Wenn das Experiment seinen Raum findet...

Christina Nemec wirft einen Blick auf die elektronische Musikszene in Linz.

In den frühen 80er Jahren war Linz als Stahlstadt bekannt. Stahl und Chemie. Industrie. Träume von qualmenden Fabrikschloten und flüssiger Stahlschlacke. Als ich das erste Mal nach Linz kam, war ich 14 Jahre alt, aufgeregt und meine Adresse lautete: Zentrum Spattstraße. Ich hielt es ein halbes Jahr aus und mir blieb eine sehr freundschaftliche Bindung an die Stadt und ihre Szenen. Gerade in den mittleren, endenden 80er Jahren als die WienerInnen neidvoll nach Hardcorestadt Kapuland blickten...

Villach, 1985: in einem Kino in der Innenstadt wird der Film »Winterreise« von Christian Gasser gezeigt, schwarz weiß und abstrakt, begleitet von einem Kammermusikensemble. Wir sind schwarz angezogen und fühlen uns irgendwie avantgarde. Nach dem Film sehen wir die Performance einer Frau aus dem Stadtwerkstatt-Umfeld, sie bügelt Eisbrocken, ich bin baff erstaunt. Wir sind sechs Personen im Publikum und fühlen uns, noch immer schwarz angezogen, irritiert. Danach spielt die ungarische Band: Rasende Leichenbeschauer. Wir gehen alle gemeinsam in die Hotelbar und trinken die ganze Nacht.

Wir pendeln in den nächsten Jahren im Herbst nach Linz, wenn Ars Electronica-Zeit ist. Die Stadtwerkstatt wird bald umziehen, das ganzjährig bespielte AE Center viel später gebaut. Die Künstlerin Cornelia Sollfrank in einem Interview mit den »Kulturrissen« über die Bedeutung der AE und Linz für die frühe elektronische Kunst in einer Zeit, als Computer noch Science Fiction sind: »Das malerische Städtchen an der Donau, dazu die Stahlindustrie plus der futuristischen elektronischen Kunst: Das hat eine unwiderstehliche Mischung erzeugt. Dazu kommt die Entstehung der AE aus dem Kontext der Musik – dem Bruckner-Festival. Das ist auch etwas Besonderes, denn die meisten Medienfestivals entspringen dem Film/Video-Umfeld.«

Wir pendeln zu Times-Up in den Hafen und konsumieren Negativland und ihre Medienkritik oder People Like Us mit ihrem lust- und humorvollen Zugang zum Thema, essen Nudelsuppe zu Visuals und warten auf die Nachtfahrten mit dem Werkzug durchs VOEST-Gelände, organisiert von Fadi Dorninger, der nicht nur als Wipe-Out Musiker und Solokünstler bekannt ist, sondern durch seine Unterrichstätigkeit an der Kunstuniversität Linz (Audio-labor) auch als Katalysator der Szene, die vielleicht noch keine ist, gilt.

Positionen zu Elektronischer Musik

Elektronische Musik als Begriff ist in etwa so ungenau wie wenn man von Pop- oder Gitarrenmusik spricht und doch scheint es so, als hätten AnhängerInnen bestimmter Szenen auch eine konkrete Vorstellung davon, was damit gemeint sein könnte. Seit einigen Jahren hält ja gerade der analoge Instrumentenpark wieder Einzug in die alternative Musikproduktion. Nur mehr wenige verlassen sich auf digital generierte Sounds in diversen Frequenzspektren und Software oder Pre-Sets, die aufgrund ihrer leichten Erkennbarkeit langweilig wirken. Der coole Laptoptyp der 90er ist aktuell nichts anderes als ein Nerd, der seine Emails zu lesen scheint, während ein zufallsgesteuertes Programm Lärm durch die Anlage sendet. Soweit die Polemik derer, die ihre Mego-CDs gerade noch als Accessoire einer anderen, wilden Zeit in ihre CD-Regale packen. Viele der MusikerInnen arbeiten vermehrt im E-Bereich, in Kooperationen mit Orchestern, VideokünstlerInnen, Tanzperformancegruppen oder auch am Dancefloor.

Disaster, Sunkist und Horace

Es ist ungefähr zur selben Zeit im Frühjahr 2006, als ich im Rahmen der Filmpremiere von »She Pop – Ein Film über Musikerinnen« das Interview mit Cherry Sunkist sehe und über die Seite von feedbackanddisaster.net klicke. Cherry Sunkist, die mit ihrem Debutalbum OK UNIVERSE eine Mischung aus unterhaltsamen DIY-Electro-Songs mit großer Popaffinität und Attitude serviert. So gut, dass sie heuer von der FM4 Jury für den alternativen Amadeuspreis nominiert wurde. (Weiters aus Linz nominiert: Texta, Parov Stelar und Bruckmayr). Doris Disaster und Andreas Kurz verbinden Konzept und Vernetzung dadurch, dass sie auf iher Web-Galerie KünstlerInnen und MusikerInnen dazu auffordern, Audio-Tracks zum Thema Übertreibung im weiteren Sinn zu produzieren. TOOMUCHTOOFASTTOOTRUETOOSLOW ist eine Compilation, die nicht nur lokale Arbeiten präsentiert, sondern auch KünstlerInnen aus Frankreich, Belgien, Niederlande und Deutschland. Erscheinungsort ist Berlin, die Pre-ReleaseParty findet in Rotterdam statt. Was sie sich sonst noch vorgenommen haben, liest sich auf ihrer Seite wie folgt:

The two founders Doris Prlic and Andreas Kurz created feedback & disaster in order to work at the intersection of art, popart and theory. They aim to create a network for various subcultural fields. Content-wise they put an emphasis on questions regarding political and artistic strategies: How and to what extent is it possible to realize political positions? What channels can be used to communicate contents? How do political statements work in the field of popart and art?

Welche Referenzen lassen sich manchmal erkennen? Hat ein Titel wie TOO UNLIMITED von Bernd Oppl und Andre Tschinder, gerade weil das Stück ein bisschen improvisiert klingt (Klavier, Gitarrre), irgendeine Bedeutung Richtung music unlimited, dem Welser Festival für experimentelle Musik? Bernd Oppl, der als Horace mit NOISE NEVER SLEEPS ein Album aufgenommen hat, mit dem man/frau durch die nächtlichen Straßen cruisen kann, durch die Glitch-Clubs tingeln und tanzen und überhaupt bis die morgendlichen Monster auftauchen.

An einem sonnigen Nachmittag im Vorfrühling 2008 sitzen mir im Café Rüdigerhof foldende Personen gegenüber: Karin Fisslthaler aka Cherry Sunkist, Andreas Kurz aka Washer, Guy Bored und Bernd Oppl aka Horace. Ich bemühe sie mit meiner Annahme, dass es in Linz ein Kollektiv aus 10-12 Menschen gibt, die jede/r für sich – an vielfältigsten Herangehensweisen an Sound, Struktur und Rhythmus werkeln und in Summe Abende rocken oder verzirpen lassen. Theorie und Praxis, Noise and Silence, Aufgeblasen oder unplugged – das Flüstern zählt oft mehr als 5000 fette Beats, aber nur für den richtigen Moment, etwa wenn Laurie Anderson von Platte ihr Big Science singt in einer Halle so groß wie das Wiener Flex und die Leute am Dancefloor zögerlich eine Bewegung suchen, in die sie sich fallen lassen können.
Andreas erzählt, dass er seit cirka fünf Jahren in Linz lebt und ihm damals Fuckhead und Wipeout ein Begriff waren und Valina und Texta, »Es gibt sehr wohl sehr viele Leute, die sich mit Clubmusik beschäftigen, sehr straight produzierte House-Sachen, in meinem Bereich sind erst irgendwann Bernd (Oppl) und Karin (Fisslthaler) vor meiner Nase aufgetaucht und Doris Disaster, Ingo Leindecker usw.«
Karin: »Aus dem Unikontext ist durch Fadi Dorninger eine Dynamik entstanden. Weil er angefangen hat, im Zuge seiner Sound-Vorlesung Veranstaltungen mit den Studenten zu machen. Im Zuge der Bits & Bytes der AE hatte ich meinen ersten Auftritt. Es gibt überdurchschnittlich viele Leute, die im Bereich Kunst und Musik arbeiten«.

Was wäre denn eine Szene? Wenn ihr mit euren Veranstaltungskonzepten durch die Städte tingelt?
Andreas: »Reicht das für eine Szene, eine Kleingruppe mit ähnlichen Interessen? Wir haben das Interesse gehabt, in einer organisierten Form nach außen aufzutreten, weil wir ein Interesse an Bildung von Plattformen haben.«

Inwiefern spielt die AE für euch eine Rolle, bietet die AE eine Plattform für lokale Acts?
Karin: »Es gibt selbstorganisierte Nebenschienen, zB im Roten Krebs, in Kooperation mit dem Festival, das jedoch keinen inhaltlichen Einfluss hat, damit erreichen wir mehr internationales Publikum. Als Ausnahme gilt die MIDI Marschmusikkapelle, die aus ca. 10 Leuten der Linzer experimentellen Szene besteht (bu:nostik), wo wir auch mitspielen mit Laptops und Lautsprechern, also mobil – wir wurden gebucht von der AE im Rahmen der digitalen Musiknacht.«

Welche Auftrittsmöglichkeiten bieten sich sonst an?
Der Verein Qujochö betreibt das quitch, in dem auch Konzerte stattfinden. Für größere, lautere Acts suchen sie ausgewählte Orte: zB die finnische Band Pan Sonic spielt in der Eishalle mit Support: Cherry Sunkist, die norwegische PsychedelicNoiseband KILLL im Theater Phöenix mit Bu:nostik und chra, (also der Autorin selbst – es war ein toller Abend!), oder die US-amerikanischen Monsterrocker Melted Men in der Grottenbahn am Pöstlingberg, die so manchen nachmittags eine Art alternative AE zu bieten scheint.

Bernd: »Bei Konzerten im quitch merkt man, dass der Kreis klein ist, weil immer dieselben Leute kommen, 10 – 15«.
Karin: »Schon mehr!«
Andreas: »So gesehen gibt’s auch eine Szene von ca. 20 Leuten ... und es werden mehr!« Das hat auch das neue Veranstaltungskonzept »Tisch« im quitch gezeigt, das sehr gut funktioniert hat.

Das erste Mal getroffen und live gesehen habe ich Cherry Sunkist beim ETC – Eclectic Tech Carnival in der Stadtwerkstatt, eine Veranstaltung, rund um Hard- und Software, elektronische Musik und Performance, und nicht zu unterschätzen Vernetzung. Eingeladen von der Stadtwerkstatt hatte die Autorin als Mitglied von SV NOLIMIT! wohl einen ihrer lustigsten Auftritte und Partyabende!

Neben der Stadtwerkstatt als Auftrittsort, die auch den Radiosender FRO beherbergt, der als Plattform für Sounds und Experimente gelten kann, finden Festivals wie das STOP SPOT! statt, das sich im letzten Jahr um die Fragestellung nach den Regeln der Musik spielerisch und theoretisch gedreht hat. DORNINGER war damit beauftragt, ein prozesshaftes Remixprojekt zu realisieren, so schließt sich wieder der Kreis. Denn von Linz denken die Leute immer an eine kleine überschaubare Szene, die sich je nach Bedarf sehr gut vernetzen kann.