Das HinsenkampLabor

Im Sommer und Herbst 2018 wurde in Linz Urfahr das Projekt HinsenkampLabor umgesetzt. Georg Wilbertz über Stadtraumdispositionen, Paradoxien des künstlerisch-theoretischen Milieus und eine Unterführung als Schutzzone.

Nun erstrahlt sie plötzlich, wie ein Wunder, über Nacht, in strahlendem Weiß: die Hinsenkamppassage an der Haltestelle Rudolfstraße. Bis vor Kurzem vielleicht DER urbane Unort von Linz, scheinen nun -endlich!- zumindest teilweise die Wünsche der AnwohnerInnen, PassantInnen und NutzerInnen, die täglich unausweichlich mit der Passage konfrontiert sind, in Erfüllung gegangen zu sein. Aus einem betongewordenen, vernachlässigten Untergrundraum, dessen verschmutzter, ungepflegter Zustand auf alle Sinne abschreckend wirkte, wurde ein klinisch »rein« wirkendes Raumgeflecht. Im Gegensatz zur bisherigen Härte und Düsternis der Architektur (im einschlägigen Diskurs spricht man gerne auch von »Angsträumen«) dürfte dadurch das subjektive Sicherheitsgefühl vieler NutzerInnen verbessert und das bis dato vorherrschende »nur raus hier«-Gefühl etwas abgemildert worden sein. Die neue Fassung lässt allerdings beim ersten Betreten sofort die skeptische Frage aufkommen, wie lange dieser Zustand wohl »überleben« wird.

Fraglich muss bleiben, wie nachhaltig eine radikal gewendete Optik in Zusammenhang mit einer geänderten Sicherheitsstrategie die gefühlten und tatsächlichen Probleme mildert oder beseitigt. Seit dem 1. Juni 2018 und vorläufig bis Ende November gehört die Hinsenkamppassage zu einer der neu in Linz eingerichteten »Schutzzonen«, mit denen man einer Konzentration des Suchtmittelverkaufs und -konsums an bestimmten Linzer Plätzen entgegenwirken will. Glaubt man den schon kurz nach der Einrichtung der Schutzzonen veröffentlichten Berichten, so bewährte sich dieses Konzept quasi über Nacht. Ein derart rascher und sichtbarer »Erfolg« ist nur durch die rasch wirksame Verdrängung unerwünschter Personen und Gruppen möglich. Allen Verantwortlichen ist bewusst, dass damit den Betroffenen nicht geholfen ist, die Probleme nicht beseitigt werden, sondern sich in andere Zonen der Stadt verlagern. Für die Passage lässt sich allerdings feststellen, dass die intendierte Verdrängung nur teilweise zu gelingen scheint. Die »Dezentralisierung« der Szene(n) ist gewollt und wird zu neuen Problemlagen führen. Ähnlich dem neuen Reinweiß der Passage handelt es sich zunächst -böse formuliert- um eine optische Korrektur. Womit wir bei den künstlerischen Interventionen des vom 22. Juni 2018 bis 12. Oktober 2018 stattgefundenen HinsenkampLabors wären.
Es gehört zu den Paradoxien von Teilen des künstlerisch-theoretischen Milieus, von Orten wie der Hinsenkamppassage angezogen zu werden. Als Rainer Nöbauer und ich nach einem Ort im öffentlichen Raum suchten, um im Rahmen von Linz-Impuls ein offenes künstlerisches Programm zu realisieren, kamen wir rasch auf die Passage. Sie schien vieles zu bieten, was sowohl den künstlerischen Auseinandersetzungen wie auch der Präsentationen derselben dienlich ist: eine vielfältige, spannende Raumdisposition, ein ungewöhnliches, trashiges Ambiente, eine gewisse ruinös-heruntergekommene »Exotik«, die über Jahrzehnte geronnene Patina eines wenig geliebten städtischen Raums und einen vorauseilenden Ruf, der schlechter kaum sein konnte. Dieser der Passage innewohnende, in sich widersprüchliche (und deshalb konzeptionell und emotional umso reizvollere) »schöne Schauder« (das Sublime) bot für manche der ausgestellten Werke und Performances einen radikalen ästhetischen Antagonismus. Manche Interventionen passten sich dagegen recht unspektakulär aufgrund von Format, Materialität oder Farbigkeit in die Passage ein. Andere Arbeiten verfolgten dagegen das Konzept einer weitgehenden Mimikry, wurden unauffällig-alltäglich in das Raumganze integriert und formulierten ihre »Fragen« an die sozialen und räumlichen Realitäten der Passage auf leise, kaum wahrnehmbare aber vielleicht gerade deshalb nicht weniger eindrücklich Weise. Ob konfrontativ oder integrativ: es entfaltete sich ein intensiver Dialog zwischen Raum (einschließlich seiner sozialen und funktionalen Aspekte) und künstlerischen Arbeiten. Dies gelang auch deshalb, weil bewusst auf eine galerieartige oder musealisierende Präsentation der Arbeiten und Positionen verzichtet wurde.

Anfänglich fasziniert von all diesen »Reizen« ergab sich ein durchaus zu kritisierender, von einer gewissen Naivität geprägter Zugang unsererseits. Außer den bekannten Klischees (Unort, Angstraum, Drogenhandel etc.) hatten wir die Besonderheiten der Passage als sozialer Raum unterschätzt, dessen spezifische Potentiale und seine Abschottung gegenüber dem »normalen« Stadtraum unterschiedliche Bedürfnisse und Funktionen verschiedener Szenen, Gruppen und Personen erfüllt. Temporär tauchten wir in diese »Lebensräume« ein und nutzten sie als Rahmen oder Kontrapunkt der künstlerischen Auseinandersetzung und integrierten die Arbeiten sehr bewusst in diese. An dieser Stelle möchten wir als Projektverantwortliche nicht missverstanden werden, aber die für uns qualitätvollen Eigenschaften der Passage entfalteten ihre Relevanz auch aufgrund der Tatsache, dass man als distanzierter Gast agiert. Unser Aufenthalt und Arbeiten in der Hinsenkamppassage waren zeitlich begrenzt. Trotzdem war für uns das Wahrnehmen und Ausloten der Verhältnisse von grundlegender Bedeutung. Die Art und Weise des jeweiligen funktionalen oder sozialen Bezugs der täglichen NutzerInnen hatte zwangsläufig andere Voraussetzungen und folglich Konsequenzen für deren Wahrnehmung der von uns implantierten künstlerischen Positionen. Insgesamt erhielt das Projekt gerade von jenen, die sich beruflich regelmäßig und lange in der Passage aufhalten, positive Zustimmung.
Der komplexen Ausgangslage und dem unterschiedlichen Charakter der Arbeiten entsprechend waren die Reaktionen sehr unterschiedlich. Vom fast völligen Unverständnis, an diesem Ort überhaupt Kunst zu realisieren, bis zur nahezu kritiklosen Zustimmung (egal was man macht, jeder Eingriff ist eine Verbesserung), über einen gewissen Gewöhnungsfaktor bis hin zu – glücklicherweise seltenen - Aggressionen, die sich allerdings nie gegen Personen, sondern gegen einzelne Arbeiten richteten. Die meisten Reaktionen ergaben sich, dem Charakter des Ortes als Transitionsraum entsprechend im Vorübergehen. Eine alltägliche Beiläufigkeit der Auseinandersetzung, die unsererseits durchaus intendiert war. Wenn gewünscht oder gefordert standen wir für vertiefende Informationen und Erklärungen bereit. Wer warum wie reagierte konnte von uns weder dokumentiert noch evaluiert werden. Obwohl dies hinsichtlich des Aspekts der Wirkungspotentiale von Kunst an schwierigen Orten wichtig gewesen wäre, wollten und konnten wir keine dezidiert wissenschaftliche Betrachtungsebene mit dem Projekt verbinden. Dies hätte nicht nur den bewusst gewollten, unbefangenen künstlerischen Zugang eingeschränkt oder unmöglich gemacht, sondern auch unsere Möglichkeiten überfordert. Womit wir bei den Intentionen und Erwartungen wären.

Welcher Druck bzw. welche Sehnsucht nach Veränderung und Verbesserung auf der Hinsenkamppassage lag, wurde uns während der Vorbereitung und Durchführung des Projekts immer wieder bewusst. Viele Gesprächspartner erwarteten von uns bzw. den künstlerischen Eingriffen in die Passage eine »heilende« Wirkung, vermuteten das Austesten von Konzepten und Ideen für spätere, dauerhafte Gestaltungslösungen oder waren schlichtweg froh, dass nicht die sonst so häufig eingespannten Schulklassen engagiert wurden, um mit ihrer spezifischen Form der »Streetart« das Ambiente zu »verschönern«. Das HinsenkampLabor war allerdings weit entfernt von einer derart funktional orientierten Inanspruchnahme. Wesentlich war dagegen die Konfrontation der autonom, nicht zielgerichtet auf Verbesserung hin arbeitenden KünstlerInnen mit dem Raum und seinen Realitäten. Ein spezifisches Eingehen auf die Situation war ausdrücklich verlangt und ergab sich aufgrund der »Kraft« des Raums bei allen Arbeiten. Das autonome Werk, die freie Performance sollten gerade durch ihre Intentionslosigkeit hinsichtlich positiv-raumgestalterischer Effekte die Verhältnisse mit künstlerischen Mitteln reflektieren, bestimmte Faktoren und Zustände beleuchten und zu Fragen und Diskursen anregen. Hier ist nicht der Ort, um ex post auf die einzelnen Arbeiten und ihre vermeintliche oder tatsächliche Rezeption durch die BetrachterInnen einzugehen. Ein illustratives Beispiel sei jedoch herausgegriffen. Dass zwischen intendierter und tatsächlicher Wirkung erhebliche Diskrepanzen auftreten konnten, wurde anhand des großflächigen, die gesamte Raumhöhe einnehmenden Wandbildes von Andreas Perkmann-Berger (Wien) deutlich. Sein eher düsterer, das Grau der Passage aufnehmender »Birkenhain«, dessen Ausführung Assoziationen zu Toten- und Friedhofshainen zulässt, wurde durchweg positiv wahrgenommen. Viele wünschten sich, dass er nicht mehr entfernt werden sollte. Alleine das Zeigen großformatiger, ansonsten höchst artifizieller Baumstämme (Natur! Landschaft!) reichte in der Hinsenkamppassage, um das Herz vieler PassantInnen höher schlagen zu lassen. An weniger unwirtlichen Orten hätte Perkmann-Bergers Wandbild sicherlich eine eher irritierend-verstörende Wirkung entfaltet.
Gab es innerhalb des Projekts eine wissenschaftlich-evaluierende Ebene nicht, so war und ist der theoretische Diskurs zur Frage der Wirkungsweise von Kunst in prekären Räumen natürlich von großer Relevanz. Im zweiten Teil des HinsenkampLabors konnte dieses Thema durch zwei exemplarisch argumentierende Vorträge (Ursula Maria Probst (Wien) und Ilaria Hoppe (Linz)) nur angerissen werden. Eine Podiumsdiskussion widmete sich dagegen bewusst der Sicht von Praktikern (Polizei, Stadtplanung, Drogenhilfe) auf den Ort, seine Probleme und Perspektiven. Ausgehend von dieser Diskussion wurde nochmals deutlich, dass künstlerische Auseinandersetzungen mit kritischen öffentlichen Räumen zwar ein hohes Ideen- und Impulspotential entwickeln können, es allerdings äußerst schwierig ist, die tatsächlichen Effekte zu erfassen, zu beschreiben und zu qualifizieren. In diesem Sinne kann Kunst nicht »heilen«.

Im hellstrahlenden Licht der aktuell weißen Passage wandelte sich das HinsenkampLabor inzwischen von der künstlerischen Experimentierbühne zum Epilog auf einen bis vor kurzem schön-schaurigen, negativ konnotierten öffentlichen Ort. Das neutrale Weiß erinnert nun tatsächlich an die White-Cubes moderner Galerien. Unverändert bleibt jedoch die besondere akustische Identität der Passage. Sie wurde zum Thema beim Abschlusskonzert des HinsenkampLabors, das am 12. Oktober in Kooperation mit »Musik im Raum« realisiert wurde. Es kam zu eindrücklichen klanglichen Überlagerungen, Konfrontationen und Synthesen, die deutlich machten, dass neben der sichtbaren auch eine beeindruckend verstörende, hörbare Wirklichkeit zum emotionalen Erleben des Untergrunds der Passage gehört. Sie wird bleiben.
 

»Birken« von Andreas Perkmann Berger / Ortsspezifische Installation (Bild: Andreas Perkmann Berger)
»BANKOMAT« von Pober Wendelin / Intervention (Bild: Rainer Noebauer-Kammerer)
»Arcade« von Andrea Heredia / Installation (Bild: Andrea Heredia)