Die ersten zwei Sätze klingen wie aus »Heidi«: lange Jahre gab's vor dem Haus eine herrliche Wiese, auf der man sitzen, trinken, sich sonnen und unkontrolliert herumtollen konnte. Ein Stück Land (ja: Natur), von dem aus man den Blick über den Fluss in die Weite schweifen lassen konnte. Ein Paradies mit freier Sicht auf die Stadt - und doch mit fein austariertem Sicherheitsabstand zum Zentrum: nah genug dran, um sich eine Käsekrainer holen oder nach übermäßigem Alkoholgenuss nach Haus laufen zu können, weit genug weg, um nicht dazu zu gehören. Ein informeller Ort, geprägt durch die vielfältigen Aktivitäten der Stadtwerkstatt, und eigentlich eine Heterotopie: wo die Regeln der Stadt auf der anderen Seite des Flusses nur bedingt Geltung haben.
Doch das »Große Andere« zum Alltag der Stadt ist die Kultur zur Zeit selten. Verbannte die Stadtplanung die Subkulturen vor kurzem noch aus dem Zentrum, schlägt das Pendel nun in die andere Richtung aus: auch Staat & Wirtschaft, die in der Vergangenheit einen weiten Bogen um das subversiv flatterhafte kulturelle Feld gemacht hatten, interessieren sich zunehmend für die künstlerische Zauberkiste, in der Hoffnung, darin einen Trick zu finden, mit dem die Naturgesetze (oder die Regeln der Ökonomie) sich ausser Kraft setzen ließen. In Zeiten der Imagecity entstehen kulturelle Gebäude auch als Superzeichen, als Chiffren einer kulturalisierten Ökonomie, die wie elektrifizierte Kargo-Kult-Objekte in die Nacht leuchten, um dem Namen der Stadt neuen Glanz zu verleihen und kreative Industrien und Wohlstand herbei zu locken. Kulturelle Einrichtungen geraten, gewollt oder ungewollt, in einen anderen Verwertungs- und Repräsentationszusammenhang. Das sichert im Austausch das Überleben - naturbelassene Wiesen ohne Eigentümer in Innenstadtnähe dagegen, sind schnell verplant.
Mit Fertigstellung des AEC rutscht auch die Stadtwerkstatt weiter ins Zentrum - des Interesses, der Stadt, der Wirklichkeit. Das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein - wenn man einen Weg findet (und die Mittel an die Hand bekommt), um sich in dieser Situation souverän zu bewegen. Tatsächlich bietet sich mit dem Bau des AEC die einmalige Chance, einen neuartigen öffentlichen Platz zu schaffen, der von zwei kulturellen Institutionen geprägt wird. Hier eine Skizze, Ergebnis aus Gesprächen der letzten Monate, wie ein solcher von Stadtwerkstatt und AEC bespielter Ort konzipiert sein könnte.
Der Platz als Labor
Öffentlicher Raum steht von verschiedenen Seiten unter Druck: als Normraum basiert er auf zu vielen Ausschlüssen, und das damit verknüpfte Verständis von Demokratie ist in Passivität, Staatsorientier-ung und Bürokratie erstarrt. Umso leichter können sich die Tendenzen zur Kommerzialisierung durchsetzen: in manchen Innenstädten hat man das Gefühl, ohne einen Latte-Macchiato-To-Go in der Hand dürfe man sich da gar nicht aufhalten. Planer sprechen von der Cappucino-Ästhetisierung des städtischen Raums, und Gemeindeverwaltungen haben zunehmend die Neigung, Plätze als Eventflächen zu vermarkten.
Kulturmenschen reagieren auf diese Tendenzen gerne mit der Forderung nach Leere, Weite, Klarheit. Schnell bricht der klassizistische Topos des »Erhabenen« wieder durch und produziert Plätze als vormuseale Abstandshalter - repräsentative Verbotszonen, die auf einen König warten, der nicht mehr kommt.
Beides kann für Linz keine Lösung sein. Stellt sich die Frage: Wie könnte der öffentliche Raum seine Passivität abstreifen und zu einem Ort der Produktion werden? Wie kann ein Platz als Labor funktionieren? Und wer ist der Laborant und wer ist das Versuchstier?
Es geht darum, ein neues Konzept für den öffentlichen Raum zu entwickeln. Mehr als einen öffentlichen Balkon. Ein Ort, an dem die Stadt sich selbst anschauen kann. Ein Platz als Werkstatt. Öffentlicher Raum, der nicht mehr nur durchquert, hingenommen oder konsumiert wird – sondern der von den NutzerInnen produziert wird. Ein kulturell geprägter Platz.
Plugin-Module in die Wirklichkeit
Knapp hundert Jahre (oder so) nach der Elektrifizierung der Sowjetunion, sollte ein elektrifizierter Platz möglich sein. Zum Glück haben Stadtwerkstatt und AEC sich geeinigt, dass es Strom und Daten-Plugins auf dem Plateau geben wird. Sollen die funktionieren, muss der Zugang dazu ganz unkompliziert geregelt sein. In der Nähe des AEC ist eine »öffentliche Steckdose« so essentiell, wie für den Dorfplatz vergangener Jahrhunderte der Brunnen. Her mit den Produktionsmitteln!
Daraus abgeleitet hat sich die Idee für ein System aus unterschiedlichen Plugin-Modulen entwickelt. Die Module regen zu unterschiedlichen Nutzungen an. Sie funktionieren als Plugins der kulturellen Einrichtungen drum rum, schaffen leicht zugängliche Anschlusspunkte im öffentlichen Raum. Zugänge, Werkzeuge, Spielzeuge (für Erwachsene und Kinder). Formal sollten die Module als zusammenhängend erkennbar werden - auch wenn sie über das Dach hinaus verstreut sind. Zum Beispiel alle so groß wie ein Doppelbett, oder ineinander verschaltbar, oder alle Elemente rollbar, oder aus dem gleichen Material, oder in Form von »Tetris« Elementen... Symbolisch geht es auch darum, durch formale Ähnlichkeit die soziale Unterschiedlichkeit von Tätigkeiten auf eine Ebene zu heben - geistige Arbeit & Essen, Sonnen & Kochen, Lesen & Pflanzen, Spielen & Schreiben, am Laptop arbeiten & am Fahrrad schrauben (etc.). Eine Open-Air-Wohnzimmer-Couch direkt neben der ersten Hebebühne mit Donaublick...
Wunschproduktion (limited)
Wenn man sich als Fremder, wie ich, der Stadtwerkstatt nähert, dann stechen drei Begriffe ins Auge, die von Außen auf das Haus gemalt sind: »On Stage«, »On Air« und »On Line«. Damit ist ja nicht weniger formuliert als ein Anspruch auf Bühne, Äther, Netz - auf Gestaltung des öffentlichen Raums. Ein solcher Anspruch muss immer wieder erneuert werden, sich durch Taten konstituieren. Eine Bespielung und Gestaltung des Plateaus durch die NachbarInnen, insbesondere aber durch das Freie Radio, durch servus.at und STWST, könnte ein ideales Projekt sein, um sich selbst wieder herauszufordern, über die einem zugestandene Nische hinaus zu denken - und zusammen zu arbeiten.
Umgekehrt sollten solche Module fürs Dach entwickelt werden, mit deren Hilfe Passanten in AEC, Radio, Netz, Museum und STWST eingreifen können. Das könnte technisch avanciert sein - etwa ein gläsernes Radiostudio, oder auch sehr plump gehen - etwa eine kleine Bühne draussen, die permanent per Video auf die Bühne der Stadtwerkstatt übertragen wird (und umgekehrt). Etwas in der Art der Arbeit von Ashok Sukuman, der im Stadtraum Schalter anbrachte, mit denen sich verschiedene, an ein Kino montierte Elemente von aussen ansteuern ließen, die Wünsche in den Stadtraum hinein explodierten: der Ton des gerade laufenden Films wurde auf einen Platz übertragen, eine Discokugel in Gang gesetzt, ein Poster wie von Geisterhand aus dem Fenster geweht, Nebel erzeugt...
Gute Kunst und Wunschproduktionen zeichnen sich immer dadurch aus, dass sie das Verhältnis von Privatem zu Öffentlichem neu bearbeiten. Konsequenterweise müsste auch die Nachbarschaft Zugriff auf den Planungsprozess bekommen. Dies könnte in Form einer »Wunschpro-duktion Limited« geschehen. In einer Miniausschreibung werden die zukünftigen NutzerInnen eingeladen, ihre eigene »Insel« zu entwerfen. Trotz gleicher Ausgangsbasis, könnten so sehr unterschiedliche Inseln entstehen. Die Unterschiedlichkeit der NutzerInnen würde auf kleinem Raum verdichtet – eine urbane Kunstlandschaft entstehen, geprägt durch private Wünsche - ein Nachbarschaftsnetzwerk widerspiegeln. Kommerzielle Veranstaltungen und Nutzung müssten dauerhaft vertraglich ausgeschlossen werden.
Kommunikative Plattform
Kommunikative Plattformen ohne Inhalt sind so interessant wie abgestandener Tee. Die Plugins müssen als Stolpersteine funktionieren, als leicht zugängliche, aber provokative Satelliten von AEC und STWST. Und die müssen mit Content gefüttert werden - Diskussionen im öffentlichen Raum führen.
Ebenso muss ein Budget her, um sich Dinge für draussen auszudenken: das einfältige »Public Viewing« der EM mit einem »Private Viewing« beantworten - regelmässige Open-Air Projektionen von Videos aus privater Kunst-/Dokumentar- oder Werbeproduktion, Pecha Kucha Linz und Content-Karaoke, regelmässiger Technikflohmarkt (wo sonst kann man die Funktion von Geräten so praktisch überprüfen?), ein ironisches Spiel mit Formaten des event-mainstreams veranstalten, Hightech mit Low-Tech beantworten: statt der Autopräsentation eines Großkonzerns stellt die niederösterreichische Tuningszene oder eine Clique von Fahrradschraubern ihre Arbeit vor.
Fluchtlinien
Der neue Platz bietet die ausgesprochen attraktive Chance, AEC und STWST eine dauerhafte Plattform im öffentlichen Raum zu sichern und das globale Netzwerk der einen mit der lokalen Verankerung und Zugänglichkeit der anderen Einrichtung zu verknüpfen. Damit sind beste Voraussetzungen gegeben, immer wieder Fluchtlinien aus der lokalen Situation heraus zu ziehen, und umgekehrt, das internationale Angebot des Festivals effektiver mit der Situation vor Ort zu verknüpfen.
Mit der skizzierten kulturellen Schwerpunktsetzung hin auf technologische Themen würde man ein einzigartiges und zukunftsträchtiges Profil formulieren, das von den benachbarten Institutionen hervorragend und nachhaltig entwickelt werden könnte.
MeinSpace
Derzeit entstehen in zahlreichen Städten öffentliche Orte, die, ähnlich wie www2-Plattformen wie MySpace oder flickr, definiert werden von den (sub)kulturellen Aktivitäten der NutzerInnen. AEC und Stadtwerkstatt haben in ihren künst-lerischen Projekten dieser Entwicklung weit vorausgegriffen. Die Zeit ist reif, um solche Räume auch in der realen Stadt zu schaffen. Also denkt euch schon mal was aus.