Eva Illouz beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Liebe und der Verdinglichung von Intimität und Sexualität. Sie ist keine Pionierin: AutorInnen wie Jessica Benjamin, Niklas Luhmann und Zygmunt Bauman haben einige Standardwerke verfasst. Illouz bietet mit Warum Liebe endet jedoch den Abschluss einer ganzen Trilogie. Nachdem sie die Genese und das Scheitern romantischer Liebe sowie ihrer Durchdringung von kapitalistischer Verwertungslogik nachspürte, legt sie einen Band vor, der sich mit dem Zustand der Liebe unter postmoderner Vergesellschaftung und dem Ende von klaren Liebes- und Sexualbeziehungen sowie der steigenden Bedeutung von Gelegenheits-sexualität beschäftigt. Vieles aus den vorangegangenen Büchern wird hier zum Ausgangs-punkt ihrer zentralen Fragen: Warum vermeiden Menschen zunehmend soziale und emotionale Bindungen, lösen sie vermehrt auf oder gehen sie erst gar nicht ein?
Die Wahl der Nichtwahl
Illouz‘ Kernthese ist, dass sich in einer »hypervernetzten Moderne« unter der Verschränkung des neoliberalen Freiheitspostulates, das mit dem Modell männlicher Sexualität konvergiere, eine Struktur der »Wahl der Nichtwahl« verfestigt habe. Auf 447 Seiten wird die These anhand zahlreicher Beispiele aus dem Internet und durch Interviews empirisch gestützt. Sie zeichnet eine Gesellschaft, in der ‚Sologamie‘ propagiert werde, die Familie ihre vermittelnde Rolle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft einbüßt sowie neue Arten von Bindungen und Nichtbindungen, die »oft gefühllos und von selbstzweckhaftem Hedonismus geprägt« seien, an Bedeutung gewinnen. Als Ausdruck dieser Schnelllebigkeit werden auch das immer beliebter werdende Online-Dating und Polyamorie als »unternehmerische Strategie« der Selbstoptimierung und Vermarktung des eigenen Ich angeführt. Illouz unterstreicht, dass aufgrund des »Eindringen[s] des Kapitalismus in die Privatsphäre« »eine neue Form von (Nicht-)Sozialität« verfestigt worden sei, die »den Geschlechtsakt als vornehmliches oder einziges Ziel« hat. Diese Flüchtigkeit analysierte bereits Zygmunt Bauman 2003 in Liquid Love mit Sigmund Freud anhand einer Dialektik von Freiheits- und Sicherheitsbedürfnissen, die sich zunehmend zur Freiheit verschoben habe. Man kann Illouz‘ Feststellung, dass eine »Kritik der Freiheit« angebracht sei, durchaus in diesem Kontext lesen. Illouz‘ verdeutlicht, dass im Vergleich zu Vormoderne und Moderne – in denen sich das Verlieben um feste Institutionen und der Regulierung von Sexualität rankte – es den Individuen zunehmend an Normen und Regeln fehle. Zugleich werde das Telos romantischer Liebe – Kennenlernen, Verlieben, Heiraten – vom Modell befreiter Sexualität unterminiert. Das Anbahnen verläuft immer flüchtiger, brüchiger und: verwirrender.
Wie sie schon in Warum Liebe weh tut markierte, wurden durch die Sexuelle Revolution jegliche sozialen Schranken aufgelöst, was zum enormen Anstieg an potenziellen und tatsächlichen Individuen auf dem Partnermarkt geführt habe. Durch die Expansionsmöglichkeiten des Kapitalverhältnisses wird zudem das Intersubjektive kolonialisiert und die »Ökologie von Intimbeziehungen« verändert. Anhand postfordistischer Produktionsverhältnisse verändert sich auch der soziokulturelle Rahmen, den sie als »skopischen Kapitalismus« begreift. Dies gehe mit dem Siegeszug einer Freiheit einher, die zum Zwang wird und gründet auf dem »Spektakel und der Zurschaustellung von Körpern«. Die daraus resultierenden Veränderungen führen jedoch zu einem marktförmigen »Überfluss« und damit »zu Abwertung«, was eine exorbitant steigende Praxis des Vergleichens bedingt. Im Freudschen Sinn wird das Verunmöglichen der Besetzung eines Liebesobjekts vorangetrieben und die »Wahl der Nichtwahl« zum neuen Impetus. Das neoliberale Subjekt fürchtet ständige Bedrohungen und folgt einer defensiven Strategie, die danach trachtet den eigenen Marktwert abzusichern, was bedeutet, »dass das Subjekt […] keine Beziehungen will oder nicht in der Lage ist, Beziehungen aufzubauen«. Dieser Prozess werde durch Dating-Apps flankiert und lasse Menschen andere immer stärker auf den reinen Sexualakt reduzieren, da dies leichter zu interpretieren sei als Emotionalität. Die zunehmende Bedeutung von Gelegenheitssexualität, die auf der männlichen Sexualität sockelt, nimmt der Liebe den Skriptcharakter. Diese männliche Sexualität stellt auf ein »Skript in umgekehrter Form« ab: »ein Drehbuch für eine Nichtbeziehung«, was inzwischen auch von Teilen des Feminismus propagiert werde.
Illouz kritisiert in ihren Büchern auch Perspektiven aus feministischen und psychoanalytischen Diskursen, in denen die romantische Liebe auf ein Machtverhältnis reduziert wird. Sie widerspricht nicht nur anhand von Empirie, da der Ideologie der romantischen Liebe ein »egalitäre[r] Zug« innewohne, der sich kritisch gegen patriarchale Vergesellschaftung wenden ließe.[1] In einer befürchteten Vorwegnahme der Kritik durch Geschlechterforschung und seitens VertreterInnen sexueller Libertinage, unterstreicht sie in dem neuen Buch, dass ihr nicht an einer kulturkonservativen Liebeskritik gelegen sei; sie kein Interesse hegt, traditionelle Geschlechterrollen aufzurichten. Bereits im Vorgängerband plädierte sie gegen den männlichen Sexualitätsmodus, der immer noch eine deutliche Dominanz über Frauen ausübe, jedoch zunehmend auch von Frauen verkörpert werde, mit einem Modell emotionaler Männlichkeit. Wer Illouz, die sich zweifelsfrei als Feministin versteht, konservativ auszulegen sucht, versteht ihre zentrale Argumentation nicht. Gewiss räumt sie ein, dass man sie böswillig so interpretieren könne. Ihr ist jedoch nicht an einer Pauschalverurteilung von Gelegenheitssexualität gelegen. Zudem stellt es eine unerlässliche Methode historisch-soziologischer Forschung dar, den Vergleich verschiedener Epochen anzustellen, womit nicht eine Präferenz für das eine oder andere einherzugehen hat. Ihr Anliegen ist eine tatsächliche Freiheit zu befördern, die sich nicht der Ägide des Kapitalverhältnisses übergibt. Deshalb stellt es einen Verdienst dar, die neoliberale Verdammung zur ‚Freiheit‘ zu entlarven und den »permanenten Prozess des Knüpfens und Lösens sozialer Bindungen« zu hinterfragen. Es geht Illouz also gerade darum, eine Wahlfreiheit im Zwischenmenschlichen zu befördern, die nicht der »Wahl der Nichtwahl« auf den Leim geht.
Freilich stellt das Buch keine Ratgeberliteratur dar, um sein Liebes- und Sexualverhalten zu hinterfragen. Stattdessen nimmt sie diese Literatur ob der Verschränkung mit dem neoliberalen Zwang zur ‚Freiheit‘ aufs Korn. Sie unterstreicht dagegen, dass das Scheitern sozialer Beziehungen nicht beim Individuum zu suchen sei, sondern die sozialen Verhältnisse zu hinterfragen wären. Jedoch kann sie diesen Anspruch nur bedingt einlösen.
Verdinglichung als Emanzipation?
Denn zweifelsfrei wohlwollend gelesen, scheint es, dass sich im Denken Illouz‘ eine kleine Verschiebung aufgetan hat: In den vorangegangenen Werken brach sie ostentativ mit kritischer Theorie und urteilte, dass sich die Analysen nicht bewahrheitet hätten. Dementsprechend versuchte sie dem Eindringen der Warenform in das Zwischenmenschliche einiges abzugewinnen. Zwar argumentiert sie auch hier und da noch ähnlich und urteilt etwa, dass Frauen sich die Verdinglichung ihres Körpers zu Nutze machen könnten. Jedoch erscheinen diese Perspektiven im neuen Buch bei weitem nicht mehr so breitgefächert. Zudem lässt sich dies nur schwer mit Illouz eigener an Marx‘ Werttheorie anschließenden Analyse der Pornographie und der Verdinglichung von Frauen vereinbaren. Somit scheint das neue Buch einen etwas kritischeren Touch gegenüber der Warenform erhalten zu haben. Betrachtet man daher Warum Liebe endet im Kontext ihres Gesamtwerks, ließe sich vielleicht mit Illouz gegen Illouz argumentieren. Vom Standpunkt kritischer Theorie aus betrachtet, verbleibt weitere Kritik: Erstens kann Illouz‘ Argumentation, sich fast ausschließlich auf heterosexuelles Begehren zu beschränken, im 21. Jahrhundert allzu offensichtlich kaum überzeugen. Zweitens herrscht eine starke Trennung von Soziologie und Psychologie vor, statt beides sinnig miteinander vermitteln zu wollen. So urteilt sie, dass Soziologie wesentlich besser geeignet sei, diese Prozesse zu begreifen. Illouz‘ Denken steht pars pro toto für die zeitgenössische Wissenschaftslandschaft, die stark von positivistischen Zügen geprägt ist und in der zwar von ‚Interdisziplinarität‘ geredet wird, aber tatsächlich kaum eine Vermittlung stattfindet. Drittens: Dass es um Intimität nicht erst seit dem 21. Jahrhundert schlecht bestellt ist oder ‚schon immer‘ war, markierte schon Adorno. So konstatierte er bereits 1951, dass die Liebe vom »Tauschverhältnis, dem sie durchs bürgerliche Zeitalter hindurch partiell sich widersetzte«, »ganz aufgesogen« sei.[2] Insofern greift es zu kurz, die Unterminierung des Zwischenmenschlichen weitgehend dem Modell befreiter Sexualität und der damit verbundenen Entkopplung von Liebe und Sexualität anzulasten – eine einseitige Perspektive, die trotz aller Vorsicht bei Illouz doch gelegentlich durchzuschimmern droht. Sie ist sich natürlich der befreienden Potenziale bewusst, weist aber auch darauf hin, dass überwiegend Männer von der Sexuellen Revolution profitiert hätten.
Im Anschluss wäre die Realdialektik der Sexuellen Revolution umfassender auf ihre befreienden und negativen sowie nicht-intendierten Folgen abzuklopfen. Dies hätte zu bedeuten, dem Warencharakter und den daraus resultierenden Verdinglichungsprozessen stärker Rechnung zu tragen und gegen die positivistische Perspektive zu wenden. Denn Illouz‘ Bestandsaufnahme in Sachen Liebe und Sexualität ist eher eine Bestätigung kritischer Theorie. Somit bedarf es hinsichtlich Illouz‘ Forderung die sozialen Verhältnisse in den Fokus zu rücken, im Sinne Max Horkheimers programmatischer Unterscheidung eher kritischer statt traditioneller Theorie. Insofern bleibt eine empirische Studie, die einiges über den Zustand von Liebe, Sexualität und auch Freundschaft auszusagen hat und durchaus mit Gewinn zu lesen ist, jedoch immer dann hinter den eigenen Anspruch zurückfällt, wenn Illouz der Verdinglichung von Intimität und Sexualität etwas Positives abzugewinnen sucht.
Illouz, Eva (2018): Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen. Berlin, Suhrkamp. Aus dem Englischen von Michael Adrian, 447 Seiten, 25 Euro