Vor nunmehr einem halben Jahrhundert erschien die deutsche Übersetzung von Desmond Morris' ein Jahr zuvor veröffentlichtem „The Naked Ape“. In diesem richtete der Autor einen streng zoologischen Blick auf den Menschen als Tier, das nicht nur das größte Gehirn unter allen Primaten habe, welches zum Namen Homo sapiens animierte, sondern sich vor allem durch die mangelnde Behaarung auszeichne. Eben diese Tatsache wurde nicht nur titelgebend für das Werk. Über weite Strecke ist der Blick auf jene im wahrsten Sinne des Wortes Äußerlichkeit das zentrale Moment der Arbeiten Morris'.
Der heute 90jährige Desmond Morris ist ein ziemlich illustrer Geselle.[1] In seinen frühen Jugendjahren begann er, sich der surrealistischen Malerei zu widmen und schon im Alter von 22 Jahren stellte er seine Werke gemeinsam mit Joan Miró in London aus. Parallel absolvierte er ein Studium der Zoologie - ein Fach, in dem er sich 1951 bei dem späteren Nobelpreisträger Nikolaas Tinbergen mit einer Arbeit über das Balz- und Fortpflanzungsverhalten von Stichlingen promovierte. Explizit zusammengeführt hat er beide Stränge 1963 in seinem Werk „The biology of art“ („Der malende Affe. Zur Biologie der Kunst“). Sein Forschungsobjekt war ein Schimpanse namens Congo, der in seinem künstlerischen Gestaltungsvermögen je nach Deutung entweder mit einem zweijährigen Kind oder Jackson Pollock vergleichbar gewesen sei.[2] Doch erst die Lösung von der Kunst als explizitem akademischen Gegenstand – inklusive beruflicher Zwischenstationen als Kurator in der Zoologischen Gesellschaft und im Londoner Zoo sowie der Mitarbeit in verschiedenen Fernsehprojekten – ließ den Surrealismus implizit auf seine wissenschaftliche Erkenntnis einwirken. „Der nackte Affe“ ist letztlich als erstes Ergebnis dieser Lösung zu betrachten. Das „time magazine“ wählte das Werk 2011 unter „the 100 best and most influential written in English since 1923“. Das mag einen gewissen Wahrheitsgehalt haben. Ehrlicher aber wäre es gewesen, es zu den meist abgewehrten Werken zu zählen. Morris hat sich dies zu einem gehörigen Grad selbst eingebrockt durch seine mehr als flapsige Sprachwahl. Diese ist weder einfach damit zu entschuldigen, dass es sich um ein populäres Sachbuch handle, noch damit, dass eine ähnliche Sprachgestalt auch den meisten seiner Kollegen, wie z.B. Jared Diamond, Elaine Morgan, Frans de Waal, Jane Goodall, eigen ist. Vielmehr verweist diese Verwandtschaft auf ein gemeinsames Unbehagen. In Verbindung mit der direkten Anrede der Leserschaft scheint die saloppe Sprache das Verstörende der jeweiligen Vorstöße in die phylogenetische Vergangenheit und somit die Hinweise auf eine gewisse Determinierung des Menschen dämpfen zu sollen. Darin jedoch drücken sich Zweifel an der eigenen Erkenntnis aus. Letztlich verweist die Flapsigkeit der Sprache immer auf eine Flapsigkeit der Gedanken; in Morris' Fall also darauf, dass die von ihm angestrebte „simplification without distortion“ nicht immer gelang. Schon sein Kollege Irenäus Eibl-Eibesfeldt hatte in der Besprechung des „Nackten Affen“ festgehalten, Morris sei „ein schrecklicher Vereinfacher.”[3] Das ist nicht per se falsch, doch sollte man ein bestimmtes Motiv der Kritik nicht ganz außer Acht lassen: Die Einkünfte des in weit über zwanzig Sprachen übersetzten Erfolgsbuches „Der nackte Affe“ ermöglichten Morris die sofortige Kündigung, den Rückzug nach Malta[4] sowie den Erwerb einer 27-Zimmer-Villa, einer Jacht und 10 000 Büchern sowie Reisen in über 100 Länder. Gewisse Reaktionen seiner Kollegen, die sich auf seine streng akademischen Arbeiten in der Regel äußerst euphorisch beziehen, sind in vielen Fällen nicht von Neidbeißerei zu trennen.[5]
Die doppelte Sprache des Körpers
Im Interview gefragt, für welche Leistung er am liebsten erinnert werden möchte, antwortete Morris: “Developing the study of body language into a serious scientific pursuit back in the 1960s.“ Es ist nicht unwahrscheinlich, dass genau dies auch eintritt. Aber die größte Stärke Morris', der sich seine akademischen Sporen in der Tat vor allem in der Verhaltensbiologie erworben hatte,[6] liegt in der Analyse der menschlichen Physis. Der Satz Morris' - „Körpersprache kann erzkonservativ sein.“[7] -, wäre, sofern man die Sprache hier einmal aufgreift, dahingehend zu erweitern, dass der Körperbau dann sogar tendenziell fundamentalistisch zu nennen ist. Und in genau diesem Bereich, dem Schicksal der Anatomie, bewies Morris durch seine Anleihen bei der Phantasie seine Fähigkeit zum hochspekulativen Denken. Vor allem seine surrealistische Auseinandersetzung mit biomorphen Formen und Figuren[8] sowie deren Akzentuierung durch Farben und die mal hervorhebende, mal verdeckende Funktion von haarigen Ornamenten dürfte ihn vor gewissen akademischen Rationalisierungen bewahrt und ihm die Bedeutung von möglichen Verschiebungen, Verzerrungen etc. pp. sowie deren Materialisierungen im Prozess der Menschwerdung eröffnet haben. Spätestens seit „Bodywatching“ (1985) richtete er seinen Blick zunehmend auf die visuellen Signale des Körpers und deren „Selbstmimikry“, die er streng dem Sexualtrieb folgen ließ. Er schien bestrebt, das biologische Unbewusste der Gattungsgeschichte aufzuspüren, und erkannte, dass der Körperbau selbst materialisierte Körpersprache ist. Schon in seinen Bildern aus den 1940er und 50er Jahren zeichnet sich diese Erkenntnis bzw. die Loslösung von der scheinbaren Selbstverständlichkeit der menschlichen anatomischen Organisation als begriffslose ab.
Norbert Bischof hat angemerkt, dass insbesondere Morris als Stichwortgeber der „Zoomorphisierung des Menschen“[9] zu betrachten sei. Dieser Hinweis ist einigermaßen berechtigt, da Morris in der Tat streckenweise dazu tendiert, menschliche Verhaltensweisen allzu forsch aus denjenigen tierischer Verwandter und/oder Vorfahren abzuleiten, und dabei Sprache, Denken und ähnlich menschliche Fähigkeiten übergeht. Bedeutsamer ist jedoch sein Ansatz, den Menschen als psycho-physiologische Kompromissbildung zu begreifen, was sich auch auf die jeweiligen Geschlechter übertragen lässt. So ist Morris u.a. bestrebt, die Bedeutung der Aufrichtung des Menschen – er stellt dabei besonders die nicht mehr primär a tergo erfolgende Begattung heraus – für die leibliche Evolution im Sinne der „sexuellen Zuchtwahl“ zu erschließen und kam beispielsweise zu dem Schluss:
„Die halbkugeligen vorgewölbten Brüste sind sicherlich Kopien der fleischigen Hinterbacken, die scharf begrenzten roten Lippen des Mundes solche der roten Labien. […] Frauen tragen Duplikate von Hinterbacken und Labien in Form von Brüsten und Mund.“[10]
Das klingt zugegebener Weise radikal und schwammig zugleich. Doch ist erstens Carolyn Latteier zuzustimmen, die betonte, dass es Desmond Morris gewesen sei, der die Debatte über die Evolution der weiblichen Brust mit seinem Buch “Der nackte Affe” im Jahre 1967 überhaupt erst eröffnet habe,[11] und zweitens steckt in der These ein erheblicher Gehalt. Natürlich waren es Sätze wie jene, die den Ideologen der Verzärtlichung[12] und Triebunterdrückung[13] Eibl-Eibesfeldt zu seinem Verriss animierten: „Abwegig, wenn auch originell, ist dagegen seine Auffassung, Busen und Lippen der Frau wären auf die Vorderseite projizierte Sexualsignale.“ Die These wurde von Morris auch in seinem Spätwerk nur bedingt entwickelt, jedoch stetig mit weiteren Argumenten unterfüttert, in deren Zuge er nahezu jeden noch so bemühten Kritikpunkt widerlegen konnte. In der oben schon erwähnten Besprechung hieß es: Morris sei „viel zu einfallsreich,“ als dass sein Werk „uninteressant“ genannt werden könne, er sei nur jemand, „der durchaus problematische Feststellungen so präsentiert, als handele es sich um längst erwiesene unumstößliche Tatsachen.“ Gerade Morris aber hat seine Hypothesen oder Teile ihrer Begründung, wenn sie durch neuere Erkenntnisse nicht mehr haltbar waren, stets fallengelassen. Seine Hypothesen gewannen im Verlaufe der späteren Werke zunehmend Kontur. Dabei hat er sich nicht gescheut, die Wasseraffen-Theorie von Alister Hardy, auf die Morris in „Der nackte Affe“ überhaupt erst wieder aufmerksam gemacht hatte, immer ernsthafter in seine Überlegungen miteinzubeziehen. Im Jahr 2004 schließlich veröffentlichte er „The Naked Woman. A study of the female body“, das im selben Jahr unter dem seltsamen Titel „Die nackte Eva. Der weibliche Körper im Wandel der Kulturen“ in deutscher Übersetzung erschien. In Bezug auf die doppelte Sprache des Körpers wäre dieses vermutlich als Hauptwerk oder zumindest als das entfalteteste Werk zu betrachten. Insbesondere hier gelang es ihm, seine Thesen rückzukoppeln an die Modifikation der Körperstellen, sowie die Körpersprache in Sinne von Gesten oder von unbewussten Handlungen, in welchen sich jeweils die grundliegende Bedeutung der Körperteile verrate. So sei es offensichtlich, dass das Schminken der Lippen, welches sie rot und glänzend erscheinen lasse, an andere Lippen in ihrer erregten Form gemahne. Der Teil des deutschen Titels „im Wandel der Kulturen“ beschreibt zwar in der Tat einen gewissen Aspekt des Werkes, ist aber insofern irreführend, als dass Morris – vermutlich sogar aus Versehen/bewusstlos – in der Vielfalt der Modifikationen gerade das Universelle – sei es als verstärktes oder unterdrücktes – der jeweiligen Körperteile betonte. Sein Werk „The Naked Man“ erschien 2008, wurde aber bezeichnender Weise noch nicht übersetzt. In diesem hatte er den Mann vor allem als funktionalistisches, primär der Selbsterhaltung unterworfenes Pendant zur Frau entworfen. Das ist zum einen konsequent, schließlich betrachtet er die Frau als „federführend“ in der Evolution des Menschen, zum anderen aber eine der zentralen Schwachstellen des Gesamtwerkes Morris´, der zwar ein „bewunderndes Porträt“ der Frau zu verfassen in der Lage war, dem es aber nicht gelang, einen ähnlich libidinösen Blick auf den Mann zu richten.
Zu guter Letzt sei daran erinnert, dass Morris seit Beginn seiner Publikationskarriere ein energischer Gegner jeglicher Genitalverstümmelung ist. Dabei verfällt er durchaus in eine Form des Relativismus, der jedoch als halbwegs bewusster gerade nicht der Entschuldigung dient. So bedauerte Morris, der über Intimpiercings, bei denen es sich seines Erachtens wohl nur „eine vorübergehende Modeerscheinung“ handle, dass diese „unglücklicherweise in eine Phase [falle], da so viele Anstrengungen unternommen werden, die ebenso gewaltsame wie sexualfeindliche Verstümmelung von Millionen von Mädchen durch Beschneidung zu unterbinden.“ So sehr er den Kampf gegen Genitalverstümmelung durch die modischen Eingriffen an den Genitalien aus streng strategischer Sicht gefährdet sieht, weiß er nur zu deutlich um die Unterschiede, die er explizit betont: „Erstens beruht es [das Piercing] auf freiem Entschluss und wird nur an Erwachsenen vorgenommen, die damit einverstanden sind. Zweitens besteht seine Funktion [wieder des Piercings] darin, die weiblichen Genitalien zu verzieren, stärker hervorzuheben, zu stimulieren, das sexuelle Interesse darauf zu lenken, anstatt sie zu zerstören.“ Es dürfe demnach niemals „vergessen werden: Auch wenn beide Verfahren einen chirurgischen Angriff auf die empfindliche Vulva darstellen, so zielt er im einen Fall doch darauf ab, das sexuelle Vergnügen zu steigern, während er es im anderen Fall zu zerstören trachtet.“[14]