Eines Tages wird ein Mann persischer Herkunft in einer deutschsprachigen Provinzstadt zufällig in eine Straßendemonstration von iranischen Aktivisten hineingezogen, die gegen die aktuelle theokratische Regierung in Teheran protestieren. Es kommt zu einem Zusammenstoß, er findet sich in eine Fahne verwickelt am Boden liegend neben einer Frau wieder, um danach von drei Männern, die sich als Brüder zu erkennen geben, in den Gasthof »Zur deutschen Gemütlichkeit« eingeladen zu werden. Dort sitzt er plötzlich mit ihnen als außerfamiliärer Zeuge eines Familiengerichts, das die drei abhalten.
Dies ist der absurde Ausgangspunkt des Romans »Teheran Wunderland« von Sama Maani. Die Rahmenhandlung ist zwar nicht, wie der Titel vermuten ließe, in Teheran angesiedelt, der Ich-Erzähler nutzt jedoch seine Zeugenrolle beim Familientribunal dazu, fast ausschließlich von der iranischen Hauptstadt bzw. von iranischer Politik, Religion und Bevölkerung zu berichten. Allerdings hat der Autor einen äußerst unzuverlässigen Ich-Erzähler eingesetzt. Dieser ist zwar ein Kind exilierter Teheraner, die nach Deutschland geflüchtet waren. Aber er wiederholt mehrfach, dass er die Sprache seiner Eltern, in der ihm die Geschichten von den drei Brüdern erzählt werden – das Persische – nicht beherrscht. Folglich kann er das angeblich Gehörte gar nicht weitererzählen, er übernimmt aber dennoch die Rolle des Berichterstatters. Er filtert und kommentiert das ihm auf Persisch Erzählte und wird somit auch zum Übersetzer für seine deutschsprachige Leserschaft. Diese erzählstrategische Ausgangslage führt dazu, dass die Handlung zugleich stark satirische, wie auch wundersam-märchenhafte Züge trägt: alles Gehörte und Wiedergegebene wurde vielleicht gar nicht oder falsch verstanden und könnte darum Fiktion, Traum oder Lüge sein.
Das inszenierte Familientribunal folgt keineswegs den bekannten Mustern, die man aus Gerichtsromanen kennt: es gibt keine Anklage, keine Verteidi-gung, keinen Richter und kein gesprochenes Urteil, auch keine Plädoyers und keine glaubwürdigen Zeugen. Der Autor Sama Maani, Psychoanalytiker und Kulturkritiker, subvertiert vielmehr das Genre und nutzt dies dazu, die Geschichte einer gescheiterten Revolution als Farce zu erzählen. Was hier zählt, ist nur noch das Erzählen – und zwar ein Erzählen gegen den Tod, wie es Scheherazade vorexerziert hat, strahlendeste Erzählerin des persischen Klassikers, in dem Erzählkunst zu Überlebens-kunst wird. Der sich in mehreren Erzähl- und Erinnerungssträngen entfaltende Gerichtsprozess, der zugleich innerfamiliäre Klärung – aber auch historisch-politische Aufklä-rung ist, soll nicht nur die Frage beantworten, wer unter den Brüdern sich der Kollaboration mit dem klerikalfaschistischen Regime schuldig gemacht hat, sondern er stellt auch die Gründe der gescheiterten iranischen Revolution 1978/79 aus, an der alle drei Brüder beteiligt waren. Die drei bleiben im Übrigen namenlos – auch dies ist dem ironisch märchenhaften Grundton des Romans geschuldet. Sie werden nur durch Charakterbe-zeichnungen voneinander unterschieden. Der »Feine«, ein sensibler Lyriker, wurde unabsichtlich zum Propagandist des Regimes. Den »Jungen«, einen Oppositionellen des Regimes, verschleppte man in ein Umerziehungslager, in dem er allerdings keinerlei Gewalt, sondern geradezu progressiven Fortbildungsmöglichkeiten ausgesetzt war. Doch auch wenn er sich unbeschadet in wissenschaftlicher, politischer und vor allem sexueller Freiheit üben durfte, ändert dies nichts daran, dass auch er dem Regime letztendlich ungewollt zuarbeitete. Der dritte der Brüder wird nur als der »Grobe« bezeichnet und verweist mit seinem Namen permanent auf die drohende Gewalt, die hinter dem sonst zumeist humorvoll Erzählten lauert.
Die Lebensgeschichten, die vom Autor gesponnen wurden, sind von groteskem Humor, Verzerrung und Übertreibung geprägt. Anti-Logik und Sarkasmus bleiben die wichtigsten Mittel, mit denen der Autor seine Kultur- und Religionskritik ausformuliert. Dabei dienen ihm vorwiegend das Thema Sexualität, sowie Fragen von Geschlechterrollen als Anlass, seine satirische Anklage zu entwickeln. Zum Höhepunkt getrieben wird dies etwa bei der Beschreibung eines Instituts für Religionssexologie. Die Absurdität eines radikal freiheits- und sexualitätsfeindlichen Regimes, das sexuelle Frustration im Religösen aufzulösen versucht, wird hier in Form von sogenannten »Masturbationsgutscheinen« eingefangen, die man nach einem dem »Ablasshandel« verwandten Prinzip erwerben kann: mittels gleichzeitigem Gebet eines bezahlten Geistlichen kann die Sündenhaftig-keit noch während der Masturbation abgewaschen werden. Auch das Prinzip der »Mädchenweihe«, ein Versuch, Homosexualität religiös korrekt zu verwalten und sodann zum Machterhalt einzusetzen, strotzt nur so von Widersprüchlichkeiten, mit denen Maani satirisch auf die Lügenhaftigkeit der theokratischen Staatsideologie des klerikalen Regimes verweist.
Aber auch andere Themen wie Verrat, Brudermord, Repression, Folter oder Geheimdienste werden im Roman oftmals über die Beschreibung von grotesker Sexualität bzw. pervertierter Liebe ausgetragen. So verliebt sich zu Beginn der Revolution der »Feine« und Poet unter den Brüdern, in eine Proletarierin. Als diese ihn wegen des Sohnes eines Wurstfabrikanten verlässt, wird – mittels absurder Komik und Inszenierung widersprüchlicher Dynamiken, die sich rasant entfalten – seine aus Rache verfasste Lyrik zur Propaganda des Regimes, sodass ein Gedicht des enttäuschten und gekränkten Verliebten zum sprachlichen Unterdrückungsinstrument von Frauen aufsteigt. Und auch, was dann noch folgt, lässt nichts an Absurdität zu wünschen übrig.
Sama Maanis Satire, auch wenn die ihr zugrunde liegende Komik oft brachial auf überspitzten Kontrasten und karikaturalen Figuren basiert, funktioniert vielleicht gerade deswegen gut als fiktionalisierte Religions- und Kulturkritik, weil der Autor auch die feine Ironie des Schelmenhaften beherrscht und diese mit handfester und nüchterner Analyse, sowie einer Art erzählerischer Schocktherapie verbindet. Denn hinter der Komik des satirisch verzerrt dargestellten Iran schimmert ständig die Wirklichkeit eines realen politischen Systems durch, in dem klerikale Willkür den Rechtsstaat ersetzt hat und Gewalt bzw. Unterdrückung omnipräsent sind. So liegt also mit »Teheran Wunderland« ein sehr ungemütlicher Kurzroman des Autors vor, der keineswegs von einem fernen, märchenhaften »Wunderland« handelt, sondern von der Brutalität des Unlogischen, der Arroganz des Widersprüchlichen und der Gewalt des Manipulativen, die dazu eingesetzt werden, klerikale Regime an der Macht zu halten und permanente Menschenrechtsverletzungen durch theokratische Ideologie zu legitimieren.