Barbara Doser und Hofstetter Kurt waren im Juli als Artists in Residence der Stadtwerkstatt auf dem Wohnschiff »Eleonore« . Das Ergebnis ihres Aufenthalts wird im Herbst in der Stadtwerkstatt präsentiert. Franz Xaver nutzte die Gelegenheit, das Künstlerpaar zum Interview zur Medienkunst zu bitten.
Franz Xaver: Ihr seid ja jetzt schon fast 30 Jahre zusammen und arbeitet auch seit ca. 30 Jahren auf unterschiedliche Weise mit den »Neuen Medien«. Vielleicht ganz kurz ein einleitendes Statement von Euch WIE, WARUM und WANN ihr das Arbeitsmaterial »Neuen Medien« entdeckt habt.
Hofstetter Kurt: Nach dem Spielen von elektronischen Synthesizern (Heimorgeln) in den 1970er Jahren hat es wohl erst richtig angefangen mit dem Fotokopieren 1980/81. Das schwesterliche Reisebüro Alp Tirol stellte mir einen riesigen Kopierapparat zur Verfügung – ich erkannte das Medium des Fotokopierens als Material surrealer Frontalbeleuchtung von Objekten – es entstanden Fotokopien, die ich signiert als Originale und nicht als Kopien betrachtete. Das anschließende autodidaktische Studium von elektronischen Programmiersprachen stimulierte mich Netzwerke zu entwerfen, in denen visuelle und akustische Zufälle generiert werden. 1984 begründete wieder das Reisebüro Alp Tirol die intensive Beschäftigung mit Software-Entwicklung. Ich programmierte u.a. ein Kassennetzwerk, das Zufälle durch digitale künstlerische Bild- und Ton- Messages am Bildschirm und Lautsprecher eingeschaltet hat. In dieser Umsetzung wurde dann das Arbeitsmaterial »Neue Medien« hautnah. Daraus resultierte 1989 mein network multimedium: Hofstetter Pendel Uhrwerk, das durch öffentliche Datennetze (dazumals X.25 Netzwerk) und Modem die Zeit in künstlerischen Messages (Zufällen) anzeigte, bzw. erfahrbar machte und 1993 sogar das Österreichische Patent Nr.: AT 396040 B erhielt. Dieses Werk steht seit 1994 im Wien Museum. 1992/1993 konnte ich die Installation »Planet der Pendler mit den 3 Zeitmonden« als erste permanente Computerkunstinstallation im öffentlichen Raum in Österreich am Bahnhof Wien Mitte realisieren, die seit 20 Jahren noch immer authentisch läuft.
Franz Xaver: Da fällt mir ja gleich eine Gemeinsamkeit in eurer Arbeit auf. Es ist die Zeit – bei Barbara ist es die Gegenwart, die in einer Rückkopplung gefangen wird. Bei Kurt sehe ich das Pendel als wichtiges Instrument um die Zeit erlebbar zu machen. Die Zeit spielte ja auch in der Medienkunst eine große Rolle. Es waren die Echtzeitmanipulationen, die »LIVE«- und »ONLINE«-Konzerte, die ein zeitgleiches Geschehen und Auftreten von Musikern in verschiedenen Teilen der Erde ermöglichten, dies erzeugte Utopien über Technologien. Mit dem WWW war alles für jeden zugänglich. Es scheint, dass die Utopien eingelöst wurden. Die Zeit spielt aber auch heute im Internet noch eine große Rolle. Die Interessen verlagern sich aber zu Gunsten der Ratio und der Wirtschaftlichkeit, man denke nur an den Highfrequency-Handel an den Börsen. Es ist auffällig, dass kurz vor der Zeit des WWW viele Kunstprojekte mit der ganzen Welt gemacht wurden. Sind die Möglichkeiten für KünstlerInnen durch Informationsglobalisierung weniger geworden?
Barbara Doser: Im Bereich der Neuen Medien und damit insbesondere mit dem verfügbaren Instrument des WWW wurde natürlich die Gleichzeitigkeit in der Gleichräumlichkeit ein zentrales Thema. Auf Grund der neuen Möglichkeiten wurden einerseits Kunstprojekte dafür konzipiert, andererseits konnten bisher utopische Konzepte endlich realisiert werden, wie es zum Beispiel bei Kurt der Fall ist mit seinem Projekt Sunpendulum und den damit verbundenen parallelen Projekten.
Für meine künstlerische Arbeit war das WWW bisher nicht relevant. Ich benütze es lediglich für Recherchen und bin enttäuscht über oberflächliche und falsche Informationen, quasi über die globale Volksverdummung. Zur Präsentation meiner Experimentalvideos oder jenen, die gemeinsam mit Hofstetter Kurt entstehen, auf diversen Plattformen, ist das WWW nach wie vor ungeeignet, da die komplexe Information bei Videofeedback (50 Halbbilder pro Sekunde mit sprunghaften, formalen Veränderungen) immer noch nicht annähernd adäquat transportiert werden kann.
Im Genre der Videorückkoppelung zu Beginn der 1970er Jahre waren übrigens ebenfalls Echtzeitmanipulationen von zentraler Bedeutung. Allerdings aus ganz anderen kausalen Zusammenhängen heraus. Nicht, weil das Live-Videobild zu Live-Musik so interessant war, sondern weil die Speichermedien und das verlustfreie Nachbearbeiten damals nicht möglich war. Vielmehr kam es im Verlauf der 1970er Jahre in den USA zu zahlreichen technischen Neuerungen im Bereich Image Processing und Image Synthesis. Auf diese Weise gestalteten die Künstler selbst maßgeblich die Technikgeschichte und gleichzeitig den Beginn der Medienkunst.
Der Mathematiker und Physiker James P. Crutchfield beschrieb das Video-Feedback-System 1984 als einen »Raum-Zeit-Simulator«. Die Dynamik dieses Simulators zu studieren biete die Möglichkeit, auch eine Reihe von anderen Problemen in der Dynamischen Systemtheorie, im iterativen Image Processing, im Rahmen der zellularen Automaten und biologischen Morphogenesen zu verstehen.
Was mich fasziniert, ist das Video-Feedback- System als Mustergenerator, was sich aus der »Arbeitsstrategie« des Systems ergibt. Durch den Rückkoppelungsprozess zwischen Kamera und Monitor werden Bilder (Motive) wiederholt und partiell auf sich selbst abgebildet, um von einem zum nächsten Mal zu einem veränderten Motiv zu werden. Es liegt also eine eindeutige Wiederholvorschrift vor. Die Wiederholung konstituiert ein Muster, ist sein Hauptcharakteristikum und die Ursache für seine potentielle Unendlichkeit.
Das ist natürlich eine ganz andere Zeitlichkeit bzw. Gleichzeitigkeit und Räumlichkeit als die des WWW. Sie gab es immer und wird es immer geben. Die Generierungsvorschriften und -prozesse können allerdings neue sein, und damit auch die formalen Resultate, wie etwa die der von Kurt entwickelten Mustergenerierungsmethode der »Induktiven Rotation«. Die Induktive Rotation weist übrigens im Generierungsprozess Ähnlichkeiten mit dem Video-Feedback-System auf.
Hofstetter Kurt: Ja, die Zeit und das Pendel – aber das unendlich lange, unendlich langsame Pendel, das still steht und sich nur mehr symbolisch in Parallelität und Kreislauf manifestiert. Das war wichtig! Durch irrationale Verallgemeinerungen erkannte ich 1990 »Parallelität und Kreislauf« sowie »Inplusion« (!) – Explosion in Bezug zu Zeit, Licht, Raum und Alltagsleben als das zentrales Konzept meiner Arbeit.
Sicherlich wurde die Utopie einer zukünftigen LIVE- und ONLINETechnologie durch das WWW und die Demokratisierung zur ganz gewöhnlichen, alltäglichen Realität. Das heißt, diejenigen Arbeiten, die sich streng oder nur über die Technologie definiert haben, wurden eingeholt. Die Neuen Medien wurden zur Gewohnheit, sozusagen alt (ist ja bekannt, dass die Kunst aus den gewöhnlichen Alltagsentwicklungen aussteigt und manchmal voraus steigt). Das tangiert mich aber überhaupt nicht. In meiner Kunstintention hat Zeit und Raum nichts an Qualität und Wesentlichkeit verloren. Es kommt auf Konzept, Inhalt und Kontext an. Ich möchte ein paar Beispiele nennen:
1994 das Telefonkonzert Mreza/Netz – Seit 1995 die Möbius-Sounds und natürlich dann Xtense Imaging: Meine Auseinandersetzung mit Parallelität und Kreislauf resultierte im weltumspannenden Projekt »Sunpendulum« (1996), das seit 1997 realisiert wird: In 12 Zeitzonen rund um die Erde wurden jeweils
eine Videokamera in den Himmel gerichtet und online ans Internet angeschlossen. Seit 2006 in enger Kooperation mit 12 Universitäten/Forschungseinrichtungen beobachten 12 Videokameras – Zeitaugen – den Himmel. An einem bestimmten Ort der Erde werden in einem Pavillon 12 Monitore im Kreis installiert. Diese Monitore sind online mit den 12 Zeitaugen verbunden und übertragen das Licht der Sonne aus den 12 Zeitzonen. Eine Sonnenuhr ist entstanden. Mit der Zeit, d.h. mit der Erdrotation, kreist das Licht der Sonne im Kreis der Monitore – ein stetiger Kreislauf von Licht parallel zum Schatten von Tag parallel zur Nacht. Daraus entstand 1999 die Methode des »Xtense Imaging«, die nie wiederkehrende Bewegtbilder generiert. Dabei arbeite ich mit Live-Himmelsbildern, die online von den 12 Zeitaugen eingespielt werden. Durch ein Keying-Verfahren wird ein digital geschaffenes statisches Bild mit dem Licht und den momentanen Geschehen am Himmel regeneriert und gleichzeitig in enstatische Bewegung versetzt. Die Veränderung erfolgt permanent live und ist von unendlicher Variation – nicht zuletzt durch die Rotation der Erde, bzw. des kontinuierlichen Kreislaufes von Tag parallel zur Nacht. Daraus entstanden »lebendige« Medienkunstarbeiten: Complementary Light Pendulum (konzipiert 1993, ist durch Sunpendulum seit 2003 realisiert), TimeDeLux, Twilight Pendulum (2006), Spacing Time (2007), Circum C (2008), Azzurro (2009), fACING tIME (2011), ... siehe www.sunpendulum.at.
Selbst die offline-Version dieser Arbeiten, d.h. die Einbeziehung der kritischen Masse der Bilder eines ganzen Jahres – etwa 31536000, generiert Kunstwerke, die niemand ganz erleben wird können. Man kann sicherlich nicht lückenlos jede Sekunde eines Jahres, wenn auch verteilt über Jahrzehnte, erfahren. Niemand weiß, was im nächsten Augenblick passiert.
Franz Xaver: In den 80ern spielte in der Kunst auch die Mathematik eine große Rolle. Mit der Mathematik lässt sich ja die Zeit und der Raum komplett ausblenden. Das Buch Gödel-Escher-Bach war zwar ein Bestseller und trug auch zum Mythos der Medienkunst bei, aber nur wenige KünsterInnen schafften dazu reale Werke. Ein mathematischer Medienkunst-Mythos kam über die Mandelbrotmenge und das Paisley-Muster war Modeerscheinung. Es spiegelte sich die Unendlichkeit in der Mode, in den Feedbacks und auch im Apfelmännchen. Wenn man bei Wikipedia nach dem goldenen Schnitt sucht, findet man eine wissenschaftliche Methode von Hofstetter Kurt, die eine einfache Möglichkeit aufzeigt, um den goldenen Schnitt zu erreichen.
Barbara Doser: Diese Erkenntnis, dass die moiré-ähnlichen Muster deiner Arbeit aus den 80er Jahren dem Bildungsgesetz der Zahl Phi folgen, wie sie Kurt in Linz unlängst hatte, ist übrigens eine Fähigkeit, um die ich ihn immer schon beneidet habe. Was ich intuitiv mache oder mittels langwieriger Überlegungen oder Experimente erarbeite, bringt Kurt effizientest auf den Punkt. Ich habe Kurt übrigens Anfang der 80er Jahre an der Uni Innsbruck in der Bibliothek des Institutes für Kunstgeschichte kennengelernt, wo er zum Zweck seiner mathematischen Studien immer hinkam. Eines Tages erzählte er mir, er könne mit Himmelswolken rechnen ... da war ich platt ... auch darüber, mit was alles sich die Mathematik beschäftigt. Das Buch Gödel-Escher-Bach gehörte allerdings damals weder zu Kurts noch zu meinem Interessensrepertoire. Allein die Ästhetik der Illustrationen und Abbildungen hat mich schon immer abgeschreckt, bzw. hat mich die Qualität der »Kunst« irritiert, perspektivische Unmöglichkeiten, optische Täuschungen und Wahrnehmungsphänomene darzustellen. Gerade im Forschungsbereich der zweidimensionalen und dreidimensionalen Parkettierungen (tilings) wird Bildmaterial, das nicht mehr als die geometrischen Strukturen und ihre Anordnung widerspiegelt, oft zu »Kunst« stilisiert. Dasselbe gilt für mich auch bei der von dir angesprochenen und für die Chaosforschung relevanten Mandelbrot-Menge und ihrer selbstähnlichen Strukturen im Randbereich. So en vogue der Gedanke der Paarung von Wissenschaft und Kunst heute ist – wissenschaftliche Phänomene und Erkenntnisse und der Gebrauch von (neuen) Medien zur Bearbeitung und Darstellung resultieren halt nicht automatisch in einem Kunstwerk.
Hofstetter Kurt: In meiner Gymnasialzeit in Linz (1974-1978) begann meine Faszination zur theoretischen Mathematik, insbesondere im Umgang mit Unendlichkeiten wie in der Fibonacci Folge. Das anschließende Studium der Mathematik an der philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck in den Jahren 1978 bis 1984 vertiefte diese Beschäftigung mit Unendlichkeiten und initiierte ständige künstlerische Auseinandersetzung mit Projektionen von theoretischen Objekten virtueller Räume (Mannigfaltigkeiten) in die Alltagsrealität. Dies führte wie schon oben erwähnt zu meinen surrealen Fotokopien und Skulpturen. Sicherlich, als Resultat dieser Stimulation entdeckte ich 1989 die formale Affinität von »Parallelität und Kreislauf« im algebraischen Körper des Zahlenraumes gebildet von 0 und 1, wo die Addition 1+1 = 0 ergibt und somit II kongruent O ist oder Parallelität kongruent zum Kreis ist. Symbolisch bildet sich daraus das unendlich lange, stehende Pendel (siehe oben), ein zentrales Konzept meiner künstlerischen Arbeit.
Als ich 1989 Peter Weibel fragte, ob ich an seinem Institut in Wien eine Dissertation zum Thema »Zwei kongruent Null versus Parallelität und Kreislauf« angehen kann, antwortete er JA – sehr interessant! Das war ein entscheidender Moment, wo ich meine künstlerische Haltung, mit Mathematik zu arbeiten, bestätigt bekommen habe. Darüber hinaus hat Peter Weibel in seiner Führung durch die Galerie Insam sehr provokant über »die Zeit« reflektiert und mich dadurch ermutigt, das unendlich lange, stehende Pendel endlich skulptural auszuformulieren (Hofstetter Pendel Uhrwerk, Planet der Pendler mit den 3 Zeitmonden – Bahnhof Wien Mitte, Einen Augenblick Zeit – Bahnhof Wien Süd). Nach mehr als zehn Jahren Fokus auf Parallelität und Kreislauf insbesondere auch im Projekt Sunpendulum kam es 2000 zum Entwurf der Sunpendulum Station PHI – ein Pavillon, der alleine mit Zirkel und Lineal konstruiert werden kann und sich proportional aus der Natur mittels der Konstanten der Zahl PHI oder dem Goldenen Schnitt bildet.
In meinen Entwurfszeichnungen habe ich eine sehr, sehr einfache Methode entdeckt, den Goldenen Schnitt nur mit dem Zirkel alleine zu konstruieren. Künstlerisch interessant war das Archaische an dieser Konstruktion, dass sie sich schon aus der Existenz von zwei Polen und der daraus resultierenden Fischblase – der Vesica Piscis (altes vaginales Symbol der Fruchtbarkeit) – ergibt. Da diese simple Methode der Mathematik nicht bekannt war, habe ich 2002 dafür die erste wissenschaftliche Publikation im einschlägigen mathematischen Journal »Forum Geometricorum« erhalten. Aus den Konstruktionskreisen leitete ich direkt meine Ausformulierung der Dreikugelskulptur »N.I.C. – nature is cool« ab, die seit 2009 permanent im öffentlichen Raum in Wien, Ecke Laudongasse/Langegasse, direkt am Gehsteig installiert ist. Das ekstatische Auftreten des Goldenen Schnittes in den proportionalen Zusammenhängen in dieser Skulptur machte mich neugierig, ihre geometrischen Eigenschaften genau zu untersuchen. Daraus destillierte ich eine wesentliche Konstruktion der inneren Teilung des Goldenen Schnittes, die 2005 als neue 5-Schritt Konstruktion mit rostigem Zirkel und Lineal wissenschaftlich veröffentlicht und anschließend ins Wikipedia aufgenommen wurde. Die Geometrie, insbesondere mein obsessives Ziehen von Kreisen, hat nachhaltig meine künstlerische Arbeit geprägt. Aus diesen Kreiszeichnungen entstehen seit 2004 Muster, die durch die Verwendung der Proportion PHI quasikristallin anmuten. Durch die Entdeckung der Induktiven Rotation 2008 – eine simple rekursive Methode, asymmetrische, aperiodische Strukturen zu generieren, ist eine neue, natürliche Lebendigkeit in meine Bild- und Klangwelt gekommen.
Franz Xaver: In Linz, der »Medien- und Kunststadt«, wird gerade ein neuer Kulturentwicklungsplan für die nächsten 10 Jahre ausgearbeitet. Darin ist u.a. zu lesen, dass die Medienkunst durch das Internet und die Ars Electronica einen niedrigschwelligen Zugang erreicht hat und dass das AEC, die Ars Electronica und das Futurelab eh alles richtig machen. Diese Medienkunst kann nun in massenkompatiblen Ausstellungen verpackt werden. Linz als Medienstadt wird ja auch mit immer mehr blinkenden Lichtern ausgestattet. Für mich läuft da was komplett falsch, die Vergangenheit ist nicht richtig aufgearbeitet und man will einen möglichst breiten Zugang zur Medienkunst – das hört sich für mich nach Jahrmarktskunst an.
Barbara Doser: Der Begriff »Medienkunst« wäre einmal abzuklären. Ist es Kunst, die sich von der Produktionstechnologie ableitet? Den »Medien« als Apparaturen (real oder virtuell), die gleichermaßen Werkzeug, Material und Thema der Kunst sein können? Film, Video, TV, Computer, digitale Netze, …? Sprechen wir vom »Mythos Medienkunst« aufgrund einer falschen Vorstellung davon oder aufgrund einer Lüge? Kunst und Technologie als Aufbruch in neue Wirklichkeiten? Mythen sind in jedem Fall Diskurse, die sich einer eindeutigen bzw. eindimensionalen Definition entziehen.
Ich persönlich habe mich nie als Medienkünstlerin gesehen – vielleicht, weil ich bis heute nicht weiß, was Medienkunst ist und ausmacht. Eher als Videokünstlerin, da meine Werke abstrakte, bzw. gegenstandslose Experimentalvideos sind. Es geht mir um Formen in Bewegung und Bewegung als Form. Der Fokus ist dabei auf Synästhesie zwischen Bild und Sound/Musik gelenkt, die den Rezipienten dazu anhalten, herkömmliche Wahrnehmungsmuster zu verlassen. Hier entstehen auch zahlreiche gemeinsame Arbeiten mit Hofstetter Kurt. Die Präsentation erfolgt entweder frontal oder installativ. Dass ich dazu nicht nur eine Videokamera, sondern auch einen Computer, Software sowie Speicher und Wiedergabemedien benötige, versteht sich von selbst. Außerdem genügt mir die Virtualität dieser Werke nicht. Es ist ein essentieller Aspekt meiner Arbeit, Strukturen, Formen, Bewegung, Farbe und Poesie in den Lichtmustern des Video Feedback-Materials zu finden und zu gestalten, die sich schließlich auch auf einem statischen, materiellen Bildträger wiederfinden können. Es handelt sich um Standbilder als Momentaufnahmen der dynamischen Form- und Bewegungsprozesse der Videoarbeiten, die am Computer bearbeitet zu Motiven für Tafelbilder (Acryl auf Leinwand) oder Druckwerke (verschiedene Techniken) werden. Es geht darum, zu Ergebnissen zu gelangen, die eine dauernde sinnliche Wahrnehmung zulassen, was durch die Flüchtigkeit des Mediums Video nicht möglich ist.
Was da im Ars Electronica Center passiert, kenne ich nur oberflächlich aus den Massenmedien, da ich seit Mitte der 1990er Jahre mein Interesse daran verloren habe. Heute steht auf ihrer Website: Mit den »vier Säulen – dem Festival, dem PRIX, dem Center und Future Lab – verfügt Ars Electronica über eine tragfähige Struktur, die sowohl ihre internationale Ausrichtung als auch lokale Verankerung optimal befördert. Mehr als jede andere Institution repräsentiert Ars Electronica damit einen umfassenden Ansatz in der Auseinandersetzung mit technokulturellen Phänomenen.« Techno-kulturelle Phänomene waren schon immer Attraktoren für Massen. Kunst nicht.
Gegen das Konzept eines Festivals und PRIX als Schau zeitgenössischer internationaler Medienkunst ist nichts einzuwenden. Und das Ars Electronica Center ist – ich zitiere: »die bauliche Umsetzung dessen, was die Ars Electronica verkörpert: Ein Ort, an dem man entdecken und forschen kann, experimentieren und erkunden, ein Ort, der sich die Welt von Morgen als Bühne ausgesucht hat und Einflüsse aus vielen verschiedenen Denk- und Betrachtungsweisen bündelt und präsentiert. Man kann das Center auf eigene Faust erkunden, oder sich in die Arme von fachkundigen Infotrainerinnen und Infotrainern begeben.« Magst du da hingehen und dich in die Arme von »InfotrainerInnen« begeben? Das FutureLab hat aus der Auftragsforschung gemeinsam mit seinem Industriepartner Siemens vier Patente vorzuweisen, errang seit 2000 zwei internationale Preise in den Kategorien e-Entertainment und »Professional/Interactive/Realtime«. Gigantomanisches ist seit 2012 unter dem Titel »ZeitRaum. Medienkunst am Flughafen Wien« anzutreffen. Im Zuge der Eröffnung meinte Horst Hörtner, dass es hier die Medienkunst geschafft habe in einer Dimension in den öffentlichen Raum zu gelangen, »die nicht irgendwo in irgendeiner Ecke in einem Winkel auftritt, sondern wirklich auch wahrnehmbar als zentrale Installation auf einem Flughafen mit mehreren Millionen Fluggästen, also sehr, sehr laut aufstampfen kann.« Die riesigen Monitorflächen müssen allerdings zur Hälfte der Zeit mit kommerziellen Angeboten oder auch Imagewerbung geteilt werden (Quelle: http://ooe.orf.at/news/stories/2536152/). Ist das zu fassen?
Die Vergangenheit der Medienkunst scheint wirklich nicht aufgearbeitet zu sein. Oder ist es eine lange geübte Verdrängung und Ignoranz von KünstlerkollegInnen, Theoretikern und Kuratoren im eigenen Land? Hofstetter Kurt ging mit seinen Medienkunstinstallationen bereits zu Beginn der 1990er Jahre in den öffentlichen Raum: »Planet der Pendler mit den 3 Zeitmonden« am Bahnhof Wien Mitte (seit 1993) ist überhaupt die erste permanente Computerkunstinstallation im öffentlichen Raum in Österreich und wurde seither von x-Millionen Passanten rezipiert. Die Installation »Einen Augenblick Zeit« am Bahnhof Wien Süd, die von 1994 bis zum Abbruch des Bahnhofes 2009 permanent lief, wurde von abertausenden Menschen zu einem Symbol dieser Örtlichkeit. Bis zur Errichtung des Wiener Hauptbahnhofes befindet sich die Medienskulptur in der Obhut des ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) Karlsruhe, übrigens ein wichtiger Ort, an dem seit Jahren riesige Ausstellungen organisiert werden, bei denen themenspezifisch Altes und Neues aus dem Bereich der Medienkunst präsentiert und in beachtlichen Katalogen dokumentiert wird.
Xav, zu deiner Frage: »Ist der Zugang zur Medienkunst wirklich massenkompatibel geworden?« Zeigt dies die FutureLab-Installation am Wiener Flughafen, die Visualisierungen mittels Buchstaben und Wörtern zeigt, die sich formieren aufgrund von Daten aus dem Tower und der Bewegung von Passagieren? Um dann wieder eine Zeit lang von Werbeeinschaltungen abgelöst zu werden? Ist dies der Stand der Selbstverständlichkeit von Medienkunst in Österreich? Massenkompatibilität? Die Frage bleibt. Was ist Medienkunst? Die »transmediale« in Berlin bezeichnet sich seit 2007 nicht mehr als »international media art festival«, sondern als »festival for art and digital culture«. Sie wollten damit die »Nische« der Medienkunst verlassen. Die Ars Electronica bezeichnet sich als Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft. Da ist für jeden was dabei.
Die Aussage, dass die Medienkunst durch das Internet und die Ars Electronica als positives Faktum einen niedrigschwelligen Zugang erreicht hat, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn mit niedrigschwellig gemeint ist, dass mit geringem Aufwand konsumiert werden kann, weil »konsumentenfreundlich« selektiert und aufbereitet, so ist das nicht gerade generell eine positives Qualitätsmerkmal. Vielmehr wird die Materie, bzw. werden die Dienste ohne Reibungsflächen dem Niveau des Konsumenten angepasst und diese in die »Arme von InfotrainerInnen« geschickt. Die freien Rezipienten werden zu entmündigten Konsumenten. Und was machen die Künstler? Passen die sich der Nachfrage an? Lehrer mit Schulklassen werden allerdings an niedrigschwelligem Zugang ihre Freude haben. Die Frage ist nur, was kommt danach. Kann das Interesse des Nachwuchses so initialisiert und aufgebaut werden, um sich später selbständig an Komplexerem in der Kunst zu erfreuen? Und wo soll das stattfinden, wenn sich die einschlägigen Institutionen mit Niedrigschwelligkeit aufhalten? In unserer globalen Informationsgesellschaft degeneriert Bildung zu Verbildung bis hin zur systematischen, nivellierenden Verdummung. Eine Blase, die platzt.
Franz Xaver: Conlusio: Kunst ohne KünstlerIn.