»Die Gedanken sind frei«

Linzer Polizei demontiert antirassistische Ausstellung

Am 14. April wurde in der Linzer Innenstadt beim Altstadtfest »Ein Dorf in der Stadt« die Ausstellung der Wiener Künstlerin und Filmemacherin Marika Schmiedt eröffnet.
Initiiert von der Stadtwerkstatt, in Zusammenarbeit mit der Galerie Hofkabinett, wurden unter dem Titel »Die Gedanken sind frei – Angst ist Alltag für Roma in Europa« an einem Bauzaun 31 Collagen affichiert, die Schmiedt zu aktuellen rassistischen Diskriminierungen und Verfolgungen von Roma und Romnija in Europa gestaltet hat.  
Die Collagen konfrontieren mit bewusst provokanten Sujets. In dem Begleittext, der die Ausstellung am Bauzaun einleitete, beschreibt die Künstlerin ihre Arbeit mit folgenden Zeilen:
»Diese ›Ausstellung‹ soll als Spiegel der verbreiteten aber durchschnittlich nicht wahrgenommenen Rassismen dienen und mit der Geschichte der Verfolgung der Roma in Verbindung gebracht werden. Pogrome in Europa existieren nach wie vor – lebensbedrohende Zustände sind allgegenwärtig und obwohl die Situation für Roma eine soziale und politische Situation hervorruft, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert, hat sich die Mehrheit zum Schweigen entschlossen.
Meine Collagen, die im Sinne der Confrontage agieren, versuchen das Schweigen zu durchbrechen und den Rassismus zu enthüllen und gleichzeitig der fortschreitenden Diskriminierung entgegenzuwirken.«

Die Collagen thematisieren Beleidigungen durch Lebensmittelbezeichnung (»Z-Schnitzel«), Abschiebungen aus Frankreich, untragbare Lebensbedingungen in peripheren »Wohn«-gebieten in Serbien, Neonaziübergriffe in Ungarn und die fehlende Aufarbeitung des Porajmos, des Völkermordes an Roma und Sinti durch die Nazis.
»Marika Schmiedt kommentiert, was los ist in Europa, und sie ist dabei nicht zimperlich mit historischen Vergleichen. ›Meine Kunst ist nur ein Spiegel‹, sagt sie, ›die Verhältnisse gibt es auch ohne sie‹. Aber das ist zu klein gedacht. Ihre künstlerische Arbeit ist nicht Spiegel, sondern Vergrößerungsglas der Zustände. Sie zoomt hinein in den Wahnsinn, der tagtägliche Politik ist, weiterzappen unmöglich«, so Lisa Bolyos in ihrem Artikel »Die Kunst ist die Lupe der Verhältnisse«, Augustin 344.

Aggressiver Ungarn-Nationalismus

»Schon vor der Eröffnung kam es zu einem unsäglichen Zwischenfall, als ich Marika Schmiedt die Hängung ihrer Arbeiten zeigte«, so Olivia Schütz, Vorsitzende der Stadtwerkstatt. »Während Marika Fotos von ihren Collagen machte, kam eine Frau wütend angebraust, riss ein Plakat herunter und begann uns zu beschimpfen. Die Künstlerin wurde als »Rassistin«, die das ungarische Volk verunglimpfe, beschimpft. Die Frau drohte Künstlerin und  Veranstalter mit Anzeigen. Der Begleiter der Frau, der uns beide fotografierte, riss Marika das Handy aus der Hand. Nachdem Marika ihr Handy eingefordert und auch wieder bekommen hatte, verließen die beiden den Ort – im Weggehen ließ mich die Frau aber noch wissen, dass sie uns »200 oder 300 Ungarn vorbeischickt«.

Bei dieser Frau handelte es sich um eine  Fremdenführerin mit ungarischem Hintergrund. Auf dem Blog von Marika Schmiedt drohte die Stadtführerin mit einer Anzeige, vertreten durch die wiener-ungarische Anwältin Eva Maria Barki, die für ihre Jobbik-Affinität bekannt ist. Dr. Barki hat im Jahr 2010 den Aufmarsch von ungarischen Rechtsextremen und Neonazis in Oberwart angemeldet. Konkret ist in dem Kommentar zu lesen: »Ihre ›künstlerischen‹ Machwerke wurden alle fotografiert und an das Büro des ungarischen Ministerpräsidenten sowie an eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien z. Hd. Frau Dr. Eva Maria Barki gesandt. Diese wird die Staatsanwaltschaft einschalten.«

Collagen wurden durch die Polizei entfernt

Innerhalb von 48 Stunden nach der Vernissage, die Kulturdirektor Dr. Stieber eröffnet hatte, waren alle 31 Collagen entfernt. Erst einige Tage später bekam die Stadtwerkstatt den Hinweis, dass Polizeibeamte die Demontage der Collagen durchgeführt hatten.
Eine am 24. April geschickte Anfrage von der Stadtwerkstatt an die Landespolizeidirektion mit der Bitte um eine Sachverhaltsdarstellung blieb unbeantwortet. Auch die ersten Anrufe bei der Polizei gingen ins Leere.
Schließlich bekam die Stadtwerkstatt am 29. April auf eine erneute telefonische Anfrage die Bestätigung, dass die Collagen tatsächlich bereits zwei Tage nach der Eröfffnung behördlich entfernt worden waren.
Der diensthabende Beamte behauptete, Marika Schmiedt sei angerufen und gefragt worden, ob ihre Plakate entsorgt werden sollen, wonach sie angeblich zugestimmt habe. Marika Schmiedt hat jedoch nie einen Anruf diesen Inhalts erhalten. Die Polizei habe im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der die Plakate als rassistisch beurteilt hätte, gehandelt, so die telefonische Auskunft aus der Wachstube. Die Stadtwerkstatt hat Anzeige wegen Diebstahl erstattet.

Mehrere sehr Verstörte

Am 8. Mai kam durch eine indirekte Kontaktaufnahme ein Treffen zwischen dem Stadtpolizeikommandant von Linz und der Stadtwerkstatt zustande. In diesem Treffen wurde in Erfahrung gebracht, dass einige Beschwerdeanrufe in der Polizeiinspektion Nietzschestraße – Zuständigkeit Verfassungsschutz – eingegangen wären. Der ausschlaggebende Anruf soll der eines Journalisten gewesen sein.
Diese Beschwerden wurden telefonisch an die Dienststelle Landhaus, nahe des Ausstellungsortes, weitergeleitet. Die Beamten vor Ort hätten daraufhin die Collagen entfernt. Laut Stadtpolizeikommandant seien nur fünf Plakate entfernt worden. Fotos vom Vormittag des 16. April zeigen jedoch noch mindestens 15 Plakate. Die »Oberösterreichischen Nachrichten« berichteten, die Polizeibeamten hätten am Bauzaun »mehrere Personen angetroffen, die durch die Plakate ›sehr verstört‹ gewesen seien«. Sollten diese »Verstörten« bereits der Polizei Arbeit abgenommen haben? Die Behauptung  der Anwesenheit »mehrerer Verstörter« lässt nur den Schluss zu, dass die Polizei anstatt dem Antirassismus einem »gesunden Volksempfinden« zu Diensten war.

Umittelbar nach diesem Treffen wurde vom Landespolizeikommando Oberösterreich eine Stellungnahme an die Presse geschickt.
Darin stand zu lesen, dass die Stadtwerkstatt über die Demontage informiert worden sei und weiters: »Das Landespolizeikommando stellte ergänzend fest, die einschreitenden Beamten hätten eine Güterabwägung vornehmen müssen« (OÖN).
Die Bestätigung durch Polizeibeamte der Dienststelle Landhaus, dass das Amt für Verfassungsschutz die antirassistische Ausstellung als rassistisch eingestuft habe, lässt nur vermuten, dass auf diese Weise der schwarze Peter den kleinen Beamten der Wachstube zugeschoben wird. Die Stadtwerkstatt wurde natürlich auch nicht informiert.

Förderung von politischer Bildung

Zwei Tage später erhielten wir ein Schreiben vom Stadtpolizeikommandant, in dem sich dieser bei Marika Schmiedt und der Veranstalterin Stadtwerkstatt im Namen seiner Beamten entschuldigt. »Als die Beamten die Information über die angeblich rassistischen Plakate erhielten, mussten sie die Plakate einschätzen und unterlagen dabei diesem Irrtum. Sie waren überzeugt richtig zu handeln und irrten dabei.«
Das Amt für Verfassungsschutz wird in diesem Schreiben mit keinem Wort erwähnt.
Weiters ist in diesem Schreiben zu lesen: »In der Polizeiinspektion wurde den Beamten erst klar, dass die Plakate im Zusammenhang mit der angemeldeten Veranstaltung stehen könnten und die Anmelderin der Veranstaltung (der Veranstaltung ›Ein Dorf in der Stadt‹, Anm. d. Red.) wurde telefonisch kontaktiert.« Zumindest ist also nun der Punkt, mit wem die Polizei Kontakt aufgenommen hat, geklärt.

Das ungarische Rechtsextremen-Portal »kuruc.info« hat zu der Ausstellung in Linz einen Hetzbericht veröffentlicht, in dem Marika Schmiedt als »Judenkünstlerin« tituliert wird. Die im Bericht veröffentlichten Fotos stammen von dem Vorfall vor der Ausstellungseröffnung, die der Begleiter der Stadtführerin anfertigte.

Der Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger (GRÜNE) hat eine parlamentarische Anfrage an die Bundesministerin für Inneres betreffend »Mutwillige Zerstörung einer Kunstausstellung durch die Linzer Polizei?« gestellt. In dieser werden dreizehn Fragen rund um den Hergang der Demontage und Verbindungen zwischen ungarischen Nationalisten in Österreich und Rechtsextremen bzw. Neonazis in Ungarn, gestellt.
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_14720/fnameorig_303869.html

Für die Stadtwerkstatt kann der ungeheurliche Vorfall, die Demontage einer antirassistischen Ausstellung durch die Polizei, durch eine Entschuldigungsmail, in der der Linzer Stadtpolizeikommandant die Stadtwerkstatt ersucht, »auch der Künstlerin mein Bedauern zu übermitteln«, nicht ad acta gelegt werden.
Die Stadtwerkstatt fordert eine offizielle Entschuldigung von Polizei und Verfassungsschutz sowie eine Neuinstallation der Ausstellung »Die Gedanken sind frei« von Marika Schmiedt in der Eingangshalle der Bundespolizeidirektion Linz, Nietzschestraße – ganz im Sinne eines Subtitels der Ausstellung, nämlich zur Förderung von politischer Bildung und Zivilcourage!

»Aber lustig ist das nur einen Augenblick lang. Immerhin liegt diesem behördlichen Angriff auf politische Ausdrucksformen in der Kunst die alte Strategie zugrunde, jene als Rassist_innen zu bezeichnen, die Rassismus anprangern. Das geht ganz einfach, wenn man einen homogenen Volksbegriff hat: Du sagst, in Ungarn gibt’s ein Rassismusproblem? Ich verklage Dich, weil Du (uns) Ungarn beleidigst.«
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»Schmiedts Collagen mögen schmerzen, weil sie den Finger auf Europas wunde Punkte halten. Und sie mögen übertreiben, weil der Auschwitzvergleich ein bisschen locker sitzt. Aber was in der Reaktion auf ihre Arbeiten offenbar wird, ist, dass ein Poster mit Viktor Orbáns Konterfei auf einer Salami als schlimmer empfunden wird als die Wirklichkeit: ›Meine Plakate werden angegriffen, aber die Verhältnisse nicht.‹ Und darin ist die Wut begraben, die Schmiedt weiter antreibt. ›Ich würd mich liebend gern um was anderes scheren, wenn die gesellschaftlichen Zustände es erlauben würden.‹ Bis dahin muss noch viel Wasser die Tisza hinunterfließen.«


Lisa Bolyos, Augustin