Frauen haben sich im Dritten Reich auf unterschiedliche Weise rassistisch und antisemitisch betätigt. Mehrere Tausend Frauen arbeiteten als KZ-Aufseherinnen, die auch bei eigeninitiativen Todesmärschen und der Massenvernichtung in den KZ in der Endphase des NS-Regimes, als keine Befehle mehr von oben kamen, nach der antisemitischen Devise handelten, noch möglichst viele Jüdinnen umzubringen. Wie die amerikanische Historikerin Wendy Lower zeigt, gingen 500.000 deutsche und österreichische Frauen in den »Osten«. Sekretärinnen von NS-Größen nahmen oft an der Selektion jüdischer Arbeiter teil und bestimmten, wer verschont werden sollte. Lower berichtet von einer Frau in Weißrussland, die ihre Frisörin von der Vernichtung ausnahm und einer anderen, die eine Jüdin aus einer Kolonne von 2000 zu erschießenden Jüdinnen und Juden entfernte, weil diese noch nicht ihren Pullover fertig gestrickt hatte.[1] An der »Heimatfront« prüften Fürsorgerinnen, dass die Hilfeempfänger nicht bei Juden kauften und strichen bei Zuwiderhandeln die Hilfeleistungen. Auch teilten sie die antisemitische Vorstellung der arischen Hilfeempfänger, es sei unangebracht, Arier zu besuchen, nachdem man die Luft in einer jüdischen Wohnung geatmet hatte. Bei Denunziationen machte der Anteil von Frauen bis zu dreißig Prozent aus.
Natürlich ist die Anzahl der Frauen, deren Handeln direkt zur Deportation oder Ermordung anderer Menschen führte, geschweige denn die Zahl der Frauen, die selbst Häftlinge ermordeten, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gering. Aber auch das Handeln ganz »gewöhnlicher« deutscher und österreichischer Frauen darf im Kontext der Beteiligung am NS nicht unerwähnt bleiben. Die Frauenbewegung ließ sich größtenteils problemlos vom »jüdisch-marxistischen Geiste« reinigen. Antisemitische Frauenführerinnen propagierten den Boykott jüdischer Geschäfte als weiblichen Verantwortungsbereich. Der Handlungsspielraum von Frauen vor allem in der Jugendphase (BDM) und auf dem Arbeitsmarkt erweiterte sich deutlich in Richtung einer relativen Gleichberechtigung. Weibliche Erwerbstätigkeit nahm seit 1933 – also auch vor dem Krieg – stetig zu.
Die »Neue Frauenbewegung« zeichnete hingegen ein völlig anderes Bild von »der Frau« im NS: In der geschichtlichen Aufarbeitung wurden Frauen meist als auf die Mutterrolle reduzierte Opfer beschrieben. Es handelt sich um einen weiblichen Opfer-Mythos, die Theorie der »Gnade der weiblichen Geburt«, wenn etwa Renate Wiggershaus in Zusammenhang mit KZ-Aufseherinnen von »zum Funktionieren bereiten … Aufsichtsmaschinen«[2] schreibt, in denen sie, ebenso wie in »Gebärmaschinen«, von Männern instrumentalisierte Frauen zu erkennen glaubt. Marianne Lehker gibt folgende Erklärung für die Teilnahme von Frauen an der NS-Herrschaft: »Frauen befanden sich 1933 also in einer Situation, in der sie die Grundlage der patriarchalen Argumentation bereits verinnerlicht und akzeptiert hatten. … So konnten die Opfer zu Handlangern der Täter werden.«[3] Christa-Thürmer Rohr entwickelt 1987 ihr Konzept der Mittäterschaft von Frauen als einen Versuch der Abgrenzung zur Opfer-Theorie. Sie spricht von aktiver Anpassung der Frauen an die »mörderische Normalität« einer von Männern gemachten Welt, reduziert Täterinnenschaft letztlich aber erneut auf weibliche Korrumpierbarkeit.
In vielen feministischen Publikationen wurde davon ausgegangen, dass Frauen im NS genauso wie »die Juden« Opfer patriarchaler Herrschaft waren. In der Gleichsetzung von Sexismus und Rassismus (das Wort Antisemitismus kommt in derlei »Analysen« nicht vor) wird die barbarische Einzigartigkeit der Shoah, etwa die industrielle Massenvernichtung verharmlost. Gisela Bock geht noch einen Schritt weiter, als Sexismus und Rassismus für wesensgleich zu befinden. In ihrer Arbeit über Zwangsterilisation im NS kommt sie zu dem Ergebnis, dass bei Sterilisationen Frauen vorsätzlich ermordet wurden: Dieser »vorsätzliche Mord« unterscheide sich, so Bock, nur dem Ausmaß, nicht jedoch der Intention nach vom Genozid an den Juden. Hier wird ein Genozid an Frauen imaginiert, um den Opfer-Status »der Frau« ein für alle mal zu »beweisen«.
Die feministische Zeitschrift Schlangenbrut erklärte 1988 zum Jahr des Holocaust an den Frauen, definiert als die »Zerstörung unseres Selbstbewusstseins, die Angst, die noch heute in uns als eine Folge des Patriarchats brennt.«[4] Mit der beliebigen Verwendung des Begriffes Holocaust wird die eigene Verantwortung sowie jene deutscher und österreichischer Mütter und Großmütter für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden verharmlost. Die Täter-Opfer-Umkehr ist eine typische Form der Schuld- und Erinnerungsabwehr nach der Shoah, welche von der Kritischen Theorie im Begriff des sekundären Antisemitismus erfasst wurde, eines Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz, bei dem Jüdinnen und Juden durch ihre bloße Existenz an das Geschehene erinnern und einer ungebrochenen Identifikation mit der eigenen Nation, der eigenen Bewegung etc. im Wege stehen.
Für manche Theoretikerinnen ging die oben dargestellte Art der Holocaust-Verharmlosung nicht weit genug. Die Matriarchatsforscherin Gerda Weiler ist überzeugt, dass das vor 5000 Jahren noch weltumspannende Matriarchat vom Judentum vernichtet worden wäre. Auch die evangelische Theologin Christa Mulack nennt Jahwe den Mörder der Göttinnen. Ihren Kritikerinnen unterstellt sie, sie würden Antipatriarchalismus mit Antisemitismus verwechseln, was beweise, dass sie selbst noch in patriarchalischen Ketten lägen. Was wird jedoch aus der These gefolgert, dass das Judentum das Matriarchat zerstört habe? »Herausgelöst aus seinem Urgrund, verlässt dieses Volk die tolerante Weltanschauung seiner Mütter, verteufelt die alles durchdringende Liebe der matriarchalen Religion, spaltet zerstörerische Aggressionen ab und erkämpft mit einem brutalen ‚Ausmordungsprogramm’ die Vormacht im Vorderen Orient. Auf der Kehrseite der Macht wartet die Ohnmacht. Israel wird verwüstet und hört als Staat auf zu existieren. Wir können diesen Weg als ein Lehrstück begreifen, das zeigt, wie der totale Machtanspruch zu Un-Heil und zu völliger Vernichtung führen muß.«[5] Die antisemitischen Stereotype und Projektionen sind unübersehbar: Die Juden seien aus ihrem Urgrund herausgelöst, also wurzellos; nicht die Antisemiten, sondern die Juden spalteten zerstörerische Aggressionen ab und seien selbst schuld an ihrer Vernichtung.
Außer bei Matriarchatsforscherinnen bricht sich der schlecht getarnte Antisemitismus auch als Antizionismus, der Israel, dem Staat der Shoah-Überlebenden das Existenzrecht abspricht, innerhalb Frauenbewegungen Bahn. Charlotte Kohn betont, dass »eine eingehende Auseinandersetzung mit der Entwicklung der feministischen Bewegung nach 1968 zeigt, dass der Anti-Faschismus und der Anti-Zionismus zu einer ideologischen Basis wurden. Alle feministischen Bestrebungen bewegten sich mehr oder weniger auf dieser verbindlichen Grundlage: Gruppierungen innerhalb der feministischen Theologie, der Matriarchatsforschung, linke Gruppierungen, die feministische Friedensbewegung, die Ökologinnen und die Frauen, die sich für die Dritte Welt einsetzten, waren selbstverständlich antifaschistische Antizionistinnen.« [6] Auf unzähligen Frauenkonferenzen wurde seit den 1960ern der Zionismus zur übelsten aller Formen von Rassismus erklärt und mit dem NS gleichgesetzt. Obwohl der Antizionismus ein Phänomen ist, das innerhalb der Linken im Allgemeinen kritisiert werden muss, scheint er in Zusammenhang mit dem Verdammen des Judentums als besonders patriarchaler Religion und dem Vorwurf der Auslöschung des Matriarchats eine spezifisch feministische Ausprägung erfahren zu haben. Wie eng auch heute noch die Verknüpfung von Antizionismus und Gender-Theorien ist, belegt die Tatsache, dass die führende Theoretikerin der Queer Theory, die sich selbst als antizionistisch bezeichnende Judith Butler, für das Ende Israels als eines jüdischen Staates und als Aushängeschild der Boykottbewegung gegen israelische Waren auftritt.
Trotz der Kritik jüdischer Feministinnen und vereinzelter Versuche, auf den eigenen Umgang mit Antisemitismus zu reflektieren, wurde im Sinne der Identitätsstiftung innerhalb der Frauenbewegungen lange Zeit eine Aufarbeitung weitestgehend vermieden. In den letzten zehn Jahren ist aber einiges an kritischer neuer Literatur zum Thema Frauen als Täterinnen im NS erschienen. Doch die Rezensionen von Wendy Lowers »Hitlers Furien« führen die Aktualität des Themas vor Augen: Darin überwiegt das Entsetzen darüber, dass auch junge Mütter und gar Schwangere in der Ukraine, Weißrussland und in Polen jüdische Kinder zuerst mit Süßigkeiten anlockten und dann brutal ermordeten. Die Empörung gilt also weniger der Tatsache, dass Kinder von dem Balkon eines Krankenhauses geworfen oder ihre Köpfe an Ghettomauern eingeschlagen wurden, als vielmehr der »Unstimmigkeit«, dass dies von Frauen begangen wurde, die selbst kleine Kinder hatten; für junge Väter gilt diese Empörung nicht.