Irgendwo in Afrika, hier in Linz

Astat Brütal im Gespräch mit Ike Okafor vom Verein Black Community und der Künstlerin Sibylle Ettengruber

Afrika. Welche Bilder tauchen beim Wort Afrika im Kopf auf? Keine Angst, Klischees existieren zu und in jedem Land. Für Österreich hat es ein Bundeskanzler einmal so formuliert: Lipizzaner, Mozartkugeln und Neutralität. Der schwarze Kontinent. Wirklich ein schwarzer Kontinent? Entkolonialisierung oder doch Safari? Warlords? Hungernde Kinder, die nur aus Augen bestehen, die aus Plakaten blicken? In Linz leben AfrikanerInnen. Man weiß das, da sie auffallen. Wegen der Hautfarbe. AfrikanerInnen, sie arbeiten in Linz als ÄrztInnen, Geschäftsleute, gründen Vereine, suchen Asyl, sie sind die nettesten Taxifahrer und kolportieren nicht selten kleinformatig Xenophobes an deine und meine Haustüre. Den Afrikaner gibt es so nicht, meinen die beiden Gesprächspartner. Die Künstlerin Sibylle Ettengruber organisiert im Moment das Projekt »Ke Kako – Afrika Jetzt« und bei ihr hat alles mit einem Atlas begonnen. Ike Okafor vom Verein Black Community lebt schon länger hier in der Stadt. Einer bemerkte einmal über das Leben in Linz, dass, wenn er Auskunft gab, Franzose zu sein – ein unüberhörbar Akzent war das Indiz – im zweiten Nachsatz oft gefragt wurde: »Ja, aber wo kommst du denn ursprünglich her?«1 Irgendwo in Afrika, hier in Linz.

Versorgerin: Der Anfang in Linz?

Ike: Der Anfang war schwer, stressig, fremd. Kälte, Blues. In Österreich spürt man jeden Tag, auch nach 20 Jahren, dass man anders ist; und zwar hier stärker als in London, den USA oder Kanada. Hier spürt man, dass man fremd ist und deshalb ist alle Aktivität, um dazu zugehören, einfach schwieriger. Linz ist vielfältig, es leben über 150 Nationen in Linz. Aber Linz muss uns die Chance geben, bei behördlichen Dingen, und dass diese Vielfalt auch sichtbar wird. Dass der Mensch, der herkommt, die Möglichkeit hat, sich wohlzufühlen, sich einzugliedern. Aber jetzt, wie soll ich sagen, fühle ich mich heimisch.

Sibylle: Viele haben ein Problem sich heimisch zu fühlen, quasi angekommen zu sein. Aber viele, die hier sind, leben einfach ihr Leben; sie haben ihren Arbeitsplatz, ihre 40-Stunden-Woche, Familie. Die meisten bleiben halt unter sich, treffen sich im Verein, um ihre Kultur zu erhalten. Das hilft Probleme zu bewältigen, weil man sich austauschen kann, untereinander ernst genommen fühlt und besser behandelt wird. Denn es gibt da das Problem, das einfach existiert aufgrund der Hautfarbe. Und das kommt öfter vor, als man denken mag.

Versorgerin: Klischees, Halbwahrheiten und kulturelle Missverständnisse?

Sibylle: Kommt immer wieder vor oder aber auch, sich davon zu distanzieren und sein Genre gefunden zu haben. Das kann Literatur sein, Trommler findet man auch immer wieder. Wie bei uns Europäern, kann das ein Teil sein, den man mag oder nicht. So wie wir Volksmusik mögen oder nicht. Europa unter einen musikalischen Nenner bringen? Da kann man sich einmal überlegen, was das alles wäre.

Ike: Wenn jemand in der Straßenbahn aufsteht, um einem alten Menschen Platz zu machen, und dieser nimmt den Platz nicht an, dann sticht das. Bin ich schmutzig? Diese Probleme muss man besprechen. Aber auch die Polizei. Viele sind nicht gewöhnt, dass bewaffnete Menschen in Uniform herumlaufen. Hier ist alles reglementiert; auch der Weg zum Klo. Das sind gewisse Verhältnisse, die die Leute nicht kennen und das sind Probleme, bei denen die Black Community hilft. Aber auch im Bereich der Arbeit, dass man nicht ausgebeutet wird.

Sibylle: Es gibt da so Geschichten oder es scheint Afrikanern tatsächlich zu begegnen, Afrikanern die nach Österreich kommen, die während ihres Lebens in Afrika, egal in welchem Staat, nie getrommelt haben, aber dann in Linz unter den Afrikadeckmantel gesteckt wurden und dann plötzlich zu trommeln angefangen haben, um hier ein Teil von denen zu werden.

Ike: Ich habe die österreichische Mentalität noch nicht kennengelernt, also wenn es das überhaupt gibt. Viele Menschen glauben Medien zu viel, üben unreflektiert ihre Handlungen an Fremden aus. Wir wollen wahrgenommen werden, so wie wir sind, und nicht wie wir sein sollen. Es kann eine Bereicherung sein, über den eigenen Schatten zu springen und zu sehen, es könnte auch anders sein, als sie zum Beispiel in ihren Geschichtsbüchern gelernt haben. Es gibt ja auch nicht den typischen Linzer.

Versorgerin: Stichwort Medien. Eine tendenzielle Berichterstattung. Caritas-Plakate mit hungernden Kindern. Ein Bild, das wir nicht los werden?

Sibylle: Das werden wir nicht los, weil es existiert und weil Länder einfach Unterstützung geben; wie immer man das finden möchte, wie immer es funktioniert. Tja, aber es stimmt, diese Bilder sind im Kopf.

Ike: Ich kann täglich nichts Positives über Afrika finden. Es ist immer mit den K's behaftet: Katastrophe, Krankheit, Korruption und Krieg. Die Bilder bestimmen die Sicht, wie man die Leute wahrnimmt: »Das sind arme Leute, Leute die krank sind, Leute, deren Leben kaputt ist, die fliehen mussten«. Das führt zu einer anderen Behandlung. Das ist schwierig für die Identität. Der Selbstwert ist schnell am Boden, wenn man dauernd hört »Ihr seid Nichts, ihr seid krank, am hungern«. Irgendwann glaubt man es auch. Man kann Afrika auch ohne diese vier K's beschreiben.

Versorgerin: »Der Afrikaner« in Linz?

Sibylle: Es geht darum, dass jemand nicht Afrikaner ist, sondern dass man aus Ruanda kommt, aus dem Kongo oder aus Nigeria. 53 Staaten. Die Afrikaner kann man nicht aus einer Perspektive sehen. Das ist das Absurde. Es ist die Hautfarbe, die alle auf einen gemeinsamen Nenner reduziert. Algerier oder Ägypter sind heller, die tut man eher in die Araber-Ecke, sind aber auch Afrikaner.

Ike: Die Community ist vielfältig. Jeder pflegt seine Kultur, das unterscheidet uns; aber wenn es um Rassismus und falsche Wahrnehmung geht, ziehen wir alle an einem Strang. Aber es wäre unrecht zu sagen, alle Afrikaner müssen zusammensein. Wir begrüßen die Vielfalt, aber von 53 Staaten sind nur 8 im Dachverband der Black Community vertreten. Jeder soll aus seiner Sicht sein Afrika thematisieren. Für Menschen, die gerade in Linz angekommen sind, sind unsere Vereine, die nach Ländern organisiert werden, die erste Anlaufstelle.

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1995 sprach in Linz Bert Estl mit Grace Latigo und Bernard Ochaya von UCA, Ugandian Community in Austria.2 Die Suche nach einem Vereinslokal gestaltete sich schwierig; manche erklärten, man wolle nicht, dass soviele Afrikaner in die Gegend kämen. Wer aber »den Afrikaner« überwinden will, muss die Begegnung suchen. Doch damals wie heute stehen die Interviewten dem Integrationsbegriff skeptisch gegenüber.

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Versorgerin: Was hat es mit dem Integrationsbegriff auf sich?

Ike: Wenn die Leute nicht teilnehmen können, dann können wir nicht mit diesem Wort weiterdiskutieren. Und das Schulsystem? Der Nachname bestimmt, wo man landet. Fördern wir unsere Jugend, dann ist das ein Gewinn. Dividieren wir sie auseinander, dann haben wir in der Zukunft ein Problem. Integration? Reden wir nicht davon. Zusammenleben, das ist das bessere Wort. Man will seinen Lebensunterhalt verdienen, in der Schule Chancen haben. In der Wohnpolitik ist »Integration« auch ein Problem: In gewissen Vierteln wohnen nur Migranten, und sie haben wenig Möglichkeiten, mit der sogenannten österreichischen Kultur in Berührung zu kommen. Da kann man schwer erwarten, dass sie sich von heute auf morgen integrieren. Am Anfang war es Integration, jetzt heißt es »mit Migrationshintergrund« ... oder Vordergrund?

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Während wir im Interview über Vorder- und Hintergründiges sprachen und noch bevor die Welt zur Fussball-WM ihren Blick auf Südafrika richten wird, passierte es in Wien. Die Spieler des FC Sans Papiers wurden beim Training – unter Mithilfe des Wiener Fußballverbandes – von einem Massenaufgebot an Polizisten überfallen; ein Überfallkommando lässt grüßen! Einzelne Spieler und der Trainer wurden inhaftiert. Innerhalb kürzester Zeit wurden zwei nigerianische Sans Papiers-Fußballer außer Landes gebracht. Abgeschoben wurde auch der 34-jährige Mark N. aus Linz, der seit neun Jahren hier lebt. Sein fünfeinhalbjähriger Sohn bleibt ohne Vater zurück.
Diskretion ist bei EU-Charterabschiebungen in Zusammenarbeit mit Frontex notwendig. Frontex sorgt für glänzende EU-Außengrenzen. Frontex ist ein Apparat zur Militarisierung der europäischen Migrationspolitik. Schubhaft allerdings ist eine Haft ohne Delikt. Die Polizei ging nun erneut gegen Grund- und Menschenrechte vor. Nach dem Tod von Marcus Omofuma hatte eine kleinere Gruppe innerhalb der Wiener Polizei begonnen, sich bei Tandem zu engagieren. Tandem bemüht sich auch um die Begegnung von AfrikanerInnen und der Exekutive. Dieser Austausch wird, laut Aussagen eines BKA Beamten, vom Innenministerium nicht gefördert.

[1] Der hörbare Unterschied. Appell an Radioengagement von Sedjro Mensah. 128/2008. KUPF Zeitung
[2] Ein Forum der Begegnung, Seite 4ff. Hillinger, 08/1995. KAPU