Anstatt Audre Lorde zu lesen oder sich mit der aktuellen Abtreibungsdebatte in Spanien zu beschäftigen, muss frau* sich tatsächlich fragen, ob Schmutz auch eine agency, sprich Handlungsmacht, hat und die Grenzen zwischen Mensch und Tier und Mensch und Maschine nicht völlig willkürlich gezogen sind. Abgesehen davon, dass es in einigen Bereichen offensichtlich ist, dass diese Fragen wichtig sind, beispielsweise wenn es um Tierrechte oder um neue medizinische Errungenschaften geht, taucht im Kopf doch oft ein großes Fragezeichen auf, wozu das alles gut sein soll. Und die Feststellung, dass es politisch halt doch einen Unterschied macht, ob man(n)* Frau*, Hund oder Sessel ist, erscheint wichtig, wenn auch in diesem Kontext völlig anthropozentrisch.
Zu verdanken haben wir all diese »verrückten« Überlegungen unter anderem Donna Haraway, die mit ihrem Cyborg Manifest 1985 einiges losgetreten hat: dieses ganze Phantasieren darüber, ob wir jetzt schon ein Hybrid aus Mensch und Maschine sind, bloß wenn wir einen Tampon in uns haben, ein Kondom benutzen oder eine Brille tragen.
Dabei war das vermutlich etwas anders gemeint. Nicht ohne Grund ist das Cyborg Manifest erstmals in der Socialist Review veröffentlicht worden. Haraway schreibt schon im ersten Absatz ihres Cyborg Manifests, dass es ihr darum geht, »Feminismus, Sozialismus und Materialismus (…) die Treue [zu halten]« [1] und sich dem Thema der Cyborgs mit Ironie zuzuwenden.
Diese Einbettung in das politische Denken Haraways ist wesentlich, denn die alleinige Existenz von Cyborgs würde per se weder zur Befreiung vom Patriarchat noch zum Ausbruch aus heteronormativen Zuständen beitragen, wie Karin Harrasser [2] treffend feststellt. Deutlich wird das für sie am Beispiel des Films »Matrix«, in dem es den Cyborgs Neo, Trinity und Co weder gelingt, die heterosexuelle Matrix, noch tradierte christliche Rollenbilder aufzulösen. Ähnliches passiert im Science Fiction Film »Splice«, in dem das hybride Wesen »natürlich« unseren ästhetischen Vorstellungen entspricht, was dazu führt, dass die weibliche Forscherin Muttergefühle entwickelt, während sich der männliche Forscher sexuell zu dem, eindeutig weiblich konnotierten, Wesen hingezogen fühlt. Wenngleich mensch dieser Kritik entgegenhalten könnte, dass diese Filme eben von Menschen und nicht von Cyborgs produziert wurden:
Mit dem Cyborg Manifest hat das alles auf jeden Fall nur mehr die Idee eines Wesens, das eine »Verkopplung aus Organismus und Maschine« darstellt, gemeinsam. Das alleine inspiriert aber nicht dazu, »sich eine Welt ohne Gender vor[zustellen]« und »Verwischung von Grenzen zu genießen«, wie Donna Haraway sich das gedacht hat.
Sie hat tatsächlich Grenzen überschritten, indem sie – respektlos wie eine Cyborg - Sozialismus und Postmoderne, historischen und neuen Materialismus zusammengedacht hat.
Aber das Bild der Cyborg wurde aus dem Kontext gerissen, der politische Mittelteil des Manifests fand leider weniger Beachtung. Haraway imaginiert ihre Cyborgs als Wesen, die mit der Trennung von Kultur und Natur nichts zu tun haben und Letztgenannte nicht beherrschen wollen. Dies geht über bloße Vorstellungen der Naturschutz- und Tierrechtsbewegung hinaus, denn wenn sie gegen biologischen Determinismus argumentiert, so geht dies bereits in die Richtung, in die wir uns weiter mit Butler bewegen, wenn diese feststellt, dass sex schon immer gender, also Natur schon immer Kultur war. Cyborgs sind sich dessen bewusst, dass sie keinen Zugang mehr zu dem haben, was als reine Natur imaginiert wird, und versuchen deshalb erst gar nicht, sich in paradiesische Ur-Zustände zurückzubegeben.
Donna Haraway hat ihre Cyborgs als transnationale Migrant*innen dargestellt, als widerständige Subjekte, die nicht mehr »durch die Polarität von öffentlich und privat strukturiert [sind]«. Ihre Kritik an internationaler Arbeitsteilung wird deutlicher, wenn sie »rassistischen und patriarchalen Kapitalismus« kritisiert und über Cyborgfrauen schreibt, die »in Asien [Computer]chips herstellen«. Das Überschreiten von Grenzen ist für sie »Teil notwendiger politischer Arbeit«, die Migrant*innen bereits jetzt leisten. Haraways Cyborgs sind respektlos, »ohne jede Unschuld«, wodurch eine Viktimisierung von als Frauen* sozialisierten Subjekten unmöglich wird. Haraway gelingt der Drahtseilakt zwischen völliger Ironisierung und notwendiger Ernsthaftigkeit, wenn sie sich auf die Lebensrealitäten Marginalisierter bezieht. Women of Colour können für Haraway als »Cyborg-Identität, als machtvolle aus der Verschmelzung marginalisierter Identitäten hervorgegangene Subjektivität ausgefasst werden«. Haraway macht deutlich, dass ohne die Vorarbeit von Women of Colour ihre Cyborgs bloß leere Hüllen wären. Cyborgs nutzen, und auch das haben sie sich von Black und Chicana Feminists abgeschaut, Schreiben als eine Strategie der Selbstermächtigung. Gloria Anzaldúa hat mit ihrem Buch, das bezeichnenderweise den Titel »Borderlands/La Frontera« (aus dem Jahr 1987) trägt, deutlich gemacht, in welchen Zwischenräumen sich Migrant*innen bewegen, welche sprachlichen, geographischen und materiellen Grenzen sie überschreiten müssen. Sprache spielt, auch für Donna Haraway, eine wichtige Rolle als Mittel zur Selbstermächtigung. Es geht darum, »zugleich für eine Sprache und gegen die perfekte Kommunikation zu kämpfen«. Durch das »Wiedererzählen von Ursprungsgeschichten« wird Widerstand gegen westliches Wissen geleistet. In die antirassistische Praxis umgesetzt könnte dies bedeuten, Migrant*innen einerseits beim Erlernen der hegemonialen Sprache zu unterstützen, gleichzeitig aber auch Widerstand gegen Integrationsvereinbarungen im Rahmen gewaltvoller Fremdengesetze zu leisten. [3] Nur beides gemeinsam scheint in cyborgschem Sinne die geeignete Strategie zu sein.
Im Gegensatz zu vielen Theoretiker*innen der Science and Technology Studies, die beliebig Konzepte aus der Postkolonialen Kritik ausleihen und weiterentwickeln, ohne auf den Entstehungskontext einzugehen, bezieht sich Haraway explizit auf die, die sie zum Cyborg-Manifest inspiriert haben. Es ist schließlich auch ein großer Unterschied, Spivaks Konzept des othering – die Bestätigung der eigenen Identität durch Abgrenzung von »anderen« - auf eine Migrantin *oder auf eine Stecknadel anzuwenden. Schließlich führt othering in Bezug auf Menschen im »besten« Falle zu abwertender Exotisierung, im schlimmsten Falle zu Rassismus.
Haraways »Nachfolger*innen« [4] aus den Science and Technology Studies und Human-Animal Studies geht es um die Auflösung von Grenzziehungen. Auch wenn vieles auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erscheint, sind ihre Thesen näherer Betrachtung wert. Genauso wie die Auflösung von Sexismen vermutlich nicht möglich sein wird, solange wir in dem Dualismus »männlich-weiblich« denken, ist vielleicht auch die Auflösung »Mensch-Tier« nötig, um es unmöglich zu machen, dass Menschen durch Zuschreibung tierischer Eigenschaften das Menschsein abgesprochen wird.
Das Konzept der Cyborgs gibt also noch immer genügend Diskussionsstoff. Das subversive Potential von Cyberfeminismus kann aber nur in Verbindung mit »Parallelaktionen in Realpolitik und Symbolpolitik« (Harasser 2006: 200) gänzlich ausgeschöpft werden, da sonst nur jene Elemente in den Mainstream aufgenommen werden, die mit den gesellschaftlichen, hierarchischen Ordnungen kompatibel sind.
Wenn wir Cyborgs widerständig denken, so könnten wir beim Lesen des Manifests, in dem neben antirassistischen Inhalten auch frech zwinkernde Bezüge zu Pro Sex Feminismus zu finden sind, Lust bekommen, uns Haraways Cyborg als transnationale Sexarbeiterin* vorzustellen, die Alice Schwarzer den Hintern versohlt und es danach auf das Titelblatt der Emma und ins Europaparlament schafft. Und dann verstehen wir wieder, warum Haraway »lieber Cyborg als Göttin« wäre.