egal war, aber jetzt nur mehr so halb, seit HvG von Martin Heller mit einen 80 Meter langen, 350 Tonnen schweren Schiffsverband als »Hauptprojekt der Kulturhauptstadt 2009« (»Der Standard«) die Donau rauf und runter geschickt wird, um vor Ort mit Donau-Anwohnern zu musizieren. Oder: »Um anschaulich zu machen, wie aufwändig, wie maßlos und wie vergnüglich es ist, Kulturhauptstadt Europas zu werden«, wie Heller im »Red Bulletin« schreibt.
Aufwändig und maßlos stimmt bei 26 Millionen HvG-Abbildungen und kolportierten Projektkosten von 4 Millionen, vergnüglich wäre zu diskutieren, verwirrend fehlt in dieser Aufzählung noch.
Nebst der grundsätzlichen Frage, was denn so etwas wie eine Kulturhauptstadt überhaupt ist und soll, verwundert es nämlich, warum ausgerechnet ein Mainstream geeichter Alpinmusikant aus dem 120 km entfernten Bad Goisern die Stadt Linz repräsentieren soll und darf? HvG leitet das im »Red Bulletin« folgendermaßen her: »Das Wasser, das bei mir in Goisern hinterm Haus aus dem Berg fließt, das fließt übern Bach in die Traun und die Traun in die Donau und die Donau ins Schwarze Meer, und diesem Wasser zu folgen, ist eigentlich ein sehr natürlicher Gedanke.« Super. Genau. Ähnliches denke ich mir auch immer, wenn ich zu Hause in Ottakring am Klo sitze. Meine natürlichen Gedanken gelten dann dem Schwarzen Meer, ungelogen. Don’t get me wrong, ich bin jetzt echt nicht der territoriale Erbenszähler. Von mir aus können auch Zither spielende Eskimos Linz musikalisch vertreten. Aber für einen bodenständigen Typen mit Tiefgang, der es schafft, einem Schweizer vorzumachen, seine Musik würde lokalen Kolorit widerspiegeln und ihm noch dazu ein schon Jahre rumgereichtes Projekt unterjubelt, das er auf Linz ummodelt, krame ich meinen angelernten Linzer Widerstandsgeist doch gerne hervor.
Hubert von Goisern, das war immer schon Musikantenstadl light und jeder, der darin eine Adapation oder Auffrischung zeitgemäßer Musik sah, hat in den letzten Jahrzehnten garantiert stockkonservative Rockmusik gehört, von Jethro Tull über Genesis bis Yes. Und das ist bitte keine Einzelmeinung. Ich gehe da durchaus mit Dietrich Mateschitz d’accord. Der sagt ja auch über HvG, er sei »so authentisch und so kreativ in seiner Einzigartigkeit zwischen Volksmusik, wo wir alle unsere Wurzeln haben, und moderner Musik«, um ein paar Sätze später darzulegen, was er unter »moderner Musik« subsumiert: Joe Cocker! »Der so singt, wie ich glaube, dass man singen müsste.« Danke, das erspart stundenlange Formulierungsarbeit. Anstatt sich abzumühen, die Entwicklungs- und Verbindungslinien der HvG-Musik darzulegen, liest man einfach im »Red Bulletin« nach und hat es in zwei Wörtern: Joe Cocker.
Ach ja, unsere Wurzeln. Wieso sollen wir unsere Wurzeln in der Volksmusik haben? Dort wo ich aufgewachsen bin, in der Neuen Heimat in Linz, war Volksmusik kein Thema. Aufgewachsen bin ich mit dem Radio als Musikinstrument und da liefen zu der Zeit Abba, Village People und Boney M.
Wer sich aber in den Weltmusikfächern von Plattenläden umhört, Stichwort Wurzeln, wird schnell Platten entdecken, die ein ganz anderes Feeling als der bochane Sound von HvG haben. HvG, waren das nicht Typen mit Lederhose und E-Gitarren, mit einem Selbstverständnis, das geradewegs in so Formate wie »Dancing Stars« im ORF führt, wo HvGs ehemalige Mitmusikerin Zabine (sic!) mittlerweile gelandet ist?
Dass der bodenständige Typ mit Tiefgang nun tatsächlich abgehoben ist, ist die Schuld von Red Bull. Dazu Dietrich Mateschitz zu HvG im »Red Bulletin«: »Allein die Quasi-Bekanntmachungstour in die Oststaaten, die ihr gemacht habt mit unserem Oldtimer-Flugzeug DC 6 mit dem Konterfei des Hubert vorne drauf, das war doch ein typisches Beispiel, wie es funktionieren kann.« Genau. So funktioniert es. »Jeder steuert das bei, was er am besten kann«, erklärt Mateschitz. Wobei auffällt, dass er selbst weit mehr kann als HvG: »Da Huberts Kompetenz in der Kunst liegt und nicht so sehr in Marketing, Organisation und Fund Raising, hab ich ihm angeboten, dass er, wenn er möchte, auf die ganze Red Bull-Infrastruktur zurückgreifen könnte. Das betrifft Marketing, Kommunikation, Ticketing, Organisation, Catering, Hospitality.«
Lokalen Kulturschaffenden möchte er bezüglich Zusammenarbeit »keinen Blanko-Scheck« ausstellen, wurde Martin Heller unlängst in der Presse zitiert. Diese Scheckbuchmentalität samt Verweis, wer das Scheckbuch in der Hand hat, fand ich bemerkenswert. Aber gut, dass es über die Jahre überhaupt Kulturschaffende in diesem Nestchen gegeben hat, die Linz nicht wegen, sondern trotz der vorherrschenden Rahmenbedingungen vertreten und geprägt haben, sonst könnte der mit dem Scheckbuch heute nicht das Kunststück zusammenbringen, eine Stadt, die in diesem Land musikalisch seit Jahren immer vorne lag, von einem repräsentieren zu lassen, der immer schon so hinten wie Joe Cocker war, und offenbar »Red Bull« für eine NGO hält.
So fährt er dahin, der HvG, im Schiffsverband, und wenn er mal wie in Kroatien Musikanten trifft, die »das gemeinsame Musizieren und das Betreten des Schiffes verweigern« dann liegt es nicht an ihm und seinen Conquistadorallüren, sondern an »zu wenig Selbstvertrauen, Desinteresse und Lethargie« der Musiker dort (HvG zit. in »Der Standard«). Naja, vielleicht fanden sie die musikalische Landnahme HvGs einfach nur daneben? Kein Wunder jedenfalls, dass dieser bodenständige Typ in Linz nie ein Standing hatte. Die Szene hier war nämlich immer äußerst kommunikativ.