Ich bin eine Schwester

Peter Donke erinnert an den vor 20 Jahren an Aids verstorbenen Musiker und schwulen Aktivisten Julius Zechner

»Hallo, ich bin der Julius – ich bin eine Schwester«, so stellte sich der fesche junge Mann mit der Gitarre kess meinen Eltern vor. Ich war 17 und wir hatten eben eine Band gegründet, Julius Zechner war zum Plattenhören und Spielen zum ersten Mal auf Besuch. »Ich bin schwul« vereinfachte er auf das freundliche aber verständnislose Lächeln meiner Mutter hinauf. »Freut mich, ich bin die Mutter«. Mit dieser kabarettreifen Vorstellung war im Frühjahr 1977 die sexuelle Revolution auch bei mir zu Hause angekommen.

Sicher, »schwul« war für uns nicht unbedingt ein Schimpfwort mehr, androgyne Charaktere wie Bowie und Konsorten hatten das medial wirksame Spiel um die sexuelle Orientierung bereits eröffnet. Schwul wie Helmut Berger oder bi wie Klaus Kinski oder gar Mick Jagger, das hatte für uns Teenager schon seinen faszinierenden, exotischen Glanz. Aber die Schwulen, die man bisher kannte oder glaubte zu erkennen, hielten das damals tunlichst geheim, Outing war ein unbekanntes Fremdwort. Kein Wunder, waren ja sexuelle Beziehungen zwischen Frauen und solche zwischen Männern in Österreich bis vor kurzem noch verboten gewesen. Die sogenannte »Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts« wurde nach den §§ 129 und 130 des Strafgesetzbuches von 1852 noch bis 1972 mit schwerem Kerker bis zu fünf Jahren bestraft.

Julius Zechner war der erste den ich kannte, der aus seiner Homosexualität kein Geheimnis mehr machte. Ganz im Gegenteil: Sein offensiv zu Schau gestelltes Schwulsein, sein tuntiges Gehabe, das war die hippe Ansage zur richtigen Zeit.

Unsere Band mit Julius an der Gitarre, und uns – um die Gunst der Mädchen buhlenden – Teenies (Kurt Holzinger am Mikro, Christian Unger an den Drums und ich am Bass) schlug rasch Kapital aus ihrer ungeniert zur Schau gestellten sexuellen Bandbreite. Benannt von Julius, nach einem gestrickten Peniswärmer, den er im Sexshop in London gesehen hatte und der »Willie Warmer« oder so geheißen hat, erschlossen WILLI WARMA mit hartem, schnörkellosem Sound und einer geballten Ladung Sex Drive rasch ihr Publikum und machten dem bis dahin vorherrschenden Jazzrock und Progressive-Getue der älteren Musikergeneration den Garaus.

Julius auf der Bühne, da gab es was zu sehen. Höhepunkt der ersten Jahre: Nackt in Höschen mit Strapsen Lou Reeds »I‘m Waiting for my Man« vortragend, das war neu, das war geil. »Die einzige Band weit und breit mit 3 Frontmen«, sollte es damals heißen. »Verdammt sexy«, wie meine Freundin Sophie Rois zu sagen pflegte. Und dazu seine schwere, harte, brutale Rythm‘N‘Lead Gitarre, da blieb sowieso allen der Mund offen. Vom CAFE LANDGRAF – der Home Base der Willis – aus, bildete sich rasch eine Szene aus Punk/Rock/Alternativ Teenagern, Kunsthochschülern und nach und nach spürbar und sichtbar werdender Gay Community. Ein Mix der Kräfte, die in Linz das kommende Jahrzehnt den Takt vorgeben sollten.

Julius, am 21. 7. 1958 in Kärnten geboren, war nach dem frühen Tod seiner Mutter (Julius war 4, als sie starb) irgendwie mit dem Vater nach Oberösterreich gekommen, mit 14 aus Kremsmünster geflogen, und kam 72/73 nach Linz ins Heim zum »Guten Hirten«, wo er ebenso schnell rausgeschmissen wurde, wie auch aus dem Gymnasium und der Buchhandelslehre bei Heimo (wie wir witzelten »Homo«) Liebisch.

Als einziger Nicht-Mittelschüler oder Nicht-Student in der Band musste er neben der Musik permanent arbeiten, um zu leben. Und landete über seinen Zimmervermieter und Freund dieser Tage, dem sogenannten »Badcafé Kurtl«, schließlich als Kellner 1979 im BADCAFÉ, in der Badgasse,ngegenüber dernKommunisten- undnSeefahrerspelunken»Berger Mammi«. Auchnhier, das gleiche Phänomen: Rund um Julius wurde das Badcafé rasch der Treffpunkt der Freaks, Künstler, Lesben und Schwulen. Damit hatte Linz neben dem Café Landgraf mit dem Badcafé und der eben gegründeten Stadtwerkstatt schon drei Hot Spots, um die uns die Wiener Freunde zu dieser Zeit beneideten.

1982 war sein Jahr. »Cruising« mit Al Pacino hatte die Transformation von der tuntigen Schwester zum Leder-Macho Julius eingeleitet, nun ging‘s richtig los. Julius verließ Willi Warma, um eine Zeit lang Heavy Metal mit der Trauner/Linzer Band VAN DYKE zu spielen, sang bei Marc Vojka‘s MOJIQE, einem der ersten Elektro Pop Acts in unseren Breiten. Und übernahm das BADCAFÉ als Geschäftsführer, machte es nun zum ersten offiziellen Lesben- und Schwulen-Lokal dieser Stadt. Mit gern gesehenen Hetero-Gästen, eh klar. Jetzt konnte der nachtaktive Linzer Bohémien abendfüllend zwischen Landgraf, Stadtwerkstatt, dem neuen E-Schmid und dem Badcafé pendeln.

Die mit und um Julius und ums Badcafé gewachsene Gay Community begann sich zu politisieren und organisieren. Julius war 82 Gründungsmitglied der bis heute tätigen HOSI, der Homosexuellen Initiative, der ersten ihrer Art in Österreich. Strukturen schaffen und politisches Gewicht erzeugen, Solidarität leben im Kampf um die schwulen Menschenrechte! – das war die Devise. Denn immer noch setzte der 1972 geschaffene § 209 StGB (»Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren«) das Mindestalter für Beziehungen zwischen Männern bei 18 Jahren fest, während es für Beziehungen zwischen Frauen, bzw. Frauen und Männern bei 14 Jahren liegt (§§ 206f StGB); Männer über 19 Jahre, die intime Beziehungen mit Männern zwischen 14 und 18 Jahren unterhielten, hatten demnach mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu rechnen (im Wiederholungsfall bis 7 1/2 Jahre). Bei den Heteros gab es dieses Schutzalter schon damals nicht mehr. Es sollte bis 2002 (!) dauern, ehe das Strafgesetzbuch keinen Unterschied zwischen den sexuellen Orientierungen seiner Bürger machte. Julius sollte das nicht mehr erleben.

Es war irgendwann 1987, auf der Fahrt nach Wien zu einem Gig im CHELSEA. Julius und ich hatten musikalisch mit DYNAMO URFAHR zwei Jahre zuvor wieder zusammengefunden, Mit Paul »La Batteria« Riedl an den Drums. Ich hatte die zwei bei einem Gig von Harry Hurtig‘s Neugründung THE PRIESTS live gesehen und sofort abgeworben, Julius und seine Art des Gitarrespielens war mir abgegangen. Wir werkten im Trio, mit Hang zu 70er Hard Rock und Pub Rock Tradition.

Irgendwo vor Sankt Pölten eröffnete Julius uns, dass er HIV positiv sei. Unsere Freundinnen im Auto weinten, wir Jungs schluckten und ahnten, dass dies der Beginn des – wie ihn Julius selber nannte – »Langen Abschieds« war. Für Julius aber war es kein Grund zurück zu stecken. Bereits 1985 war er Mitgründer der Aids-Hilfe Österreich gewesen, 1987 schloss er das Badcafé und begann bei der Aids-Hilfe zu arbeiten, er spielte mit DYNAMO URFAHR, er war treibende Kraft der Travestieshow LA RABIATA, trat unter dem Namen DORIS GAY als Solokünstlerin auf,... Beim 1. Europäischen Positiven Treffen 1988 am Münchner Marienplatz outete er sich vor Tausenden als Aids-Kranker und forderte: »Wenn ich damit leben muss, ihr müsst es auch!«

Aber AIDS, bzw. der Stand der Behandlungsmethoden in den 80ern, setzte zum Kahlschlag an. Ein Schlag, von dem sich die Gay Community und unsere Stadt nie mehr erholen sollten. Jeder kannte einen, der daran gestorben war. Im März 92 spielten wir mit den Dynamos in einer Disco irgendwo im Mühlviertel, kalt war es, es lag noch Schnee, Julius verkühlte sich… Es sollte der letzte Auftritt gewesen sein. Am 30. 6. 1992 starb Julius nach elenden, grausamen letzten Monaten.

PS: Über das Gitarrenspiel von Julius gibt‘s nicht viel zu sagen, das härteste, wildeste, schmutzigste, beste, das ich gehört habe! Keine Frage.
Ich habe als Bassist mit Julius bis zu seinem Tod 1992 gespielt, er war ein Wahnsinnsgitarrist, leidenschaftlicher Sänger, Komponist
und Texter. Als er nicht mehr da war, habe ich den Bass weggelegt. So einen wie ihn, den gibt‘s nirgends mehr, der Rock‘n‘Roll ist mit ihm endgültig gestorben. (Und wer‘s nicht glauben will, höre die WILLI WARMA CD oder den DYNAMO URFAHR Bootleg, zu bestellen unter donke@servus.at.

PPS: Allerseelen, Freitag, den 2. November 2012 lädt die Klasse von 77 zum Veteranentreffen mit Live Musik in die Stadtwerkstatt, im Gedenken an Julius und all die anderen Mitkämpfer, die nicht mehr bei uns sind.